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Obwohl das System der betrieblichen Mitbestimmung in Österreich wie auch in Deutschland eine doch recht breite Zustimmung erfährt (Stadler und Allinger 2017), haben bereits vor gut zwei Jahrzehnten Arbeitssoziologen wie z. B. Jörg Flecker und Manfred Krenn „Risse im Fundament“ (1999) gesehen, und Wolfgang Streeck vertrat sogar die Meinung, dass „wenig übrig bleiben wird“ (1999). Einerseits konstatieren Forscher*innen eine Erosion der betrieblichen Mitbestimmung (Herrmann und Flecker 2009; Eichmann und Bernhard 2014) und andererseits kommen Untersuchungen zum Befund einer relativ langfristigen Stabilität, zumindest was den Abdeckungsgrad von Betriebsrats-Körperschaften betrifft (z. B. Michenthaler et al. 2013). Eine besorgte Sicht auf das Thema hatte und hat sicherlich seine Berechtigung, aber die „Mitbestimmung ist kein Auslaufmodell“ (Kotthoff 2001). Denn Betriebsrät*innen leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass Konflikte zwischen Kapital und Arbeit frühzeitig erkannt, konstruktiv und kompromissorientiert ausgetragen werden (können).

Funder (2018) weist in diesem Zusammenhang auf die Herausforderung der Betriebsratsarbeit hin. Einerseits werden kollektive Formen der Interessenvertretung für Unternehmen als unverzichtbar für z. B. eine betriebliche Konfliktregelung angesehen. Andererseits herrscht aber auch Skepsis hinsichtlich der Wirkungsmacht der betrieblichen Mitbestimmung. „Bereits jetzt stößt eine Mitbestimmung, die an das klassische Betriebs- und Arbeitnehmerverständnis gebunden ist, an Grenzen“ (Funder 2018, S. 498). Insbesondere in neuen Organisationsformen von Arbeit, wie z. B. digitalen Plattformen, geht die Institution der betrieblichen Mitbestimmung zunehmend ins Leere. Diese digitalen Plattformen positionieren sich meist außerhalb des nationalen Sozialraumes, denn ihre Standorte sind häufig im Ausland zu finden (z. B. Uber), oder der Arbeitsort ist ein virtueller (z. B. Amazon Mechanical Turk), und dadurch entziehen sie sich dem Kräftefeld der österreichischen Sozialpartnerschaft und der betrieblichen Mitbestimmung. Es gibt zwar Unternehmen wie z. B. Mjam (Delivery Hero) die einen Betriebsrat eingerichtet haben; durch den hohen Anteil an freien Dienst- oder Werkverträgen werden die Praktiken der betrieblichen Mitbestimmung aber unterlaufen, da der Betriebsrat formal für diese Dienstnehmer*innen nicht zuständig ist. Deutlich wird dieses Entziehen aus dem Kräftefeld der österreichischen Sozialpartnerschaft aber nicht nur durch den Status der formalen Beschäftigungsverhältnisse (hauptsächlich freie Dienstnehmer*innen) sondern auch in einem starken konflikthaften Umgang mit etwaigen betrieblichen Interessenvertretungen. Die Betriebsratsgründungen, beispielsweise bei Mjam/Foodora, Lieferando und Veloce waren sehr umkämpft, denn die Unternehmensleitungen haben die Betriebsräte nicht anerkannt, die Anerkennung musste zum Teil gerichtlich erkämpft werden. Die Organisationskulturen transnationaler Plattformunternehmen unterscheiden sich deutlich von Unternehmen, die stärker in der Realwirtschaft verankert sind und stärkere räumliche Bezüge aufweisen.

