Bundespräsident: Die zwei Gesichter des Christian Wulff - WELT
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Die zwei Gesichter des Christian Wulff

Korrespondent
Fragwürdige Freundschaftsdienste, getrübte Hoffnung auf die Pension beim Rücktritt. Mit solchen Geschichten ziehen die Tage von Präsident Christian Wulff dahin. Wie lange noch?

Der Bundespräsident hat in dieser Woche den Präsidenten von Kasachstan empfangen und dann noch den von Botswana. Zudem hat Christian Wulff seinen Anwalt mitteilen lassen, dass er eine Sylter Hotelrechnung, die der Filmmanager David Groenewold für ihn beglichen hatte, diesem sogleich zurückerstattet habe, „in bar“. Dann ist er zum „Treffen der nicht exekutiven Präsidenten“ nach Helsinki geflogen, von dem vorher niemand wusste, dass so etwas überhaupt stattfindet.

Man ahnt zudem, dass auch niedersächsische Ministerpräsidenten anonyme Zweit-Handys nutzen, bevor sie die Ehefrau irgendwann endgültig wechseln. Ein solches Gerät wurde ihm offenbar ebenfalls von Groenewold zur Verfügung gestellt, wie "Welt Online“ erfuhr.

Auch eine Art von Freundschaftsdienst. Zum Wochenende hieß es dann noch, Wulff könne sich im Falle eines Rücktritts keinesfalls seiner Pension, des sogenannten Ehrensolds, sicher sein. Denn den gibt’s nur, wenn das Ausscheiden aus „politischen oder gesundheitlichen Gründen“ erfolgt, so eine Ausarbeitung vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages, aus der die „Bild“ zitierte.

Die Deutschen sind also nicht wirklich weitergekommen in der Beurteilung ihres Bundespräsidenten. Die eine Hälfte will ihn in diesem Amt behalten, die andere möchte ihn lieber loswerden. Alles wie immer. So vergehen die Tage.

Staatsanwaltschaft wartet noch immer auf Glaeseker-Unterlagen

In der kommenden Woche, das lassen Hannovers Staatsanwälte durchblicken, könnte immerhin eine Entscheidung darüber fallen, ob man nach den neueren Vorwürfen, nach den merkwürdigen Vertuschungsversuchen im Sylter „Hotel Stadt Hamburg“, nun doch die Aufhebung der Immunität des Präsidenten beantragt, um danach eventuell Ermittlungen aufzunehmen gegen das Staatsoberhaupt.

Der Gang der Dinge ist auch in der Niedersachsen-Metropole noch immer ein recht gemächlicher. So liegt der Justiz bisher kein einziges Blatt jener Unterlagen vor, die im Januar nach einigem Suchen in der Staatskanzlei gefunden und dem ehemaligen Wulff-Sprecher Olaf Glaeseker zugeordnet wurden.

Darunter Papiere zum „Nord-Süd-Dialog“ 2009, der niedersächsisch-baden-württembergischen Super-Party im Flughafen von Hannover. Gegen Olaf Glaeseker, immerhin lange Jahre Wulffs wichtigster Mitarbeiter, wird in diesem Zusammenhang wegen des Verdachts der Bestechlichkeit ermittelt.

Man habe diese Papiere längst angefordert, sagt die Staatsanwaltschaft. Nichts sei bisher angefordert worden, sagt dagegen der niedersächsische Finanzminister, in Sachen Glaeseker, „Nord-Süd-Dialog“ und Wulff-Nachlass federführend in der niedersächsischen Landesregierung. Man kann sich schon wundern über solche Widersprüche in einem für den Fortgang der Dinge nicht ganz unwesentlichen Verfahren.

LKA untersucht Glaesekers Festplatte

Immerhin, so viel scheint klar: Die Festplatte Glaesekers aus seinem früheren Büro in der Staatskanzlei wurde mittlerweile von einem Mitarbeiter der Behörde an das Landeskriminalamt übergeben. Dessen Spezialisten sollen versuchen, dort angelegte Dateien wieder sichtbar zu machen.

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In der Staatsanwaltschaft allerdings sind auch diese Dateien entgegen einer entsprechenden Mitteilung der Behörde noch nicht angekommen. Es wird auch noch ein Weilchen dauern. Denn, wenn die Dateien vom LKA entschlüsselt sind, gehen sie zunächst einmal zurück an die Staatskanzlei, um von da aus – wann auch immer – an die Justiz weitergegeben zu werden. Auch so vergehen die Tage.

Alle werden sich also gedulden müssen. Die Journalisten. Der Präsident. Die Bürger. Diejenigen, die Christian Wulff den Rücken stärken. Diejenigen, die darauf warten, dass doch noch etwas passiert. Und diejenigen, die ratlos mit den Schultern zucken.

Wenn man sich umhört bei Menschen aus der niedersächsischen CDU, die Christian Wulff lange Jahre erlebt haben, ist dieses Schulterzucken eine Art Markenzeichen geworden. Man möchte ganz gerne, dass es endlich vorbei ist, keine Frage. Aber wie es eines Tages zu Ende gehen könnte mit dem Präsidenten und seiner ungelenken Affärenbewältigung, das vermögen nur wenige vorherzusagen.

Wut auf "Scheinheiligkeit" der "gnadenlosen" Medien

Fritz Brickwedde ist einer von ihnen. Brickwedde, 63, stammt wie der Bundespräsident aus Osnabrück, lebt in Osnabrück, kennt Christian Wulff seit 37 Jahren. Er war ein paar Jahre Regierungssprecher unter Ernst Albrecht, ist Generalsekretär der Bundesstiftung Umwelt mit Sitz in Osnabrück und Fraktionschef der Christdemokraten im Osnabrücker Rathaus.

