5.1 Öffentlich und Öffentlichkeit: Definition und Begriffsgeschichte

Der Begriff Öffentlichkeit ist im deutschen Sprachraum im 18. Jahrhundert entstanden. Er umfasste als Kollektivsingular das, was der Allgemeinheit zugänglich sein sollte und was der Staat nicht mehr als geheim reklamieren konnte. Öffentlichkeit ist somit das Produkt eines Prozesses gesellschaftlicher Differenzierung, der mit der Moderne beginnt (vgl. grundlegend Imhof 2011). Verstanden als Rede-, Meinungs-, Presse- und Versammlungsöffentlichkeit, wurde von der liberal-bürgerlichen Bewegung des 18. Jahrhunderts Öffentlichkeit angestrebt und als Prinzip gegenüber dem absoluten Staat Stück für Stück durchgesetzt. Mit der Entwicklung der Gesellschaft zur modernen Massengesellschaft, die unterschiedliche soziale Gruppen umfasst, verwandelte sich Öffentlichkeit auch zu einem sozial-räumlichen Begriff. In der Literatur wird Öffentlichkeit häufig mit den Metaphern eines Forums oder Netzwerkes umschrieben (vgl. u. a. Friemel und Neuberger 2021; Jünger 2018, S. 11–23).

Öffentlichkeit

„Die Öffentlichkeit lässt sich am ehesten als ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen, also von Meinungen beschreiben; dabei werden die Kommunikationsflüsse so gefiltert und synthetisiert, dass sie sich zu themenspezifisch gebündelten öffentlichen Meinungen verdichten“ (Habermas 1992, S. 436).

„(Politische) Öffentlichkeit besteht aus einer Vielzahl von Kommunikationsforen, deren Zugang prinzipiell offen und nicht an Mitgliedschaftsbedingungen gebunden ist und in denen sich individuelle und kollektive Akteure vor einem breiten Publikum zu politischen Themen äußern. Das Produkt der Kommunikationen in der Öffentlichkeit bezeichnet man als öffentliche Meinung, die man von den aggregierten Individualmeinungen der Bürger unterscheiden kann“ (Gerhards 1998, S. 694).

„Unter Öffentlichkeit wird ein Kommunikationssystem verstanden, das prinzipiell für alle Mitglieder einer Gesellschaft offen und auf Laienorientierung festgelegt ist“ (Gerhards und Neidhardt 1990, S. 17).

„Öffentlichkeit definiere ich demzufolge als Verständigungsprozess der Gesellschaft über sich selbst. Durch die Thematisierung, Verallgemeinerung und Bewertung von Erfahrungen werden im Prozess Öffentlichkeit gesellschaftliche Wirklichkeitskonstruktionen verhandelt, gefestigt, ent- oder verworfen, die Regeln und Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, also konsensuale soziale Werte, aufgestellt, bestätigt oder modifiziert, sowie kulturelle Ziele überprüft und kulturelle Identitäten geschaffen“ (Klaus 2001, S. 20).

Die Herausbildung und Geschichte demokratischer politischer Systeme ist durchzogen von Auseinandersetzungen um die Grenzziehung zwischen öffentlichen und privaten Handlungsbereichen: Was soll durch die Öffentlichkeit im Sinne einer politischen Gemeinschaft verbindlich geregelt und entschieden werden? Was soll dem privaten Bereich an Handlungsfreiheit überlassen bleiben? Inwieweit schadet oder nützt eine Vermischung öffentlicher und privater Bereiche sowohl dem Individuum als auch der Gesellschaft?

Öffentlichkeit ist somit nicht vorrangig ein beschreibbares, empirisches Phänomen, sondern ein normatives Postulat und ein anzustrebender Zustand. In den Sozialwissenschaften wird der Begriff Öffentlichkeit sowohl normativ als auch empirisch-analytisch, also sehr unterschiedlich verwendet. Aber auch in empirisch-analytischen Zusammenhängen tritt Öffentlichkeit keineswegs als wertfreie Kategorie in Erscheinung. Normative Vorstellungen oder Verwendungszusammenhänge aus der Alltagskommunikation können vom Verständnis von Öffentlichkeit nicht getrennt werden. Normative Vorstellungen von Öffentlichkeit liegen auch den meisten wissenschaftlichen Studien – wenn nicht explizit, so doch implizit – zugrunde. Das erfordert eine Auseinandersetzung mit den jeweiligen normativen Prämissen.

Öffentlichkeit, weitgehend von den Medien hergestellt, aber eben nicht allein von ihnen definiert und bestimmt, kann als ein offenes Kommunikationsforum begriffen werden (vgl. Neidhardt 1994). Öffentlichkeit ist nicht spezifisch institutionalisiert, es gibt also keine eigene Instanz dafür. Öffentlichkeit ist aber dennoch sozial dauerhaft vorhanden, weil sie eng mit gewissen Strukturen, Akteuren und Themen korreliert ist und dauerhaft von den Bürgerinnen und Bürgern gleichsam beobachtet und somit „nachgefragt“ wird. Öffentlichkeit ist und funktioniert insoweit wie ein intermediäres System: Sie vermittelt zwischen den einzelnen Teilen der Gesellschaft wie auch zwischen den unterschiedlichen Organisationen (vgl. Habermas 2006). Im Zuge des Vermittlungsprozesses wird öffentliche Meinung erzeugt, d. h. eine Meinung, die sich in den Arenen öffentlicher Meinungsbildung weitgehend durchzusetzen vermag („herrschende Meinung“). Öffentlichkeit als ein intermediäres System konstituiert sich durch den Austausch von Informationen und Meinungen durch Personen, Gruppen und Organisationen, durch prinzipielle Zugangsoffenheit für alle Akteure, durch Offenheit für potenziell alle Themen („Laienöffentlichkeit“) und durch die Möglichkeit der Teilnahme im Kreis der Anwesenden wie auch der Teilhabe im Kreis der Abwesenden (zum Begriff des intermediären Systems siehe Kap. 6).

Öffentlichkeit als ein im Prinzip allen Individuen wie auch Akteuren gleichermaßen zugängliches Kommunikationssystem kann nach verschiedenen Akteuren und Rollen differenziert werden: Sprecherinnen und Sprecher, Vermittlerinnen und Vermittler und Publikum.

Sprecherinnen und Sprecher sind Angehörige kollektiver oder korporativer Akteure, die sich in der Öffentlichkeit zu bestimmten Themen zu Wort melden. Dabei können sie unterschiedliche Rollen wahrnehmen (vgl. Neidhardt 1994, S. 14). Sie können in der Öffentlichkeit auftreten als

  1. 1.

    Repräsentantinnen und Repräsentanten, die sich für gesellschaftlicher Gruppierungen und Organisationen äußern,

  2. 2.

    Advokaten, die ohne politische Vertretungsmacht im Namen von Gruppierungen auf- und deren Interessen vertreten,

  3. 3.

    Expertinnen und Experten mit wissenschaftlich-technischen Sonderkompetenzen,

  4. 4.

    Intellektuelle, die sozialmoralische Sinnfragen aufnehmen, oder

  5. 5.

    Kommentatoren; als solche bezeichnet Neidhardt Journalistinnen und Journalisten, die sich zu öffentlichen Angelegenheiten nicht nur berichtend, sondern auch mit eigenen Meinungen zu Wort melden.

