Annie Ernaux lesen: 5 Buchtipps zum Einstieg

Es ist eine kollektive Biographie des bewegten 20. Jahrhunderts: Anhand von Fotografien, Erinnerungen und Aufzeichnungen, von Wörtern, Melodien und Gegenständen vergegenwärtigt Annie Ernaux die Jahre, die vergangen sind. Und dabei schreibt sie ihr Leben – unser Leben, das Leben – in eine völlig neuartige Erzählform ein. »Die Jahre« erschien erstmals 2008 und wurde 2016 als erstes Werk von Ernaux im Suhrkamp Verlag in Übersetzung von Sonja Finck veröffentlicht.

In »Der Platz« widmet sich Annie Ernaux dem Leben ihres Vaters und damit auch ihrer eigenen Herkunft, die in ihrem weiteren Werk eine zentrale Rolle einnimmt. Um die Jahrhundertwende geboren, musste er früh von der Schule abgehen, war zunächst Bauer, dann, bis zum Todesjahr 1967, Besitzer eines kleinen Lebensmittelladens in der Normandie, die körperliche Arbeit ließ ihn hart werden gegen seine Familie. Das Buch erschien erstmals 1983 in Frankreich und 2020 in der deutschen Neuübersetzung von Sonja Finck. In »Eine Frau« widmet sich Ernaux dem Leben ihrer Mutter, in »Die Scham« der Beziehung ihrer Eltern und dem unmittelbaren Einfluss, den diese auf ihre Kindheit hat.

Annie Ernaux’ »Erinnerung eines Mädchens« erschien 2016 in Frankreich und wurde 2018 von Sonja Finck ins Deutsche übersetzt. Der Sommer, der in diesem Buch zum Erzählanlass wird, liegt fast 60 Jahre zurück: Mit schonungsloser Genauigkeit erzählt Annie Ernaux von ihrer ersten sexuellen Begegnung im Jahr 1958 – von Macht, Ohnmacht und Unterwerfung. Von einer Wunde, die niemals ausgeheilt ist. Und vom teuer bezahlten Erkennen des eigenen Werts.

Im Oktober 1963 bemerkt die 23-jährige Annie, dass sie schwanger ist. Die Studentin aus bescheidenen Verhältnissen weiß: Wenn sie ein uneheliches Kind zur Welt bringt, wird sie alles verlieren, was sie sich hart erkämpft hat. Sie ist entschlossen, die Schwangerschaft zu beenden, aber im Frankreich der 1960er Jahre ist Abtreiben illegal, und so beginnt für die junge Frau ein Spießrutenlauf. Die Verfilmung durch die französische Regisseurin Audrey Diwan wurde 2021 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig mit dem Goldenen Löwen, dem Hauptpreis für den besten Film, ausgezeichnet.

Die zwanzigjährige Literaturstudentin Denise Lesur wartet darauf, dass ihr Körper die Abtreibung vollzieht und denkt währenddessen über ihre Kindheit und Jugend nach. Zerrissen zwischen dem Elternhaus und den Mitschülerinnen fühlt sich Denise von beiden Seiten stets abgestoßen. Annie Ernaux’ Debüt erschien 1974 in Frankreich und wird nun in der Übersetzung von Sonja Finck erstmals auf Deutsch veröffentlicht. In Die leeren Schränke umkreist Ernaux ein frühes einschneidendes Ereignis, das ihr gesamtes Leben prägen wird und erfindet dafür eine völlig neuartige, aufwühlende literarische Form: den autobiographischen Roman.