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Christian Wulff – ein Symptom des Systemversagens

Bundespraesident Wulff tritt zurueck Bundespraesident Wulff tritt zurueck
In erster Linie war Wulff stets ein Blender und Selbstdarsteller, der wusste, wie er den Eindruck erwecken konnte, es allen Recht zu machen
Quelle: dapd/DAPD
Der Aufstieg und Fall von Christian Wulff war kein bedauerlicher Einzelfall. Er zeigt vielmehr, wie die Hinterzimmerpolitik Politiker zu Opportunisten macht.

Jetzt, da Joachim Gauck neuer Bundespräsident werden soll und Christian Wulff endlich zurückgetreten ist, sind fast alle glücklich. Groß ist die allgemeine Erleichterung in der Politik wie in den Medien, man klopft sich gegenseitig auf die Schultern, es ist, als habe sich eine zweijährige kollektive Verwirrung mit einem Mal in Luft aufgelöst.

Der Skandal, die „Causa Wulff“ ist überstanden, alle Unkenrufe, der zurückgetretene Präsident habe das Amt auf unabsehbare Zeit beschädigt, gar, das Amt des Bundespräsidenten sei überhaupt nicht mehr zeitgemäß, sind vergessen.

Die Euphorie mit der nun der überparteiliche Kandidat Gauck gefeiert wird, täuscht allerdings über Wesentliches hinweg: der Skandal mag überstanden sein, verstanden wurde er nicht. Die wichtigsten Fragen, die die „Causa Wulff“ aufwerfen sollte, wurden noch gar nicht gestellt, geschweige denn beantwortet.

Denn der Aufstieg des Christian Wulff wirft ein trauriges Licht auf ein politisches System, das gerade in der innerparteilichen Entscheidungsfindung von undemokratischen Strukturen geprägt ist. Was ist das für ein System, in dem ein Charaktertypus wie Wulff überhaupt nach ganz oben kommen kann? Wulffs Fehler, das waren erst in zweiter Linie die Mauscheleien, Kredite und Gefälligkeiten, über die er gestolpert ist.

In erster Linie war Wulff stets ein Blender und Selbstdarsteller, der wusste, wie er den Eindruck erwecken konnte, es allen Recht zu machen. Ein Mann ohne besonderes Unrechtsbewusstsein, wie noch seine Rücktrittsansprache nahelegt, ein Typ wie Karl-Theodor zu Guttenberg , der erst im letzten Jahr mit einem ganz ähnlichen Rücktritt auf Raten die Nation verblüffte.

Undemokratische Parteistrukturen

Undemokratische Parteistrukturen mit selektiven Delegiertensystemen und schriftlichen Stimmrechtsübertragungen, Satzungen in denen die Basis wenig zu melden hat. Hinzu kommt eine „Hinterzimmerdemokratie“, in der die Kandidaten für wichtige Ämter allein parteistrategisch ausgeklüngelt werden, dazu gerade im Falle des Bundespräsidenten ein Wahlverfahren, das von der Bevölkerung nicht weiter abgehoben sein könnte.

All das begünstigt gerade solche Opportunisten. Wer hier reüssieren möchte, ist beinah gezwungen seine Überzeugungen und seine Selbstachtung über Bord zu werfen. Doch über die Systematik, mit der Karrierepolitiker zu Opportunisten erzogen werden, mit der Querdenker und visionäre Köpfe ausgesiebt werden, spricht man in Zeiten der Sachzwang-Kanzlerin Merkel ungern.

Stattdessen wird die „Causa Wulff“ als die persönliche Verfehlung eines Einzelnen klein geredet. Dabei ist sie Symptom eines Systemversagens, das nicht auf die Hinterzimmerpolitik beschränkt bleibt. Fast ausnahmslos alle, die nun ob der überstandenen Krise jubilieren, werden noch feststellen müssen, dass sie einen Pyrrhussieg erfochten haben.

Gerade die Medien, die im Tunnelblick über Halbwahrheiten und Vermutungen in einem bisher nicht bekannten Ausmaße berichteten, werden auf lange Sicht Glaubwürdigkeit einbüßen. Was ist das für ein Verständnis von Berichterstattung, in dem der Sturz eines Politikers als Ziel verfolgt wird?

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Wulffs Sturz sollte anderen Politikern eine Warnung sein: Er beleuchtet die Grenzen der Selbstinszenierung, an die leicht stößt, wer sich im öffentlichen Leben vorteilhaft darzustellen versucht. Mit Christian Wulff hat ein Typ, der gerade ob seiner Erscheinung als idealer Schwiegersohn zum Bundespräsidenten gewählt wurde, versucht, sich nachträglich ein glamouröses Image zu verleihen.

Die mit seinem Einverständnis geschehene öffentliche Ausschlachtung seiner zweiten Ehe markierte den Startschuss zu diesem Unterfangen. Vielleicht versuchte Wulff so, die weltmännische Aura eines Bundespräsidenten zu gewinnen, die ihm offenkundig abging. Das musste scheitern.

Christian Wulff wurde die Geister, die er rief, nicht mehr los, und jede Person des öffentlichen Lebens, die mit der Inszenierung ihrer selbst spielt, läuft die selbe Gefahr.

Der Autor ist Unternehmer und Kommunikationsberater

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