Universalgelehrter: Carl Friedrich von Weizsäcker ist tot - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Politik
  3. Universalgelehrter: Carl Friedrich von Weizsäcker ist tot

Politik Universalgelehrter

Carl Friedrich von Weizsäcker ist tot

Carl Friedrich von Weizsäcker gestorben Carl Friedrich von Weizsäcker gestorben
Quelle: DPA
Der Physiker, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker starb am Samstag im Alter von 94 Jahren in seinem Haus bei Starnberg (Bayern). Aus der Verantwortung des Wissenschaftlers heraus war er Vordenker einer "Weltinnenpolitik".

Vielen galt als der letzte deutsche Universalgelehrte. Manche sagten mit sanfter Ironie: "Das Weltgewissen wohnt in Söcking". Dort, unweit von Starnberg, ist Carl-Friedrich von Weizsäcker am Samstag gestorben. Er wurde 94 Jahre alt, anerkannt und bewundert, mit Auszeichnungen und Ehrungen überhäuft. Aus den Lehren des Zweiten Weltkreigs zog er den Schluss, unbedingt an der Kriegsverhinderung zu arbeiten. Auch im Kalten Krieg galt sein zentrales Engagement dem Frieden.

Schon früh beschäftigte sich der Physiker mit naturphilosophischen und politischen Fragen. Kein anderer Wissenschaftler hat sich als Zeit-Diagnostiker, Mahner und Vordenker der „Weltinnenpolitik“ durch Jahrzehnte im öffentlichen Leben der Bundesrepublik vergleichbare Autorität erworben. Vor dem Hintergrund der Entdeckung der Uranspaltung und der damit verbundenen Möglichkeit, Atombomben zu bauen, lautete sein Leitmotiv: Die Wissenschaft trägt Verantwortung für die eigenen Ergebnisse – auch wenn deren Folgen nicht gewollt und nicht einmal absehbar sind.

Die Verantwortung des Wissenschaftlers

Weizsäcker wurde am 28. Juni 1912 in Kiel geboren. Sein Vater war der Diplomat Ernst von Weizsäcker, in der Nazizeit im Außenministerium beschäftigt und später Botschafter beim Vatikan. In der Physik hatte der brillante junge Schüler des späteren Nobelpreisträgers Werner Heisenberg seine wissenschaftlichen Lorbeeren errungen. Er galt als genial, schrieb mit 21 Jahren die Doktorarbeit, drei Jahre später folgte die Habilitation.1937 wurde er in der Fachwelt bekannt für die "Weizsäcker-Formel" über die Energiesubstanz der Atomkerne.

Mit anderen Physikern arbeitete Weizsäcker während des Krieges auf deutscher Seite an einer Atombombe. Er wollte das, sein Interesse trieb ihn. Er war der Meinung, dass man, "wenn man über Atomenergie arbeiten kann (...), es nicht anderen überlassen" solle. Im Juli 1940 informierte er das Heereswaffenamt, dass mit Hilfe eines damals noch "Uranmaschine" genannten Reaktors Plutonium zur Herstellung nuklearer Zerstörungswaffen erzeugt werden könne. In späteren Interviews wies er stets darauf hin, dass sie nie in der Lage waren, die tödliche Technologie auszuprobieren. Im Juli 1945 wurde er mit seinen Kollegen nach England in die Nähe von Cambridge gebracht und verhört. Die Alliierten wolten verhindern, dass Physiker von Russen nach Moskau gebracht wurden.

Als "Gäste" auf Farm Hall wurde die Gruppe abgehört. Erst 1992 gaben die Briten die Protokolle frei, so ist die Reaktion auf die Nachricht vom Atombombenabwurf der Amerikaner über Hiroshima überliefert. "Wenn die im Sommer 45 fertig werden konnten", erklärte Weizsäcker damals, "hätten wir mit ein wenig Glück im Winter 44/45 fertig sein können." Vermutlich hätten sie es deshalb nicht schneller zustande gebracht, schlussfolgerte er, "weil wir es im Grunde auch nicht wünschten".

Von 1970 bis zu seiner Pensionierung 1980 leitete er zusammen mit Jürgen Habermas das in Starnberg angesiedelte Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Geforscht wurde interdisziplinär zu Problemen der Verteidigungspolitik, Weltwirtschaft, Soziologie und Umwelt. Mangels eines angemessenen Nachfolger schloss die Max-Planck-Gesellschaft das „Institut für unbequeme Fragestellungen“, wie es von Weizsäcker einmal formuliert hat.

Die erste politische Aktion des Physikers war 1957 die Initiative zur Erklärung der „Göttinger Achtzehn“, mit der diese zur weltweiten Einstellung von Produktion und Einsatz der Atomwaffen aufriefen. Die zweite Aktion, das „Tübinger Memorandum“, wandte sich 1962 gegen Pläne des damaligen Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU), die Bundeswehr mit atomaren Waffensystemen auszurüsten. Eine von der SPD und der FDP angetragene Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten lehnte der ältere Bruder des späteren Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker (CDU) mit der Begründung ab, er wolle kein „Ersatzkandidat“ gegen Karl Carstens (CDU) sein. Richard von Weizsäcker hatte das Amt von 1984 bis 1994 inne.

Das Alterswerk "Zeit und Wissen"

1992 legte Carl Friedrich von Weizsäcker unter dem Titel „Zeit und Wissen“ sein zweibändiges Alterswerk vor, das ein bewegtes Jahrhundert des allgemeinen Umbruchs auf vielen Ebenen widerspiegelt, wie es der Physiker und Träger des Alternativen Nobelpreises, Hans- Peter Dürr, formulierte.

Im Februar 2002 hatte von Weizsäcker, der sich im Alter zunehmend den (religiösen) Grundlagen einer globalen Ethik widmete, sein Leitmotiv der Verantwortung der Wissenschaft wieder eingeholt. Die Veröffentlichung der „Bohr-Papiere“ über das legendäre Treffen zwischen dem dänischen Physiker Niels Bohr und seinem Schüler Werner Heisenberg 1941 im besetzen Kopenhagen gab erneuten Anlass, über die Verstrickung der deutschen Physiker-Elite unter dem Hitler-Regime zu spekulieren. Zuletzt sorgte der Berliner Historiker Rainer Karlsch mit seinem Buch „Hitlers Bombe“ wieder für Diskussionsstoff.

dpa/krei

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema