Wulff wirbt für mehr Einsatz für die Demokratie: Von der Tribüne aufs Spielfeld kommen
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Wulff wirbt für mehr Einsatz für die Demokratie: Von der Tribüne aufs Spielfeld kommen

Königsbronn / Lesedauer: 4 min

„Schicksalsjahr 2024“: Was Europa tun müsste, um auf Kriege und Krisen zu reagieren. Das war Thema bei den elften Königsbronner Gesprächen.
Veröffentlicht:21.04.2024, 14:29

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Eigentlich sollte es um Europa gehen. Genauer gesagt um die Europäische Union vor den Europawahlen 2024. Doch auch bei den elften Königsbronner Gesprächen, die vom CDU-Politiker Roderich Kiesewetter zusammen mit dem Bildungswerk des Deutschen Bundeswehrverbands und der Konrad-Adenauer-Stiftung Baden-Württemberg organisiert wurden, zeigte sich: Letztlich dominiert der Ukraine-Krieg jede politische Debatte über Europa.

Denn mit dem Angriff auf die Ukraine hat der russische Präsident Wladimir Putin auch den Zusammenhalt und die Verteidigungsfähigkeit der Europäer auf die Probe gestellt. Und in beiden Punkten sei Luft nach oben, waren sich die Gäste aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft am Samstag in Königsbronn weitgehend einig.

Christian Wulff, Bundespräsident a. D. treibt zudem ein anderes Thema um: Er sieht die Demokratie in Gefahr, weil immer weniger Menschen dazu bereit seien, sich für dafür zu engagieren - beispielsweise in Parteien. Vor der Wiedervereinigung habe es drei Millionen Parteimitglieder bei 62 Millionen Einwohnern gegeben, diese Zahl sei bei 84 Millionen Einwohnern auf 1,1 Millionen Parteimitglieder geschrumpft. Es müssten wieder mehr „den Sprung von der Tribüne auf Spielfeld wagen“, damit auch künftige Generationen in Freiheit und Frieden leben könnten, forderte Wulff.

Explizit warnte er auch vor den „perfiden Strategien“ von Autokraten und Diktatoren, die einerseits ihre eigene Bevölkerung ins Exil trieben und andererseits in den Aufnahmeländern rechte Parteien unterstützten, die sich gegen Migration positionieren. „Wenn wir diesen Angriffen gewachsen sein wollen, müssen wir eine Schippe drauflegen“, sagte Wulff, der von 2010 bis 2012 Bundespräsident war. Das Jahr 2024 sei ein Schicksalsjahr für die Ukraine, aber - wegen der anstehenden Wahlen - auch für Europa, Deutschland und die USA. Wenn Europa „nur auf Trümmern“ möglich sei, aber nicht „zwischen Fernsehen und Laptop“, wäre dies verhängnisvoll und zerstörerisch, sagte Wulff.

In den vergangenen Jahrzehnten hat der deutsch-französische Motor die Europäische Union vorangetrieben, gerade auch in Krisenzeiten. Doch dass dieser Motor stottert, kritisieren Politiker und Wissenschaftler jeglicher Couleur, nur Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) selbst scheint es anders zu sehen. Dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron und Scholz gelinge es nicht, ihre jeweiligen Stärken nach vorne zu bringen, sagte Anton Hofreiter (Grüne), Vorsitzender des Europaausschusses im Bundestag. „Im Gegenteil: Der eine bringt das jeweils Schlechte im anderen zum Vorschein. Das weiß Putin, und er nutzt das aus.“ Die Positionen von Scholz und Macron hätten sich in den vergangenen zwei Jahren unterschiedlich entwickelt. Der französische Präsident sei inzwischen der Überzeugung, „dass verhindert werden muss, dass Russland den Krieg gewinnt“, sagte der Politikwissenschaftler Joseph de Weck. Diese Veränderung habe es bei Scholz nicht in gleichem Maße gegeben.

Warum Deutschland den Ukrainern die erbetenen Taurus-Marschflugkörper nicht liefert, konnte Hofreiter auch in Königsbronn nicht erklären. Die von Scholz vorgetragenen Argumente seien „technisch falsch“, so Hofreiter. Er wisse, dass das Bundeskanzleramt dies wisse. „Deshalb würde ich sagen, die Verantwortung liegt beim Kanzler“, so Hofreiter.

Wie wird es also weitergehen in diesem „Schicksalsjahr“? Wie werden die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf die Herausforderungen reagieren? Werden in Zeiten knapper Kassen den Ankündigungen, die europäische Verteidigungsfähigkeit voranzutreiben, Taten folgen? Die CDU-Bundestagsabgeordnete Inge Gräßle, zuvor viele Jahre Mitglied im europäischen Parlament, zeigte sich eher skeptisch denn optimistisch, denn die Mitgliedsstaaten müssten es wirklich wollen - und „nicht stoppen“. „Das Ausmaß des Versagens wird auf die EU abgeladen, obwohl sie nichts dafür kann“, sagte sie. Der FDP-Politiker Michael Link, Koordinator der Bundesregierung für die transatlantische Zusammenarbeit, forderte ganz konkret, sich in Deutschland von den restriktiven Richtlinien für Rüstungsexporte zu verabschieden, um besser mit Frankreich zusammenarbeiten zu können.

„Der Verteidigungshaushalt ist und bleibt elementar und wird zeigen, ob Deutschland in diesem Jahr sich richtigen Schlüsse zieht“, sagte Andre Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbands. Die Weltordnung sei in einem „epochalen Umbruch“. Auf den Ausgang der Wahlen in den USA zu warten, sei die falsche Strategie, um darauf zu reagieren - auch in diesem Punkt waren sich die Diskutanten einig. Europa müsse hier und jetzt handeln, um zu zeigen, „dass wir da sind“, forderte der Politologe de Weck.