Gesamttext der Dreigroschenoper.doc
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Die Dreigroschenoper
1)
Ouvertüre
Sie werden jetzt eine Oper für Bettler hören. Und weil diese
Oper so prunkvoll gedacht war, wie nur Bettler sie erträu-
men - und weil sie doch so billig sein sollte, ' dass nur Bett-
ler sie bezahlen können, heisst sie die Dreigroschenoper.
Zuerst hören Sie eine Moritat über den Räuber Macheath,
genannt Mackie Messer.
1. AKT
Jahrmarkt in Soho. Die Bettler betteln, die Diebe stehlen,
die Huren huren. Ein Moritatensänger singt eine Moritat.
2)
Die Moritat von Mackie Messer
Und der Haifisch, der hat Zähne,
Und die trägt er im Gesicht,
Und Macheath, der hat ein Messer,
Doch das Messer sieht man nicht.
Ach, es sind des Haifischs Flossen
Rot, wenn dieser Blut vergiesst.
Mackie Messer trägt 'nen Handschuh,
Drauf man keine Untat liest.
An 'nem schönen blauen Sonntag
Liegt ein toter Mann am Strand,
Und ein Mensch geht um die Ecke,
Den man Mackie Messer nennt.
Und Schmul Meier bleibt verschwunden
Und so mancher reiche Mann,
Und sein Geld hat Mackie Messer,
Dem man nichts beweisen kann.
Von links nach rechts geht Peachum mit Frau und Tochter
über die Bühne spazieren.
Jenny Towler ward gefunden
Mit 'nem Messer in der Brust,
Und am Kai geht Mackie Messer,
Der von allem nichts gewusst.
Und das grosse Feuer in Soho:
Sieben Kinder und ein Greis -
In der Menge Mackie Messer, den
Man nicht fragt, und der nichts weiss.
Und die minderjährige Witwe,
Deren Namen jeder weiss,
Wachte auf und war geschändet -
Mackie, welches war dein Preis?
Wachte auf und war geschändet -
Mackie, welches war dein Preis?
Unter den Huren ein Gelächter, und aus ihrer Mitte löst
sich ein Mensch und geht rasch über den ganzen Platz weg.
Moritatensänger:
Jonathan Jeremiah Peachum hat einen Laden eröffnet, in
dem die Elendesten der Elenden jenes Aussehen erhielten,
das zu den immer verstockteren Herzen sprach.
Jonathan Jeremiah Peachums Bettlergarderoben
3)
Der Morgenchoral des Peachum
Wach auf, du verrotteter Christ!
Mach dich an dein sündiges Leben!
Zeig, was für ein Schurke du bist,
Der Herr wird es dir dann schon geben.
Verkauf deinen Bruder, du Schuft!
Verschacher dein Eheweib, du Wicht!
Der Herrgott, für dich ist er Luft?
Er zeigt dirs beim Jüngsten Gericht!
Moritatensänger:
Polly Peachum ist nicht nach Hause gekommen. Herr und
Frau Peachum singen den
4)
Anstatt-dass-Song
Anstatt dass,
Anstatt dass
Sie zu Hause bleiben und im warmen Bett,
Brauchen sie Spass, brauchen sie Spass,
Grad als ob man ihnen eine Extrawurst gebraten hätt.
Frau Peachum:
Das ist der Mond über Soho,
Das ist der verdammte ›Fühlst-du-mein-Herz-Schlagen‹-
Text,
Das ist das ›Wenn du wohin gehst, geh ich auch wohin,
Johnny!‹
Wenn die Liebe anhebt und der Mond noch wächst.
Peachum:
Anstatt dass,
Anstatt dass
Sie was täten, was 'nen Sinn hat und 'nen Zweck,
Machen sie Spass,
Machen sie Spass
Und verrecken dann natürlich glatt im Dreck.
Beide:
Was nützt dann dein Mond über Soho?
Wo bleibt dann ihr verdammter ›Fühlst-du-mein-Herz-
Schlagen‹-Text?
Wo ist dann das ›Wenn du wohin gehst, geh ich auch wo-
hin, Johnny!‹
Wenn die Liebe anhebt und der Mond noch wächst.
Moritatensänger:
Tief im Herzen Sohos feiert der Bandit Mackie Messer seine
Hochzeit mit Polly Peachum, der Tochter des Bettlerkönigs.
Drei Mann erheben sich und singen, zögernd, matt und un-
sicher.
5)
Hochzeitslied für ärmere Leute
Bill Lawgen und Mary Syer
Wurden letzten Mittwoch Mann und Frau.
Hoch sollen sie leben, hoch, hoch, hoch!
Als sie drin standen vor dem Standesamt,
Wusste er nicht, woher ihr Brautkleid stammt,
Aber sie wusste seinen Namen nicht genau.
Hoch!
Wissen Sie, was Ihre Frau treibt? Nein!
Lassen Sie Ihr Lasterleben sein? Nein!
Hoch sollen sie leben, hoch, hoch, hoch!
Billy Lawgen sagte neulich mir:
Mir genügt ein kleiner Teil von ihr!
