Es gilt das freie Wort – Axel Springer SE
a~inside Story29.06.2021

Es gilt das freie Wort

Die unternehmerischen Grundsätze des Verlegers Axel Springer werden bis heute missverstanden. Dabei geht es um die Sicherung der journalistischen Unabhängigkeit – angesichts von Fake News, Populismus und Kritik an den traditionellen Medien aktueller denn je.

Nach dem Bau der Mauer 1961 diskutierte Axel Springer mit seinen Managern die ldee, alle Journalisten seines Unternehmens zur Einhaltung von bestimmten Grundsätzen zu verpflichten: „Vielleicht sollten wir das für alle unsere Redaktionen verbindlich schriftlich festhalten. Ich meine die Wiedervereinigung und eventuell noch ein oder zwei andere Grundhaltungen. Etwa unser Verhältnis zu den Juden und zu Israel, oder unsere Ablehnung der extremen Ideologien.“ So erinnerte sich Ernst Cramer, langjähriger Wegbegleiter Springers, am 2. April 1986 in der WELT. 

Warum Israel? Axel Springer verfolgte als Verleger nach 1945 das Ziel, seine Leser über die grausamen Verbrechen, die im Namen Deutschlands begangen worden waren, aufzuklären und in die Verantwortung zu nehmen, Verbrechen dieser Art künftig zu verhindern. Bereits in seiner ersten Publikation, dem Magazin „Nordwestdeutsche Hefte“, spielte die Auseinandersetzung mit dem NS-Regime eine zentrale Rolle.  

Aussöhnung mit Israel als zentraler Punkt

Axel Springer tauschte sich auch mit Freunden aus, etwa mit dem Publizisten Erich Lüth, der Anfang der 50er-Jahre Initiator von Aktionen zur Aussöhnung mit Israel war und 1951 mit seinem Aufsatz „Wir bitten Israel um Frieden“ für Aufmerksamkeit sorgte. Oder mit dem Auschwitz-Überlebenden, Kaufmann und CDU-Politiker Erik Blumenfeld, der sich für engere Beziehungen zu Israel einsetzte und lange Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft war. 

EC bei Ben Gurion
Ernst Cramer und Axel Springer treffen 1967 in Israel Staatsgründer David Ben Gurion (v.l.) © Simon

Schließlich war da noch Ernst Cramer, der aus einer jüdischen Familie in Augsburg stammte, 1939 in die USA emigrieren musste und 1944 als US-Bürger mit einer Propagandaeinheit der Army zurückkehrte. Obwohl seine Familie in NS-Vernichtungslagern ermordet worden war, blieb er in Deutschland, um zur Demokratisierung beizutragen. 1958 holte ihn Axel Springer in die Chefredaktion der WELT. Cramer wurde Springers Vertrauter und „Außenminister“, begleitete ihn bereits 1959 zu einem Medienkongress in die USA oder später nach Israel.  

https://www.axelspringer.com/de/inside/ich-wollte-nicht-dass-hitler-seinen-willen-bekommt 

Doch 1961 widersprach Springers Umfeld noch seinem Vorstoß in Sachen Grundsätze. Hans Zehrer, WELT-Chefredakteur und Ratgeber in publizistischen Dingen, meinte: „Selbstverständlichkeiten sollte man nicht als Regeln festschreiben, noch nicht einmal niederschreiben.“ 

1967 spitzte sich die Lage für Axel Springer zu  

Sechs Jahre später kam Axel Springer auf seine Idee zurück. Die Lage hatte sich zugespitzt: Israel war von den arabischen Nachbarn erneut in einen militärischen Konflikt gezwungen worden. Der Verleger besuchte nach dem Sechstagekrieg das Land, sprach auch mit Staatsgründer David Ben Gurion. Während er Sympathien für Israel zeigte und unbeirrt am Versöhnungsgedanken festhielt, wuchsen nicht nur im Ostblock die antiisraelischen Stimmungen und die Unterstützung arabischer Staaten. Auch in der Bundesrepublik änderte sich die Haltung speziell der Linken, was zu neuem Antisemitismus führte.  