Betriebsrät*innen berichten immer wieder davon, dass sie in den letzten Jahren in ihrer Betriebsratsarbeit stark durch neue Aufgaben gefordert werden (Rami 2009, S. 15). Diese Aufgabenveränderung und -erweiterung resultiert z. B. aus dem Wandel der Arbeit, der Dezentralisierung der Kollektivvertragspolitik und aus der hohen Rechtsunsicherheit durch Digitalisierung. Einen (starken) Wandel in der Arbeitswelt erfuhren Betriebsrät*innen und das Management seit Mitte der 1980er Jahre durch das Aufkommen einer Vielzahl an neuen Managementkonzepten, wie z. B. Lean-Management, Business Reengineering und Automatisierung (Müller-Jentsch 2017, S. 95). Betriebsrät*innen wurden und werden zunehmend in betriebliche Reorganisationsprozesse miteinbezogen und arbeiten in Steuerungs- und Projektgruppen mit, was die Aneignung von fundierten BWL-Kenntnissen, wie auch technischem und rechtlichem Wissen notwendig macht, um mit dem Management mithalten zu können.

Durch diese aktive Einbeziehung in die „kooperative Modernisierung“ (Müller-Jentsch 2017) von Unternehmen werden Betriebsrät*innen zu Co-Manager*innen (Prott 2013, S. 139–147; Rami 2009; Müller-Jentsch und Seitz 1998). Ihre konventionellen Schutzfunktionen können durch diese „neuen Tätigkeiten“ beschnitten werden und aus den Betriebsrät*innen werden Betriebsökonom*innen (Rami und Hunger 2011, S. 168; Rami 2009, S. 15; Kotthoff 2001, S. 3), die Mitverantwortung am unternehmerischen Geschehen und Gestalten tragen.

Kotthoff erkennt im Co-Management, das in dessen ursprünglicher Betriebsrats-Typologie (Kotthoff 1981, 1994)Footnote 1 noch nicht enthalten war, eine Aushöhlung der eigentlichen Aufgaben des Betriebsrates. Obwohl der Betriebsrat durch die neuen Aufgaben mehr mitgestalten kann, besteht die Gefahr, dass er – durch das stärkere Mittragen der Interessen der Geschäftsleitung – seine substanzielle Grundlage, nämlich die interessenpolitische Beschützerfunktion der Arbeitnehmer*innenschaft, verliert (Kotthoff 1998, S. 78 f.). Ob und in welcher Weise sich die Kräfterelationen und inhaltlichen Positionierungen des Betriebsrats innerhalb der betrieblichen Felder verändern, hängt auch mit der Stärke und Mobilisierungsfähigkeit der überbetrieblichen Interessenvertretung (Gewerkschaften) zusammen. Hier gibt es große branchenspezifische Unterschiede.

Eine relationale Perspektive nimmt das Wechselverhältnis der objektiven Kräfteverhältnisse (zu denen auch die kulturellen Artefakte, Symbolisierungen, Sprache, etc. zählen) und der subjektiven Dispositionen stärker in den Blick und sieht diese in einem grundsätzlich konfliktären Zusammenhang.

Die potenzielle Verschiebung der Rolle des Betriebsrates, weg vom Beschützer der Belegschaft hin zu einem Mitgestalter in der Organisation, birgt somit Potential für Konflikte. Der Betriebsrat operiert zwar immer als „Grenzinstitution“ (Fürstenberg 2000) in einem dreifachen Spannungsfeld, zwischen den teils gegensätzlichen Anforderungen, Ansprüchen und Problemfeldern von Belegschaft, Geschäftsleitung und Gewerkschaft (Fürstenberg 2000, S. 21 ff.). Welche Position ein/e Betriebsrät*in innerhalb dieses Spannungsgefüge der verschiedenen Akteursgruppen einnimmt, hängt aber auch von der feldspezifischen Organisationskultur (Artefakte, dominante Narrative und Wertorientierungen), den etablierten Praktiken und Bewertungen betriebsrätlicher Arbeit ab. Betriebsratsmitglieder bilden ihre Überzeugungen, Identitäten und Handlungsorientierungen letztlich vor allem innerhalb dieses Wechselspiels von materiellen und symbolischen Konflikten heraus. Eine Verschiebung der betriebsrätlichen Praxis in Richtung Management kann als Amts-Überforderung oder als Aufwertung der eigenen Position wahrgenommen werden; jedenfalls steht die Identität der Betriebsrät*innen auf dem Spiel und es könnten möglicherweise Akzeptanz- und Anerkennungsprobleme seitens der Belegschaft oder auch Rollenkonflikte im Gremium entstehen (Faupel et al. 2019; Rehder 2006; Kotthoff 2001).