Das Schwein.
Hoch!
Moritatensänger:
In der Erinnerung an ihre gemeinsame Jugendzeit singen
der Räuber Macheath und der Polizeipräsident Brown den

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6)
Kanonensong
Sie setzen sich beide auf den Tisch:
1
John war darunter und Jim war dabei,
Und George ist Sergeant geworden,
Doch die Armee, sie fragt keinen, wer er sei
Und marschierte hinauf nach dem Norden.
Soldaten wohnen
Auf den Kanonen
Vom Cap bis Couch Behar.
Wenn es mal regnete
Und es begegnete
Ihnen 'ne neue Rasse,
'ne braune oder blasse,
Dann machen sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar.
2
Johnny war der Whisky zu warm,
Und Jimmy hatte nie genug Decken,
Aber Georgie nahm beide beim Arm
Und sagte: Die Armee kann nicht verrecken.
Soldaten wohnen
Auf den Kanonen
Vom Cap bis Couch Behar.
Wenn es mal regnete
Und es begegnete
Ihnen 'ne neue Rasse,
'ne braune oder blasse,
Dann machten sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar.
3
John ist gestorben und Jimmy ist tot,
Und George ist vermisst und verdorben,
Aber Blut ist immer noch rot,
Und für die Armee wird jetzt wieder geworben!
Indem sie sitzend mit den Füssen marschieren:
Soldaten wohnen
Auf den Kanonen
Vom Cap bis Couch Behar.
Wenn es mal regnete
Und es begegnete
Ihnen 'ne neue Rasse,
'ne braune oder blasse,
Dann machen sie vielleicht daraus ihr Beefsteak Tartar.
7)
Liebeslied
Macheath:
Siehst du den Mond über Soho?
Polly:
Ich seh' ihn, Lieber.
Fühlst du mein Herz schlagen, Geliebter?
Macheath:
Ich fühl' es, Geliebte.
Polly:
Wo du hingehst, da will ich auch hingehn.
Macheath:
Und wo du bleibst, da will auch ich sein.
Beide:
Und gibt's auch kein Schriftstück vom Standesamt
Und keine Blumen auf dem Altar,
Und weiss ich auch nicht, woher dein Brautkleid stammt,
Und gibt's keine Myrten im Haar -
Der Teller, von welchem du issest dein Brot,
Schau ihn nicht lang an, wirf ihn fort!
Die Liebe dauert oder dauert nicht
An dem oder jenem Ort.
Peachums Bettlergarderoben. Rechts Peachum und Frau
Peachum. Unter der Tür steht Polly in Mantel und Hut, ihre
Reisetasche in der Hand.
Moritatensänger:
Durch ein kleines Lied deutet Polly ihre Verheiratung mit
dem Räuber Macheath an.
8)
Der Song vom Nein und Ja (Barbara-Song)
1
Einst glaubte ich, als ich noch unschuldig war,
Und das war ich einst grad so wie du,
Gewiss kommt auch zu mir einmal einer,
Und dann muss ich wissen, was ich tu.
Und wenn er Geld hat,
Und wenn er nett ist
Und sein Kragen ist auch werktags rein,
Und wenn er weiss, was sich bei einer Dame schickt,
Dann sage ich ihm ›Nein‹.
Da behält man seinen Kopf oben,
Und man bleibt ganz allgemein.
Sicher scheint der Mond die ganze Nacht,
Sicher ist das Boot am Ufer losgemacht,
Aber weiter kann nichts sein.
Ja, da kann man sich doch nicht nur hinlegen,
Ja, da muss man kalt und herzlos sein.
Ja, da könnte doch viel geschehen,
Ja, da gibt's überhaupt nur: Nein.
2
Der erste, der kam, war ein Mann aus Kent,
Der war, wie ein Mann sein soll.
Der zweite, der hatte drei Schiffe im Hafen;
Der dritte, der war nach mir toll.
Und als sie Geld hatten,
Und als sie nett waren
Und ihr Kragen war auch werktags rein,
Und als sie wussten, was sich bei einer Dame schickt,
Da sagte ich ihnen ›Nein‹.
Da behielt ich meinen Kopf oben,
Und ich blieb ganz allgemein.
Sicher schien der Mond die ganze Nacht,
Sicher ward das Boot am Ufer losgemacht,
Aber weiter konnte nichts sein.
Ja, da kann man sich doch nicht einfach hinlegen,
Ja, da musst ich kalt und herzlos sein.
Ja, da könnte doch viel geschehen,
Ja, da gab's überhaupt nur: Nein, nein.
3
Jedoch eines Tags, und der Tag, der war blau,
Kam einer, der mich nicht bat,
Und er hängte seinen Hut an den Nagel in meiner Kammer,
Und ich wusste nicht mehr, was ich tat.
Und als er kein Geld hatte,
Und als er nicht nett war,
Und sein Kragen war auch am Sonntag nicht rein,
Und als er nicht wusste, was sich bei einer Dame schickt,
Zu ihm sagte ich nicht ›Nein‹.
Da behielt ich meinen Kopf nicht oben
Und blieb nicht allgemein.