Als Vermittler im klassischen Verständnis werden die Journalistinnen und Journalisten bezeichnet. Auch sie sind zunächst einmal Personen, aber sie wirken in ihrer überwiegenden Mehrzahl innerhalb von Organisationen. Sie arbeiten in Redaktionen und sind für Medienunternehmen auf Basis eines redaktionellen und publizistischen Programms tätig. Aufgrund dieser „Programmorientierung“ beobachten sie die soziale Entwicklung auf allen Öffentlichkeitsebenen, wenden sich an Sprecherinnen und Sprecher, greifen Themen auf und kommentieren diese. Kontinuierlich und entsprechend ihrer jeweiligen Umsetzung des redaktionellen und publizistischen Programms verfolgen sie systematisch gesellschaftliche Bereiche. Mit der Durchsetzung von Social-Media-Plattformen kommen neue Vermittler ins Spiel wie beispielsweise Portale, in denen die Vermittlungsleistung nicht mehr journalistisch, sondern anhand von Algorithmen vorgenommen wird. Auch Laien können vermehrt Vermittlungsfunktionen übernehmen. Die Erweiterung der Öffentlichkeit bringt neue Konstellationen von Intermediation bzw. Vermittlung mit sich, an denen technische, partizipative und professionelle Akteure beteiligt sind (vgl. Schmidt 2011, S. 138).

Das Publikum ist Adressat der Äußerungen von Sprechern und Vermittlern. Beide Akteursgruppen wollen die Aufmerksamkeit und – im Bereich der politischen Kommunikation – letztlich die Zustimmung des Publikums zu einer Maßnahme oder zu einer getroffenen Entscheidung erhalten. Erst durch die Anwesenheit eines Publikums wird Öffentlichkeit konstituiert. Die Beteiligung des Publikums und seine Zusammensetzung schwanken in Abhängigkeit von Themen und Meinungen, die in der Öffentlichkeit verhandelt werden, sowie von Sprecherinnen bzw. Sprechern und Medien. Allgemeine Merkmale des Publikums sind jedoch, (1.) dass sich das Publikum vorwiegend aus Laien zusammensetzt, und zwar umso mehr, je größer das Publikum ist, (2.) dass es sozial heterogen ist und (3.) in der Regel nicht organisiert ist. Letzteres bedeutet, dass es auch nicht als Akteur handeln kann: Es kann weder Ziele formulieren noch diese strategisch verfolgen. Die Sprecherinnen und Sprecher stehen ihrerseits vor dem Problem, sich der Laienorientierung des Publikums anpassen zu müssen, obwohl sie im Einzelfall gar nicht wissen, wer ihr Publikum ist. Allerdings sind durch die Ausbreitung von Onlinemedien und den Bedeutungszuwachs von Social-Media-Plattformen Publikumspräferenzen insgesamt transparenter geworden. Auf der einen Seite kann das Verhalten der Nutzerinnen und Nutzer im Netz wesentlich genauer und schneller analysiert werden als bei den traditionellen Medien, zum anderen stehen dem Publikum auch mehr Möglichkeiten zur Verfügung, seine Präferenzen zu artikulieren. Beck und Jünger (2019) bezeichnen dies als Publizitätsparadox:

„Je einfacher es ist, etwas (bzw. alles Mögliche) unselektiert zu publizieren, umso größer ist das Gesamtangebot des Publizierten. Da aber Rezeptionszeit und Aufmerksamkeit knappe Güter bleiben, sinkt – gerade durch die Umgehung bzw. den Wegfall professioneller Gatekeeper und professioneller Standards – die Chance gesellschaftlicher Wahrnehmung und gelingender Kommunikation. Zudem stellt sich die Frage der Glaubwürdigkeit im Netz […] dann noch stärker, wenn professionelle journalistische Standards – zum Teil gezielt – ignoriert werden“ (Beck und Jünger 2019, S. 21).

5.2 Öffentlichkeitstheorien

Theorien von Öffentlichkeit unterscheiden sich in ihren normativen Ansprüchen an deren Funktionen. Neidhardt (1994) hat auf drei mögliche Funktionsbestimmungen von Öffentlichkeit hingewiesen: In Anlehnung an Etzioni definiert er Öffentlichkeit als ein Kommunikationssystem, „in dem Themen und Meinungen (A) gesammelt (Input), (B) verarbeitet (Throughput) und (C) weitergegeben (Output) werden“ (Neidhardt 1994, S. 8). Für diese drei Prozesselemente lassen sich nach Neidhardt unterschiedliche normative Ansprüche formulieren:

  • Transparenzfunktion im Bereich des Inputs: „Öffentlichkeit soll offen sein für alle gesellschaftlichen Gruppen sowie für alle Themen und Meinungen von kollektiver Bedeutung.“

  • Validierungsfunktion im Bereich des Throughputs: „Öffentlichkeitsakteure sollen mit den Themen und Meinungen anderer diskursiv umgehen und ihre eigenen Themen und Meinungen unter dem Druck der Argumente anderer gegebenenfalls revidieren.“

  • Orientierungsfunktion im Bereich des Outputs: „Öffentliche Kommunikation, die von den Öffentlichkeitsakteuren diskursiv betrieben wird, erzeugt ‚öffentliche Meinungen‘, die das Publikum als überzeugend wahrnehmen und akzeptieren kann“ (Neidhardt 1994, S. 8–9).

Öffentlichkeitstheorien unterscheiden sich darin, welchen Stellenwert sie den einzelnen Funktionen zuweisen und welche normativen Ansprüche sie dazu erheben. Dazu gibt es unterschiedliche Typologien. Ferree et al. (2002) unterscheiden Öffentlichkeitstheorien danach, welches Verständnis von Demokratie ihnen zugrunde liegt. Sie kommen dabei auf vier Typen: repräsentativ-liberale, partizipatorisch-liberale, diskursive und „konstruktionistische“ (bei anderen Autorinnen und Autoren auch „agonistische“). Die Modelle unterscheiden sich je nach ihrer Antwort auf die Frage, was einen „guten“ öffentlichen Diskurs ausmacht: wer kommuniziert in welcher Weise und mit welchem Ergebnis? (vgl. auch Raupp 2021, S. 215; Wessler et al. 2020, S. 2–5) (Abb. 5.1).

Abb. 5.1
figure 1

(Quelle: Donges 2020; Ferree et al. 2002; Martinsen 2009; eigene Darstellung)

Normative Modelle von Öffentlichkeit.

5.2.1 Liberales Verständnis von Öffentlichkeit

Das liberale Verständnis von Öffentlichkeit korrespondiert mit der normativen Idee einer repräsentativen Demokratie. Ziel ist eine „vollständige Repräsentation der vorhandenen gesellschaftlichen Interessenströmungen“ (Martinsen 2009, S. 46), d. h. alle relevanten sozialen Gruppen müssen sich zu allen kollektiv bedeutsamen Themen äußern können. Der zentrale Wert des liberalen Modells ist die sogenannte Transparenzfunktion, d. h. die Abbildung aller Wortmeldungen in der Gesellschaft, ohne dass Gruppen systematisch ausgeschlossen werden. Nur Transparenz ermöglicht einen Wettstreit der Meinungen auf dem „Marktplatz der Ideen“. Martinsen vergleicht die Rolle der liberalen Öffentlichkeit mit einem Resonanzboden, der politischen Akteuren für ihre Entscheidungen relevante Informationen liefert, die Entscheidungen selbst aber nicht determiniert. Damit ist normativ auch impliziert, dass das Verhältnis der Sprecherinnen und Sprecher in der Öffentlichkeit den Interessenlagen in der Gesellschaft in etwa entsprechen sollte (Gerhards 1997, S. 10). Es geht dem liberalen Modell folglich nicht um die Teilnahme möglichst vieler Menschen an öffentlichen Diskursen, sondern um die Repräsentation von Interessen und Ideen. Insbesondere Dahrendorf (1993) hat argumentiert, dass die „aktive Öffentlichkeit“ immer nur einen kleinen Teil der Gesellschaft darstellt, ihr Anwachsen aber als Indikator für eine gesellschaftliche Krise verstanden werden kann. Daher „können die kollektiven Akteure, die durch Wahlen legitimiert sind, auch eine besondere Legitimation in der Öffentlichkeit für sich reklamieren. Die Stärke des Zentrums der Politik in der Öffentlichkeit wäre aus dieser Perspektive kein pathologischer Befund, sondern ganz im Gegenteil Ausdruck einer demokratischen Öffentlichkeit“ (Gerhards 1997, S. 10). Diese Verbindung von repräsentativer Demokratie und (liberaler) Öffentlichkeit steht damit aber zugleich in Gefahr, von Eliten dominiert zu werden und zu einer Schließung zu tendieren (vgl. Ferree et al. 2002).