Wie nun aber ein Betriebsratsvorsitzender bzw. eine -vorsitzende in bestimmten Situationen reagiert und welche Maßnahmen ergriffen werden, hängt stark von seiner/ihrer Position im betrieblichen Machtgefüge, der feldspezifischen Doxa (Selbstverständlichkeiten, geteilten Wissensbeständen und Überzeugungen) und den subjektiven Dispositionen der Akteur*innen ab.

Daraus ergibt sich die zentrale Fragestellung: Welche Positionen nehmen Betriebsrät*innen im Kräftefeld der betrieblichen Interessenvertretung ein und wie positionieren sie sich in Relation zur Geschäftsführung und der Belegschaft sowie ggf. zu den Gewerkschaften?

6.1 Die traditionelle Rolle des Betriebsrates

Die traditionelle Rolle des Betriebsrates steht oftmals im Einklang mit der formalen bzw. der innerhalb eines gesetzlichen Rahmens festgelegten Rolle des Betriebsrates (z. B. Hälker 2004; Kotthoff 2001). Die traditionelle Rolle des Betriebsrates besteht darin, die Arbeitnehmer*innen hinsichtlich ihrer Arbeitsbedingungen und dahingehenden Forderungen innerhalb der vom Gesetzgeber festgeschriebenen Rechte und Pflichten zu vertreten. Diese Rechte und Pflichten von Betriebsrät*innen sind im Arbeitsverfassungsgesetz geregelt. „Der Betriebsrat ist als Organ der Arbeitnehmer*innen zur Wahrnehmung und Förderung der wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer*innen im Betrieb berufen“ (AK Niederösterreich 2021). Der Betriebsrat agiert dabei auf betrieblicher Ebene und seine Tätigkeit ist somit Ausdruck betrieblicher Mitbestimmung.

Halgmann (2019) beschäftigt sich eingehend mit der Rolle von Betriebsrät*innen hinsichtlich Personalstrategien im Betrieb. Er unterscheidet dabei grob zwischen der formalen, also der gesetzlich definierten Rolle und der faktischen Rolle von Betriebsrät*innen. Hinsichtlich der formalen Rolle nimmt Halgmann (2019) wiederum eine Unterteilung in operative und strategische Betriebsratsarbeit vor. Die operative Betriebsratsarbeit meint „[…] die Begleitung standardisierter Prozesse, z. B. Mitbestimmung und Mitwirkung bei personeller Einzelmaßnahmen“ (Halgmann 2019, S. 58). Mit strategischer Betriebsratsarbeit bezieht sich Halgmann auf Rechte, die es dem Betriebsrat ermöglichen, langfristig, nachhaltig und vielseitig zu agieren.

Hälker (2004) untersuchte die Entstehung von Rollenkonflikten durch eine Veränderung des Rollenverständnisses von Betriebsrät*innen mithilfe einer Fallstudie in deutschen Betrieben. Auch hier wurde eine Einteilung in zwei gegensätzliche Rollenbilder von Betriebsrät*innen vorgenommen. Unterschieden wird konkret zwischen der „gegenmachtorientierten, potenziell konfliktären Schutzfunktion mit gewerkschaftlicher Ausrichtung [sowie der] gestaltenden, kooperativen Co-Managerfunktion mit betrieblicher Ausrichtung“ (Hälker 2004, S. 28).

Die traditionelle Rolle des Betriebsrates ist vor allem durch eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und einer Kandidatur für eine gewerkschaftliche Fraktion im Betriebsrat charakterisiert. Die traditionelle Rolle des Betriebsrates repräsentiert damit zumindest in Teilen auch den gewerkschaftlichen Ansatz bzw. das gewerkschaftliche Verständnis von Betriebspolitik und Betriebsratsarbeit, auch wenn im dualen System der Interessenvertretung die beiden Funktionen (Betriebsrat und überbetriebliche gewerkschaftliche Interessenvertretung) formal-rechtlich voneinander getrennt sind. Heinz (1980, zitiert nach Hälker 2004) formuliert dieses gewerkschaftliche Verständnis mit marxistischem Unterton – die Aufgabe des Betriebsrates sei es, sich gemeinsam mit den Mitarbeiter*innen den kapitalistischen Interessen der Arbeitgeber*innenseite zu widersetzen (auch wenn es gewerkschaftliche Fraktionen gibt, etwa die Fraktion christlicher Gewerkschafter*innen, FCG, die eine solche Lesart nicht unbedingt mittragen würden). Die traditionelle Rolle sieht den Betriebsrat folglich in einem Konfliktverhältnis mit der Arbeitgeber*innenseite und deren wirtschaftlichen Interessen (Heinz 1980, S. 11).