Ach, es schien der Mond die ganze Nacht,
Ach, es ward das Boot am Ufer losgemacht,
Und es konnte gar nicht anders sein!
Ja, da musst ich mich doch einfach hinlegen,
Ja, da konnt' ich doch nicht kalt und herzlos sein.

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Ja, da musste es doch geschehen.
Ach, da gab's überhaupt kein Nein.
Moritatensänger:
Herr und Frau Peachum raten ihrer Tochter ab, nur aus
Liebe zu heiraten. Sie tun dies mit dem Hinweis auf
9)
Die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse
Polly:
Was ich möchte, ist es viel?
Einmal in dem tristen Leben
Einem Mann mich hinzugeben,
Ist das ein zu hohes Ziel?
Ist das ein zu hohes Ziel?
Peachum (mit der Bibel in den Händen):
Das Recht des Menschen ist's auf dieser Erden,
Da er doch nur kurz lebt, glücklich zu sein,
Teilhaftig aller Lust der Welt zu werden,
Zum Essen Brot zu kriegen und nicht einen Stein.
Das ist des Menschen nacktes Recht auf Erden.
Doch leider hat man bisher nie vernommen,
Dass etwas recht war - und dann war's auch so!
Wer hätte nicht gern einmal recht bekommen,
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.
Frau Peachum:
Wie gern wär ich zu dir gut,
Alles möchte ich dir geben,
Dass du etwas hast vom Leben,
Weil man das doch gerne tut,
Weil man das doch gerne tut.
Peachum:
Ein guter Mensch sein! Ja, wer wär's nicht gern?
Sein Gut den Armen geben, warum nicht?
Wenn alle gut sind, ist Sein Reich nicht fern;
Wer sässe nicht sehr gern in Seinem Licht?
Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär's nicht gern?
Doch leider sind auf diesem Sterne eben
Die Mittel kärglich und die Menschen roh.
Wer möchte nicht in Fried und Eintracht leben?
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!
Polly und Frau Peachum:
Da hat er eben leider recht.
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
Peachum:
Natürlich hab ich leider recht:
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
Wer wollt auf Erden nicht ein Paradies?
Doch die Verhältnisse, gestatten sie's?
Nein, sie gestatten's eben nicht.
Dein Bruder, welcher an dir hangt,
Wenn halt für zwei das Fleisch nicht langt,
Tritt er dir eben ins Gesicht;
Und menschlich sein, wer wollt das nicht?
Und deine Frau, die an dir hangt,
Wenn deine Liebe ihr nicht langt,
Tritt sie dir eben ins Gesicht.
Beständig sein, wer wollt' das nicht?
Und auch dein Kind, das an dir hangt,
Wenn dir dein Altersbrot nicht langt,
Tritt es dir auch noch ins Gesicht;
Und dankbar sein, wer wollt das nicht!
Polly und Frau Peachum:
Ja, das ist eben schade,
Das ist das riesig Fade.
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht,
Da hat er eben leider recht.
Peachum:
Natürlich hab ich leider recht:
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht.
Wir wären gut - anstatt so roh,
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.
Wir wären gut - anstatt so roh,
Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.
Alle Drei:
Ja, da ist's eben nichts damit,
Dann ist das eben alles Kitt!
Peachum:
Die Welt ist arm, der Mensch ist schlecht,
Da hab ich eben leider recht!
Alle Drei:
Und das ist eben schade,
Das ist das riesig Fade.
Und darum ist es nichts damit,
Und darum ist das alles Kitt!
2. AKT
10)
Der Pferdestall
Moritatensänger:
Mackie muss fliehen und nimmt Abschied von Polly.
Polly:
Ach, Mac, reiss mir nicht das Herz aus dem Leibe.
Bleib' bei mir und lass uns glücklich sein.
Macheath:
Ich muss mir ja selber das Herz aus dem Leibe reissen,
denn ich muss fort, und niemand weiss, wann ich wieder-
kehre.
Polly:
Es hat so kurz gedauert, Mac.
Macheath:
Hört es denn auf?
Polly:
Ach, gestern hatt' ich einen Traum. Da sah ich aus dem
Fenster und hörte ein Gelächter in der Gasse, und wie ich
hinaussah, sah ich unseren Mond, und der Mond war ganz
dünn, wie ein Penny, der schon abgegriffen ist. Vergiss
mich nicht, Mac, in den fremden Städten.
Macheath:
Sicher vergesse ich dich nicht, Polly. Küss mich, Polly.
Polly:
Adieu, Mac.
Macheath (Im Abgehen):
Adieu Polly.
11)
Pollys Abschiedslied
Er kommt nicht wieder.
Hübsch als es währte,
Und nun ist's vorüber.
Reiss aus dein Herz,
Sag: Good-bye, mein Lieber!
Was nützt all dein Jammer -
Leih, Maria, dein Ohr mir! -
Wenn meine Mutter selber
Wusste all das vor mir?
Macheath:
Die Liebe dauert oder dauert nicht An dem oder jenem Ort.

