"Die Passion": Ich habe nur eine Frage an RTL: Warum?!

"Die Passion": Ich habe nur eine Frage an RTL: Warum?!

Kassel - Am 27. März zeigte RTL zum zweiten Mal "Die Passion", eine Musical-Live-Show, mit der das Leiden Christi modern erzählt werden sollte. OKmag-Redakteurin Leonie hat sich das Ganze angesehen und hat nur eine Frage an RTL: Warum?!

Meinung zu "Die Passion": "Nach nur wenigen Minuten überkam mich bereits Unbehagen"

Schon vor zwei Jahren blieb ich beim Durchzappen zufällig an der ersten RTL-Version von "Die Passion" hängen - eine moderne Musical-Inszenierung, die den Verrat, das Leiden, den Tod und die Auferstehung von Jesus Christus erzählte. Das Spektakel wurde trotz hoher Einschaltquote damals im Netz zerrissen, sogar über ein Mitwirken von Jan Böhmermann wurde spekuliert, dennoch wagte sich der Kölner Privatsender in diesem Jahr ein zweites Mal an die Bibelgeschichte, aus der Kritik gelernt hatte man aber offenbar nicht. Obwohl man sich dieses Mal für Kassel als Austragungsort entschieden hatte und es natürlich eine neue Promi-Besetzung gab, lief alles genau so ab wie vor zwei Jahren in Essen - und war teilweise an Fremdscham kaum zu überbieten. Aber von Anfang an: In den Hauptrollen waren Ben Blümel, der 2002 mit seinem Song "Engel" bekannt wurde, als Jesus, No-Angels-Star Nadja Benaissa als Maria, Jimi Blue Ochsenknecht als Judas, Timur Ülker als Petrus und Francis Fulton-Smith als Pontius Pilatus am Start, während die Jünger unter anderem von Stefanie Hertel, Larissa Marolt, Mola Adebisi, René Casselly oder Zsolt Sandor Cseke dargestellt wurden. Auch Jenny Elvers war als "Blinde" mit von der Partie, als Erzähler trat Hannes Jaenicke in die Fußstapfen von Thomas Gottschalk und der machte den Zuschauern gleich zu Beginn klar, dass Kassel das neue Jerusalem sein solle. So weit, so gut. 

Doch nach nur wenigen Minuten überkam mich bereits Unbehagen, als Jesus' Jünger auf E-Scootern vorfuhren, sich dabei überaus übertrieben freuten und anfingen, "An Tagen wie diesen" von den Toten Hosen zu trällern. Mein erster Gedanke: Das hatten Campino und Co. so nicht verdient - und das zog sich bei der Interpretation der meisten Musikstücke weiter durch. Mit dabei: Songs von Helene Fischer, Christina Stürmer, Johannes Oerding, Falco und sogar an Tina Turner wagten sich die Promis. Blöd nur, dass die wenigsten Darsteller einen musikalischen Karriere-Background liefern konnten, was zur Folge hatte, dass es immer wieder zu Patzern und versemmelten Tönen kam - abgesehen von Nadja Benaissa, die musikalisch wirklich glänzen konnte. Die gewählten Songs sollten halbwegs zur Bibelgeschichte passen: Als beispielsweise Jimi Blue als Judas Jesus verraten hatte und der von mehreren Polizeibeamten abgeführt wurde - was Petrus aus dem örtlichen Dönerladen im TV verfolgte - gab er beispielsweise "Nie genug" von Christina Stürmer zum Besten. (Hier brauchte ich übrigens bis zur Hälfte des Songs, um diesen überhaupt zu erkennen). Beim letzten Aufeinandertreffen sangen Ben Blümel und Jimi in ihren Rollen dann "Out of the Dark" von Falco - inklusive Tränchen in den Augen, was für mich ein großer Touch too much war. Hier war auch der Zeitpunkt gekommen, an dem mich mein Freund des Raumes verwies und mich fragte, warum ich "das" überhaupt unterstütze - eine nicht ganz unberechtigte Frage, aber dazu später mehr.

