Linnemann biegt falsch ab: „Lanz“-Talk bringt CDU-Vize ins Straucheln
Carsten Linnemann ist für das Grundsatzprogramm der CDU verantwortlich. Das Wort „Steuererhöhung“ scheint verboten. Lanz spürt das und quält seinen Gast.
Hamburg - Frisch von der CDU-Klausurtagung am Comer See in Italien und mit einer Niederlage im Boccia gegen CDU-Chef Friedrich Merz im Gepäck, machte es sich CDU-Vize Carsten Linnemann am Dienstagabend im Sessel neben Markus Lanz gemütlich. Allerdings blieb dem Spitzenpolitiker nicht viel Zeit zum Zurücklehnen, denn der Moderator nahm in kräftig in die Zange.
Ziel der Reise in das kleine Örtchen Cadenabbia war die Schaffung eines neuen CDU-Grundsatzprogramms, denn das alte ist 16 Jahre alt. Daran wurde kräftig gearbeitet, „bis nachts um halb eins, eins“, wie Linnemann sagt. Von dieser Tagung und den Ergebnissen sollte nun im Hamburg vor laufender Kamera berichtet werden. Vermutlich hat Linnemann aber selbst nicht mit einem solchen Kaltstart in die Sendung gerechnet, denn der ansonsten sehr redegewandte und schlagfertige Politiker verlor in der Diskussion bei Markus Lanz kurzzeitig seine Gedanken. Lanz ruft rüber: „CDU und Steuererhöhung, wessen Idee war das?“ Linnemann tat so, als ob er von dem Begriff überrascht sei und dieser aus dem Nichts komme: „Was heißt Steuererhöhung?“ Schließlich sagt der 45-Jährige: „Wenn wir die Steuerreform machen, müssen wir den Soli komplett abschaffen. Der sogenannte Mittelstandsbauch muss abgeschafft werden.“
„Markus Lanz“ - Diese Gäste diskutieren mit am 23. Mai:
- Carsten Linnemann (CDU) – stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU
- Ulrike Herrmann - Journalistin bei der „taz“
- Jens Südekum - Ökonom und Professor für Internationale Volkswirtschaftslehre
- Rüdiger von Fritsch - Ex-Diplomat
Soli? Mittelstandsbauch? Lanz ist irritiert und fragt nach: „Ich habe gerade nach Steuererhöhungen gefragt, Sie haben stattdessen von Entlastungen gesprochen, ohne dass das Wort Steuererhöhung einmal gefallen ist.“ Linnemann ist vermutlich vorher schon falsch abgebogen, versucht nun aber das Wendemanöver trotz Gegenverkehrs: „Weil das Wort Steuererhöhung suggeriert, dass ich belasten will.“ Der Moderator lässt aber nicht locker, weil er merkt, dass sein Gast am Straucheln ist: „Wo wollen Sie Steuern erhöhen?“ Linnemann ist genervt: „Gar nicht.“ Dies widerspreche allerdings allem, was von der Klausurtagung berichtet wurde. „Also ist die CDU gegen Steuererhöhungen?“, treibt es Lanz auf die Spitze.
Linnemann versucht es nun mit einem neuen Ansatz: „Ich möchte eine große Steuerreform, bei der fast alle entlastet werden, deswegen möchte ich den Steuertarif erhöhen.“ Für Lanz heißt das, dass die Steuern erhöht werden sollen. „Also wollen Sie doch Steuern erhöhen? Warum sagen Sie es nicht einfach? Es versteht keiner hier, was Sie gerade erklären“, keift der Moderator seinen Gast an.
„Markus Lanz“: Das Wort „Steuererhöhung“ scheint tabu zu sein
Es macht den Anschein, als gebe es einen internen Kodex, der Linnemann mit aller Gewalt daran hindert, das Wort „Steuererhöhung“ in den Mund zu nehmen. Es mutet an wie einem Gesellschaftsspiel, bei dem Worte erklärt werden sollen unter Ausschluss bestimmter Begriffe. Bloß findet das hier kaum jemand witzig. Und so macht Linnemann munter weiter: „Wir reden über eine grundsätzliche Steuerreform.“
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Die Journalistin Ulrike Herrmann erlöst daraufhin die Zuschauenden. Und vermutlich empfindet es auch Linnemann selbst als Erlösung, dass Herrmann ihm die Aufgabe abnimmt, zu erklären, was die CDU vorhat. „Es geht um eine Steuerentlastung von 50 Milliarden Euro. Diese Entlastung kommt dadurch zustande, dass der Soli abgeschafft werden soll. Den bezahlen die obersten fünf Prozent der Bevölkerung“, sagt die taz-Redakteurin kurz und bündig. Herrmann erklärt, dass die Gutverdiener von einer solchen Steuerreform profitieren würden.
Südekum bei „Markus Lanz“: „Die Rechnung wird nicht aufgehen“
Damit hat Ulrike Herrmann den CDU-Vize wachgeküsst. „Das stimmt doch gar nicht“, reagiert Linnemann erbost. Er entgegnet mit einem Satz, den man wirken lassen muss: „Wenn Sie unten entlasten, entlasten Sie ja oben auch mit.“ Der VWL-Professor Jens Südekum widerspricht dieser Ansicht: „Die Rechnung wird nicht aufgehen, dass alle entlastet werden. Eine echte Reform wäre, oben zu belasten, um dann Mittel zu haben, unten und in der Mitte zu entlasten.“ Linnemann spricht nun allgemein davon, dass er in die Politik gegangen sei, „um das Land nach vorne zu bringen“. Lanz kann sich daraufhin eine letzte Stichelei nicht verkneifen und scherzt: „Es klingt so, als hätte die CDU ihre soziale Ader entdeckt.“
Mit dem fernen Blick voraus in das Bundestagswahljahr 2025 erklärt Linnemann, dass er sich einen „ehrlichen Wahlkampf“ wünsche. Dazu sagt er: „Man wird doch nicht gewählt für unbequeme Wahrheiten.“ Solche unbequemen Wahrheiten wie zum Beispiel Steuererhöhungen? Die Frage kann man für sich selbst beantworten. „Ich habe noch nie einen Wahlkampf erlebt, wo man im Ansatz erklärt hat, wie man die ganzen Versprechen, die man im Wahlkampf ausruft, bezahlen will.“ Das verspricht Linnemann nun zu ändern. Und dazu startet er mit folgendem Vorschlag: „Wenn dieses Land jedes Jahr mit ein, zwei Prozent wächst oder mit drei Prozent, kriegen wir Steuereinnahmen und wir können das alles finanzieren.“ Wenn-Bedingungen als Grundlage für eine Gegenfinanzierung? Und „wenn“ es nicht klappt, die Wirtschaft also nicht wächst? Die Frage ersparte Lanz seinem Gast.
Markus Lanz – Das Fazit der Sendung
Was auch immer Linnemann geritten hat zu glauben, er könne bei Lanz in die Sendung gehen und über Steuererhöhungen reden, ohne dieses Wort einmal in den Mund zu nehmen: Es ist schiefgegangen. Für die Menschen am Fernseher war es aber eine Sendung mit Unterhaltungswert. Der CDU-Vize konnte einem angesichts der Nachfragen von Lanz sogar leidtun. Lanz hat für seinen Teil allerdings genau das gemacht, was von ihm als Journalist erwartet wird. Für Linnemann bedeutete das einen ungemütlichen Abend. (Christoph Heuser)