Zum Sonntag: Irritation in der Fastenzeit | Zum Sonntag | Bayern 2 | Radio | BR.de

Bayern 2 - Zum Sonntag


0

Zum Sonntag Irritation in der Fastenzeit

Eigentlich ist die Fastenzeit eine Zeit der Besinnung. Eine Zeit der Stille. Doch es ist zu laut für die Stille. Es passiert zu viel, um sich zu besinnen. Und: Es passiert alles gleichzeitig, findet Beatrice von Weizsäcker.

Von: Beatrice von Weizsäcker

Stand: 11.03.2023

Beatrice von Weizsäcker | Bild: privat

Im Münchner Dom gibt es seit Aschermittwoch eine Ausstellung. In einer Seitenkapelle der Kirche befindet sich ein Tisch mit einer Arbeitsplatte, darauf sind Werkzeuge und ein Holzbrett, eine Lampe, die leuchtet, eine Kerze, die brennt, und lauter kleine Figuren. In sieben Reihen liegen sie, dicht nebeneinander. Es sind winzige Menschen aus Ton. "Die Liegenden" heißt die Installation einer italienischen Künstlerin. Entstanden sind sie in der Corona-Zeit. Jeden Tag kam eine neue Figur hinzu. Keine gleicht der anderen. Sie liegen da, verletzlich, zerbrechlich und schutzlos.

Immer wieder kommen Besucher vorbei. Nur wenige bleiben stehen, die meistens nicht lange. Sie schauen und stutzen. Sie lesen das Faltblatt und gehen weiter. Manche scheinen irritiert zu sein. Das ging mir genauso.

Denn was da entstanden ist, passt keineswegs nur zur Pandemie. Es passt auch heute, Tag für Tag. Passt zur Irritation, die die Welt um uns mit sich bringt. Der Krieg gegen die Ukraine mit seinen ungezählten Todesopfern, der nun schon mehr als ein Jahr dauert, trotz aller Bemühungen und Sanktionen, Friedensgebete und Waffen.

Dann das verheerende Erdbeben in der Türkei und in Syrien, das über den Jahrestag der russischen Invasion fast in Vergessenheit geraten ist. Mehr als 50.000 Menschen haben dort ihr Leben verloren. Und wer überlebte, hat kein Zuhause mehr. Überall ist Schutt, herrschen Chaos, Verwirrung, Verzweiflung.

In den Trümmern der Türkei gibt es Farbtupfer

Mittendrin aber gibt es Farbtupfer. Ehrenamtliche haben in den Trümmern zerstörter Gebäude und Straßen in der türkischen Provinz Hatay rote, blaue und rosafarbene Luftballons angebracht, einen für jedes tote Kind. Sie befestigten die Ballons an Kabel und Metallteile, die aus der Erde ragen. Es ist ein Projekt eines türkischen Fotografen. „Mein letztes Geschenk an die Kinder“ nennt er es. Es ist herzzerreißend.

Es ist eine irritierende Zeit, in der man sich wie die Liegenden im Münchner Dom fühlt – klein und schutzlos. Und: überfordert.

Dabei ist die Fastenzeit, die mit dem Aschermittwoch begonnen hat, eine Zeit der Besinnung und der Umkehr. Eine Zeit des Innehaltens und der Stille. Doch es ist zu laut für die Stille. Es passiert zu viel, um sich zu besinnen. Und: Es passiert alles gleichzeitig.

Alles hat seine Zeit, heißt es in der Bibel. Geboren werden und sterben. Töten und heilen. Zerstören und bauen. Weinen und lachen. Klagen und tanzen. Suchen und verlieren. Schweigen und reden. Lieben und hassen. Krieg und Frieden. Alles hat seine Zeit.

Doch was, wenn alles Negative gleichzeitig ist? Wenn das Töten und Sterben, das Zerstören und Weinen, das Klagen und Schweigen, der Hass und der Krieg, wenn das alles zur selben Zeit kommt? Was, wenn es zu viel für uns ist? Und wir uns fragen: Wo ist eigentlich Gott?

Fastenzeit heißt auch: an die Leidenszeit Jesu erinnern

Vielleicht liegt die Antwort ja in der Fastenzeit. Und vielleicht kommt die ja doch zur richtigen Zeit, gerade jetzt. Denn es geht nicht nur ums Innehalten. Es geht auch ums Erinnern. Das Erinnern an die Passion Jesu. An sein Leid, die Kreuzigung, den Tod. Das ist doch der Inhalt der österlichen Bußzeit: dass Leben und Sterben zusammengehören. Aber auch, dass es die Auferstehung gibt. Hoffnung. Selbst wenn es manchmal schwer ist, daran zu glauben.

Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, heißt es am Ende der vorhin zitierten Bibelstelle; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.

Vielleicht ist das das Geheimnis der Fastenzeit in diesem Jahr. Wir können Gottes Werk nicht verstehen. Darum müssen wir auch nicht irritiert sein, wenn wir innehalten und alles zu viel für uns wird.

Denn eines ist sicher: In vier Wochen kommt Ostern, das Fest der Auferstehung. Und damit die Gewissheit, dass in Gottes Hand niemand klein und verletzlich ist. Und niemand zerbrechlich und schutzlos.

So wie die Liegenden im Münchner Dom.


0