Doch auch dem Verlag schlug Ablehnung entgegen. Immer häufiger wurde Axel Springer nachgesagt, eine Monopolstellung anzustreben, und der Verleger selbst wurde als profitgieriger Kapitalist karikiert. Axel Springer wehrte sich; am 26. Oktober 1967 sprach er vor den Mitgliedern des Übersee-Clubs in Hamburg. Der Titel seines Vortrages: „Viel Lärm um ein Zeitungshaus“. Axel Springer erläuterte, dass die Konzentration von Unternehmen – national wie international – in vielen Branchen gang und gäbe sei, auch bei Medien. Das bedeute aber keine Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit.

In Deutschland gäbe es etwa 160 Zeitungen mit Vollredaktionen. Davon gehörten seiner Verlagsgruppe lediglich fünf, nehme man die Sonntagszeitungen hinzu: sieben. Auf das Gegenargument „Aber die Auflagen!“ entgegnete er: Diese seien das Ergebnis des Fleißes und der Kreativität der Mitarbeiter seines Hauses. Niemand werde gezwungen, Springer-Blätter zu lesen: „Jeden Tag, jeden Monat findet am Kiosk und an der Haustür eine Art demokratische Abstimmung in Deutschland statt, ob die Leser diese Zeitungen kaufen wollen oder nicht.“ Das Medienangebot sei zudem durch Rundfunk und Fernsehen viel breiter geworden.   

Enteignet - Ludwig Binder
Studenten fordern 1967 die Enteignung des Axel Springer Verlages © UA der Axel Springer SE/ Ludwig Binder
1968 brennende Lieferwagen
Nach dem Attentat auf Studentenführer Rudi Dutschke ziehen Demonstranten im April 1968 vor den Berliner Verlagssitz. Radikale stecken Lieferfahrzeuge an © Unternehmensarchiv der Axel Springer SE
Attentat 1972 Loch in Hauswand - BILD Peter Timm
Ein RAF-Kommando zündet am 19. Mai 1972 zwei Bomben im Verlagshaus in Hamburg. 23 Mitarbeiter werden zum Teil schwer verletzt © Unternehmensarchiv der Axel Springer SE

Kritikern imponierte das wenig. Politiker diskutierten Gesetze gegen Pressekonzentration, um die Macht von Verlegern und deren Marktanteile zu begrenzen – auch durch erzwungene Entflechtung. Die redaktionelle Mitbestimmung der Belegschaft in den Verlagen sollte ebenfalls gestärkt werden. Die Politik argumentierte, so sei die Vielfalt der öffentlichen Meinung zu sichern. Verleger wie Axel Springer sahen darin ein ungerechtfertigtes Eingreifen des Staates. Er hielt die Marktwirtschaft nicht für ideal, aber für effektiv. 

Noch weniger zeigte sich die radikale Studentenbewegung von Springers Einwänden beeindruckt. Sie propagierte stattdessen die hasserfüllte Kampagne „Enteignet Springer“. Im Juli 1967 erhielt der Verlag Informationen über eine geplante „systematische Terrorkampagne gegen das Verlagshaus Axel Springer Berlin“, schrieb Axel Springer am 4. Juli an den Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz. Bereits für den 11. Juli sei ein „go-in“ angekündigt. Vorbereitet würden Studentenaktionen  auch gegen Vertriebsbüros in Berlin, weiterhin Provokationen von Zeitungsverkäufern und -boten, von Angestellten des Hauses und Anzeigenkunden, schließlich tätliche Angriffe gegen Verlagsfahrzeuge und -parkplätze.  

Verleger formuliert vier Grundsätze

Angesichts dieser Entwicklung formulierte Axel Springer vier Grundsätze, die er bei seiner Rede im Übersee-Club im Oktober 1967 erstmals öffentlich vorstellte. Sie lauteten:  

– das unbedingte Eintreten für die friedliche Wiederherstellung der deutschen Einheit in Freiheit 

– die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen; dazu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes 

– die Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus 

– die Bejahung der freien sozialen Marktwirtschaft  

Der Eindruck, die Essentials seien lediglich von der eigenen Situation bestimmt, täuscht. Denn Axel Springer hatte die Gesellschaft als Ganzes im Blick. Sein Anstoß für diesen Wertekanon lag tiefer, entsprach Springers eigenen, gewachsenen Überzeugungen wie sein Privatdruck „An meine Kinder und Kindeskinder“ belegt: „Alles, was mich in der hektischen Zeit des Neubeginns aus Ruinen besonders anrührte, gehört zu meiner menschlichen, politischen und verlegerischen Grundkonzeption; und aus dieser Grundkonzeption erwuchsen die vielen einzelnen Aufgabenstellungen für die neugegründeten Objekte, erwuchsen die Essentials und auch die Parolen, wie das viel belächelte „Seid nett zueinander“, wuchs die soziale und politische Grundhaltung des Hauses Springer.“ Die vier Grundsätze seien dabei ihre Eckpfeiler, eine Art Magna Charta, „eine Wertorientierung für die publizistische Arbeit meines Hauses und seiner Mitarbeiter“.  

