Ein bisschen wird man in Rostock schon aufgeatmet haben, als die schwarze Sonne verschwand. Der Mann, der so etwas war wie das Herz der Finsternis in der Hansestadt. Sascha Bukow (mit zwei ff gesprochen). Kommissar mit eher unreinem Verhältnis zur Unterwelt. Einer von uns, die ehrliche Haut, der große Bauch des Rostocker „Polizeirufs“.
Zwölf Jahre war er da. Jetzt ist er in Sibirien. Und er wird, sagt sein Chef, nicht mehr wieder kommen. Zu König (Anneke Kim Sarnau) sagt er das. Die war verliebt in Bukow, seit sie sich sahen. Eigentlich. Eingestanden hat sie sich das erst ganz zum Schluss. Dann wurde es endgültig Nacht um Bukow.
Jetzt sitzt sie da – „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“ heißt die erste Post-Bukow-Geschichte – und macht, sanft angefeuert von einem Meditations-Podcast, Sauerteig. Das soll helfen. Dem Seelenfrieden. Dem Sauerteig hilft es nicht. Den schlägt sie, kratzt sie. Dann lässt sie sich kopfüber hineinfallen.
Der Fall ist kein schöner. Kein Fall in Rostock war je schön. Richtig licht wird es in Rostock – deswegen war das Aufatmen doch etwas verfrüht – halt nie. Eine Frau liegt mit Messerstichen beinahe übertötet in ihrer Küche. Nebenan ihr Sohn, fast komplett gelähmt seit einem Unfall, ist elend zugrunde gegangen, weil niemand seine Infusionen gewechselt hat.
Ein anderer Junge, auf Droge, eine schwarze Sonne, wo andere ein Herz haben, sticht auf einen Mann ein, der ihn mitnahm und sich auf der Fahrt begann einen runterzuholen. Max heißt der Junge. Pflegekind der Genths wie Emma. Die Genths wohnen, wo die mörderischen Familien der vergangenen Sonntagabendkrimiwochen immer lebten, in der Eigenheimbürgerhölle am Rand der Stadt.
Die Genths wollten Familie sein, konnten es aber nicht. Sie suchten sich Kinder, die sie nicht bekommen konnten. Jetzt bekommen sie eins. Das verschiebt die Beziehungstektonik. Das entlarvt das bürgerliche Gutmenschentum. Das lässt das zivilisatorische Emaille abplatzen, das die Genths sorgfältig über ihr Beziehungsgeflecht gegossen hatten. Und führt in der Regel aller Fernsehkrimis zu nichts Gutem.
Soweit ist alles an „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“ eigentlich Sonntagabendgrusel von der Stange. Das waren im Kern ziemlich viele Fälle von der Ostsee. Bukow machte den Unterschied. Und der schmutzige Realismus, den Charly Hübner mit seinen angeranzten Klamotten in das angeranzteste Kommissariat der Fernsehgeschichte brachte.
Nun müssen wir zu den Muffins kommen. Die machen den Unterschied. Während nämlich König, die natürliche Nachfolgerin Bukows an der Spitze der Rostocker Dienststelle, in ihren geschlagenen Sauerteig sinkt, schiebt Mellie Böwe in Bochum Muffins in den Ofen.
Mellie Böwe ist Kommissarin. Alleinerziehend. Halbschwester von Sascha Bukow (einmal war sie schon in Rostock zu sehen), die helle Seite des Mondes. Empathisch, eine Kümmerin. Die erste Alleinerziehende unter den Sonntagabendkommissarinnen (und -kommissaren) mit intakter, liebevoller Tochterbeziehung.
Lina Beckmann ist Mellie Böwe. Lina Beckmann ist die Frau von Charly Hübner. Und schon, wenn sie ihre Muffins rührt, weiß man, dass einem was gefehlt hat am Sonntag. Und in Rostock. Man möchte sie nicht zur Feindin haben, diese Mellie Böwe. Zur Freundin schon.
Mellie Böwe hat Max nach Rostock gebracht. Max ist Zeuge gegen die organisierte Kriminalität. Die Eltern sind tot. Er ist traumatisiert. Drogenabhängig. Belügt alle. Voller Schmerz. Gelähmt wie sein Freund, der jetzt tot ist. Alessandro Schuster ist Max. Er ist großartig. Man möchte ein Reservat schaffen für diesen Verlorenen. Und für Emma (Paraschiva Dragus), seine Schwester bei den Genths, die natürlich keine ist, aber irgendwie doch.
Zwei Frauen, die sich fremd sind
König und Böwe zicken sich kurz an. Rangeln um Kompetenzen. Dann wissen sie, dass sie sich brauchen. Wissen, was sie aneinander haben. Das Empathiemonster, das direkt sein kann und einfühlsam. Und die Straßenkatze, die um den Bukow-Abgrund streift, der beides ziemlich fremd ist.
Florian Oeller hat „Seine Familie kann man sich nicht aussuchen“ geschrieben. Stephan Krohmer hat es inszeniert. Es ist einer der wahrscheinlich elegantesten, geschmeidigsten Neuanfänge der Sonntagabendkrimigeschichte. Heller wird’s trotzdem nicht. Aber das hatten wir ja schon.