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Zwischenspiel
Vor den Vorhang tritt Frau Peachum mit der Spelunken-
Jenny:
Also, wenn ihr Mackie Messer in den nächsten Tagen seht,
lauft ihr zum nächsten Konstabler und zeigt ihn an, dafür
bekommt ihr zehn Schillinge.
Jenny:
Aber werden wir ihn denn sehen? Wenn die Konstabler hin-
ter ihm her sind, wird er sich doch nicht mit uns seine Zeit
vertreiben. Frau Peachum:
Ach, ich sag' dir, Jenny, und wenn ganz London hinter ihm
her ist, Macheath ist nicht der Mann, der seine Gewohnhei-
ten deswegen aufgibt.
Sie singt:
12)
Die Ballade von der sexuellen Hörigkeit
Da ist nun einer schon der Satan selber.
Der Metzger: er! Und alle andern: Kälber!
Der frechste Hund! Der schlimmste Hurentreiber!
Wer kocht ihn ab, der alle abkocht? Weiber.
Das fragt nicht, ob er will - er ist bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.
Er glaubt nicht an die Bibel, nicht ans BGB.
Er meint, er ist der grösste Egoist.
Weiss, dass wer'n Weib sieht, schon verschoben ist.
Und lässt kein Weib in seine Näh:
Er soll den Tag nicht vor dem Abend loben,
Denn bevor es Nacht wird, liegt er wieder droben.
2
So mancher Mann sah manchen Mann verrecken:
Ein grosser Geist blieb in 'ner Hure stecken!
Und die's mit ansahn, was sie sich auch schwuren -
Als sie verreckten, wer begrub sie? Huren.
Ob sie's wollen oder nicht - sie sind bereit.
Ob's wollen oder nicht - sie sind bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.
Der hält sich an die Bibel, pfeift aufs BGB. BGB.
Der wird ein Christ! Der wird ein Anarchist!
Am Mittag zwingt man sich, dass man nicht Sellerie frisst.
Nachmittags weiht man sich noch 'ner Idee.
Am Abend sagt man: Mit mir geht's nach oben,
Doch bevor es Nacht wird, liegt man wieder droben.
3
Da steht nun einer fast schon unterm Galgen,
Der Kalk ist schon gekauft, ihn einzukalken,
Sein Leben hängt an einem brüch'gen Fädchen,
Und was hat er im Kopf, der Bursche? Mädchen.
Schon unterm Galgen, ist er noch bereit.
Das ist die sexuelle Hörigkeit.
Er ist schon sowieso verkauft mit Haut und Haar,
Bei ihr hat er den Judaslohn gesehn,
Und er beginnt nun zu verstehn,
Dass ihm des Weibes Loch das Grabloch war.
Und er mag wüten gegen sich und toben -
Bevor es Nacht wird, liegt er wieder droben.
Hurenhaus in Turnbridge. Gewöhnlicher Nachmittag: Die
Huren, meist im Hemd, bügeln Wäsche, spielen Mühle, wa-
schen sich: ein bürgerliches Idyll. Hakenfinger-Jakob liest
die Zeitung, ohne dass sich jemand um ihn kümmert. Er
sitzt eher im Weg.
Moritatensänger:
Lied eines kleinen Abwaschmädchens in einer Vierpenny-
kneipe, genannt Jenny, die Seeräuberbraut.
13)
Die Seeräuber-Jenny oder Träume eines Küchen-
mädchens
1
Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen,
Und ich mache das Bett für jeden.
Und Sie geben mir einen Penny, und ich bedanke mich
schnell;
Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel,
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Tages wird ein Geschrei sein am Hafen.
Und man fragt: Was ist das für ein Geschrei?
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Gläsern,
Und man fragt: Was lächelt die dabei?
Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.
2
Man sagt: Geh, wisch deine Gläser, mein Kind.
Und man reicht mir den Penny hin.
Und der Penny wird genommen,
Und das Bett wird gemacht.
(Es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht.)
Und die wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Und die wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Und in dieser Nacht wird ein Getös sein am Hafen,
Und man fragt: Was ist das für ein Getös?
Und man wird mich stehen seh'n hinterm Fenster,
Und man fragt: Was lächelt die so bös?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beschiessen die Stadt.
3
Meine Herren, da wird wohl Ihr Lachen aufhören,
Denn die Mauern werden fallen hin,
Und am dritten Tage ist die Stadt dem Erdboden gleich.
Nur ein lumpiges Hotel wird verschont von jedem Streich,
Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin?
Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin?
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Hotel sein,
Und man fragt: Warum wird das Hotel verschont?
Und man sieht mich treten aus der Tür gen Morgen,
Und man sagt: Die hat darin gewohnt?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beflaggen den Mast.
4
Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür
Und legen ihn in Ketten und bringen ihn mir
Und mich fragen: Welchen sollen wir töten?
Und mich fragen: Welchen sollen wir töten?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen,
Wenn man fragt, wer wohl sterben muss.
Und da werden sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn dann der Kopf fällt, sage ich: Hoppla!
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.

