75 Jahre Christian Ude: Sein politisches Vermächtnis | Abendzeitung München
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75 Jahre Christian Ude: Sein politisches Vermächtnis

Unser Autor hat den Alt-OB jahrzehntelang begleitet. Zum 75. Geburtstag zieht er Bilanz über das Lebenswerk Udes.
| Willi Bock
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Ein Tag der Freude: Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (l.) und die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, stehen 2005 auf der Baustelle für das jüdische Kulturzentrum am Jakobsplatz vor der Richtkrone.
Ein Tag der Freude: Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (l.) und die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch, stehen 2005 auf der Baustelle für das jüdische Kulturzentrum am Jakobsplatz vor der Richtkrone. © Frank Mächler/dpa

München – Volle 21 Jahre im höchsten Münchner Rathausamt – das sind viele, viele Tausend Arbeitstage im Rathausbüro hinten links oder im Arbeitszimmer auf Mykonos. Die gehen weder am Menschen Christian Ude, noch an München und der Stadtgesellschaft spurlos vorüber. Doch was bleibt? Was sind die Wegmarken und Highlights aus seiner Regierungszeit, an die man sich heute noch (gern) erinnert? Von seinem spektakulären Start 1993 bis zu seinem unrühmlichen Abgang 2014.

Zwei Jahrzehnte Christian Ude in München

Zwei Jahrzehnte tragen in München Udes Handschrift. Da denkt man klassisch an handfeste und sichtbare Fakten: Thomas Wimmer (SPD) und sein Rama Dama für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Hans-Jochen Vogel (SPD) und die Olympischen Spiele von 1972. Georg "Schorsch" Kronawitter (SPD) mit Messe-Umzug nach Riem oder dem Westpark. Und Christian Ude? Er hat München nicht allein mit anschaubaren, sondern auch mit emotionalen Symbolen geprägt.

Da ist die am 9. November 2006 eingeweihte neue Hauptsynagoge "Ohel Jakob" am Jakobsplatz. Ude wollte, dass in der früheren Nazi-"Hauptstadt der Bewegung" die jüdische Gemeinde mitten in der Stadt sichtbar ist.

Gespräch im Amtszimmer: Christian Ude mit dem damaligen AZ-Rathausreporter Willi Bock.
Gespräch im Amtszimmer: Christian Ude mit dem damaligen AZ-Rathausreporter Willi Bock. © AZ-Archiv/Petra Schramek

Oder das am 30. April 2015 in der Brienner Straße eröffnete NS-Dokumentationszentrum – an der Stelle des ehemaligen "Braunen Hauses", der Parteizentrale der NSDAP.

Fast hätte es keine Allianzarena gegeben

Der Grundsatzbeschluss war auf Udes Betreiben 2001 vom Stadtrat gefällt worden. Zwei Großprojekte fallen in seine Amtszeit – und gehen überhaupt nicht auf sein Konto...

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Das ist der Bau der drei Ring-Tunnel, die er gleich zu Beginn seiner Rathaus-Zeit 1990 vehement bekämpft hatte ("nicht einmal geschenkt"). Als der Bürgerentscheid ihn 1996 zwang, sie zu bauen, war Christian Ude natürlich ganz vorne dabei, als sie reihenweise eröffnet wurden. Damals gab er offen zu: Das Verhindern sei ein Fehler gewesen. Oder die Allianz Arena des FC Bayern: Ude wollte lieber im Olympiapark bleiben. Doch das haute nicht hin. Die Verwaltung sollte dafür alle Alternativ-Standorte schlecht beurteilen. Am Ende wurde es das angeblich nicht geeignete Fröttmaning. "Wir bauen in diesem Drecksloch das schönste Stadion der Welt", rief Uli Hoeneß bei einem Ortstermin auf dem Müllberg den Journalisten zu.

In der Stadt der ewigen Wohnungsnot und hohen Mieten rief sich der beste Vermarkter seiner selbst gebetsmühlenartig immer wieder zum "Deutschen Meister im Wohnungsbau" aus. Angesichts des enormen Einwohnerzuwachses und der Not an bezahlbaren Wohnungen ist das heute kaum noch vermittelbar. Die Wohnungsbauzahlen haben nie gereicht. Und dass München die Stadt herausragender Architektur ist, will nach 1990 (abgesehen vom FC Bayern-Stadion und dem Funktionsbau BMW-Welt) niemand mehr behaupten. Die Hochhaussilos seiner Amtszeit sind keine Schmuckstücke.