Das liberale Verständnis von Öffentlichkeit kann auch aus einer systemtheoretischen Perspektive begründet werden. In der Vorstellung der Systemtheorie ist Öffentlichkeit ein Medium, das die Selbstbeobachtung und die Herstellung einer Selbstbeschreibung von Gesellschaft mittels Veröffentlichung von Themen ermöglicht (vgl. Gerhards 1994; Gerhards und Neidhardt 1990; Luhmann 2000; Marcinkowski 2002). Damit ähnelt das systemtheoretische Verständnis dem oben beschriebenen liberalen Paradigma, da es auf die Outputseite von Öffentlichkeit fokussiert und nach der Zurechenbarkeit von Kommunikationen in der Öffentlichkeit fragt. An die Stelle des Begriffs eines Resonanzbodens setzt Niklas Luhmann in einer frühen Publikation das Bild des Spiegels (daher oft auch Spiegelmodell der Öffentlichkeit): Wie durch einen Spiegel sieht ein Beobachter der Öffentlichkeit nicht nur, wie er selbst in der öffentlichen Meinung abgebildet wird, sondern er „sieht auch die Konkurrenten, die quertreibenden Bestrebungen, die Möglichkeiten, die nicht für ihn, aber für andere attraktiv sein könnten“ (Luhmann 1990, S. 181). Dies ist vor allem für jene Akteure relevant, die auf ein breites Publikum angewiesen sind, beispielsweise weil sie durch Wahlen Legitimation erhalten müssen. Zum einen nutzen vor allem politische Akteure die Medien, um zu erfahren, welche Themen in der Gesellschaft relevant und wichtig sind. Zudem erfahren sie über die Medien, was andere Akteure für Positionen vertreten. Sie benötigen diese Informationen, um politisch selbst handeln zu können. Zum anderen nutzen politische Akteure die Medien, um beabsichtigte Entscheidungen vorzubereiten, die Bürgerinnen und Bürger quasi einzustimmen, oder getroffene Entscheidungen so zu begründen, dass sie allgemeine Zustimmung erhalten. Politische Akteure lösen ein Stück weit die mit jedem sozialen Handeln und insbesondere mit dem politischen Handeln verbundenen Ungewissheitsprobleme durch die „Nutzung“ und „Beobachtung“ der Öffentlichkeit. Daher ist politische Öffentlichkeitsarbeit für sie generell von großer Bedeutung.

Beobachtung der Öffentlichkeit durch Politik (Jürgen Gerhards)

Das Handeln politischer Akteure wird wesentlich dadurch geprägt, dass sie von den Massenmedien beobachtet werden: „Akteure des politischen Systems beobachten aber nicht nur sich und die anderen Akteure des politischen Systems durch Beobachtung der Massenmedien, sondern sie handeln in der Folge oder in der Antizipation dessen, dass sie wissen, dass sie beobachtet werden; sie kommunizieren im Hinblick auf die Tatsache, dass es ein Beobachtungssystem gibt, und sie versuchen selbst mit ihren Handlungen, das Bild in den Medien zu gestalten“ (Gerhards 1994, S. 97).

Normativ betrachtet lässt sich im systemtheoretischen Modell nur die Forderung nach Offenheit auf der Inputseite (Transparenzfunktion) sowie Zurechenbarkeit auf der Outputseite ableiten, während über die diskursive Validierung durch überzeugende Argumente keine Aussagen gemacht werden. Entscheidend ist aus systemtheoretischer Sicht nur, dass in dem „Spiegel Öffentlichkeit“ alle Akteure und Meinungen abgebildet werden und die Selbstbeobachtung der Gesellschaft nicht durch den systematischen Ausschluss einzelner Gruppen oder Meinungen beeinträchtigt wird.

5.2.2 Deliberatives Verständnis oder Diskursmodelle

Das deliberative Verständnis von Öffentlichkeit orientiert sich sehr stark an Jürgen Habermas’ (1990, 1992) Arbeiten, die auf der sogenannten Diskurstheorie aufbauen. Daher wird das Modell in einigen der hier zitierten Texte auch als „diskursive Öffentlichkeit“ bezeichnet (vgl. Gerhards 1997), beide Begriffe werden hier synonym verwendet. In dem Modell ist vor allem die Validierungsfunktion der öffentlichen Kommunikation wichtig. Dabei wird angenommen, dass es durch einen freien Diskurs, in dem Behauptungen begründet und hinterfragt werden, zu einer höheren Form der Rationalität kommt. Partizipation steht damit unter dem Vorbehalt, dass sich die Teilnehmenden an gewisse Stilstandards halten: zivil, vernünftig, universalistisch, unter Beachtung der Geltungsansprüche Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit, die Habermas (1988) an anderer Stelle in der Theorie des kommunikativen Handelns formuliert hat. Auch dem deliberativen Modell kann daher eine Tendenz zur elitären Schließung unterstellt werden, sofern sich nicht alle Diskursbeteiligten an diesen Stilstandards orientieren. Den Medien wird die Aufgabe zugewiesen, die Rationalität der Debatte zu unterstützen und die Rolle eines „Anwaltes“ des Diskurses wahrzunehmen (vgl. Brosda 2010).

Die Grundlagen des Modells hat Jürgen Habermas bereits in seinem 1962 erstmals erschienenen Buch „Strukturwandel der Öffentlichkeit dargestellt. Habermas unterscheidet einen sozialen Strukturwandel und einen politischen Funktionswandel der Öffentlichkeit. Idealtypisch charakterisiert Habermas die bürgerliche Öffentlichkeit als „Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“ (Habermas 1990, S. 86), die aus einer literarischen Öffentlichkeit in Form von Salons, Debattierzirkeln etc. hervorgeht. Diese bürgerliche Öffentlichkeit wendet sich zunächst in der Aufklärungsbewegung gegen die absolutistische Herrschaft des Adels, wird aber dann selbst durch mächtige Akteure aus Staat, Politik oder Wirtschaft okkupiert. Habermas diagnostiziert hier eine „Refeudalisierung“ der Öffentlichkeit, die auch durch die Massenmedien bewirkt werde. An die Stelle des kritischen Diskurses der bürgerlichen Öffentlichkeit trete die Manipulation eines entmachteten Publikums (vgl. Habermas 1990). Zum Zeitpunkt der Abfassung des „Strukturwandels der Öffentlichkeit“ war Habermas noch sehr stark von der Tradition der Kritischen Theorie geprägt, insbesondere durch Adornos und Horkheimers Thesen zur Kulturindustrie. Ferner überstilisierte er den Idealtypus der bürgerlichen Öffentlichkeit und ihrer Rationalitätspotenziale, so dass ihm die Heterogenität des bürgerlichen Publikums der Aufklärungsära und die verschiedenen Formen von Gegenöffentlichkeit, die sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts abzeichneten, entgingen. Anlässlich einer Neuauflage des Buches 1990 revidierte er selbstkritisch einen Teil seiner Prognosen von 1962 (vgl. Habermas 1990, S. 30).

