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Ausland Anschlag auf Japans Ex-Premier

Der Gründervater der „Abenomics“-Politik ist tot, Japan trauert um Shinzo Abe

Ex-Premier Shinzo Abe stirbt nach Attentat

Der ehemalige japanische Ministerpräsident Shinzo Abe ist nach Angaben japanischer Medien tot. Er erlag den Folgen eines Attentats während einer Wahlkampfveranstaltung. Der mutmaßliche Angreifer wurde festgenommen.

Quelle: WELT Nachrichtensender

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Japans ehemaliger Premierminister, Shinzo Abe, wurde bei einem Attentat erschossen. Weltweit löste die Tat Entsetzen aus. Der am längsten amtierende Regierungschef hinterlässt ein politisches Erbe voller Erfolge wie Skandale.

Augenzeugen hatten den ersten Knall zunächst für Feuerwerk gehalten – eine Sommertradition in Japan. So fern lag der Gedanke an Schusswaffen für sie. Doch dann stieg Rauch hinter Shinzo Abe auf, der gerade eine Wahlkampfrede hielt. Der ehemalige japanische Premierminister drehte sich um und sackte beim zweiten Knall blutend zu Boden.

Chaos brach aus: Während die einen panisch nach einem Defibrillator riefen und mit der Herzmassage begannen, drückten Sicherheitskräfte einen 41-Jährigen zu Boden und stießen eine Waffe zur Seite – selbst gebastelt und mit schwarzem Klebeband umwickelt.

„Wie eine kleine Bazooka“, sagten Augenzeugen später. Aufnahmen zeigen, wie der Attentäter, ein unscheinbarer Mann mit weißer Maske und grauer Freizeitkleidung, kurz vorher noch Abe applaudiert hatte, der gerade für seine Rede auf ein Podest gestiegen war.

Waffen streng reglementiert

Was am Freitag um 11.30 Uhr in der alten Kaiserstadt Nara, rund 500 Kilometer westlich von Tokio passierte, hätte sich bis zu diesem Zeitpunkt in Japan niemand vorstellen können. Das Land, das stolz auf seine pazifistische Verfassung ist, hat Waffen streng reglementiert.

Zu Zwischenfällen mit Schusswaffen kommt es allenfalls durch die Yakuza, die Mafiaverbände. Laut einem Bericht der Polizei gab es im Jahr 2020 in Japan gerade 21 Festnahmen wegen der Nutzung von Schusswaffen, zwölf im Zusammenhang mit Mafia-Gangs. Kommt es in Japan sonst zu Attentaten, dann mit Messern, Fahrzeugen oder Chemikalien – und auch solche kommen im internationalen Vergleich selten vor.

Der Täter gab gegenüber der Polizei von Nara an, die Waffe – 40 Zentimeter lang, 20 Zentimeter hoch – selbst gefertigt zu haben, wie diese in einer Pressekonferenz am Abend bekannt gab. In seiner Wohnung fanden sich angeblich weitere selbst gebaute Waffen sowie Sprengstoff. Der Mann soll dort zehn Jahre gelebt haben. Was er nach der Armee, für die er von 2002 bis 2005 tätig war, beruflich machte, ist bisher unklar.

Sasaki Yohei, Chef der japanischen Jägervereinigung Dainihon Ryoyukai, hatte dem japanischen Fernsehsender NHK zuvor bestätigt, dass der Schuss aus einer normalen Schusswaffe anders klinge: Sie produziere nicht das trockene Knallgeräusch, das auf den unzähligen Handyvideos, die inzwischen auf sozialen Netzwerken kursieren und im Fernsehen gezeigt werden, zu hören ist. Auch sei der Rauch untypisch.

Groll gegen Organisation, der Abe angehört haben soll

Zwar sprechen Anzeichen dafür, aber bisher ist nicht eindeutig geklärt, ob es sich um einen Einzeltäter handelte, und ob sich seine Tat gegen das System richtete oder persönlich motiviert war. Der frühere Angehörige der japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte (SDF), Japan hat wegen der Verfassung offiziell keine Armee, sagte, er habe Abe töten wollen, weil er „unzufrieden“ mit dem 67-Jährigen war. Es handele sich jedoch nicht um einen Angriff auf Abes politische Ideologie, hieß es zunächst.

Laut einem Vertreter der Polizei von Nara soll der Attentäter einen Groll gegen eine Organisation gehegt haben, von der er glaubte, dass Abe dieser angehörte. Um welche Gruppierung es sich handelt, wollte der Polizeivertreter nicht sagen. Abe ist bekannt für seine Anhängerschaft von Nippon Kaigi, einer einflussreichen rechten Vereinigung, die mit der Shinto-Religion im Zusammenhang steht. Etwa die Hälfte seiner ehemaligen Regierung soll ihr angehören.