"So schlimm ich 'Die Passion' in der Umsetzung auch fand, würde ich wahrscheinlich wieder einschalten"

Als wäre das alles noch nicht genug, wurde parallel nämlich immer wieder zu Angela Finger-Erben gewechselt. "Die Passions"-Zuschauer wurden Zeuge davon, wie eine Gruppe von Menschen ein XXL-Kreuz durch Kassel schlürfte und von der Moderatorin immer wieder zu ihrem Glauben und ihrer Verbindung zu Gott befragt wurde - und die erzählten natürlich allesamt ganz besonders rührselige Geschichten. So berichtete Flensburger Peter, der extra mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn nach Kassel gereist war, dass er zwei Jahre lang eine Affäre hatte, der Glaube und Gott ihn und seine Frau aber wieder zusammengeführt hatten. Kurze Zeit später kam dann auch Daniel Schmidt, Betreiber des berüchtigten Hamburger "Elbschlosskellers" auf der Reeperbahn zu Wort, ein krasser Kontrast. Versteht mich nicht falsch: Jeder kann glauben, woran er mag und gerade in Zeiten wie diesen ist es schön und wichtig, wenn Menschen zusammenkommen und für eine gemeinsame Sache einstehen. Aber: Ein Ben Blümel als Jesus, der laut "Bild" bereits vor Monaten aus der Kirche ausgetreten war, eine Angela Finger-Erben, die "Schwiegertochter gesucht" - ausgerechnet die Show, die immer wieder dafür kritisiert wird, Menschen vorzuführen - moderiert, die Menschen nach Gott befragt und ein Francis Fulton-Smith als Pontius Pilatus, der zum Ende von "Die Passion" mehr als anschaulich und mit allen Horror-Details berichtet, wie brutal eine Kreuzigung damals ablief und damit sogar Kinder im Publikum zum Weinen bringt - Ist das wirklich euer Ernst, RTL? Beim Anschauen dachte ich mir so oft: "Nein, DAS machen die jetzt nicht wirklich!" und immer wenn ich dachte, es kann nicht unangenehmer werden, setzte "Die Passion" noch einen drauf. Ein kluger Schachzug war hingegen die Besetzung von Judas durch Jimi Blue Ochsenknecht, der in den letzten Wochen durch den Clinch mit seinem Familien-Clan und Ex-Freundin Yeliz Koc für krasse Schlagzeilen gesorgt hatte.

Und trotz aller Kritik meinerseits blieb ich von Anfang bis Ende dabei, selbst die ständigen Werbepausen hielten mich nicht davon ab, "Die Passion" bis zum Ende zu schauen. Immer wieder schwankte ich zwischen: "Bitte lass es schnell vorbei sein" und "Bitte lass es niemals enden", denn: Vor allem diese Skurrilitäten in der Gesamtinszenierung waren es, die mich an den Fernseher fesselten und mich zwischen Belustigung, Fremdscham und Fassungslosigkeit hin und her switchen ließen - nahezu besser als jede Reality-Show. Vielleicht war das auch genau so von RTL geplant, bei X (ehemals Twitter) überschlugen sich die Reaktionen und der Hashtag "#DiePassion" landete am Abend auf Platz eins der Trends, was auch für eine hohe Einschaltquote sprechen dürfte. Neben all dem Spott gibt es außerdem auch zahlreiche Menschen, die sich von der modernen Bibelgeschichte abgeholt fühlten. Und so schlimm ich "Die Passion" in der Umsetzung auch fand, würde ich wahrscheinlich wieder einschalten - allein schon wegen des Austauschs mit meinen Kolleginnen in unserer WhatsApp-Gruppe in über 150 Nachrichten. Die Wege des Herrn sind eben unergründlich ...