Porträt: Bärbel Stolz, Berlins bekannteste Schwäbin
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Porträt: Bärbel Stolz, Berlins bekannteste Schwäbin

Baden-Württemberg / Lesedauer: 7 min

Porträt: Bärbel Stolz, Berlins bekannteste Schwäbin
Veröffentlicht:17.07.2015, 16:52

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Und plötzlich ist sie berühmt, diese Bärbel Stolz. Die zugereiste Berlinerin, die als Prenzlschwäbin mit ihren Videos immer wieder die Frage aufwirft: Ist die wirklich so, oder tut die nur so? Und die mit den vielen Ernährungs- und Erziehungsfimmeln jongliert, die man den jungen und hippen Berliner Familien am Prenzlauer Berg nachsagt. Und allem einen zauberhaften Schuss Schwabenklischee beimischt. Gegen die energiegeladene 38-Jährige wirkt der Herr Seitenbacher mit seiner Radio-Müsli-Werbung ein wenig eindimensional, um es höflich zu formulieren. Natürlich könnte Bärbel Stolz jetzt auf Knopfdruck die Prenzlschwäbin raushängen lassen. Selbstverständlich könnte sie im typischen Ton fragen „Isch des bio?“ oder „Des find ich jetzt ned so gut“. Aber Bärbel Stolz ist ja noch viel mehr als die Darstellerin einer Kunstfigur, die mit ihren Videos genau den Nerv der Zeit trifft.

Aber wer ist jetzt die Frau hinter den vielen Klicks im Internet? An der Tür flüstert sie behutsam, denn das Baby ist gerade eingeschlafen. Schuhe ausziehen? „Ja, das wäre mir sehr recht, weil die Kinder am Boden krabbeln.“ Eine große Wohnküche mit bunt zusammengewürfelten Möbeln. Viel Kinderspielzeug in allen Ecken. Müsli auf der Theke, BioMilch und viel Gemüse im Kühlschrank. Eine ganz normale, moderne Berliner Familie, oder?

Das Hochdeutsch von Bärbel Stolz ist bei der Begrüßung dermaßen lupenrein, dass es sich tatsächlich filmreif anhört. Ist es ja auch, denn die Schauspielerin hat schon in vielen Serien und im Kino ganz unterschiedlichen Figuren ein Gesicht gegeben. „Türkisch für Anfänger“, „Fack Ju Göhte“, „Verliebt in Berlin “ oder „Dahoam is Dahoam“ – die Liste ist eigentlich lang genug, um schon ein bisschen berühmt sein zu können, denn ihre Arbeit auf Bühnen und vor der Kamera hat bereits kurz nach dem Abitur begonnen.

Die Schauspielausbildung absolvierte Stolz an einer der berühmtesten Schulen in Europa – der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Und so hat sich die Künstlerin bereits in den wilden Zeiten kurz nach der Wende in der Hauptstadt niedergelassen. Sie ist also genauso viel oder wenig Berlinerin wie die meisten, die heute darüber meckern, von den Schwaben aus ihren Altbauwohnungen verdrängt zu werden.

Warum aber hat sie erst als Kunstfigur auf dem Internet-Videoportal Youtube in Erscheinung treten müssen, um berühmt zu werden? Fast ein bisschen hilflos zuckt Stolz mit den Schultern, stellt sich an die Espressomaschine, dampft Milch zu einem samtigen Schaum auf und sagt selbstkritisch: „Bis jetzt ist es wirklich nicht die ganz große Karriere.“ Sie sagt das allerdings mit einer Zufriedenheit, die nicht die geringste Verbitterung anklingen lässt, im Gegenteil. Das, was jetzt gerade durch den ungeheuren Erfolg der Videos passiere, sei einfach nur schön. Stolz wirkt, als könne sie dieses Glück genießen, während sie die Brezeln auf den Frühstückstisch legt. Ein Glück, von dem die kleine Familie regelrecht überfahren worden ist. Denn der erste Film, entstanden 2013 und nur eine Minute lang, war als eine Art Bewerbungsvideo gedacht. Damit Produktionsfirmen, die nach Schauspielern suchen, sich ein Bild von potenziellen Kandidaten machen können. „Ja, das war das Integrationsvideo“, erinnert sich die Schauspielerin. In dem kleinen Clip gibt sie eine schwäbelnde Kursleiterin, die sich um Integration von Schwaben in Berlin bemüht. Und einmal wechselt sie auch in den typischen Dialekt der Berliner – was von ihrer Bandbreite und außergewöhnlichem Sprachgefühl zeugt. Und ohne es damals auch nur zu ahnen, war die Prenzlschwäbin geboren – ein Begriff, den Ehemann Sebastian Stolz geprägt hat.