Ihm selbst habe diese politisch-moralische Wertorientierung die volle Hingabe an den Journalismus und den Beruf des Verlegers ermöglicht. Sie gebe Sinn und Rechtfertigung dafür, „in einer verwirrten, von Krisen geschüttelten, wert- und leistungsabgewandten Welt für diese Prinzipien mit dem freien Wort zu kämpfen“. In seiner Rede 1967 betonte er zudem: „Innerhalb dieser vier Grenzpflöcke einer toleranten Weltanschauung” stände es “jeden Chefredakteur des Hauses frei, sein Blatt so zu gestalten, wie er es in Zusammenarbeit mit seinen Redakteuren für richtig erachtet”. 

Freiheit, der wichtigste Wert

Die Essentials waren also keine Initiative, die in erster Linie nur nach innen gerichtet war. Sie waren nicht gedacht, Vorschriften zu machen, Mitarbeiter an eine Leine zu legen. Eher waren sie ein Ausdruck des sich Wehrens und der Glaubwürdigkeit: Hier ist jemand, der an Prinzipien festhält, an Prinzipien, die denen des Grundgesetzes entsprechen und daher so allgemeingültig sind, dass auch die Journalisten und leitenden Mitarbeiter des Hauses sie mitzutragen hatten – verankert im Arbeitsvertrag. Axel Springer betrachtete Freiheit als wichtigsten Wert und ihre Sicherung – auch in Form journalistischer Unabhängigkeit ­– als Zielsetzung seines Unternehmens. In der Rede im Übersee-Club 1967 brachte er diese Überzeugung auf die Formel: „Dieses Haus, das meinen Namen trägt, steht weder links noch rechts. Eine einzige politische Grundhaltung setzen wir bei allen journalistischen Mitarbeitern unseres Hauses voraus. Es ist Staatsloyalität – nicht Regierungsloyalität.“ 

Der Verleger war davon überzeugt, dass es Medienunternehmen ohne Werte nicht geben könne. Dass Medienunternehmen in einer Demokratie gesellschaftliche Verantwortung tragen, weil sie die Meinungsbildung ihrer Nutzer fördern. Und dass daher ein Kompass, notwendig sei. Dies gilt unvermindert bis heute. Der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner bezeichnete die Grundsätze des Hauses vor fünf Jahren in einer Rede in Paris als noch immer zeitgemäß, relevant und „aktueller denn je“. Und wiederholte dies vor wenigen Tagen im Gespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. 

Debattiert wird über die Essentials, seit Axel Springer sie öffentlich machte. Auch daran hat sich bis heute nichts geändert. Bedeutet zum Beispiel Solidarität mit Israel, dass wir alle Aktionen der israelischen Regierung unterstützen? Kann man alle Journalisten, indirekt gar die gesamte Belegschaft auf solche Grundwerte verpflichten? Kollidiert das mit den Geboten Unabhängigkeit und Vielfalt? 

Ehrendoktor Springer 1
Axel Springer erhält Ehrendoktor-Titel der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, 1974 © UA AS/Freidin
Pro AS Demonstrant Y Shmueli Jerusalem 1983 - frei
Ein Passant in Jerusalem begrüßt den Verleger in Israel © Unternehmensarchiv Axel Springer SE
AS in Yad Vashem
Axel Springer in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem, 1966 © Unternehmensarchiv Axel Springer SE

Hohe Wertschätzung in Israel 

In Israel stellt man sich diese Frage nicht. Dort wurde Axel Springers Eintreten für die Existenzberechtigung des jüdischen Staates, für die Aussöhnung mit dem jüdischen Volk und für seine Spenden an Einrichtungen wie das Israel-Museum in Jerusalem, aber auch für Hospitäler im arabischen Teil, honoriert: mit Ehrendoktorwürden von Universitäten beispielsweise.  