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Hurenhaus in Turnbridge, wie während des obigen Songs
Moritatensänger:
Macheath und die Hure Jenny gedenken in einem Lied ge-
meinsam verbrachter schöner Stunden. Während nun Mac
singt, steht rechts vor dem Fenster Jenny und winkt dem
Konstabler Smith. Dann gesellt sich zu ihr noch Frau Pea-
chum. Unter der Laterne stehen die drei und beobachten
das Haus.
14)
Die Zuhälterballade
1
Macheath:
In einer Zeit, die nun vergangen ist,
Lebten wir schon zusammen, sie und ich.
Die Zeit liegt fern wie hinter einem Rauch,
Ich schützte sie, und sie ernährte mich.
Es geht auch anders, doch so geht es auch.
Und wenn ein Freier kam, kroch ich aus unserm Bett
Und drückte mich zu meinem Kirsch und war sehr nett,
Und wenn er blechte, sprach ich zu ihm:
›Herr, Wenn Sie mal wieder wollen - bitte sehr.‹
So hielten wir's ein gutes halbes Jahr
In dem Bordell, wo unser Haushalt war.
Auftritt Jenny in der Tür, hinter ihr Smith
2
Jenny:
In jener Zeit, die nun vergangen ist,
War er mein Freund und ich ein junges Ding.
Und wenn kein Geld da war, hat er mich angehaucht,
Da hiess es gleich: Du, ich versetz dir deinen Ring.
Ein Ring, ganz gut, doch ohne geht es auch.
Da wurde ich aber tückisch, ja, na weisste!
Da fragt ich ihn manchmal direkt, was er sich erdreiste.
Da hat er mir aber eins ins Zahnfleisch gelangt,
Da bin ich manchmal direkt drauf erkrankt!
Beide (zusammen und abwechselnd):
Das war so schön in diesem halben Jahr
In dem Bordell, wo unser Haushalt war.
3
In jener Zeit, die nun vergangen ist,
Die aber noch nicht ganz so trüb wie jetzt war,
Wenn man auch nur bei Tag zusammen lag,
Da sie ja, wie gesagt, nachts meist besetzt war!
(Nachts ist es üblich, doch geht's auch bei Tag!)
War ich dann auch einmal hops von dir.
Da machten wir's dann so: Ich lag dann unter ihr.
Weil er das Kind nicht schon im Leib erdrücken wollte,
Das aber dann doch in die Binsen gehen sollte.
Und dann war aus doch bald das halbe Jahr
In dem Bordell, wo unser Haushalt war.
Tanz, Mac nimmt den Messerstock, sie reicht ihm den Hut,
er tanzt noch, da legt ihm Smith die Hand auf die Schulter.
Gefängnis in Old Bailey, ein Käfig
Macheath:
Ihr Herrn, urteilt jetzt selbst, ist das ein Leben?
Ich finde nicht Geschmack an alledem.
Als kleines Kind schon hörte ich mit Beben:
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!
15
Die Ballade vom angenehmen Leben
1
Da preist man uns das Leben grosser Geister,
Das lebt mit einem Buch und nichts im Magen,
In einer Hütte, daran Ratten nagen.
Mir bleibe man vom Leib mit solchem Kleister!
Das simple Leben lebe, wer da mag!
Ich habe (unter uns) genug davon.
Kein Vögelchen von hier bis Babylon
Vertrüge diese Kost nur einen Tag.
Was hilft da Freiheit? Es ist nicht bequem.
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.
2
Die Abenteurer mit dem kühnen Wesen
Und ihrer Gier, die Haut zu Markt zu tragen,
Die stets so frei sind und die Wahrheit sagen,
Damit die Spiesser etwas Kühnes lesen:
Wenn man sie sieht, wie das am Abend friert,
Mit kalter Gattin stumm zu Bette geht
Und horcht, ob niemand klatscht und nichts versteht
Und trostlos in das Jahr fünftausend stiert.
Jetzt frag ich Sie nur noch: Ist das bequem?
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.
3
Ich selber könnte mich durchaus begreifen,
Wenn ich mich lieber gross und einsam sähe,
Doch sah ich solche Leute aus der Nähe,
Da sagt ich mir: Das musst du dir verkneifen.
Armut bringt ausser Weisheit auch Verdruss
Und Kühnheit ausser Ruhm auch bittre Mühn.
Jetzt warst du arm und einsam, weis' und kühn.
Jetzt machst du mit der Grösse aber Schluss.
Dann löst sich ganz von selbst das Glücksproblem:
Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm!
Moritatensänger:
Erste Wolken am Himmel des jungen Glücks.
16
Das Eifersuchtsduett
Lucy und Polly abwechslungsweise. Lucy:
Komm heraus, du Schönheit von Soho!
Zeig mir doch mal deine hübschen Beine!
Bitte sehr!
Ich möchte auch mal was Schönes sehen,
Denn so schön wie du gibt es doch keine!
Gibt's auch nicht!
Du sollst ja auf meinen Mac solch einen Eindruck machen!
Soll ich das, soll ich das?
Na, da muss ich aber wirklich lachen.
Musst du das, musst du das?
Ha, das wäre ja gelacht!