Stimmungswechsel wegen Hochhausbau

Gerade beim Städtebau erlitt er seine zweite große Niederlage nach dem Ringtunnel-Entscheid: 2004 verlor Ude den Bürgerentscheid zum Hochhausbau gegen Ziehvater Georg Kronawitter. Das 100-Meter-Limit blockiert bis heute Münchens Aufwärtstrend.

Abseits dieser sichtbaren Dinge sind es auch die Stimmungen in der Stadt, die Christian Ude spürte. Dinge, die keine aus Beton gebaute Hausnummern, aber für die gesellschaftlichen Grundmauern wichtig sind. Nur ein Beispiel: Als Udes Mutter ins Altersheim kam, hat er aus diesen Erfahrungen heraus eine Stelle für die Beobachtung von Altersheimen und die Bedürfnisse der Bewohner geschaffen. Nicht irgendwo in der 10 000-köpfigen Verwaltung, sondern direkt in seinem Direktorium. Das ist nach außen vollkommen unspektakulär, doch für Abertausende eine wichtige Unterstützung.

Gauweiler gegen Ude: Eine gespaltene Stadt

Udes Ziel war und ist eine liberale Stadtgesellschaft. Damit hat er eine große Bedeutung für das gesellschaftliche Klima in der Stadt. Das war nicht so einfach. Wie war das denn 1993, als er nach einem knallharten Wahlkampf gegen den "Schwarzen Peter" Gauweiler nur um Haaresbreite (50,8 Prozent) gewann? Die Münchner CSU kämpfte damals nach ihrer erdrutschartigen Niederlage bei den Stadtratswahlen 1990 rigoros um die verlorene Macht und ihre Bedeutung. Die rechtsextremen Republikaner schafften es erstmals mit einem halben Dutzend in den Stadtrat – ein Schock.

Auf der einen Seite standen 1993 die Hardliner in der CSU. Auf der anderen Seite ein liberales Bürgertum, das Christian Ude unterstützte: nur um Peter Gauweiler als OB zu verhindern. Die Stadt war tief gespalten und trug voller Wucht einen Richtungskampf aus. In seinen zwei Jahrzehnten hat es Ude geschafft, die Spaltung zu überbrücken. Auch die Münchner CSU wurde in diesem Schatten großstädtischer. So wurde der Schwabinger Bohemien langsam der Bürger-King, der auch von Konservativen Stimmen bekam. Der Titel hat ihm so gut gefallen, dass er sich von der "SZ" mit goldener Pappkrone fürs Magazin fotografieren ließ.

Viel früher als andere Politiker ist Christian Ude Stammgast auf dem CSD. Er bleibt es bis zum Ende seiner Amtszeit – hier 2013 mit seiner Frau Edith Welser-Ude.
Viel früher als andere Politiker ist Christian Ude Stammgast auf dem CSD. Er bleibt es bis zum Ende seiner Amtszeit – hier 2013 mit seiner Frau Edith Welser-Ude. © Felix Hörhager (dpa)Archiv/Hörhager/dpa

Kampf für LGBTQ+

Was Ude, schon lange mit der älteren SPD-Politikerin Edith Welser verheiratet, noch getan hat: die lesbische und schwule Münchner Welt öffentlich zu machen und aus der Tabu-Zone zu holen. Er öffnete das Rathaus für Partys der Community, er stand an der Spitze des Christopher-Street-Day und zog Anfang der 2000er Jahre mit dem damals in Berlin regierenden "Und das ist gut so"-Bürgermeister Klaus Wowereit durch Münchner Szene-Kneipen. Warum dieses Engagement? "Das war im Wahlkampf meine treueste und stärkste Unterstützergruppe", antwortete er seinerzeit der AZ.

Zu dem, was bleibt, gehört auch, was München in Krisenzeiten nicht verloren hat. "München ist pleite", waren die Schlagzeilen während der großen Finanzkrise Anfang der 2000er Jahre. Ude hatte die Stadt bis an die Verschuldungsgrenze gebracht, um die Wirtschaft mit Aufträgen zu unterstützen. Trotz der Finanznot hat er der Versuchung widerstanden, wie andere Städte das Tafelsilber zu verkaufen.