Schwarzbach (2006) betont, dass die gesetzlich definierte Aufgabe des Betriebsrates, sowohl zum Wohle der Mitarbeiter*innen als auch zum Wohle des Betriebes zu agieren, zu einem konfliktbehafteten Verhältnis zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat führen kann. Er beschreibt Betriebsrat und Geschäftsleitung als sich gegenüberstehende Pole, die beide bestimmte, oftmals gegensätzliche Interessen und Ziele verfolgen. Nichtsdestotrotz erwähnt Schwarzenbach gleichzeitig die Notwendigkeit dieser Interessenkonflikte, da ohne gegensätzliche Interessen der Arbeitnehmer*innen- und Arbeitgeber*innenseite eine (gesetzlich verpflichtende) betriebliche Vertretung der Arbeitnehmer*inneninteressen schlicht überflüssig wäre (Schwarzbach 2006, S. 30 ff.).

Zusammenfassend ist die traditionelle Rolle des Betriebsrates folgenderweise gekennzeichnet: eine enge Verbindung zur Gewerkschaft, mit eindeutig arbeitnehmer*innenorientierten Handlungsweisen (Schutzfunktion) sowie einem (möglichen) Konfliktverhältnis gegenüber der Arbeitgeber*innenseite. Dieses Konfliktverhältnis entsteht durch gegensätzliche Interessen von Betriebsrat und Geschäftsleitung. In engem Zusammenhang damit steht auch der vorhin erwähnte gewerkschaftliche Ansatz, welcher ebenso die konfliktbehaftete Beziehung zwischen Arbeitgeber*innen- und Arbeitnehmer*innenseite unterstreicht.

6.2 Rollenwandel in der Betriebsratsarbeit – vom klassischen Betriebsrat zum Co-Management?

Zahlreiche Autoren (z. B. Halgmann 2019; Minssen und Riese 2007; Kotthoff 2001) bestätigen einen Wandel der zuvor beschriebenen traditionellen Betriebsratsarbeit, welcher ebenso das Rollenverständnis inkludiert. Häufig im wissenschaftlichen Diskurs anzutreffen, ist hierbei der Begriff des „Co-Managers“ beziehungsweise des „Betriebsökonomen“. Halgmann bestätigt das (empirisch nachweisbare) vermehrte Auftreten von sogenannten Co-Manager*innen. Die faktische Rolle des Betriebsrates weicht also oftmals von der traditionellen Rolle ab (Halgmann 2019, S. 69).

Diesen Wandel des Rollenverständnisses sieht auch Kotthoff (2001, S. 2) und beschreibt diesen im Zusammenhang mit der Entwicklung seiner Betriebsratstypologie. Der Betriebsrat handelt heute oftmals im Zusammenhang mit betrieblichen Restrukturierungsprozessen und strategischen Managementangelegenheiten. Diese Einbindung in Angelegenheiten der Geschäftsleitung erfolgt oftmals in Form von Projektgruppen und Gremien mit weiteren Spezialist*innen. Vom Betriebsrat wird hier nicht nur erwartet, die Interessen der Arbeitnehmer*innenseite wiederzugeben und diese zu repräsentieren. Vielmehr soll der Betriebsrat mit den Zielen des Managements vertraut sein (Kotthoff 2001, S. 3).