Brickwedde hat eine klare Antwort, wenn man ihn nach der Zukunft Christian Wulffs fragt. „Er wird um seine Ehre kämpfen. Er wird dabei engagiert seine Arbeit machen und seine Pflicht erfüllen.“

Brickwedde fügt dann sicherheitshalber noch hinzu, dass er diese Aussage „auf Basis der jetzigen Erkenntnisse“ macht, aber im Prinzip lässt er wenig Platz für Zweifel an der Ehrenhaftigkeit Wulffs aufkommen. Brickwedde, auch das gehört zu seiner Sichtweise der Causa Wulff, findet, dass die Medien, dass auch „Welt Online“, "Welt" und „Welt am Sonntag“ dem früheren Präsidenten übel mitspielen, Vorwürfe in großen Artikeln präsentieren, Entlastendes dagegen ganz klein oder gar nicht bringen.

Zwar habe auch Wulff selbst Fehler gemacht, aber die „Scheinheiligkeit“ und „Gnadenlosigkeit“, mit der die Medien Wulff hetzten, sagt Brickwedde, sei schlicht und ergreifend „skandalös“. Die Fehler der Journalisten, von denen die Mehrzahl selbst sogenannte Journalistenrabatte von Fluggesellschaften und Autoherstellern in Anspruch nähmen, seien „größer als die des Bundespräsidenten“. So sieht man die Dinge in der CDU Osnabrücks.

Wulff unterschied skrupellos zwischen "für mich" und "gegen mich"

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Empirisch ist diese These nicht belegt, aber vieles spricht dafür, dass sich der Blickwinkel auf den Hausherren von Schloss Bellevue mit abnehmender Entfernung zu Osnabrück und zunehmender Nähe zu Hannover deutlich ändert. Allerdings auch die Entschlossenheit, diese Distanz und die damit verbundenen Vorwürfe gegen Wulff mit Namen und Adressen zu versehen.

Einige Menschen, die zum Teil sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben mit dem heutigen Bundespräsidenten, entschuldigen ihre Unentschlossenheit damit, nicht als Dreckschleudern agieren zu wollen und sich so auf eine Stufe zu stellen mit ihrem früheren CDU-Landesvorsitzenden. Andere fühlen sich eingebunden in die Parteidisziplin. Wieder andere haben schlicht und ergreifend Angst, dass sie am Ende noch einmal den Kürzeren ziehen.

Sie alle erzählen unterm Strich die gleiche Geschichte, nach der Christian Wulff in seiner niedersächsischen Zeit ziemlich skrupellos unterschied zwischen „für mich“ und „gegen mich“. Wobei Gegner bis zu seiner eigenen Scheidung auch war, wer sich von seinem Ehepartner trennte. Die Verletzungen, die Wulff damals zugefügt hat, sind vermutlich eine Ursache für die schiere Unendlichkeit der Präsidentenaffäre.

Sozialministerin nach Krebserkrankung kühl abserviert

Man kann also ganz froh sein in diesen frösteligen Tagen von Hannover, wenn man Mechthild Ross-Luttmann trifft. Juristin, dreifache Mutter aus Rotenburg an der Wümme, mitten in Niedersachsen. Christian Wulff hat sie 2005 in sein Kabinett geholt. Sie sollte dort als Sozialministerin Ursula von der Leyen ersetzen, die gerade Bundesministerin geworden war.

Zwei Jahre später erkrankte Ross-Luttmann an Brustkrebs. Sie wurde operiert, und sie wurde wieder gesund. Wenig später, im April 2010, wurde sie von Christian Wulff aus dem Kabinett entfernt. Abserviert könnte man auch sagen.

Monatelang hatte der Ministerpräsident damals an einer Kabinettsumbildung gebastelt, die vor allem die eigene Reputation stärken sollte – mit Blick auf die Landtagswahlen Anfang 2013, die zu verlieren damals sein politischer Albtraum war.

Aber auch mit Blick auf den Bund. Einen Tag nach der Bekanntgabe der neuen Kabinettsliste – anstelle Ross-Luttmanns saß nun mit Aygül Özkan die erste Muslimin in aeinem deutschen Kabinett – brachte die „FAZ“ erstmals den Namen Christian Wulffs als kommenden Bundespräsidenten ins Gespräch.

"Menschlich enttäuscht" – aber beeindruckt von Wulffs Verdiensten

Sechs Wochen vor Horst Köhlers Rücktritt, vier Jahre vor der turnusgemäßen Präsidentenwahl. Einen Tag stand dieser Vorschlag auch in der „Bild“. Wulff und seinem Kommunikationschef Glaeseker war mal wieder ein echter Medien-Coup gelungen. Zehn Wochen später war aus Niedersachsens Ministerpräsident der Bundespräsident geworden.

Mechthild Ross-Luttmann wollte nie nach Berlin. Sie ist inzwischen Vorsitzende des Rechtsausschusses im niedersächsischen Landtag. Ihre Abberufung sei eine „menschliche Enttäuschung“ für sie gewesen, sagt Ross-Luttmann – und fängt dann an, die Verdienste aufzuzählen, die sich Christian Wulff in Niedersachsen erworben hat.

Eine geräuschlose Verwaltungsreform, eine zukunftsorientierte Bildungspolitik, der Versuch, das Krippenplatz-Entwicklungsland Niedersachsen endlich zu lösen aus den steinzeitlichen Strukturen der frühkindlichen Bildung. Frau Ross-Luttmann, kein Zweifel, hat die beiden Gesichter des Christian Wulff kennengelernt.

Wenn man sie fragt, wie es weitergehen soll mit ihrem Präsidenten, zuckt sie die Schultern und sagt: „Das ist doch schrecklich.“

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