In guten wie in schlechten Zeiten

Investoren hätten ihm die städtischen Wohnungen oder die U-Bahn gern aus der Hand gerissen. Stattdessen hat Ude München vor dem Ausverkauf und Tausende Mieter vor Spekulanten geschützt. Für alle diese Dinge musste Christian Ude massive Vorwürfe aushalten. Am Ende war er sehr gut beraten, das alles nicht getan zu haben. Denn andere Kommunen haben ihren Ausverkauf bitter bereut. Damit hat Christian Ude großen Schaden von der Stadt abgewendet. So dünnhäutig er oft war, da hat er respektvoll Mut bewiesen.

Was für München bleibt, ist auch das, was folgt auf Ude. Eigentlich sollte schon 2008 Schluss mit dem Rathaus-Dasein sein. Aber der Mann, der als OB keine fremden Götter neben sich ertrug, hatte keinen zugkräftigen Nachfolger aufgebaut. Dagegen war die CSU für die Zeit nach dem unschlagbaren Christian Ude schon im Angriffsmodus.

Tränen bei der First Lady

Sie sah ihre große Chance, bei den Rathauswahlen 2008 mit Josef "Seppi" Schmid gegen einen schwachen SPD-Kandidaten das Rathaus zurückzuerobern. Was nach Ude bleibt – ein schwarzes Rathaus? Aus dieser Furcht hat Ude entgegen jahrelangen Beteuerungen wieder kandiert. Die acht Jahre ältere First Lady Edith von Welser Ude soll geweint haben: Sie wollte mit ihm eigentlich endlich das Rentenalter genießen.

Für (fast) jeden Spaß zu haben: Christian Ude in Hellabrunn auf Kamel Sultan.
Für (fast) jeden Spaß zu haben: Christian Ude in Hellabrunn auf Kamel Sultan. © AZ-Archiv/Mike Schmalz

2014 war endgültig Schluss. Auf den Rat seines besten Beraters Ernst Wolowicz wurde Dieter Reiter auf eine Nachfolge vorbereitet – und er gewann. Das wäre jetzt die Zeit für ein sprühendes Feuerwerk und die Post-Ude-Festspiele. Aber es kam anders. Rot-Grün hatte keine Mehrheit mehr und Reiter musste mit Udes Erzfeind CSU ein Bündnis eingehen. Für Ude die Hölle: sein Herzensbündnis Rot-Grün zerbrochen, Schwarze an der Macht – und dann sah es auch noch so aus, dass sie das KVR bekommen sollten, unter Ude eine zentrale Stelle für seine liberale Gesellschaftspolitik!

Ude zelebrierte seinen Abgang beim Festakt zu einem unwürdigen Auftritt. Vor 1.500 Gästen kanzelte er seinen Nachfolger ab, nannte nicht einmal Reiters Namen. Ein fassungslos machendes Lehrbuch-Stück, wie man sein eigenes Denkmal ruiniert. Dabei hat Christian Ude eigentlich ein gutes Andenken verdient.

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Oberbürgermeister Reiter gratuliert Ude

"Mit was könnte man Christian Ude besser gratulieren als mit einem Zitat von Christian Ude", sagt Dieter Reiter in seinem Geburtstagsgruß. "Die Politik sei ein wahrer Jungbrunnen hast du, lieber Christian, mit dem dir eigenen Humor schon zu Deinem 50. (!) Geburtstag angemerkt. Und auch wenn ich dagegenhalten muss, dass einem das politische Geschäft bisweilen schon auch das eine oder andere graue Haar beschert, so bin ich doch auch der Auffassung, dass eine gute Portion Humor das beste Mittel ist, den Herausforderungen des Lebens – also auch dem Älterwerden zu begegnen. In diesem Sinne, bleib gesund und so humorvoll!"

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  • Der wahre tscharlie am 25.10.2022 17:29 Uhr / Bewertung:

    Sehr guter Artikel über sein Lebenswerk. Wobei man sagen muß, wo Licht ist, ist auch Schatten.