Armin Laschet: Nun hagelt es Kritik an seinen politischen Widersprüchen - WELT
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Nordrhein-Westfalen Diskrepanz zwischen Wort und Tat

„Seine Widersprüche rauben Laschet Glaubwürdigkeit“

Armin Laschet wird für sein politisches Handeln kritisiert Armin Laschet wird für sein politisches Handeln kritisiert
Armin Laschet: Diskrepanz zwischen bundespolitischer Rhetorik und landespolitischem Handeln
Quelle: Getty Images
Sparen, Steuersenken, schneller Schuldenabbau – dafür setzt sich Armin Laschet als CDU-Bundesvorsitzender ein. Und erinnert an Friedrich Merz. Doch als Ministerpräsident in NRW sind diese Themen nicht seine Priorität. Da ähnelt er eher Olaf Scholz, sagen Kritiker.

War das noch Kühnheit? Oder schon Chuzpe? So rätselte die Opposition. Jedenfalls war sie beeindruckt von Armin Laschet. Am Dienstag vergangener Woche hatte der Ministerpräsident noch angekündigt, die von Bund und Ländern beschlossene Notbremse bei Inzidenzwerten über 100 „eins zu eins“ umzusetzen, also Geschäfte und Museen in NRW zu schließen. Aber „nur drei Tage später ruderte seine Regierung zurück“, schimpfte SPD-Oppositionsführer Thomas Kutschaty. Da erklärte Laschet, die Geschäfte könnten doch offen bleiben, sofern sie nur frisch getestete Kunden einließen.

Kutschaty fragte daraufhin, was „das Wort des Ministerpräsidenten eigentlich noch wert“ sei. Und auch Monika Düker, Finanzexpertin der Grünen, sagte dieser Zeitung, offenbar seien „dem Landespolitiker Laschet die Worte des Bundespolitikers Laschet gleichgültig – und umgekehrt“. Diese Diskrepanz zwischen Laschets bundespolitischer Rhetorik und seinem landespolitischen Handeln lässt sich auf kaum einem Gebiet so gut nachzeichnen wie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Als CDU-Bundesvorsitzender und möglicher Kanzlerkandidat hat Laschet in Berlin die Postulate des CDU-Wirtschaftsflügels aufgegriffen: schnellstmöglich Schulden abbauen, Steuern senken statt anheben, Ausgabendisziplin. Doch als Ministerpräsident in NRW agiert er seit 2017 anders: Schuldenabbau behandelt er als zu vernachlässigende Größe, die Kreditrückzahlung streckte er über einzigartig lange Zeiträume. Und hohe Steuern waren ihm stets ein Anliegen. Zu Laschets Glück blieb den meisten Beobachtern bislang verborgen, wie wenig sein Handeln in NRW zu seinen Worten im Bund passt.

Der Schuldenjongleur

Das gilt insbesondere für die Frage, ob man die gigantischen Corona-Kredite von Bund und Ländern schnell oder langsam zurückzahlen soll. Der CDU-Bundesvorsitzende Laschet sagt: schnellstmöglich. Und schon 2024 solle die Rückzahlung beginnen. Keinesfalls dürfe die Schuldenbremse 2024 noch außer Kraft gesetzt sein. Damit widersprach er Kanzleramtsminister Helge Braun, der sie für „einige Jahre aussetzen“ will. Doch in NRW fährt der Ministerpräsident einen anderen Kurs. Hier beschloss er, die Corona-Schulden möglichst langsam zurückzuzahlen. Den 25-Milliarden-Kredit, den NRW zur Bewältigung der Pandemie aufgenommen hat, wird NRW später als jedes andere Bundesland zurückgezahlt haben. Während Baden-Württemberg die Schulden binnen zehn und Sachsen-Anhalt sie in sechs Jahren zurückerstatten will, lässt NRW sich einzigartige 50 Jahre Zeit.

Der Landesrechnungshof tadelte Laschet dafür, dieser Tilgungszeitraum sei viel zu lang. Und Rik Steinheuer, Chef des Bundes der Steuerzahler NRW, sagte WELT AM SONNTAG: „Die Rückzahlung hätte man auf maximal 30 Jahre beschränken müssen, um der Politik in Zukunft noch Handlungsspielräume offenzuhalten. Wer weiß, wann die nächste Krise droht?“ Diese Kritik ist auch deshalb bemerkenswert, weil Laschet sowohl Rechnungshof als auch Steuerzahlerbund stets gerne zitierte – solange er Oppositionsführer war. Umso schmerzhafter, dass Steinheuer seine Kritik noch zuspitzt: „Wenn Laschet die Schuldenbremse wirklich am Herzen liegen sollte, hätte er dies durch einen kürzeren Rückzahlungszeitraum für die Schulden beweisen können.“

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Dass „Laschet auf den Bühnen von Berlin und NRW zwei unterschiedliche Stücke spielt“, beobachtet man auch im anderen politischen Lager: zum Beispiel bei Gustav Horn, dem Duisburger Ökonomie-Professor und Berater des SPD-Bundesvorstands. Auch ihm zufolge „tritt der Finanzpolitiker Laschet in Berlin wie Friedrich Merz auf, in NRW aber ähnelt er eher Olaf Scholz“. Das sei widersprüchlich, für NRW aber gut. Denn, so sagt Horn WELT AM SONNTAG: „Die Schuldenrückzahlung zu strecken ist vernünftig angesichts der extrem niedrigen Zinsen.“ Zudem schrumpfe „bei einer normalen Inflationsentwicklung bei gleichzeitig auch nur moderatem Wirtschaftswachstum der Wert der geschuldeten Summe innerhalb eines halben Jahrhunderts massiv“. Solche Überlegungen seien in der deutschen Wirtschaftswissenschaft wieder im Kommen.

