Barry Gibb, der letzte überlebende Bee Gee, wird 75 Jahre alt

Seine Stimme prägte die grössten Hits der Bee Gees. Klassiker wie «Staying Alive» oder «Night Fever» wären ohne den Falsettgesang von Barry Gibb undenkbar. Am heutigen Mittwoch, dem 1. September wird der Sänger 75 Jahre alt.

Eher zufällig und relativ spät entdeckte Gibb seine Kopfstimme. Bei den Aufnahmen zu «Nights On Broadway» 1975 schlug Produzent Arif Mardin vor, den Refrain mit Hintergrundgesang zu ergänzen. Barry Gibb versuchte es und staunte über seinen eigenen beeindruckenden Stimmumfang. Ein neuer Bee-Gees-Sound war geboren.

Damals trug Frauenschwarm Gibb zu seinem strahlend weissen Lächeln das Hemd offen und die vollen Haare dauergewellt und hochgeföhnt. Von der Frisur ist heute nur ein wenig graues Resthaar übrig. Sein Lächeln zeigt Barry Gibb nicht mehr so häufig.

Der letzte überlebende Bee Gee, der am heutigen Mittwoch 75 Jahre alt wird, ist nachdenklich geworden. Maurice starb 2003, Robin 2012. Der jüngste Bruder Andy, der nie offizielles Mitglied der Band war, war schon 1988 gestorben.

Schon als Kind trat Barry Gibb in den 50er Jahren mit seinen Brüdern auf. Geboren am 1. September 1946 in Douglas auf der Isle of Man, lebt er mit seiner Familie einige Jahre in Manchester. Dort gründete er mit den drei Jahre jüngeren Zwillingen Robin und Maurice die Skiffle-Band The Rattlesnakes.

Als Zwölfjähriger wandert er mit der Familie nach Australien aus. Aus den Rattlesnakes werden die Bee Gees, die mit ihrem Harmoniegesang nicht nur dort für Aufsehen sorgen.

Für die Karriere der Söhne siedelt die Familie 1967 zurück nach Grossbritannien. Dort nimmt gerade die British Invasion mit Bands wie den Beatles und den Rolling Stones Fahrt auf. «Wir waren uns alle drei einig, dass wir um jeden Preis berühmt sein wollten», erinnert sich Gibb in einem Dokumentarfilm.

Noch im selben Jahr erscheint das internationale Debüt «Bee Gees' 1st» mit dem Megahit «To Love Somebody». Der Grundstein für die Weltkarriere ist gelegt, doch der Ruhm hat Schattenseiten. Die Harmonie existiert bald nur noch im Gesang der Bee Gees. Mit wachsendem Erfolg verschlechtert sich das Verhältnis der Brüder.

«Als wir berühmt wurden, habe ich aufgehört, Robin und sein Privatleben zu kennen, und genauso mit Maurice», klagt Gibb. «Wir haben nicht mehr dasselbe Leben gelebt.» Für kurze Zeit verlässt Robin sogar die Gruppe. Barry und er kommunizieren zeitweise nur durch Maurice miteinander – oder sprechen in der britischen Presse übereinander.

In den 70er Jahren kämpft das Trio mit Alkohol- und Drogenproblemen, kommerziell geht es auch bergab. «Es gab überhaupt kein Interesse mehr an uns», so Gibb – bis sich die Bee Gees 1975 neu erfinden. Ihr dreizehntes Album «Main Course», das komplett in den USA aufgenommen wird, enthält moderne Elemente – Funk, Soul und R&B. In «Nights On Broadway» und «Jive Talkin'» debütiert nicht nur Barrys Falsettgesang, sie sind auch Wegweiser für den Discosound.

Mit ihrem Beitrag zum Soundtrack des John-Travolta-Kultfilms «Saturday Night Fever» werden die Bee Gees dann ungewollt zu Ikonen der Disco-Bewegung. In nur wenigen Wochen produzieren sie drei Nummer-Eins-Hits: «Stayin' Alive», «How Deep Is Your Love» und «Night Fever». Dazu kommen «More Than A Woman» und «If I Can't Have You».

Die Band spielt weltweit ausverkaufte Konzerte, doch wieder hat der Erfolg auch eine Kehrseite. Die Bee Gees werden zum Hasssymbol der «Disco Sucks»-Bewegung und genervter Radio-Discjockeys. Barry Gibb erzählte vor kurzem im «Zeit»-Interview: «Nachdem Disco in Ungnade gefallen und wir angegriffen wurden, weil «Saturday Night Fever» überall war, mussten wir in Deckung gehen».

Die Band zieht sich für ein paar Jahre zurück. Die Brüder schreiben für andere Künstler. «Das half uns, zu überleben. Ausserdem war es ein Statement: Wir sind Songwriter, und zwar gute!»

Ein gutes Händchen hat Sir Barry, wie er sich seit dem Ritterschlag 2018 nennen darf, auch als Produzent. Für Barbra Streisand schreibt und produziert er 1980 ihr erfolgreichstes Album «Guilty». «Es war einfach das leichteste Album, das ich je gemacht habe», schwärmte Streisand erst kürzlich in einem BBC-Interview. 2005 nehmen die beiden den Nachfolger «Guilty Pleasures» auf.

Ein bisschen was vom markanten Bee-Gees-Stil ist stets erkennbar, etwa bei Dionne Warwicks «Heartbreaker» oder Diana Ross' «Chain Reaction». Mehr als 1000 Songs schrieb Barry Gibb mit seinen Brüdern, darunter 20 Nummer-Eins-Hits in den USA und Grossbritannien.

Für Gibb nur eine Zahl, die angesichts der schweren persönlichen Verluste an Bedeutung verliert. Er vermisst seine drei jüngeren Brüder. «Ich hätte sie lieber alle hier und dafür keinen einzigen Hit.»

Noch immer schreibt er neue Musik, wie er der «Zeit» verriet, wenn auch nicht mehr ganz so häufig. «Oft wache ich mitten in der Nacht auf, weil mir ein Song durch den Kopf rauscht. Ein Aufnahmegerät liegt immer neben meinem Bett.» Sein erst zweites Soloalbum «In the Now» erschien 2016.

Anfang 2021 veröffentlichte Barry Gibb das Duett-Album «Greenfields». Auf diesem singt er mit Stars wie Dolly Parton oder Keith Urban Bee-Gees-Songs im Countrystil.

Mit seiner zweiten Frau Linda, einer ehemaligen Miss Edinburgh, ist Gibb seit 1970 verheiratet. Das Paar lebt überwiegend in Miami und gelegentlich in Grossbritannien. Die beiden haben fünf Kinder. Sohn Steve (47) ist Gitarrist in der Band seines Vaters.

Bald will Barry Gibb, der 2017 beim ikonischen Glastonbury-Festival auftrat, auf die Bühne zurückkehren. «Ich kann es kaum erwarten, diesen Song wieder für euch zu spielen», schreibt er bei Instagram unter eine Live-Performance. Und er fragt, welche Lieder seine Fans hören wollen. «Stayin' Alive» garantiert!