Seither erscheinen in loser Folge immer wieder neue Clips, von denen einer vor knapp vier Monaten so richtig eingeschlagen hat. Das Video mit dem schönen Titel „Shit Prenzlschwaben Say“ schoss regelrecht durch die Decke. 400 000 Menschen haben es sich bislang angesehen. Zeitungen haben es auf ihren Internetportalen präsentiert und in den sozialen Netzen. Seitdem hat sich eine Menge bewegt im beruflichen Leben von Bärbel Stolz. Rollenangebote – vornehmlich als unüberhörbare Schwäbin, Interviews, Zuspruch von allen Seiten, aber auch Anfeindungen von Menschen, die ihre Videos mit blankem Hass kommentieren. „Teilweise sind es eben Stinkstiefel, die bewusst nach etwas suchen, worüber sie sich aufregen können. Teilweise sind es Leute, die finden es einfach absolut unwitzig – da unterstelle ich mal, sie verstehen die Ironie, die in den Clips steckt, einfach nicht. Oder glauben sogar, dass ich mich hier eins zu eins abbilde“, sagt Stolz, die auf das Lesen von Kommentaren inzwischen weitgehend verzichtet. Wenn sie auf der Straße angesprochen wird, sind die Reaktionen aber durchweg positiv: „Wenn, dann werde ich total freundlich angesprochen von den Leuten. Die sagen, sie finden es total lustig und mutig. Und die meisten schenken mir dann noch eine lustige Geschichte, die sie selbst erlebt haben.“

Aber natürlich sehe und erlebe sie auch, wie alteingesessene Ur-Berliner aus den angesagten Vierteln durch explodierende Mieten an den Rand gedrängt würden. „Aber das kann man doch nicht den Schwaben anlasten, die wie jeder andere auch das Recht haben, dort zu wohnen, wo sie es schön finden.“ Übrigens: Sie selbst wohnt gar nicht in Prenzlauer Berg, was ein weiterer Beleg dafür ist, dass die Prenzlschwäbin eine Kunstfigur ist und nur eine Facette von Bärbel Stolz.

Sprache, Schauspiel, Schwabenliebe – das alles sind Komponenten ihrer Person, die ihren Ursprung im Elternhaus haben. Geboren ist die Künstlerin in Esslingen, aufgewachsen in Hayingen. Jenem Ort auf der Schwäbischen Alb, der berühmt ist für sein Naturtheater. Gegründet hat es der Großvater von Bärbel Stolz. „Der war eigentlich Schuhmacher, hat sich dann aber entschlossen, Schriftsteller zu sein.“ Das Theatervirus hat dann auch den Vater, Martin Schleker, infiziert, der durch eigene Stücke und Inszenierungen das Naturtheater Hayingen über die Grenzen der Alb hinaus zu einem Begriff gemacht hat. Allerdings war eine Schauspielerfamilie im Dorf nicht eben das, was auf ungeteilte Begeisterung stieß. Bärbel Stolz erinnert sich daran, wie sie als Kind im Arbeitszimmer des Vaters eine Postkarte entdeckt, die er aufgehängt hatte: „So eine Drecksau ist in unserem Dorf nicht erwünscht“, stand auf der Rückseite. Als die kleine Bärbel fragt, warum er sich so etwas an die Wand hängt, meinte der Vater nur: „Ich finde es wichtig, sich daran zu erinnern.“ Warum aus Bärbel Stolz also die Kunstfigur Prenzlschwäbin werden konnte, hat viel mit ihrer Herkunft zu tun. Ebenso ihr Umgang mit Kritik. In zwei Videos reagiert sie auf Angriffe in ihrer schwäbisch-lakonischen Art. Auch diese Clips sind inzwischen Hits.

Warum die Filme so unverkrampft authentisch und zugleich so professionell wirken, hat indes mit Ehemann Sebastian Stolz zu tun. Der ist nicht nur Redakteur beim Nachrichtensender N24, sondern auch der Vater der filmischen Umsetzung – von der Regie, zum Schnitt bis hin zur Musik. Und weil selbst der dreijährige Sohn Karl schon in Erscheinung getreten ist, ist die Prenzlschwäbin ein waschechtes Familienprojekt, das sich gerade auch ein bisschen zum Familienunternehmen auswächst: Der Schwager in Ravensburg stellt derzeit T-Shirts mit den markantesten Sprüchen her. Außerdem schreibt Bärbel Stolz gerade an einem Erzählband, in dem sie den kulturellen Zusammenprall von Berlinern und Schwaben in verschiedenen Geschichten ausbreitet. Und was kommt dann sonst noch? „Es ist natürlich denkbar, die Prenzlschwäbin künftig auch in anderen Formaten auftreten zu lassen“, sagt Bärbel Stolz vielsagend, ohne konkret zu werden.

Die Schauspielerin gießt noch mal Kaffee nach. Das Babyphone auf dem Frühstückstisch gibt gurrende Geräusche von sich. Schnell schlüpft die Mama ins Schlafzimmer und holt ihre kleine Tochter: stahlblaue Augen und freundliches Lächeln. Im Gegensatz zu den Eltern in ihren Videos heißt sie nicht „Wikipedia“, „Gwyneth“ oder „Xenia-Adelheid“. „Das ist unsere Jüngste“, sagt Bärbel Stolz, und ihre Luise verschenkt ein Freudestrahlen. Und auf einmal ist die Prenzlschwäbin ganz weit weg. Denn auf die Frage, welches ihre bislang wichtigste und erfolgreichste Rolle war, hält Bärbel Stolz nur das Kind in die Höhe.