Das deliberative Modell der Öffentlichkeit macht normative Aussagen zu allen drei Funktionen von Öffentlichkeit.

  • Zur Transparenzfunktion schreibt Habermas: „Die bürgerliche Öffentlichkeit steht und fällt mit dem Prinzip des allgemeinen Zugangs. Eine Öffentlichkeit, von der angebbare Gruppen eo ipso ausgeschlossen wären, ist nicht etwa nur unvollständig, sie ist vielmehr gar keine Öffentlichkeit“ (Habermas 1990, S. 156). Für Habermas zählt daher die Möglichkeit, als Bürgerin bzw. Bürger am öffentlichen Diskurs teilzunehmen (Mitgliedschaftsrechte), zu den Grundrechten von Individuen. Dazu zählen für ihn auch materielle Lebensbedingungen, welche die chancengleiche Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte gewährleisten.

  • Die Validierungsfunktion ist nach Habermas dann erfüllt, wenn die Akteure in der Öffentlichkeit kommunikativ handeln. Handlungen sind nach Habermas dann kommunikativ, „wenn die Handlungspläne der beteiligten Aktoren nicht über egozentrische Erfolgskalküle, sondern über Akte der Verständigung koordiniert werden. Im kommunikativen Handeln sind die Beteiligten nicht primär am eigenen Erfolg orientiert; sie verfolgen ihre individuellen Ziele unter der Bedingung, dass sie ihre Handlungspläne auf der Grundlage gemeinsamer Situationsdefinitionen aufeinander abstimmen können“ (Habermas 1988, S. 385). Kommunikatives Handeln setzt also auf Verständigung und Einverständnis. An den Akt der Verständigung knüpft Habermas hohe Erwartungen: Die Äußerung einer Sprecherin bzw. eines Sprechers setzt im kommunikativen Handeln immer auch Gründe voraus. Das Einverständnis einer Hörerin bzw. eines Hörers liegt für Habermas erst dann vor, wenn dieser nicht nur der Äußerung der Sprecherin bzw. des Sprechers zustimmen kann, sondern auch den Gründen. Habermas unterstellt der öffentlichen Meinung in seinem Diskursmodell der Öffentlichkeit grundsätzlich Rationalität, sofern sie das Ergebnis freier, für alle zugänglicher und diskursiver Beratungen ist. „Rational“ ist eine Äußerung für Habermas dann, wenn sie kritisierbar und begründungsfähig ist: „Eine Äußerung erfüllt die Voraussetzungen für Rationalität, wenn und soweit sie fehlbares Wissen verkörpert, damit einen […] Tatsachenbezug hat, und einer objektiven Beurteilung zugänglich ist. Objektiv kann eine Beurteilung dann sein, wenn sie anhand eines transsubjektiven Geltungsanspruchs vorgenommen wird, der für beliebige Beobachter und Adressaten dieselbe Bedeutung hat wie für das jeweils handelnde Subjekt selbst“ (Habermas 1988, S. 27).

  • Auf der Outputseite geht es in der Orientierungsfunktion darum, das politische System und seine Entscheidungsträger institutionell möglichst eng an die öffentliche Meinung zu binden, wobei öffentliche Meinung hier verstanden wird als das Ergebnis freier, kommunikativer Beratungen, zu denen alle Bürgerinnen und Bürger Zugang hatten. Habermas bezeichnet dies als „Prinzip der Volkssouveränität, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, [und] sich das subjektive Recht und die chancengleiche Teilnahme an der demokratischen Willensbildung mit der objektiv-rechtlichen Ermöglichung einer institutionalisierten Praxis staatsbürgerlicher Selbstbestimmung“ trifft (Habermas 1992, S. 209).

Mit der Durchsetzung von Social-Media-Plattformen kommt es nach Habermas (2021) zu einem „erneuten Strukturwandel der Öffentlichkeit“.

5.2.3 Partizipatorisches Verständnis

Das partizipatorische Verständnis von Öffentlichkeit orientiert sich daran, dass möglichst viele Menschen an der Öffentlichkeit aktiv teilnehmen und ihre Interessen ausdrücken können. Der Kernbegriff dieses Modells ist für Ferree et al. (2002) „empowerment“, d. h. die Möglichkeit, dass vor allem marginalisierte Gruppen ihre Interessen ausdrücken, in den Diskurs einbringen und die Kontrolle über ihre Darstellung übernehmen. Partizipation beschränkt sich in diesem Verständnis nicht auf das Politische im Sinne kollektiv verbindlicher Entscheidungen, sondern umfasst auch Aspekte der kulturellen Repräsentation und des Sozialen. Barber (1984) nennt das partizipatorische Modell daher auch „strong democracy“. „It rests on the idea of a self-governing community of citizens who are united less by homogenous interests than by civic education and who are made capable of common purpose and mutual action by virtue of their civic attitudes and participatory institutions rather than their altruism or their good nature“ (Barber 1984, S. 117). Partizipation selbst wird im Modell der starken Demokratie zu einem „way of life“.

In partizipativen Modellen wird auf die Inputseite der Öffentlichkeit fokussiert und die Frage gestellt, ob alle, d. h. auch marginalisierte Gruppen der Gesellschaft sich dort einbringen und ihre Interessen selbst artikulieren können. Solche partizipativen Vorstellungen greifen gerne auf den Begriff der Gegenöffentlichkeit zurück. Gegenöffentlichkeit meint nach Krotz (1998, S. 653) eine „gegen eine hegemoniale Öffentlichkeit gerichtete Teilöffentlichkeit, die um einen spezifischen gesellschaftlichen Diskurs oder Standpunkt herum strukturiert ist“ (vgl. auch Downey und Fenton 2003). Analog zu Ebenenmodellen der Öffentlichkeit (siehe Abschn. 5.4) unterscheidet Wimmer (2007, S. 238) drei Ebenen von Gegenöffentlichkeit: den Medienaktivismus, partizipative und alternative Öffentlichkeiten. Problematisch am Begriff der Gegenöffentlichkeit ist, dass er definitorisch die Existenz einer hegemonialen Öffentlichkeit voraussetzt. Es ist jedoch fraglich, ob in modernen und differenzierten Gesellschaften wirklich von einer Hegemonie bestimmter Positionen gesprochen werden kann. Plausibler scheint die Vorstellung, dass die verschiedenen Öffentlichkeiten aufeinander reagieren und daher in einem dynamischen Verhältnis zueinander stehen (vgl. Scholl 2009). Dann wären Gegenöffentlichkeiten aber auch als Teil- oder themenspezifische Öffentlichkeiten beschreibbar, so dass unter analytischen Gesichtspunkten auf die normativ aufgeladene „Gegen“-Semantik verzichtet werden könnte (vgl. zum Stand der Debatte auch Wimmer 2015).

5.2.4 Konstruktionistisches Verständnis

Konstruktionistische Vorstellungen von Öffentlichkeit unterscheiden sich nicht stark von partizipatorischen, weshalb sie in anderen vergleichenden Aufzählungen dem partizipatorischen Modell zugerechnet werden (vgl. Friedrich und Jandura 2012; Martinsen 2009). Auch das konstruktionistische Modell setzt auf „empowerment“ als zentralen Wert, betont jedoch den Wert des „Unter-sich-Bleibens“, d. h. der Ausbildung eigener Teilöffentlichkeiten beispielsweise von Minderheiten. In diesen Teilöffentlichkeiten wird oft erzählend (narrativ) kommuniziert, ohne dass versucht wird, Einfluss auf die gesamte Öffentlichkeit zu nehmen. Angehörige bestimmter Gruppen, beispielsweise Marginalisierte, sollen nach konstruktionistischer Vorstellung „ihre Geschichten erzählen“ und mit anderen „Betroffenen“ ins Gespräch kommen können. Die Öffentlichkeit hat eher eine intern bindende Funktion, was mit Putnam (1999) auch als „bonding“ bezeichnet werden kann. Demgegenüber sollen in der partizipativen Öffentlichkeit auch Brücken zu anderen Teilöffentlichkeiten geschlagen werden, was Putnam (1999) „bridging“ nennt.