Die Wertschätzung beschränkte sich nicht nur offizielle israelische Vertreter. Ende 1971 reiste Wolfgang Will, Raumfahrtkorrespondent des Springer-Auslandsdienstes in New York, zum Urlaub nach Israel. Sein Versuch, für einen viertägigen Ausflug auf den Sinai, den Will den Reiseredaktionen des Hauses als Reportage anbieten wollte, in Tel Aviv eine Kamera zu leihen, schlug zunächst fehl.

https://www.axelspringer.com/de/inside/im-mekka-der-raumfahrer

Bis der Ladenbesitzer von Wolfgang Will wissen wollte, für welches Medium er arbeite. Der Korrespondent nannte den Namen Axel Springer und wollte dessen Rolle in Deutschland erklären, als ihn der Besitzer unterbrach: „Springer – was müssen Sie da erklären? Und weil Sie für Springer arbeiten, sollen Sie eine Kamera Ihrer Wahl für eine ganze Woche völlig kostenlos geliehen bekommen.“ Der Korrespondent war sprachlos, schilderte aber nach seiner Rückkehr dem Verleger die Begegnung und schloss seinen Brief: „Sie können sich vorstellen, wie ich mich als ,Mit-Springer‘ dabei gefühlt habe.“ 

Die Essentials sind nicht auf Kurzlebigkeit angelegt, aber auch nicht in Stein gemeißelt. 1969 diskutierte Axel Springer über einen fünften Punkt: das Bekenntnis zu den christlichen Wurzeln. Der neue Passus wurde bereits formuliert, doch es blieb beim Gedankenaustausch. Nach der Wiedervereinigung 1990, fünf Jahre nach dem Tod Springers, wurde der erste (und nun eingelöste) Punkt angepasst. Er lautete fortan: „das unbedingte Eintreten für den freiheitlichen Rechtsstaat Deutschland als Mitglied der westlichen Staatengemeinschaft und die Förderung der Einigungsbemühungen der Völker Europas.“  

9/11 – Kriegserklärung gegenüber freier Welt 

Nach den Terroranschlägen in den USA am 11. September 2001 ergänzte der Verlag die Grundsätze um einen fünften Grundsatz, der an die dritte Stelle rückte. Die Anschläge seien eine Kriegserklärung gegenüber der freien Welt gewesen, schrieb Mathias Döpfner rückblickend 2004. Seine Sorge sei gewesen, „dass kurzlebiges Mitleid mit dem ,Opfer‘ USA schnell in neuen alten Antiamerikanismus umschlagen könnte, wenn die Vereinigten Staaten die Freiheit – auch mit militärischen Mitteln – verteidigen werden. Das Haus habe deshalb seinem traditionell guten Verhältnis zu den USA und seiner Solidarität mit der unter Schock stehenden Nation durch Ergänzung der Leitlinien Ausdruck verleihen wollen. Wörtlich hieß es in der ersten Fassung: „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“  

Essentials2001
In der November-Ausgabe des Mitarbeitermagazins „Springer Aktuell“ wird die Erweiterung der publizistischen Grundsätze des Verlages nach den 9/11-Terroranschlägen erläutert, 2001 © Unternehmensarchiv Axel Springer SE

Später wurden einzelnen Punkte immer wieder umformuliert, knapper, aber im Kern unverändert gelassen. Gemeinsam mit der deutschen Fassung ermöglicht seit März 2016 die internationale Version, dass das Einstehen für die Freiheit alle Mitarbeiter in allen zu Axel Springer gehörenden Unternehmen verbindet. Im Juli 2020 wurde der fünfte Punkt der Essentials zum Extremismus ergänzt: „Wir lehnen politischen und religiösen Extremismus und jede Art von Rassismus und sexueller Diskriminierung ab.“ 

Ernst Cramer nannte die vier ursprünglichen Prinzipien in seinem WELT-Beitrag von 1986 dialektisch den „Tugendkatalog des Hauses“, die Inhalte zugleich aber „ziemlich selbstverständlich“. 1992 bilanzierte er zum 80. Geburtstag des Verlegers in der BILD: „Es war notwendig und richtig, diese Grundsätze festzulegen.“  

Lars-Broder KeilLeiter Unternehmensarchiv

Lars-Broder Keil war von 2001 bis Mai 2018 Redakteur im Innenpolitikressort der WELT-Gruppe, mit dem Schwerpunkt Zeitgeschichte. Seit Juni 2018 arbeitet er im Unternehmensarchiv, dessen Leitung er seit dem 1. Juli 2019 innehat.

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