C. F. v. Weizsäcker: Der Philosoph, der die Atombombe liebte - WELT
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Geschichte C. F. v. Weizsäcker

Der Philosoph, der die Atombombe liebte

Nach 1945 gab sich der Kernphysiker Carl Friedrich von Weizsäcker als radikaler Pazifist. Im Dritten Reich aber trieb er den Bau einer Plutoniumbombe voran und propagierte ihren Einsatz.

Carl Friedrich von Weizsäcker hat zu seinen Lebzeiten viele Menschen beeindruckt – als Philosoph und als Physiker. Die meisten Zeitgenossen werden ihn indes als Friedensforscher in Erinnerung haben.

Sie halten sich nur kurz bei den Atomen auf und wenden sich lieber den dazugehörigen Kernwaffen zu, bei deren Verhütung sie von Weizsäcker voll engagiert sehen, etwa im Jahre 1957, als er die "Göttinger Erklärung" anstieß, in der sich achtzehn Atomphysiker gegen eine Aufrüstung der Bundeswehr mit Kernwaffen aussprachen. Fünf Jahre später wandte sich von Weizsäcker in einem "Tübinger Memorandum" gegen den damaligen Verteidigungsminister, Franz Josef Strauß, der von atomaren Waffensystemen träumte.

In der Folge wurde von Weizsäcker 1963 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet, und ab 1970 erforschte er an einem Max-Planck-Institut die Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt, für die er eine "Weltinnenpolitik" konzipieren wollte, um nicht nur die Gefahr eines Atomkrieges bannen, sondern auch der Umweltzerstörung und dem Nord-Süd-Konflikt etwas entgegenstellen zu können.

Er veränderte das "Weltbild der Physik"

Schon diese Skizze lässt die ungeheure Weite des Lebens von Carl Friedrich von Weizsäcker erkennen, der 1912 als Sohn des 1949 in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, geboren wurde, und dessen 1920 geborener Bruder Richard zehn Jahre lang (1984-1994) deutscher Bundespräsident war.

Selbst solche umfassenden politischen Dimensionen verblassen aber gegen die wissenschaftlichen Umwälzungen, die Carl Friedrich von Weizsäcker erleben und mitgestalten konnte und die ein neues "Weltbild der Physik" entstehen ließen, das niemand so überzeugend beschrieben hat wie er selbst, und zwar unter diesem bis heute verfügbaren und lesenswerten Titel bereits im Jahre 1943, also in jungen Jahren und mitten in Zeiten des Krieges.

"Zum Weltbild der Physik" geht sprachlich elegant und philosophisch überzeugend dem dramatischen Wandel nach, der von der klassischen Form der Wissenschaft mit deterministischen Gesetzen hin zu ihrer Version mit Quantensprüngen und den dazugehörenden Wahrscheinlichkeiten geführt hat, die in der Mitte der 20er-Jahre vorgelegt werden konnte, was dem 1901 geborenen Werner Heisenberg zu verdanken war.

Neue Erkenntnisse über Atome

Während heute oft von der "Gnade der späten Geburt" die Rede ist, musste von Weizsäcker unter dem "Fluch der späten Geburt" leiden, denn die neue Physik ist von Wissenschaftlern gemacht worden, die entweder noch im 19. Jahrhundert oder spätestens 1902 geboren worden sind.

Von Weizsäcker war 15 Jahre alt, als sein künftiger Lehrer Heisenberg ihn mit der Nachricht überraschte, er habe den Philosophen Immanuel Kant widerlegt und Vorgänge entdeckt, die ohne Kausalität ablaufen. Heisenberg erzählte dem Knaben etwas von einer Unbestimmtheit auf der atomaren Ebene, der nun voller Enthusiasmus sah, wie im 20. Jahrhundert philosophiert werden konnte, nämlich nachdem man die neue Physik und das dazugehörige Weltbild verstanden hatte.