5.3 Öffentliche Meinung

Wie schon für den Begriff der Öffentlichkeit gibt es auch für das „Ergebnis“ von Öffentlichkeit, die öffentliche Meinung, eine Vielzahl von Definitionen. Diese lassen sich nach Herbst in vier Kategorien einteilen (vgl. Herbst 1993).

  1. 1.

    Die häufigste Variante der Definition basiert auf dem Aggregationsprinzip. Die Öffentlichkeit wird dabei als eine Masse von Individuen gesehen, die jeweils eigene Meinungen vertreten. Öffentliche Meinung gilt dann als die durch Umfragen oder Wahlen gewonnene Summe dieser Einzelmeinungen.

  2. 2.

    Nach dem Majoritätsprinzip gilt das als öffentliche Meinung, was bei einer Aufsummierung der Einzelmeinungen von einer Mehrheit als Meinung vertreten wird.

  3. 3.

    Das Diskurs- oder Konsensprinzip begreift öffentliche Meinung als das Ergebnis rationaler und kritischer Diskussionen in der Öffentlichkeit. So geht etwa Jürgen Habermas (1990) davon aus, dass es keine öffentliche Meinung als solche gibt, sondern dass allenfalls Tendenzen durch Vergleich ermittelt werden können. Sein Interesse gilt der Chance einer Meinung auf öffentliche Resonanz und Anschlusskommunikation, mithin den Zutrittsbedingungen der Öffentlichkeit: „Der Grad der Öffentlichkeit einer Meinung bemisst sich daran: in welchem Maße diese aus der organisationsinternen Öffentlichkeit eines Mitgliederpublikums hervorgeht; und wie weit diese organisationsinterne Öffentlichkeit mit einer externen Öffentlichkeit kommuniziert, die sich im publizistischen Verkehr über die Massenmedien zwischen gesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Institutionen bildet“ (Habermas 1990, S. 358).

  4. 4.

    Für Vertreterinnen und Vertreter des Projektionsprinzips („reification“) ist öffentliche Meinung eine Konstruktion; sie wird erst durch den Versuch, sie zu messen, hergestellt. Dabei wird öffentliche Meinung auch als ein rhetorisches Instrument der politischen Akteure gesehen, die sich auf eine behauptete öffentliche Meinung berufen.

Auch aus systemtheoretischer Sicht lässt sich die öffentliche Meinung als ein Konstrukt beschreiben. Für Luhmann (2000, S. 286) ist öffentliche Meinung das, was als öffentliche Meinung beobachtet und beschrieben wird“. Es gibt sie daher nicht an sich und unabhängig von ihrer Beobachtung, sondern sie entsteht erst in deren Folge.

Daneben lassen sich die Bestimmungen des Begriffs der öffentlichen Meinung danach unterscheiden, wer Träger der öffentlichen Meinung ist. Dabei lassen sich allgemein drei Konzepte ausmachen:

  1. 1.

    Medienkonzept: Die Medien werden hier als Träger der öffentlichen Meinung angesehen. Folglich wird die öffentliche Meinung mit der veröffentlichten Meinung gleichgesetzt.

  2. 2.

    Elitenkonzept: Die öffentliche Meinung ist das, was die politischen Eliten in politischer, kultureller oder politischer Hinsicht für relevant erachten.

  3. 3.

    Demoskopiekonzept: Die öffentliche Meinung ist das, was die Mehrzahl der befragten Bürgerinnen und Bürger zu einem bestimmten Thema für relevant erachtet.

Mit den unterschiedlichen Konzepten der Trägerschaft öffentlicher Meinung geht auch das methodische Problem einher, ob und wie öffentliche Meinung gemessen werden kann. Nach dem Medienkonzept kann öffentliche Meinung durch Inhaltsanalysen der „meinungsbildenden“ Zeitungen und Rundfunksendungen gemessen werden, nach den Eliten- und Demoskopiekonzepten hat dies durch Befragung zu geschehen.

5.4 Ebenenmodelle der Öffentlichkeit

Es gibt verschiedene Vorschläge, Öffentlichkeit zu analytischen Zwecken in einzelne Ebenen zu unterscheiden. Ein wichtiges heuristisches Modell geht auf die Arbeiten von Jürgen Gerhards und Friedhelm Neidhardt zurück (vgl. Gerhards und Neidhardt 1990; Neidhardt 1989, 1994), die drei Ebenen unterscheiden: die Encounter-Ebene, die Themen- oder Versammlungsöffentlichkeiten sowie die Medienöffentlichkeit (Abb. 5.2).

Abb. 5.2
figure 2

(Quelle: Begriffe nach Gerhards und Neidhardt 1990; Neidhardt 1989, eigene Visualisierung)

Ebenenmodell der Öffentlichkeit (nach Gerhards und Neidhardt).

  • Bei der Encounter-Ebene handelt es sich um die zum Teil spontane öffentliche Kommunikation auf der Straße, am Arbeitsplatz oder im Wohnbereich. Auf dieser Ebene entsteht Öffentlichkeit spontan und ist ein einfaches Interaktionssystem ohne eine Differenzierung in Leistungs- oder Publikumsrolle, d. h. jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer einer solchen Form von Öffentlichkeit kann zugleich als Sprecherin bzw. Sprecher oder als Publikum auftreten. Die Rolle des Vermittlers ist auf dieser Ebene nicht vorhanden. Die Encounter-Ebene ist meist räumlich, zeitlich und sozial beschränkt. Ihr Kennzeichen ist der fließende Übergang zwischen privater Kommunikation mit wechselseitig hoch selektiven Publikumsbezügen und öffentlicher Kommunikation gegenüber einem prinzipiell unbegrenzten Publikum.

  • Die zweite Ebene stellen Themen- oder Versammlungsöffentlichkeiten dar. Darunter sind thematisch zentrierte Interaktions- oder Handlungssysteme zu verstehen, beispielsweise in Form von Veranstaltungen oder Demonstrationen. Diese können sowohl spontan entstehen (etwa in Form spontaner, nicht organisierter Demonstrationen), aber auch einen hohen Organisationsgrad aufweisen. Die Differenzierung von Leistungs- und Publikumsrollen ist in der Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit ausgeprägter als auf der Encounter-Ebene, d. h. Sprecher, Vermittler und Publikum wechseln weniger oft die Rollen. Themenöffentlichkeiten weisen ferner gegenüber der Encounter-Ebene eine größere innere Stabilität auf und erlangen eher allgemeine Aufmerksamkeit, weil sie von Journalistinnen und Journalisten systematisch beobachtet werden. Die Themen können zu Medienthemen werden.

  • Am folgenreichsten vollzieht sich öffentliche Kommunikation auf der dritten Ebene, in der Medienöffentlichkeit. Die Medien sind als Organisationen auf Dauer existent, die Differenzierung von Leistungs- und Publikumsrollen ist hier am stärksten ausgeprägt. Die Bereitstellung und Herstellung von Themen erfolgt durch spezialisierte Personen (Journalistinnen und Journalisten), die kontinuierlich und auf Basis spezifischer Berufsregeln (beispielsweise Selektion aufgrund von Nachrichtenfaktoren) arbeiten. Im Unterschied zu den anderen Formen der Öffentlichkeit weist die Medienöffentlichkeit ein mehr oder minder dauerhaft vorhandenes Publikum auf, da Medien potenziell alle Mitglieder der Gesellschaft erreichen. Innerhalb der Medienöffentlichkeit lassen sich die sogenannten Leitmedien differenzieren, die in einzelnen Arenen eine führende Stellung einnehmen und Anschlusskommunikation ermöglichen.