So, das wäre also gelacht?
Wenn sich Mac aus dir was macht!
Wenn sich Mac aus mir was macht?
Ha, ha, ha! Mit so einer
Befasst sich sowieso keiner.
Na, das werden wir ja sehn.
Ja, das werden wir ja sehn.
Ja, das werden wir schon sehn.
Ja, das werden wir schon sehn, ha, ha, ha!
Beide:
Mackie und ich, wir lebten wie die Tauben.
Er liebt nur mich, das lass ich mir nicht rauben.

Page 6
- 6 -
Da muss ich schon so frei sein,
Das kann doch nicht vorbei sein,
Wenn da so'n Mistviech auftaucht!
Lächerlich!
Polly und Lucy wieder abwechslungsweise:
Ach, man nennt mich Schönheit von Soho,
Und man sagt, ich hab so schöne Beine.
Meinst du die?
Man will ja auch mal was Schönes sehen,
Und man sagt, so schön gibt es nur eine.
Dreckhaufen!
Selber Dreckhaufen!
Ich soll ja auf meinen Mann solch einen Eindruck machen.
Sollst du das? Sollst du das?
Ja, da kann ich eben wirklich lachen.
Kannst du das? Kannst du das?
Ja, das wär ja auch gelacht!
Ja, das wär ja auch gelacht!
Wenn sich wer aus mir nichts macht.
Wenn sich wer aus dir nichts macht!
Meinen Sie nicht auch; mit so einer
Befasst sich sowieso keiner?
Na, das werden wir ja sehn.
Ja, das werden wir ja sehn.
Ja, das werden wir schon sehn.
Ja, das werden wir schon sehn, ha, ha, ha.
Beide:
Mackie und ich, wir lebten wie die Tauben;
Er liebt nur mich, das lass ich mir nicht rauben.
Da muss ich schon so frei sein,
Das kann doch nicht vorbei sein,
Wenn da so'n Mistviech auftaucht!
Lächerlich!
Ein Mädchenzimmer in Old Bailey
17
Kampf um das Eigentum
Lucy:
Eifersucht, Wut, Liebe und Furcht zugleich reissen mich in
Stücke. Vom Sturm hin- und her geworfen, von Kummer
zerbrochen! Das Rattengift steht bereit; seit gestern kommt
sie alle paar Stunden her, um mich zu sprechen. Oh, dieses
falsche Aas! Wahrscheinlich will sie sich an meiner Ver-
zweiflung weiden. Oh Welt, oh Menschen, wie seid ihr
schlecht! Diese Dame kennt mich noch nicht! Meinen Gin
wird sie nicht trinken, damit sie nachher mit ihrem Mackie
lustig sein kann! Sie stirbt durch meinen Gin! Sie stirbt
durch meinen Gin! Sie stirbt, sie stirbt, sie stirbt! Ja, hier,
hier will ich sie sich winden sehen! Ich rette ihm das Leben
und diese Person soll den Rahm abschöpfen! Wenn ich die-
ses Mensch vergifte, dann kann die Welt aufatmen.
Vorhang. Macheath und Spelunken-Jenny treten vor den
Vorhang und singen:
18
Ballade über die Frage ›Wovon lebt der Mensch?‹
Macheath:
Ihr Herrn, die ihr uns lehrt, wie man brav leben
Und Sünd und Missetat vermeiden kann,
Zuerst müsst ihr uns was zu fressen geben,
Dann könnt ihr reden: Damit fängt es an.
Ihr, die ihr euren Wanst und unsre Bravheit liebt,
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer dreht, und wie ihr's immer schiebt,
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muss es möglich sein auch armen Leuten,
Vom grossen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
Jenny:
Denn wovon lebt der Mensch?
Macheath:
Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frisst.
Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich
Vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist.
Chor:
Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein!
2
Jenny:
Ihr lehrt uns, wann ein Weib die Röcke heben
Und ihre Augen einwärts drehen kann.
Zuerst müsst ihr uns was zu fressen geben,
Dann könnt ihr reden: Damit fängt es an.
Ihr, die auf unsrer Scham und eurer Lust besteht,
Das eine wisset ein für allemal:
Wie ihr es immer schiebt, und wie ihr's immer dreht,
Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.
Erst muss es möglich sein auch armen Leuten,
Vom grossen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden.
Macheath:
Denn wovon lebt der Mensch?
Jenny:
Denn wovon lebt der Mensch? Indem er stündlich
Den Menschen peinigt, auszieht, anfällt, abwürgt und frisst.
Nur dadurch lebt der Mensch, dass er so gründlich
Vergessen kann, dass er ein Mensch doch ist.'
Chor:
Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:
Der Mensch lebt nur von Missetat allein!
3. AKT
Musik setzt ein, und zwar spielt sie einige Takte von dem
Lied der Unzulänglichkeit voraus.
Tiger Brown:
Was ist denn das?
Peachum:
Das Lied von der Unzulänglichkeit. Kennen Sie nicht?
Können Sie was lernen!