Doch im Lob für den Ministerpräsidenten steckt die Kritik am CDU-Bundesvorsitzenden: „Wenn diese Strategie für NRW vernünftig ist, kann sie für Berlin nicht falsch sein. Seine Widersprüche rauben Laschet Glaubwürdigkeit“, meint Ökonom Horn. Davon will man in der CDU-Landtagsfraktion freilich nichts wissen. Auf Anfrage erklärte deren Finanzpolitiker Olaf Lehne, in der Finanz- und Haushaltspolitik sehe er „zwischen dem, was für den Bund gefordert wird, und dem, was wir hier in NRW machen, keine Diskrepanzen“. Allerdings ging Lehne auf konkrete Fragen etwa nach dem Tempo der Schuldenrückzahlung nicht ein.

Der Steuereintreiber

Seit Monaten betont Laschet auf der Berliner Bühne, nach der Bundestagswahl seien Steuersenkungen vonnöten, Steuererhöhungen seien tabu. Die Union solle als Garant eines steuerpolitisch bescheidenen Staates auftreten. Damit greift Laschet Forderungen des CDU-Wirtschaftsflügels auf, den er als Parteichef integrieren muss. In NRW aber präsentiert sich ein anderer Laschet. Schon als Oppositionsführer warb er für Steuererhöhungen. Und forderte, den Solidaritätszuschlag über 2020 hinaus fortzusetzen und insbesondere nach NRW fließen zu lassen. Zwar zierte er sich, den „Soli“ als Steuer zu bezeichnen – nur: „Wie sonst soll man einen Zuschlag von 5,5 Prozent auf gleich mehrere Steuern, von Einkommen bis Kapitalerträge, nennen?“ So fragt Ökonom Horn.

Sein Soli-Postulat gab Laschet erst auf, als sich in der Union die Forderung nach Komplettabschaffung des Solis durchsetzte. Seitdem wirbt Laschet für einen anderen Weg, die Steuerzuflüsse nach NRW zu beleben: Er plädiert dafür, dass die Bundesländer von den Steuereinnahmen des Bundes mehr abbekommen. Die Bundesfinanzminister der Republik erwidern auf diese nicht ganz neue Forderung stets, dies laufe auf eine Steuererhöhung im Bund hinaus. Irgendwo müsse der Bund die zusätzliche Summe für die Länder ja hernehmen. Doch das hat Laschet nie beirrt.

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„Dass Steuersenkungen, Schuldenabbau und Entlastung der Bürger für Laschet anscheinend keine Herzensanliegen sind, legt sein Regierungshandeln seit 2017 nahe“, sagt daher Rik Steinheuer vom Steuerzahlerbund. Darin stimmt ihm neben dem Landesrechnungshof auch die Grüne Düker zu. Allerdings nur in der Beschreibung, nicht in der Bewertung. Der Steuerzahlerbund träumt von schnellerem Schuldenabbau, die Grünen halten verstärkte Investitionen für wichtiger als eilige Schuldentilgung.

Der Befund aber ist unstrittig. Rechnungshof-Präsidentin Brigitte Mandt fasste ihn 2020 in die Worte, bis zur Corona-Krise seien „die Steuereinnahmen gut wie nie“ gewesen und „die Zinsen auf historisch niedrigem Niveau“. Aber Laschet habe die Spielräume fürs Sparen und den Schuldenabbau nie genutzt. Zwar hatte seine Landesregierung 2020 zehn Milliarden Euro mehr in der Landeskasse als 2017. Aber der Schuldenstand lag Ende 2019 gerade einmal 100 Millionen Euro unter dem des Vorjahres, wie Mandt kritisierte.

Der Wortbrecher

Dabei hatte Laschet sich noch kurz vor Regierungsantritt verpflichtet, von jedem zusätzlich eingenommenen Euro ein Drittel in Schuldenabbau und ein Drittel in steuerliche Entlastung der Bürger zu stecken. Das wären bis 2020 rund 3,3 Milliarden Euro gewesen. „Doch daran hat er nie im Ernst gedacht“, sagt Düker. „Das belegt nicht nur der minimale Schuldenabbau, sondern auch die komplett ausgebliebene Steuerentlastung der Bürgerinnen und Bürger.“

Zwar gibt es nicht viele Steuern, die ein Bundesland senken kann. Eine aber schon: die Grunderwerbsteuer in Höhe von 6,5 Prozent. Sie spülte dem Land 2020 rund 3,8 Milliarden Euro in die Kasse. Zu Oppositionszeiten klagte Laschet, diese Steuer sei eine Attacke auf junge Familien, die von einem Eigenheim träumten. Doch seit er die Regierung führt, hat Laschet in NRW nichts unternommen, um sie zu senken. „Dabei hätte er wenigstens die etwa 600 Millionen Euro Mehreinnahmen seit 2017 durch Senkung des Steuersatzes ohne Mithilfe des Bundes den Menschen zurückgeben können“, sagt Düker. Und Steinheuer ergänzt, diese Idee habe Laschet leider nie ernsthaft geprüft. Eins immerhin hält Steinheuer ihm zugute: Nach 2017 nahm Laschets Regierung im Landeshaushalt, wie schon Rot-Grün 2016, keine neuen Schulden mehr auf. Aber auch das, seufzt der Steuerzahlerchef, sei ihm nur durch allerhand haushalterische Schachzüge gelungen.

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