Zwischen den einzelnen Ebenen der Öffentlichkeit befinden sich Selektionsstufen, die vor allem bei den traditionellen Medien relevant sind. Von der Vielzahl der Themen, die auf der Encounter-Ebene verhandelt werden, gelangt nur ein Bruchteil auf die Ebene der Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit und wiederum nur ein Teil davon auf die Ebene der Medienöffentlichkeit.

Die Ausweitung der Öffentlichkeit durch Onlinemedien und Social-Media-Plattformen hat diese Selektionsstufen weitgehend beseitigt, heute können die einzelnen Ebenen der Öffentlichkeit wesentlich schneller übersprungen werden. Christian Nuernbergk (2013) zieht aus diesen Veränderungen den Schluss, auf die Unterscheidung von Ebenen der Öffentlichkeit ganz zu verzichten: „Im Internet sind die Übergänge zwischen kleinen und großen Öffentlichkeiten vielmehr fließend; kleine und große Teilnehmerzahlen lassen sich im selben Medium stufenweise oder direkt erreichen“ (Nuernbergk 2013, S. 41). Andere verweisen in diesem Zusammenhang auf das Ebenenmodell der Öffentlichkeit nach Elisabeth Klaus (2001, 2017). Das Modell unterscheidet ebenfalls drei Ebenen, diese aber anhand der Einfachheit bzw. Komplexität ihrer Strukturen und nicht anhand der Medien, in denen öffentliche Kommunikation stattfindet. Auf der einfachen Ebene tauschen sich nach Klaus vor allem individuelle Akteure in Formen der interpersonalen Kommunikation aus. Für die mittlere Ebene sind Gruppen und Gruppenbeziehungen konstitutiv, auf der komplexen agieren Organisationen. Den mittleren Öffentlichkeiten kommt daher eine Übersetzungsfunktion zu (vgl. Klaus 2017, S. 23) (Abb. 5.3).

Abb. 5.3
figure 3

Ebenenmodell der Öffentlichkeit (nach Klaus) (Klaus 2017, S. 23)

Hartmut Wessler et al. (2020) legen ein Drei-Ebenen-Modell vor, dass sich am Grad ihrer strukturellen Verankerung und der Ausdifferenzierung unterschiedlicher Rollen orientiert. Sie benennen die drei Ebenen als journalistisch-mediale Öffentlichkeit, veranstaltete Öffentlichkeit sowie Bürgeröffentlichkeit. Der Vorteil dieser Einteilung liege darin, dass sie nicht technologiegebunden sei, also prinzipiell auch auf Öffentlichkeiten angewendet werden könne, die durch neue Medientechnologien geprägt sind (vgl. Wessler et al. 2020, S. 6).

Aufbauend auf dem Drei-Ebenen-Modell der Öffentlichkeit von Gerhards und Neidhardt (1990) schlagen Donges, Gerner und Grenz vor, die Fachöffentlichkeiten der politischen Kommunikation stärker zu berücksichtigen und ebenfalls nach Ebenen zu differenzieren (vgl. Donges und Gerner 2019; Grenz und Donges 2018) (Abb. 5.4).

Abb. 5.4
figure 4

(Quelle: Donges und Gerner 2019, S. 421; Grenz und Donges 2018, S. 404)

Ebenenmodell der Fachöffentlichkeiten.

Fachöffentlichkeiten sind thematisch zentrierte Interaktionssysteme, die der mittleren Ebene der Themen- oder Versammlungsöffentlichkeit zugerechnet werden können. Sie sind gerade nicht, wie die allgemeine Öffentlichkeit, durch eine Laienorientierung geprägt, sondern durch das Fachwissen der an politischen Entscheidungsprozessen beteiligten Akteure. Das Modell greift den Advocacy-Coalition-Ansatz von Sabatier (1993) auf, wonach politische Entscheidungen in Subsystemen („policy subsystems“) von Akteuren getroffen werden, die sich auf Grundlage gemeinsamer Überzeugungssysteme („belief systems“) zu Koalitionen („advocacy coalitions“) zusammenschließen, um so ihre gemeinsamen Interessen im politischen Prozess gegenüber anderen Koalitionen effektiv durchzusetzen (vgl. Sabatier und Weible 2007). Vorgeschlagen wird, für das Feld der politischen Kommunikation drei Formen von Fachöffentlichkeiten zu unterscheiden: Fachöffentlichkeiten innerhalb von Koalitionen eines Politikfeldes (FÖ1), zwischen den Koalitionen eines Politikfeldes (FÖ2) sowie zwischen dem Politikfeld und seinen relevanten externen Umwelten (FÖ3). Die Annahme lautet, dass Fachmedien Akteursgruppen verbinden und damit spezifische Fachöffentlichkeiten herstellen können. Fachöffentlichkeiten des ersten Typs (FÖ1) haben vor allem eine verbindende Funktion, in der die Koalition zusammengehalten werden soll („bonding“), während die beiden anderen Typen von grenzüberschreitenden Formen der Kommunikation geprägt sind („bridging“).

Eine weitere Ebene der Öffentlichkeit bilden die sogenannten Mini-Publics. Mini-Publics sind nach Thimm (2018, S. 167) kleinere Foren, die wenig Beteiligung aufweisen, jedoch das Potenzial haben, sich rasant zu einer digitalen Öffentlichkeit zu entwickeln. Mini-Publics orientieren sich an bestimmten Themen und werden durch diese beeinflusst, so dass jede Mini-Public eigentümliche Strukturmerkmale nach Maßgabe dieser Themensetzung aufweist. Mini-Publics zeichnen sich durch eine sogenannte polymediale Mediennutzung aus, also durch die Nutzung mehrerer Medien zur Verarbeitung von Kommunikationsbeiträgen. Sie stellen eine Vielzahl von kleinen Öffentlichkeiten dar, sind deshalb aber nicht als minderwertig anzusehen. Nach Thimm (2018, S. 169) sind sie „eine eigenständige Formierung von Öffentlichkeit in einer zahlenmäßig kleineren diskursiven Umgebung, wie zum Beispiel einem Forum oder einer Facebook-Gruppe“. Aufgrund der verschiedenen Merkmale der Mini-Publics, welche auch durch die Medienlogiken der Plattformen selbst entstehen, lassen sich verschiedene Typen von Mini-Publics unterscheiden. Nutzerinitiierte Mini-Publics werden von einzelnen Personen moderiert und das Thema durch sie initiiert. Anders als bei den ereignisbezogenen Mini-Publics benötigt man bei den nutzerinitiierten keinen Anlass für die Beteiligung. Ereignisbezogen bedeutet in diesem Falle, dass realweltliche Ereignisse eine Beteiligung auslösen und die Aktivität der Mini-Publics steuern. Diese Form zeichnet sich häufig durch ein zum Zeitpunkt des Ereignisses intensives Aktivitätsmuster aus, das sich mit wachsendem zeitlichem Abstand zum Ursprungsereignis abschwächt. Im Gegensatz zu den kurzlebigen Mini-Publics, die man auch als Ad-hoc-Mini-Publics bezeichnet, gibt es auch Over-Time-Mini-Publics, die Themen längerfristig in der Öffentlichkeit verankern. Ereignisse, auf denen diese Formen der Mini-Publics basieren, können z. B. Naturkatastrophen oder auch kulturelle Ereignisse darstellen. Auch Unternehmen haben die Macht der kleinen Öffentlichkeiten entdeckt und setzen sie vermehrt für Marketingzwecke ein. Diese Form der Mini-Publics kann für Unternehmen oftmals wirksamer sein als große Werbekampagnen, sie kann jedoch auch misslingen und einen Shitstorm hervorrufen.