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Unter Abes Regierung hatte das Land tatsächlich einen Rechtsruck vollzogen. Das zeigte sich auch darin, dass das Land beim Pressefreiheitsranking von „Reporter ohne Grenzen“ massiv zurückgestuft wurde. Sein Herzensprojekt, das er trotz seiner starken politischen Stellung nicht verwirklichen konnte, war es, die pazifistische Verfassung zu reformieren, um den SDF mehr Ansehen und mehr Einsatzmöglichkeiten zu verschaffen, einer „richtigen“ Armee gleichgestellt. Umso überraschender erscheint es, dass ausgerechnet ein früheres SDF-Mitglied ihn nun getötet hat. Gegen seine Politik, wie die umstrittenen Sicherheitsgesetze im Jahr 2015, gingen in Tokio immer wieder Zehntausende auf die Straßen und skandierten „Abe yamero – Abe, tritt zurück“.

„House of Cards“ – eine Inspiration?

Abe stammt aus einer Politikerdynastie. Sein Vater war Außenminister, sein Großvater ebenfalls Premierminister. Der junge Abe ging 1993 in die Politik, 2006 wurde er mit 52 Jahren zum jüngsten Nachkriegsregierungschef des Landes gewählt und hielt sich ein Jahr, bevor er angeblich aus gesundheitlichen Gründen und mit schlechter Erfolgsbilanz zurücktrat.

Ganz anders seine zweite Amtszeit. Abe galt als großer Fan der US-Serie „House of Cards“ rund um Machtspiele in Washington. Manche sagen, er habe sich inspiriert davon vom eher schwächlichen Premier zum kühl kalkulierenden Machtpolitiker gewandelt.

Vor allem im Ausland schaffte es Abe, durch sein selbstbewusstes Auftreten und schon allein durch die Kontinuität der langen Amtszeit, sich und seinem Land ein gewisses Profil zu verschaffen. Seine Wirtschaftspolitik „Abenomics“ war ein gern zitiertes Schlagwort. Nach seinem Tod gingen Reaktionen aus der ganzen Welt ein – von Boris Johnson über Donald Trump und Wladimir Putin bis zur früheren Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Sie schrieb in einer Erklärung: „Japan und die Welt verlieren mit Shinzo Abe einen großen Staatsmann. Ich verliere mit ihm einen politischen Weggefährten. Sein Wort hatte Gewicht. Seine Entscheidungen waren verlässlich. Sein Humor half, Widerstände zu überwinden. Er war mir ein enger Kollege und Freund.“

Shinzo Abe und Angela Merkel im Jahr 2014 in Berlin
Shinzo Abe und Angela Merkel im Jahr 2014 in Berlin
Quelle: Getty Images/Sean Gallup

Innenpolitisch war er immer wieder in Skandale verstrickt, sah sich unzähligen Rücktrittsforderungen ausgesetzt, doch er hielt sich gegen alle Widerstände. Erst die Corona-Krise schien ihm die Lust am Regieren zu nehmen. Im August 2020 trat er wieder zurück, angeblich erneut wegen seiner Gesundheit. Kritiker unterstellten Abe, er sei in Korruption und Vetternwirtschaft verwickelt gewesen und habe sich einer möglichen Vorladung vor Gericht entziehen wollen.

Skandale ließen ihn nicht kleinkriegen

Auch nach seinem Rücktritt blieb er einflussreich. Er übernahm die Leitung einer bedeutenden Fraktion innerhalb der regierenden Liberaldemokraten (LDP). Vor der am Sonntag anstehenden Wahl des Oberhauses, einer der beiden Kammern des japanischen Parlaments, war Abe zur Unterstützung von Kandidaten seiner liberaldemokratischen Partei unterwegs. In Nara schien der Wahlausgang knapp, sodass erst am Mittwoch beschlossen wurde, dass Abe dort sprechen würde.

Ob die Wahl nun wie geplant abgehalten wird, ist unklar. Am Sieg der LDP besteht kein Zweifel. Die Wahl wurde als Chance für seinen Protegé Fumio Kishida angesehen, endlich aus dem Schatten des übermächtigen Abe hervorzutreten und seine Macht zu festigen. Doch die Ermordung Abes dürfte das Machtgefüge innerhalb der regierenden Liberaldemokraten in Bewegung bringen.

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