Diese Entwicklung ist in vielerlei Hinsicht konfliktbehaftet. Sobald der Betriebsrat die Arbeitnehmer*inneninteressen aus einer betriebswirtschaftlichen Perspektive vertritt, kann dies zu Interessenkonflikten zwischen betriebsökonomischem Handeln und Interessen der Belegschaft sowie zu Legitimitätsproblemen führen (Halgmann 2019 S. 69 f.). Denn die Interessen der Belegschaft werden nicht mehr vertreten, sondern die Interessen des Managements, da die Schutzfunktion zugunsten der Gestaltungsfunktion in den Hintergrund gedrängt wird. Dadurch kann es zu einer Aushöhlung der eigentlichen Aufgaben und zum Verlust der eigentlichen substantiellen Grundlage der Betriebsratsarbeit kommen (Rami und Hunger 2011, S. 168). Durch die Diskussionen über diesen Rollenwandel lassen sich das Spannungsverhältnis und die Machtrelationen zwischen den Interessen der Geschäftsleitung und den Interessen der Arbeitnehmer*innen deutlich erkennen. Was nun dabei aber genau die jeweiligen Interessen sind, lässt sich nicht aus den ökonomischen Produktionsverhältnissen her ableiten, sondern sie werden vielmehr aus einer feldspezifischen Kräfterelation mitbestimmt.

6.3 Ausgewählte Ergebnisse eines Lehrforschungsprojektes

Im Rahmen eines Lehrforschungsprojektes an der Johannes Kepler Universität Linz wurden im Zeitraum von Anfang Dezember 2019 bis Ende Jänner 2020 insgesamt 37 qualitative, teilstandardisierte face-to-face Interviews in oberösterreichischen Unternehmen durchgeführt. Die Unternehmen wurden nach Größe (mittelständische und Großbetriebe) sowie nach der Gründungszeit des Betriebsrates (unter fünf Jahren und über 20 Jahren) ausgewählt. Von den Studierenden wurden 24 Betriebsratsvorsitzende und 13 Personalverantwortliche (Geschäftsführer*innen, HR-Manager*innen) interviewt. Die Interviews fanden im Industrie-/Produktionssektor (z. B. Automobilzulieferer, Industrieautomation, etc.) und in der IT-Branche statt (vgl. Tab. 6.1) und wurden nach Mayring (2007) mit der Technik der zusammenfassenden Inhaltsanalyse ausgewertet.

Tab. 6.1 Samplebeschreibung

Grundsätzlich ist anhand der Interviews erkennbar, dass die Betriebsrät*innen wie auch die Geschäftsführer*innen die traditionelle Rolle der Betriebsratsarbeit wahrnehmen und anerkennen. Das bedeutet für die Interviewten, dass die Betriebsratsarbeit v. a. als Schutzfunktion für die Arbeiternehmer*innenschaft gesehen wird. Im Vordergrund für die Betriebsrät*innen steht dabei die Beteiligung in strategischen Entscheidungsprozessen und die Forderung mehr betriebliche Informationen z. B. bei angedachten Veränderungen, seitens der Geschäftsleitung zu erhalten. Wichtig dabei ist aber auch die Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung, um ein positives Verhältnis mit dieser aufzubauen und, Konflikte gemeinsam und respektvoll lösen zu können. Weiters sehen die Betriebsrät*innen in der traditionellen Rolle die Möglichkeit zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Unternehmen und die Arbeitnehmer*innen in allen Angelegenheiten bestmöglich zu beraten und zu unterstützen. Die betriebliche Mitbestimmung wird von den interviewten Betriebsrät*innen beider Branchen als wichtigster Faktor der Betriebsratsarbeit genannt. Dabei werden mit betrieblicher Mitbestimmung nicht nur betriebliche Veränderungen verbunden, vielmehr bedeutet dies für die Betriebsrät*innen die Mitarbeiter*innen zu unterstützen, sie aufzuklären und deren Interessen zu verteidigen.