Das mit den Quantensprüngen mögliche Verständnis der Atome und ihrer Stabilität konnte in den Dreißigerjahren für die Atomkerne erweitert und auf sie angewandt werden, um ihren Zusammenhalt und ihre Umwandlung zu verstehen, und hierzu lieferte von Weizsäcker seine wichtigsten physikalischen Beiträge, die er 1937 in einem Buch über "Die Atomkerne" zusammenfasste.

Entdeckung der Kernspaltung

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Ein Jahr später wurde alles anders, als sich eine bislang unpolitisch betriebene Wissenschaft in ein Instrument der Kriegsführung verwandelte, und sie tat dies in äußerst unruhigen Zeiten, die bald in den Zweiten Weltkrieg münden sollten. Der entscheidende wissenschaftliche Fortschritt bestand in der Entdeckung der Kernspaltung, die Otto Hahn und anderen in einem Berliner Institut gelungen war, an dem Carl Friedrich von Weizsäcker als Assistent angestellt war.

Wenn es auch noch etwas dauern sollte, bis verstanden war, was Hahn da mit dem Element Uran beobachtet hatte, so konnte niemand in Berlin übersehen, dass die damit gelungene "Freisetzung der Kernenergie" und deren "Verwendung als Waffe" zu Bomben führen kann, "die allen bisherigen weit überlegen sein würde. Otto Hahn erschrak zutiefst über die Gefahr, dass Hitler solche Waffen in die Hand bekäme", wie der 26-jährige von Weizsäcker damals geschrieben hat, um sich von dem Chemiker Hahn auf kürzestem Wege zu dem Philosophen Georg Picht zu begeben, um mit ihm die neue Lage zu verstehen.

Die "Institution des Krieges" überwinden

In seinen 2002 herausgegebenen Briefen aus fünf Jahrzehnten, die unter dem Titel "Lieber Freund! Lieber Gegner!" erschienen sind, teilt von Weizsäcker dem Leser genau mit, was er 1938 nach dem philosophischen Gespräch zu Papier gebracht hat:

"1. Wenn Atomwaffen möglich sind, wird es jemanden auf der Erde geben, der sie baut. 2. Wenn Atomwaffen gebaut sind, wird es jemanden auf der Erde geben, der sie kriegerisch einsetzt. 3. Also wird die Menschheit wohl nur die moderne Technik überleben können, wenn es gelingt, die Institution des Krieges zu überwinden." "Die Institution des Krieges zu überwinden" – dies wird für ihn vor allem in den Jahren nach dem Krieg zu einem Leitmotiv, das sich durch von Weizsäckers Leben und seine Briefe zieht.

Er lässt es erklingen, wo er kann, zum Beispiel in einem Brief an Erich Honecker, den "sehr geehrten Herrn Staatsvorsitzenden", dem von Weizsäcker im Juli 1987 auf seine frühen Gedanken hinweist und erklärt, "dass bei der bestehenden Struktur der Menschheit" der Bau von Atomwaffen "praktisch nicht würde verhindert werden können" und "auf die Dauer die Überwindung der Institution des Krieges als die einzige Lösung zu sehen" ist.

Von Weizsäckers Brief an Chirac

Das Thema treibt von Weizsäcker bis zuletzt um, wenn er im Juli 1995 dem französischen Präsidenten Jacques Chirac nicht nur erklärt, warum sein Land auf die geplanten Atomwaffenversuche im Pazifik verzichten soll, sondern auch, worum es allgemein geht:

"1. Wenn Atombomben möglich sind, so wird es in der heutigen Menschheit jemanden geben, der sie herstellt. 2. Wenn Atombomben hergestellt sind, so wird es in der heutigen Menschheit jemanden geben, der sie militärisch einsetzt. 3. Die Atombombe ist ein Weckersignal; sie ist das deutlichste Beispiel moderner Waffentechnik. Der Menschheit wird damit auf die Dauer nur die Wahl bleiben, entweder die Institution des Krieges zu überwinden oder sich selbst zugrunde zu richten."

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Das jedenfalls erfährt, wer die Bücher des Friedensforschers liest, aber mehr leider nicht. Zu den Fragen, wie er diese Institution überwinden will und wer sie eingerichtet hat, ist nichts zu lesen. An wen muss man sich wenden? An die Menschen oder an ihre Natur?