Ein Ansatz, der wieder stärker die Erosion politischer Öffentlichkeit betont, ist der der dissonanten oder auch disruptiven Öffentlichkeit (vgl. Bennett und Pfetsch 2018; Pfetsch et al. 2018). Dabei können „Dissonanzen in Öffentlichkeiten als Situationen verstanden werden, in denen vielfältige Akteure synchron und asynchron Themen, Informationen und Meinungen artikulieren, zwischen denen Spannungen, Gegensätze oder Brüche bestehen. Dissonanz umfasst dabei sowohl ein bezugloses Nebeneinander verschiedener Öffentlichkeitsbeiträge als auch die explizite Gegenrede zur (vermeintlich) hegemonialen Perspektive“ (Pfetsch et al. 2018, S. 482). Mit Bezug auf das oben beschriebene Drei-Ebenen-Modell von Gerhards und Neidhardt betont das Konzept, dass Öffentlichkeiten längst nicht mehr nur „au trottoir“ auf der Encounter-Ebene, in Versammlungen oder Massenmedien hergestellt werde, sondern „durch Suchmaschinen, Netzwerk- und Multimediaplattformen, Instant-Messaging-Systeme, Videoplattformen und Blogs“ (Pfetsch et al. 2018, S. 486). Bennett und Pfetsch (2018) betonen darüber hinaus das Nebeneinander eines schrumpfenden Publikums für Qualitätsnachrichten, einer sinkenden Loyalität der Wählerinnen und Wähler für Parteien des Zentrums sowie des Aufstiegs populistischer, häufig rechtsradikaler Parteien, die sowohl die etablierten Parteien wie auch die Medien angreifen. So entstünden innerhalb digitaler Netzwerke zweifelhafte Informationen, Gerüchte und Verschwörungen (sogenannte „Fake News“ oder „Posttruth“) aus digitalen Netzwerken, die einerseits Journalistinnen und Journalisten als traditionelle Vermittler der Öffentlichkeit umgehen, dann aber häufig in die traditionellen Medien zurückwirkten, um Desinformation und Verwirrung zu erzeugen (Bennett und Pfetsch 2018, S. 244).

Die Schwächung des Journalismus als traditionelle Vermittlungsinstanz wird auch in dem Konzept einer unedited public sphere (Bimber und Gil de Zúñiga 2020) beschrieben. Bimber und Zúñiga wenden sich sowohl gegen die traditionelle Metapher des liberalen Modells von Öffentlichkeit als „Marktplatz der Ideen“ als auch gegen die Vorstellung des deliberativen Modells, wonach es im Diskurs zu einer höheren Rationalität durch Selektion wahrer und falscher Argumente komme. Die Erfüllung dieser Funktion von Öffentlichkeit sei durch den Wegfall vermittelnder Instanzen nicht mehr zu erwarten. Auch Jürgen Habermas hat sich zuletzt kritisch zu der Frage geäußert, zu welchem neuen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ die Durchsetzung von Onlinemedien und Social-Media-Plattformen und die Schwächung des Journalismus als traditioneller vermittelnder Instanz führt:

„Ich weiß einfach nicht, wie in der digitalen Welt ein funktionales Äquivalent für die seit dem 18. Jahrhundert entstandene, aber heute im Zerfall begriffene Kommunikationsstruktur großräumiger politischer Öffentlichkeiten aussehen könnte. Das Netz ist von seinen Pionieren gerade wegen seiner anarchischen Infrastruktur zu Recht als befreiend gefeiert worden. Aber gleichzeitig verlangt das Moment der Gemeinsamkeit, das für die demokratische Meinungs- und Willensbildung konstitutiv ist, auch eine Antwort auf die spezielle Frage: Wie lässt sich in der virtuellen Welt des dezentrierten Netzes – also ohne die professionelle Autorität einer begrenzten Anzahl von Verlagen und Publikationsorganen mit geschulten, sowohl redigierenden wie auswählenden Lektoren und Journalisten – eine Öffentlichkeit mit Kommunikationskreisläufen aufrechterhalten, die die Bevölkerung inklusiv erfassen?“ (Habermas 2020, S. 27)

5.5 Europäische Öffentlichkeit

Innerhalb der Kommunikations- wie auch der Politikwissenschaft findet eine breite Debatte darüber statt, ob es eine „europäische Öffentlichkeit“ gibt, geben kann, und was das Fehlen einer solchen Öffentlichkeit für den europäischen Einigungsprozess bedeutet (vgl. Gerhards 1993; Koopmans 2007; Koopmans und Erbe 2004; Trenz 2015, 2018). Dabei werden mehrere Begriffe verwendet, die zunächst unterschieden werden müssen: Transnationalisierung meint, dass gesellschaftliche Prozesse immer öfter, immer weitreichender und immer nachhaltiger den nationalstaatlichen Rahmen überschreiten (vgl. Wessler 2007, S. 51). Internationalisierung hingegen bezeichnet einen Prozess der verstärkten Interaktion und Koordination zwischen Staaten. Und Supranationalisierung meint schließlich die verstärkte Herausbildung überstaatlicher Institutionen (vgl. Wessler 2007, S. 51). Europäisierung ist nach Wessler daher ein Spezialfall von Transnationalisierung, Internationalisierung und Supranationalisierung, da sie sowohl den gesellschaftlichen wie den staatlichen Bereich betrifft (vgl. Brüggemann et al. 2009; Wessler et al. 2008).

Betrachtet man das oben entwickelte Ebenen-Modell, so lässt sich zunächst feststellen, dass es kaum Voraussetzungen für eine europäische Öffentlichkeit gibt:

  • Auf der Encounter-Ebene mag es zwar Gruppen geben, die europäische Themen aufgreifen, sie werden diese aber aufgrund der derzeitigen politischen Kompetenzsituation an Akteure auf der Nationalstaatsebene adressieren müssen. Die Reichweite derartiger Aktivitäten ist zudem in sozialer Hinsicht zu gering, um übernational Aufmerksamkeit zu finden.

  • Themenöffentlichkeit zu europäischen Themen ist hingegen eher möglich, aber vom weiteren Vermittlungsprozess abhängig. Auch dafür sind die Chancen aufgrund des relativ fragilen und hochgradig fragmentierten Akteurnetzes sowie der teils ungeklärten Zuständigkeiten und Kompetenzen staatlich-politischer Akteure eher als gering zu veranschlagen.

  • Vor allem aber fehlt es an einer Medienöffentlichkeit, an einem gesamteuropäischen Mediensystem. Es existieren nur wenige gesamteuropäische Print- und Fernsehangebote. Nutzungsdaten zeigen, dass Europäerinnen und Europäer nach wie vor überwiegend ihre jeweiligen inländischen Rundfunkangebote nutzen. Die bisherigen länderübergreifenden Angebote finden, sieht man einmal von Film-, Unterhaltungs- oder Sportangeboten ab, hingegen nur eine geringe Resonanz. Es gibt sogar Anzeichen dafür, dass gerade lokale und regionale Angebote an Attraktivität gewinnen.