19
Das Lied von der Unzulänglichkeit
1
Der Mensch lebt durch den Kopf;
Sein Kopf reicht ihm nicht aus,
Versuch es nur, von deinem Kopf
Lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlau genug.
Niemals merkt er eben
Diesen Lug und Trug.
2
Ja, mach nur einen Plan,
Sei nur ein grosses Licht!
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan,
Gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht schlecht genug.

Page 7
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Doch sein höh'res Streben
Ist ein schöner Zug.
3
Ja, renn nur nach dem Glück,
Doch renne nicht zu sehr!
Denn alle rennen nach dem Glück,
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht anspruchslos genug.
Darum ist all sein Streben
Nur ein Selbstbetrug.
4
Der Mensch ist gar nicht gut,
Drum hau ihn auf den Hut.
Hast du ihn auf den Hut gehaut,
Dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
Ist der Mensch nicht gut genug.
Darum hau ihn eben
Ruhig auf den Hut.
Vorhang. Vor dem Vorhang erscheint Jenny mit einem Lei-
erkasten und singt den
20
Salomon-Song
1
Ihr saht den weisen Salomon,
Ihr wisst, was aus ihm wurd!
Dem Mann war alles sonnenklar.
Er verfluchte die Stunde seiner Geburt
Und sah, dass alles eitel war.
Wie gross und weis' war Salomon!
Und seht, da war es noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Weisheit hatte ihn soweit gebracht -
Beneidenswert, wer frei davon!
2
Ihr saht die schöne Kleopatra,
Ihr wisst, was aus ihr wurd!
Zwei Kaiser fielen ihr zum Raub.
Da hat sie sich zu Tode gehurt
Und welkte hin und wurde Staub.
Wie schön und gross war Babylon!
Und seht, da war noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Schönheit hatte sie soweit gebracht -
Beneidenswert, wer frei davon!
3
Ihr saht den kühnen Cäsar dann,
Ihr wisst, was aus ihm wurd!
Er sass wie'n Gott auf 'nem Altar
Und wurde ermordet, wie ihr erfuhrt!
Und zwar, als er am grössten war.
Wie schrie der laut: ›Auch du, mein Sohn!‹
Und seht, da war es noch nicht Nacht,
Da sah die Welt die Folgen schon:
Die Kühnheit hatte ihn soweit gebracht -
Beneidenswert, wer frei davon!
4
Und nun seht ihr Macheath und mich.
Gott weiss, was aus uns wird!
So gross war unsere Leidenschaft.
Wo haben wir uns hin verirrt,
Dass man ihn jetzt zum Galgen schafft?
Da seht ihr unsrer Sünde Lohn!
Und seht, jetzt ist es noch nicht Nacht,
Da sieht die Welt die Folgen schon:
Die Leidenschaft hat uns soweit gebracht -
Beneidenswert, wer frei davon!
Moritatensänger:
Die Huren haben Macheath verraten.
20
Ruf aus der Gruft
Macheath (leise und im schnellsten Tempo):
Nun hört die Stimme, die um Mitleid ruft.
Macheath liegt hier nicht unterm Hagedorn,
Nicht unter Buchen, nein, in einer Gruft!
Hierher verschlug ihn des Geschickes-Zorn.
Gott geb, dass ihr sein letztes Wort noch hört!
Die dicksten Mauern schliessen ihn jetzt ein!
Fragt ihr denn gar nicht, Freunde, wo er sei?
Ist er gestorben, kocht euch Eierwein.
Solang er aber lebt, steht ihm doch bei!
Wollt ihr, dass seine Marter ewig währt?
jetzt kommt und seht, wie es ihm dreckig geht!
Jetzt ist er wirklich, was man pleite nennt.
Die ihr als oberste Autorität
Nur eure schmier'gen Gelder anerkennt,
Seht, dass er euch nicht in die Grube fährt!
Ihr müsstet gleich zur Königin und in Haufen
Und müsstet mit ihr über ihn was sprechen,
Wie Schweine eines hinterm andern laufen:
Ach, seine Zähne sind schon lang wie Rechen!
Wollt ihr, dass seine Marter ewig währt?
Gesprochen
Mitbürger, hiermit verabschiede ich mich von euch. Einige
von Ihnen sind mir sehr nahe gestanden. Dass Jenny mich
verraten haben soll, erstaunt mich sehr. Es ist ein deutlicher
Beweis dafür, dass die Welt sich gleich bleibt. Das Zusam-
mentreffen einiger unglücklicher Umstände hat mich zu
Fall gebracht. Gut - ich falle.
21
Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte leistet
Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt,
Lasst euer Herz nicht gegen uns verhärten
Und lacht nicht, wenn man uns zum Galgen hebt,
Ein dummes Lachen hinter euren Bärten.
Und flucht auch nicht, und sind wir auch gefallen.
Seid nicht auf uns erbost, wie das Gericht:
Gesetzten Sinnes sind wir alle nicht -
Ihr Menschen, lasset allen Leichtsinn fallen.
Ihr Menschen, lasst euch uns zur Lehre sein
Und bittet Gott, er möge mir verzeihn.
Der Regen wäscht uns ab und wäscht uns rein
Und wäscht das Fleisch, das wir zu gut genährt.