Neben dieser traditionellen Rolle zeigt sich durch die Interviews aber auch, dass sich das klassische Rollenverständnis der Betriebsrät*innen verändert hat. Denn sie werden vermehrt in Angelegenheiten der Geschäftsleitung miteingebunden, v. a. wenn es um sensible unternehmensinterne Themen wie z. B. Sparmaßnahmen, Stellenabbau, Kündigungen geht. Die Geschäftsleitung fordert von den Betriebsrät*innen sich stärker auf Kompromisse im Sinne der Unternehmensstrategie und Weiterentwicklung einzulassen und mitzuarbeiten und dabei die traditionelle Rolle, also die reine Schutzfunktion hintanzustellen. Dadurch kommen für die Betriebsrät*innen gestalterische Elemente in ihrer Arbeit hinzu. Einerseits ergibt sich für die Betriebsarbeit die Möglichkeit in Form eines Co-Management mitzuwirken, die Betriebsrät*innen geraten aber dadurch womöglich in einen Rollenkonflikt. Bezüglich des selbst zugeschriebenen Rollenverständnisses bei den Betriebsrät*innen zeigen sich Unterschiede. Während die einen sich mehr mit der traditionellen Rolle identifizieren (vermehrt in der Industrie), findet bei den anderen durchaus eine Veränderung des Rollenverständnisses in Richtung des Co-Management statt (stärker in der IT-Branche).

Die Geschäftsleitung erwartet von den Betriebsrät*innen primär betriebswirtschaftliche Kalküle, die sich mit den unternehmerischen Interessen decken und weniger Bezugnahme auf gewerkschaftliche bzw. politische Positionen in der Betriebsratsarbeit. Aus Sicht der Betriebsrät*innen beider Branchen bringt ein Betriebsrat klare Vorteile für die Belegschaft und die Geschäftsleitung und somit für das Unternehmen als Ganzes. Er hat die Rolle eines Vermittlers zwischen der Führungs- und Arbeitnehmer*innen-Ebene und eines Kontrolleurs in Hinblick auf Recht und Ordnung. Der Betriebsrat sorgt dafür, dass sich die Geschäftsleitung an Abmachungen hält und versorgt diese wiederum mit Informationen aus den Reihen der Belegschaft. Für die Instanzen Geschäftsleitung und Betriebsrat hängt die Kooperation stark von den individuellen Persönlichkeiten ab, die in diesen Organen tätig sind, wovon die befragten Betriebsrät*innen und Geschäftsleitungen aus beiden Branchen, gleichermaßen überzeugt sind. Jedoch zeigt sich in den Ergebnissen, dass das Co-Management eher in der IT-Branche bereits gelebt wird. Während in der Industrie historisch gesehen der Kampf zwischen Kapital und Arbeit die traditionelle Rolle der Betriebsarbeit mitbegründet und definiert hat, zeigen sich in neueren Branchen, wie im IT-Bereich flachere Hierarchien und eine andere Unternehmenskultur. Aber auch bestimmte Machtrelationen innerhalb der betrieblichen Felder – wie die technische und materielle Ausstattung des Betriebsrates und die symbolische Position (z. B. Büroräume, Firmenwagen, …) – bestimmen über die Dynamiken und Prozesse der Konfliktaustragung mit.

Somit zeigen die Ergebnisse letztendlich, dass für die Betriebsrät*innen die traditionelle Rolle vorherrscht, jedoch ergänzend Co-Management-Aufgaben hinzukommen, wobei sich hier Unterschiede zwischen den Branchen auftun. In der IT-Branche lassen sich eher Co-Managementelemente erfassen als in der Industrie. Hier lässt sich erkennen, dass „aktualisierte Varianten von kooperativer Konfliktbewältigung“ gesucht werden, wie Industriesoziolog*innen das nennen (Schumann et al. 2008, S. 255). Vergessen dürfen wir dabei aber nicht, dass Betriebsratsarbeit immer etwas von „Boxing and Dancing“ (Huzzard et al. 2004) mit sich bringt, denn auch bei einem gelebten Co-Management werden bestimmte Themen konfliktträchtig bleiben. Aus Sicht betrieblicher Interessenvertretung sollen „Kooperation und Konflikt […] nicht als gegensätzliche, sich ausschließende Strategien gedacht [… werden, sondern …] vielmehr als komplementäre, stets zugleich präsente Strategien der flexiblen Gestaltung industrieller Beziehungen konzipiert [werden], auch wenn thematisch oder situativ die eine oder andere Seite in den Vordergrund treten kann“ (Schumann et al. 2008, S. 255).

