Vaterunser. Gebet meiner Sehnsucht – Beatrice von Weizsäcker

Vaterunser. Gebet meiner Sehnsucht – Beatrice von Weizsäcker

06.05.2023 |

„Dein Wille geschehe.“ Die dritte Bitte im Vaterunsergebet ist wohl die größte Zumutung, wenn Menschen mit ihrem Schicksal hadern und ein Sinn in dem, was ihnen widerfährt, unerreichbar scheint.

Quelle:  Unsplash:Niklas Ohlrogge/Verlag Herder/KBL
 
Doch im Vergleich mit anderen geistlichen Texten und Gebeten der christlichen Tradition besitzt diese ausformulierte Hinwendung zu Gott als „unser Vater“ unerreichte Autorität: So hat Jesus selbst seine Jünger (und damit uns) gelehrt, wie wir beten sollen (Matthäus 6, 9-13; Lukas 11, 1-4).

„Seit Berlin fällt es mir schwerer, beim Vaterunser zu beten, dein Wille geschehe. Seither bin ich vorsichtiger geworden, ja misstrauischer.“ Das Stichwort „Berlin“ bezieht Beatrice von Weizsäcker auf den Abend des 19. November 2019, an dem sie ihren jüngeren Bruder Fritz durch ein Attentat verlor. 2008 war bereits ihr älterer Bruder Andreas an Krebs gestorben, mit ihm stand sie in enger Verbindung. „Trotzdem betete ich in jener Zeit ‚dein Wille geschehe‘. Ich tat es für mich. Ich betete die Worte, weil ich selbst keine Worte mehr hatte ...“ 

In ihrer Auseinandersetzung mit dem Gebet, „das Jesus selbst uns gelehrt hat“ durchleuchtet Beatrice von Weizsäcker (Jahrgang 1958) jede einzelne Bitte, verortet den Sitz in ihrem Leben und womit sie sich schwertut. Ihr genügt es nicht, das Vaterunser „nur zu beten“; der Glaube gehöre dazu. „Und da beginnt das Problem ... Was heißt: dein Reich, dein Wille, unser tägliches Brot? Wie ist das mit der Schuld? Kann ich vergeben? Nicht eine lässliche Sünde, sondern meinem ärgsten Feind? Muss ich es gar, weil Gott mir sonst nicht vergibt?“ Weizsäcker, langjähriges Präsidiumsmitglied des evangelischen und des ökumenischen Kirchentags, trat Anfang 2020 zum katholischen Glauben über. Auch dieser Prozess gehört zu diesem Buch.                
 
Brigitte Böttner
 
Beatrice von Weizsäcker, „Vaterunser. Gebet meiner Sehnsucht“, Herder Verlag, Freiburg 2023, 175 Seiten, 18 Euro.
Konradsblatt