Und die zuviel gesehn und mehr begehrt:
Die Augen hacken uns die Raben ein.
Wir haben wahrlich uns zu hoch verstiegen.
Jetzt hängen wir hier wie aus Übermut,
Zerpickt von einer gier'gen Vögelbrut,
Wie Pferdeäpfel, die am Wege liegen.
Ach, Brüder, lasst euch uns zur Warnung sein
Und bittet Gott, er möge uns verzeihn.
Die Mädchen, die die Brüste zeigen,
Um leichte Männer zu erwischen,
Die Burschen, die nach ihnen äugen,

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Um ihren Sündenlohn zu fischen,
Die Lumpen, Huren, Hurentreiber,
Die Tagediebe, Vogelfrei'n,
Die Mordgesellen, Abtrittsweiber,
Ich bitte sie; mir zu verzeihn.
Nicht so die Polizistenhunde,
Die jeden Abend, jeden Morgen
Nur Rinde gaben meinem Munde,
Auch sonst verursacht Mühn und Sorgen,
Ich könnte sie ja jetzt verfluchen,
Doch heute will ich nicht so sein:
Um weitre Händel nicht zu suchen,
Bitt ich auch sie, mir zu verzeihn.
Man schlage ihnen ihre Fressen
Mit schweren Eisenhämmern ein.
Im Übrigen will ich vergessen
Und bitte sie, mir zu verzeihn.
22
Der reitende Bote
Gang zum Galgen. Alle ab durch Tür links. Dann kommen
auf der anderen Seite von der Bühne alle mit Windlichtern
wieder herein. Wenn Macheath oben auf dem Galgen steht,
spricht Peachum:
Verehrtes Publikum, wir sind soweit,
Und Herr Macheath wird aufgehängt,
Denn in der ganzen Christenheit,
Da wird dem Menschen nichts geschenkt.
Damit ihr aber nun nicht denkt,
Das wird von uns auch mitgemacht,
Wird Herr Macheath nicht aufgehängt,
Sondern wir haben uns einen anderen Schluss ausgedacht.
Damit ihr wenigstens in der Oper seht,
Wie einmal Gnade vor Recht ergeht.
Und darum wird, weil wir's gut mit euch meinen,
Jetzt der reitende Bote des Königs erscheinen.
Chor:
Horch, horch, horch,
Horch, horch, horch!
Horch, wer kommt!
Horch, wer kommt!
Horch, wer kommt!
Horch, wer kommt!
Des Königs reitender Bote!
Horch, wer kommt!
Des Königs reitender Bote,
Des Königs reitender Bote kommt, Bote kommt, Bote
kommt!
Horch, wer kommt!
Horch, wer kommt!
Des Königs reitender Bote kommt, Bote kommt, Bote
kommt!
Des Königs reitender Bote kommt, Bote kommt, Bote
kommt!
Horch, wer kommt!
Horch, wer kommt!
Des Königs reitender Bote etc.
Hoch zu Ross erscheint der reitende Bote:
Anlässlich ihrer Krönung befiehlt die Königin, dass der
Captain Macheath sofort freigelassen wird. (Alle jubeln.)
Gleichzeitig wird er hiermit in den erblichen Adelsstand er-
hoben und ihm das Schloss Marmarel und eine Rente von
zehntausend Pfund bis zu seinem Lebensende überreicht.
Den anwesenden Brautpaaren lässt die Königin ihre könig-
lichen Glückwünsche senden. Macheath:
Gerettet, gerettet! Ja, ich wusste es ja, ich wusste es,
wenn die Not am höchsten, ist die Rettung am nächsten,
wenn die Not am höchsten, ist die Rettung am nächsten.
Polly:
Gerettet, gerettet, mein lieber Mackie ist
gerettet. Ich bin sehr glücklich.
Frau Peachum:
So wendet alles sich am End zum Glück. So leicht und
friedlich wäre unser Leben, wenn die reitenden Boten des
Königs immer kämen.
Peachum:
Darum bleibet alle stehen, wo ihr stehet, und singt den Cho-
ral der Ärmsten der Armen, deren schwieriges Leben ihr
heute dargestellt habt. denn in Wirklichkeit ist gerade ihr
Ende schlimm. Die reitenden Boten des Königs kommen
sehr selten, und die getreten werden, treten wieder. Darum
sollte man das Unrecht nicht zu sehr verfolgen.
23
Dreigroschenfinale
Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr, in Bälde Erfriert es
schon von selbst, denn es ist kalt, Bedenkt das Dunkel und
die grosse Kälte In diesem Tale, das von Jammer schallt.
24
Die Schlussstrophen der Moritat
Moritatensänger:
Und so kommt zum guten Ende
Alles unter einen Hut.
Ist das nötige Geld vorhanden,
Ist das Ende meistens gut.
Dass nur er im Trüben fische,
Hat der Hinz den Kunz bedroht.
Doch zum Schluss vereint am Tische
Essen sie des Armen Brot.
Denn die einen sind im Dunkeln,
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
Die im Dunkeln sieht man nicht