6.4 Zusammenfassung und Diskussion

Zusammenfassend ergibt sich ein heterogenes Rollenverständnis der Betriebsratsmitglieder in den untersuchten Betrieben, die zunehmend bedeutenden Umbrüchen und Veränderungen unterworfen sind. Die befragten Betriebsrät*innen sehen klar ihre Nähe zur Belegschaft und betrachten sich als klassische Interessenvertretung der Belegschaft. Gleichzeitig zeigt sich in den Aussagen vieler Betriebsrät*innen, wie auch der Geschäftsleitungen beziehungsweise des HR-Managements, dass dem Betriebsratsgremium eine verstärkte Gestaltungsfunktion zukommt. Diese Gestaltungsfunktion wird insoweit gefordert, als dass Betriebsrät*innen in gewisse betriebliche Prozesse (regelmäßig stattfindende Arbeitskreise, zeitlich befristete Projekte) miteingebunden werden, etwa wenn es um gesetzliche Änderungen geht, in denen das Know-How der Betriebsrät*innen hinzugezogen wird, oder – und hier steckt wiederum ein Konfliktpotenzial – wenn es um betriebliche Reformen geht, die Arbeitszeitflexibilisierung, Leiharbeit, Lohnkürzungen bis hin zu Entlassungen beinhalten können. Die Arbeitszeitflexibilisierung zählte zu den wichtigsten Aufgabenfeldern von Betriebsrät*innen. Es wurden verschiedene betriebliche Modelle der Arbeitszeitflexibilisierung entwickelt und durch Betriebsvereinbarungen fixiert. Durch die gesetzliche Ausweitung der täglichen und wöchentlichen Höchstarbeitszeit hat insbesondere den Wirkungsbereich und damit die Verhandlungsmacht der Betriebsräte, die laut kollektivem Arbeitsrecht ein Mitspracherecht in betrieblichen Arbeitszeitregelungen genießen, gegenüber dem Management eingeschränkt (s. auch der Beitrag von Elias Felten in diesem Band). Die Geschäftsleitungen können die neuen Höchstarbeitszeiten nun durch Einzelverträge festlegen.

In einigen Aussagen schimmern durchaus antagonistische Haltungen durch, die aber dadurch relativiert werden, dass mehr Transparenz und Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit der Geschäftsleitung gewünscht werden. Sprich: konfrontativere Haltungen des Betriebsrates erklären sich zumeist aus der Haltung der Geschäftsleitung und können nicht isoliert betrachtet werden. Welches Rollenverständnis des Betriebsrates (traditionelle Schutzfunktion und/oder Co-Management) jeweils in einem Betrieb dominiert, ist von vielen Faktoren (z. B. dem Verhalten der Geschäftsleitung, der Zusammensetzung des Betriebsrates, der Organisationsform, der Marktposition des Unternehmens) abhängig. In welche Richtung sich letztlich das Rollenverständnis von Betriebsrät*innen weiter entwickeln wird, wird auch in Zukunft Gegenstand sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Forschung sein müssen. Denn betriebliche sozialpartnerschaftliche Felder weisen eine in den unterschiedlichen Branchen und Unternehmen eine meist sehr spezifische historische Genese auf und tragen dadurch zur Sozialisation aller Beteiligten – Arbeiter*innen, Angestellten mit und ohne Führungsfunktion, Management – bei. Vor allem in international tätigen Unternehmen hat das Management meist eine viel kürzere Verweildauer als die Betriebsratsmitglieder. Durch ein neues Management kann die mit den Vorgänger*innen etablierte Sozialordnung und die Kulturen der Kompromissfindung daher abrupt infrage gestellt werden, und die Aushandlungsprozesse zwischen den jeweiligen Akteur*innen beginnen wieder von vorne. Dies sind mitunter langjährige Prozesse, die stark von einem gegenseitigen Vertrauen, einer guten Gesprächskultur und Transparenz abhängen. Wie nun also die betriebliche Mitbestimmung in den jeweiligen Unternehmen gelebt wird, hängt nicht alleine vom Rollenverständnis des Betriebsrates ab, sondern von den Machtrelationen, der Organisationskultur und den Sozialisationsprozessen in den jeweiligen Organisationen.