Antonio Rüdiger: Endlich ein König - WELT
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Endlich ein König

Präsentation in Madrid: Real-Präsident Florentino Perez (r.) mit Antonio Rüdiger, der die Rückennummer 22 erhält Präsentation in Madrid: Real-Präsident Florentino Perez (r.) mit Antonio Rüdiger, der die Rückennummer 22 erhält
Präsentation in Madrid: Real-Präsident Florentino Perez (r.) mit Antonio Rüdiger, der die Rückennummer 22 erhält
Quelle: Real Madrid via Getty Images
Mit 29 wechselt Antonio Rüdiger zu Real Madrid. Für den Abwehrspieler ist es die Krönung eines späten, aber steilen Aufstiegs. Ein Gespräch mit Trainer Ancelotti habe ihn überzeugt. Bei den Königlichen warten große Aufgaben auf Rüdiger.

Es war ein Moment, wie ihn viele Menschen von Hochzeit und Taufen kennen. Real Madrids Präsident Florentino Pérez hob zur Lobesrede an – und im Saal weinte bitterlich ein Baby. Antonio Rüdiger, deutscher Nationalspieler, lächelte das entspannt weg, er ist ja der Vater dazu, und überhaupt: Was sollte seinen großen Tag schon ruinieren? Bald war Rüdiger Jr. aus dem Raum getragen, und Pérez konnte ungestört „einen der besten Verteidiger der Welt willkommen heißen“.

Antonio Rüdiger also, 29 Jahre alt: Ein sehr kompletter Verteidiger ist der gebürtige Berliner und ein extrovertierter Typ, der immer mehr zum Leader gereift ist, schnell, kopfballstark, physisch einschüchternd, aber auch mit Leichtigkeit, Risikobereitschaft und Übersicht für das Spiel nach vorn. „Ein fantastischer Fußballer, der in jedem Match seine Seele auf dem Platz lässt“, so Pérez. Gestern wurde er auf dem Campus von Real Madrid der Öffentlichkeit präsentiert. „Für uns ist es eine Ehre, einen Spieler wie dich bei uns zu haben“, flötete Klubdirektor und Sturmlegende Emilio Butragueño.

Für Rüdiger ist der ablösefreie Wechsel vom Premier-League-Klub Chelsea zum Rekordeuropapokalsieger Real – inklusive Gehaltserhöhung und einem kolportierten Handgeld von 35 Millionen Euro – die Krönung eines späten, aber umso steileren Aufstiegs. Endlich ein König: Während seiner Zeit beim VfB Stuttgart, dem AS Rom und auch anfangs in Chelsea galt er immer als guter, entwicklungsfähiger Innenverteidiger, aber auch als etwas fehleranfällig und jedenfalls nicht als künftiger „Galáctico“.

FC Chelsea - FC Watford
22.05.2022, Großbritannien, London: Fußball: Premier League, England, 38. Spieltag, FC Chelsea - FC Watford. Antonio Rüdiger (l) vom FC Chelsea in Aktion. Foto: Alastair Grant/AP/d...pa +++ dpa-Bildfunk +++
Quelle: dpa/Alastair Grant

In der Saison 2019/20 wurde er von Trainer Frank Lampard aus relativ unerklärlichen Gründen sogar aufs Abstellgleis gestellt. „Weg vom Fenster“ – so beschrieb Rüdiger selbst seinen damaligen Status. Doch im Fußball braucht es manchmal nur den richtigen Zufall im richtigen Moment. Während der Saison kam Thomas Tuchel, seit jeher Fan von Rüdigers Spiel. Der Deutsche formte ihn zum Abwehrfelsen einer Elf, die noch in derselben Saison die Champions League gewinnen sollte. Es war der große Turnaround einer Karriere: Plötzlich konnten alle sehen, wie gut Rüdiger ist.

Ancelotti überzeugte Rüdiger

Nun trug er zum Einstand bei Real einen schicken Karoanzug, erklärte sich beeindruckt vom Trophäensaal mit 14 Champions-League-Pokalen und definierte ein Gespräch mit Real-Trainer Carlo Ancelotti im April als entscheidenden Moment für seine Entscheidung. Rüdiger nannte die neue Aufgabe im berühmtesten Klub der Welt eine „Herausforderung“, wirkte aber nicht, als hätte er Furcht vor ihr. So entspannt war er, dass er sogar mehrfach auf Deutsch zur Antwort ansetzte, ehe ihm einfiel, dass ja Englisch als Konferenzsprache abgemacht war. Spanisch? Soll bald folgen. „Rom wurde nicht an einem Tag erbaut, aber die Sprache ist jetzt das Wichtigste“, sagte er.