Er hat seine Bewunderer belogen

Da in den vergangenen Jahrzehnten nicht weniger, sondern mehr Kriege geführt worden sind, darf man zum einen vermuten, dass der richtige Ansprechpartner nicht gefunden worden ist. Man darf aber zum zweiten auch befürchten, dass von Weizsäcker die Menschen, die Rat bei ihm suchen, letztlich allein lässt, wenn es knifflig wird. 

Bekanntlich kann eine große Verehrung zur Verachtung werden, wenn sie maßlos enttäuscht wird, und so hat sich in den letzten Jahren auch mein Bild des Friedensforschers von Weizsäcker gewandelt. Er hat die Menschen, die ihm nach dem Zweiten Weltkrieg vertraut haben, über sein eigentliches Tun im Dritten Reich im Unklaren gelassen, was man auch drastisch so ausdrücken kann:

Freiherr von Weizsäcker hat vieles verschwiegen und seine Bewunderer belogen. Wie inzwischen ohne sein Zutun bekannt geworden ist, hat er im Sommer 1941 ein "Verfahren zur explosiven Erzeugung von Energie und Neutronen" aus dem Element Plutonium beschrieben und diese Anleitung zum Bau einer Bombe sogar zum Patent angemeldet. Der Philosoph, der sich nach 1945 gerne als "radikaler Pazifist" präsentierte, begann seine politische Karriere als "Werbetrommler eines radioaktiven Superknalls", wie es im "Spiegel" vor einigen Jahren hieß.

Die Faszination der Macht

Von Weizsäcker unterrichtete das Heereswaffenamt schon zeitig über die Möglichkeit einer Plutoniumbombe, er erstellte Geheimberichte zum Atomprogramm der Vereinigten Staaten und verfasste sechs Patentschriften zu Sprengkörpern und Kernmeilern – und statt die Öffentlichkeit darüber und die dazugehörenden Intentionen zu informieren, trug er die ganze Zeit seine zwar pazifistisch klingende, aber hohl bleibende Heuchelei vor, dass die Menschheit, wenn sie überleben wolle, lernen müsse, "die Institution des Krieges zu überwinden."

Von Weizsäcker war ein Philosoph, der von der Macht fasziniert war und deshalb die Bombe liebte, die er bauen wollte, und der zu schwach war, um dies nach 1945 einzugestehen. Er taugt daher weder als Vorbild noch als Namensgeber für Stiftungen mit moralischem Anspruch, vor allem nicht mehr, nachdem im letzten Jahr zu lesen war, was Werner Heisenberg über seinen Schüler geschrieben hat.

Heisenberg kritisierte von Weizsäcker

In einem Brief vom 14.10.1943 an seine Frau Elisabeth beklagt sich Heisenberg, dass ihm Carl Friedrich "völlig fremd" sei. Von Weizsäcker "kann so Sätze sagen, wie etwa: Er wäre in einer total zerstörten Stadt ganz zufrieden, denn dann wisse man sicher, dass das nicht wiederkäme und dass die Menschen aus dem Erlebnis von Schuld und Sühne reif würden zu einer anderen Art zu denken – womit dann der Glaube gemeint ist, zu dem er sich selbst bekennt.

Dann sagt er weiter, dass dieser Glaube natürlich dem der alten Welt, das heißt der Angelsachsen, unversöhnlich feind sei und dass ja auch Christus gesagt habe, er sei nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert – worauf man dann wieder so weit ist, wie am Anfang, das heißt, wer nicht das Gleiche glaubt wie ich, muss ausgerottet werden."

So dachte von Weizsäcker, und er hat seine Lüge bis zu seinem Tod 2007 in sich verschlossen und der zu ihm aufschauenden Welt ein philosophisches Spektakel vorgeführt, dem zu lange applaudiert worden ist. Man müsste sich von seinem Werk fernhalten – wenn er sich nicht so fantastisch "Zum Weltbild der Physik" geäußert hätte. Wissen ist Macht. Carl Friedrich von Weizsäcker wollte beides – bis zuletzt.

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