Jürgen Gerhards (1993) hat bereits früh darauf verwiesen, dass wir analytisch die Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit von der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten unterscheiden müssen. Unter einer Europäisierung der nationalen Öffentlichkeiten versteht Gerhards „zum einen die Thematisierung europäischer Themen in den jeweiligen nationalen Medien, zum zweiten die Bewertung dieser Themen unter einer europäischen, nicht nationalstaatlichen Perspektive“ (Gerhards 1993, S. 102). Gegen eine Europäisierung der nationalen Öffentlichkeiten spricht nach Gerhards die Prägung des Entscheidungsprozesses durch Verwaltungshandeln, das für die Medien nur geringe Nachrichtenwertfaktoren aufweist. Zudem betrachten viele Medien europäische Fragen als außenpolitisch. Insgesamt betrachtet Gerhards damit das Demokratiedefizit der EU als Ursache des Öffentlichkeitsdefizites, was im Umkehrschluss auch bedeutet, dass eine Europäisierung der nationalen Öffentlichkeiten zwangsläufig dann eintreten werde, wenn Entscheidungsträger und -prozesse innerhalb der EU stärker an die Bürgerinnen und Bürger gekoppelt würden: „Die Öffentlichkeit hinkt einer Transnationalisierung der Politik hinterher, sie bleibt nationalstaatlich verhaftet, während sich die Politik europäisiert hat“ (Gerhards 2000, S. 299).

Koopmans und Erbe (2004, S. 101) haben Gerhards Unterscheidung später weiter differenziert und nennen drei mögliche Formen der Europäisierung öffentlicher Kommunikation:

  • Die Herausbildung einer supranationalen europäischen Öffentlichkeit. Diese konstituiert sich durch die Interaktion zwischen EU-Akteuren und kollektiven Akteuren zu einem europäischen Thema und wird – idealerweise – von europaweit erscheinenden Medien aufgegriffen und berichtet.

  • Die vertikale Europäisierung. Diese konstituiert sich durch Kommunikationsverbindungen zwischen EU- und nationalen Akteuren. Koopmans und Erbe unterscheiden zwei Richtungen: bottom-up, etwa durch Forderungen nationaler Akteure an die EU, sowie top-down, etwa durch ein Eingreifen von EU-Akteuren in nationale Debatten.

  • Die horizontale Europäisierung. Diese konstituiert sich durch Kommunikationsbeziehungen zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten. In einer schwachen Variante berichten Medien einfach über Debatten in anderen Ländern, in einer stärkeren Variante adressieren nationalstaatliche Akteure Forderungen an ein anderes Land.

In ihren empirischen Studien verweisen Koopmans und Erbe darauf, dass die Antwort auf die Frage nach einer europäischen oder europäisierten Öffentlichkeit sehr stark vom jeweiligen Politikfeld abhängig sei. In Bereichen wie der Finanzpolitik, die durch den Euro stark europäisiert sind, sei auch die Berichterstattung „europäischer“ als in Politikfeldern, die stark national geprägt sind, wie etwa der Bildungspolitik.

Neben der Unterscheidung einer vertikalen und einer horizontalen Europäisierung führen Brüggemann et al. (2009) vier weitere Dimensionen der Europäisierung nationaler Öffentlichkeiten in die Debatte ein:

  • In der Dimension Regieren unter öffentlicher Beobachtung wird nach der Sichtbarkeit der Europäischen Union und der Relevanz von EU-Themen in den Medien gefragt.

  • In der Dimension Diskurskonvergenzen geht es um die Frage, ob und inwieweit sich nationale öffentliche Diskurse einander angleichen. Hier lassen sich Indikatoren wie die Ähnlichkeit von Themenzuschreibungen und Problemdefinitionen, der Diskurskoalitionen und der Begründungsmuster nennen.

  • In der Dimension diskursive Integration geht es um die gegenseitige Beobachtung der europäischen Länder. Gefragt wird hier nach der Aufmerksamkeit für Themen und Diskurse in anderen europäischen Ländern sowie um diskursive Bezugnahmen über die Grenzen hinweg.

  • In der Dimension kollektive Identität stellt sich schließlich die Frage, inwieweit in öffentlichen Diskursen ein Gefühl für Zugehörigkeit sichtbar wird, beispielsweise durch Verwendung von Ausdrücken wie „wir Europäer“ oder die Hervorhebung kultureller Gemeinsamkeiten.

Auf diesen Dimensionen basierende empirische Studien zeigen, dass selbst in Qualitätszeitungen keine „Europäisierung“ der Berichterstattung festzustellen ist.

„Das was sehr verkürzend ‚Europäische Öffentlichkeit‘ genannt wird, scheint heute in zwei ganz unterschiedliche Phänomene zu zerfallen. In eine zunehmende, aber eben von Regierungsvertretern dominierte europapolitische Debatte in der vertikalen Achse und eine transnational vernetzte, aber gerade nicht auf EU-Europa begrenzte mediale Debattengemeinschaft ohne ansteigende Tendenz in der horizontalen Achse. ‚Europäische Öffentlichkeit‘ in diesem doppelt verzerrten oder verdünnten Sinne konstituiert gerade keine spezifisch europäische Gesellschaftlichkeit, die als adäquates Korrelat zu den Machtzentren der europäischen Politik dienen könnte. In diesem präzisierten Sinne müssen wir also weiterhin von einem vorhandenen europäischen Öffentlichkeitsdefizit ausgehen“ (Wessler 2007, S. 69).

Zudem zeigen empirische Studien zu den Akteuren einer europäisierten Öffentlichkeit, dass es ohnehin die „Machtzentren“ sind, die von einer Europäisierung profitieren. So werden etwa die Befunde der international vergleichend angelegten Europub-Studie wie folgt zusammengefasst:

„Our results clearly demonstrate that thus far European integration has remained a project by political elites and, at least in as far as discursive influence is concerned, also to the benefit of political elites. Core state actors such as heads of state and government, cabinet ministers and central banks are by far the most important beneficiaries of the Europeanisation of public debates, in whichever form it occurs. Legislative and party actors – those actors from the core of the political system who are directly accountable to the electorate – are much less well represented in Europeanised public debates, both in an absolute sense and even more so relative to government and executive actors“ (Koopmans 2007, S. 205).

Benert und Pfetsch (2020, S. 2) kommen bilanzierend zu dem Schluss, dass Europäische Öffentlichkeit „daher am wenigsten als demokratisch wünschbare Arena der gegenseitigen Verständigung [fungiert], sondern in erster Linie als Kommunikationsraum der gegenseitigen Beobachtung und Bezugnahme von Akteuren in unterschiedlichen nationalen Öffentlichkeiten“. Die Autorinnen vertreten dabei die Thesen, dass die Europäisierung politischer Öffentlichkeit von politischen Strukturen und Opportunitäten der Politik und der Medien geprägt sei. Aufseiten der Politik waren dies vor allem als politische und ökonomische Krisen wahrgenommene Themen wie die Eurokrise 2010, die Migration ab 2015 sowie der Brexit nach dem britischen Referendum. Aufseiten der Medien waren es die Durchsetzung von Onlinemedien und Social-Media-Plattformen, die neue Möglichkeiten einer Transnationalisierung von Öffentlichkeit schufen.

Zusammenfassung

Der Begriff der Öffentlichkeit bildet eine der zentralen Kategorien der Analyse von politischer Kommunikation. Theoretische Modelle der Öffentlichkeit treffen dabei unterschiedliche normative Annahmen über die Funktion von Öffentlichkeit und machen unterschiedliche Aussagen darüber, welche empirischen Bezugspunkte gesetzt werden können. Bei der Anwendung des Begriffs der Öffentlichkeit muss beachtet werden, auf welche Ebene Bezug genommen wird, denn relevant für politische Akteure und den politischen Prozess ist vor allem die Medienöffentlichkeit. Diese verliert aber durch die Durchsetzung von Social-Media-Plattformen ihre zentrale Stellung.