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Für vier Jahre hat Rüdiger unterschrieben, auch das ist sehr gut für einen 29-Jährigen. Wer ablösefrei kommt, hat eine starke Verhandlungsposition, die Spieler erkennen diese Macht immer mehr – und gerade bei Innenverteidigern liegen Gratiswechsel im Trend: Real verlor auf diese Weise letzte Saison seinen Kapitän Sergio Ramos, verpflichtete aber gleichermaßen David Alaba. Der Österreicher integrierte sich in Höchstgeschwindigkeit und trug wesentlich zum Champions-League-Sieg bei; sein Fall gilt quasi als Blaupause für das, was man sich von Rüdiger erhofft.

Bei ihrem Werben profitierten die Madrilenen dazu von einem unbeholfenen Chelsea, das zunächst zögerte und danach wegen der Blockade gegen Ex-Eigentümer Roman Abramowitsch infolge des russischen Angriffs auf die Ukraine handlungsunfähig war. Als der Verein dann im Mai den Besitzer wechselte, war sich Rüdiger längst mit Madrid einig.

Real-Legende Pepe als Vorbild

Und falls er noch nicht wusste, in welcher Fußballkultur er gelandet ist, erfuhr Rüdiger auch das gleich. Die Schlagzeilen der spanischen Medien dominierte ad hoc sein Eingeständnis, auch vom FC Barcelona kontaktiert worden zu sein. „Aber ich sagte zu meinem Bruder (und Agenten, d. Red.): ‚Real oder nichts‘.“ Ein kleiner Triumph im ewigen Clásico der Erzrivalen, so etwas verkauft sich. Die Partie selbst natürlich auch: Gegen Barça bestreitet Real am 23. Juli sein erstes Saisonvorbereitungsspiel – in Las Vegas. Der neue Verteidiger könnte also gleich zum Debüt all-in gehen.

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Antonio Rüdiger versicherte auf der Pressekonferenz, schnell Spanisch lernen zu wollen
Quelle: AFP/JAVIER SORIANO

Rüdiger erklärte sich bereit für diese und weitere Schlachten. Gefragt nach einem Verteidigeridol, nannte er den ehemaligen Klubprofi Pepe – einen exzellenten Abwehrmann, der aber außerhalb der Real-Familie in Spanien zuvorderst für eine Härte erinnert wird, die manchmal alle Limits überschritt. „Ein Monster auf dem Platz, aber sehr sympathisch daneben“, so sieht Rüdiger den Portugiesen – und sich selbst. „Mit mir weißt du nie, was du kriegst: Ich quatsche, lache, tanze gern“, analysierte er seine Persönlichkeit: „Aber auf dem Platz bin ich sehr ernst. Da mag ich keine Späße.“

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Sein Vorbild Pepe wurde in der wüstesten Clásico-Ära von Trainer José Mourinho bisweilen als Bulldozer im defensiven Mittelfeld eingesetzt, doch so etwas wird Rüdiger unter dem galanten Ancelotti wohl kaum passieren. Zumal für diese Position neben dem Stammplatzhalter Casemiro gerade erst für rund 100 Millionen Euro der junge Franzose Aurélien Tchouaméni von AS Monaco verpflichtet wurde. Rüdigers Platz soll auf angestammtem Terrain sein, in der Abwehrmitte – die er aller Voraussicht nach mit Éder Militão bespielen wird. Auch der brasilianischen Nationalverteidiger verfügt über eine imposante Physis; gegnerische Stürmer können sich bestimmt angenehmere Gegner vorstellen als dieses Duo. Militãos bisheriger Partner Alaba dürfte dafür auf die Linksverteidigerposition beordert werden, Reals größte Schwachstelle.

Die besten Jahre warten noch

Auch ohne den am Ende doch nicht wechselwilligen Kylian Mbappé sollte Madrid kommende Saison also eine noch bessere Elf ins Rennen schicken als bei dem von wundersamen Aufholjagden geprägten Champions-League-Sieg der abgelaufenen Spielzeit. Da gab es unter anderem einen Viertelfinalerfolg gegen Chelsea – mit einem an jenem Abend überragenden Rüdiger –, während dem der kleine Rechtsverteidiger Dani Carvajal in der Verlängerung die Abwehrmitte besetzen musste: Es war sonst keiner mehr da. Künftig gibt es nun nicht nur mehr Optionen, sondern auch einen weiteren Leader für eine Mannschaft, die mit Profis wie Luka Modrić, Karim Benzema, Toni Kroos oder auch Alaba und Carvajal fast überquillt vor Erfahrung und Charakter.

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„Ich fühle mich selbstsicher“, erklärte Rüdiger über die anstehende Konkurrenzsituation, und nein, Ancelotti habe ihm bei jenem Gespräch keinerlei Zusagen oder Postenversprechen gemacht. „Er sagte mir, dass er mich haben will und dass er mir vertraut. In meinem Alter ist das für mich ausreichend“. Sein Alter: Eines, in dem ihm schon viel Gutes passiert ist – und das Beste noch kommen soll.

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