Interview mit Annette Widmann-Mauz (CDU), parlamentarische Staatssekret�rin im Bundesgesundheitsministerium (BMG), und Dr. med. Cornelia Goesmann,...
ArchivDeutsches �rzteblatt12/2011Interview mit Annette Widmann-Mauz (CDU), parlamentarische Staatssekret�rin im Bundesgesundheitsministerium (BMG), und Dr. med. Cornelia Goesmann, Vizepr�sidentin der Bundes�rztekammer (B�K): �Frauen haben ein Recht auf k�rperliche Unversehrtheit�

POLITIK: Das Interview

Interview mit Annette Widmann-Mauz (CDU), parlamentarische Staatssekret�rin im Bundesgesundheitsministerium (BMG), und Dr. med. Cornelia Goesmann, Vizepr�sidentin der Bundes�rztekammer (B�K): �Frauen haben ein Recht auf k�rperliche Unversehrtheit�

Korzilius, Heike; B�hring, Petra

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Sch�tzungen zufolge leben circa 18 000 M�dchen und Frauen in Deutschland, die an ihren Genitalien verst�mmelt wurden. B�K und BMG werben gemeinsam bei �rztinnen und �rzten f�r einen sensiblen Umgang mit den Betroffenen.

Frau Widmann-Mauz, Frau Dr. Goesmann, warum liegt Ihnen das Thema �weibliche Genitalverst�mmelung� am Herzen?

Widmann-Mauz: Ich besch�ftige mich seit Jahren mit Frauenpolitik. Und als Frau ist man zuerst einmal geschockt, was M�dchen und Frauen in anderen Kulturkreisen angetan wird. Deshalb will ich dieses Thema aus der Tabuzone herausholen und alle M�glichkeiten nutzen, Frauen zu helfen.

Goesmann: �hnliche Beweggr�nde hatte ich auch. Dass solche mittelalterlichen Praktiken in unserer modernen Zeit m�glich sind, ist f�r mich unfassbar. Dazu kommt ein berufspolitisches Interesse. Es gab Vorw�rfe, �rzte w�rden betroffenen Frauen nicht angemessen helfen oder sich vereinzelt sogar an Genitalverst�mmelungen beteiligen. Dem musste die Bundes�rztekammer entgegentreten. Sie hat bereits 2005 Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach Genitalverst�mmelung ver�ffentlicht.

Gemeinsam gegen ein Tabu: Annette Widmann- Mauz (44) studierte Politik- und Rechtswissenschaften in Tübingen und ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Cornelia Goesmann (59) ist Allgemeinärztin in Hannover und seit 1990 berufspolitisch aktiv (v.l.). Foto: Georg J. Lopata
Gemeinsam gegen ein Tabu: Annette Widmann- Mauz (44) studierte Politik- und Rechtswissenschaften in T�bingen und ist seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages. Cornelia Goesmann (59) ist Allgemein�rztin in Hannover und seit 1990 berufspolitisch aktiv (v.l.). Foto: Georg J. Lopata

Weltweit sind nach Sch�tzungen von UNICEF zwischen 70 und 140 Millionen Frauen und M�dchen von Genitalverst�mmelung betroffen. In Deutschland leben sch�tzungsweise 18 000 Betroffene. Wie kann die Politik dieser Praktik entgegenwirken?

Widmann-Mauz: Zun�chst einmal war es wichtig, dass die Genitalverst�mmelung zum Thema wurde, unter anderem in der bilateralen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und in internationalen Gremien wie der Weltgesundheitsorganisation.

Die Weltgesundheitsorganisation hat die Formen und Schweregrade der Genitalverst�mmelung definiert.

Widmann-Mauz: Genau. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Klarheit dar�ber herrscht, dass diese Praktiken in Deutschland strafrechtlich geahndet werden. Frauen und M�dchen m�ssen wissen, welche Rechte sie haben.

Au�erdem m�ssen wir den Betroffenen Hilfe anbieten. Ich bin dankbar, dass die Bundes�rztekammer gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium versucht, die �rzte umfassend aufzukl�ren.

Die Gr�nen haben einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Strafen f�r Genitalverst�mmelung versch�rfen will. Eine �hnliche Initiative haben mehrere Bundesl�nder im Bundesrat gestartet. Ist das sinnvoll?

Widmann-Mauz: Wir haben bereits verschiedene Straftatbest�nde, bis hin zur schweren K�rperverletzung, unter die die Genitalverst�mmelung zu subsumieren ist. Von der Debatte �ber die Gesetzentw�rfe geht aber das Signal aus, dass wir solche Straftaten nicht akzeptieren, auch dann nicht, wenn sie im Ausland begangen werden. Ich will dem Prozess nicht vorgreifen, aber ich k�nnte mir vorstellen, dass es einen gro�en frauenpolitischen Konsens gibt, hier klare Zeichen zu setzen.

Die Genitalverst�mmelung ist in den Gesellschaften, die sie praktizieren, ein hoher sozialer Wert. Frauen und deren Familien drohen gesellschaftliche Sanktionen, wenn sie sich dem Brauch entziehen. Wie kann sinnvolle Pr�vention aussehen?

Widmann-Mauz: Hier m�ssen zwei Dinge zusammenkommen: die Enttabuisierung, aber auch der Respekt vor den Betroffenen. Die Frauen m�ssen erkennen, dass sie ein Recht auf k�rperliche Unversehrtheit haben und dieses auch einfordern k�nnen. Die St�rkung von Frauen ist deshalb eine wichtige Strategie in der Entwicklungszusammenarbeit.

Frau Dr. Goesmann, es gibt Berichte von Migrantinnen, die sich wie seltene Gesch�pfe im Zoo vorkamen, als sie ihren Arzt erstmals mit den Folgen ihrer Beschneidung konfrontierten. Wie kann man die �rzte sensibilisieren?

Goesmann: In den letzten Jahren hat es viel Aufkl�rungsarbeit gegeben, vor allem durch den Berufsverband der Frauen�rzte. Das Wissen �ber die Genitalverst�mmelung ist gr��er geworden. Die Empfehlungen der Bundes�rztekammer zum Umgang mit betroffenen Frauen sind inzwischen Bestandteil der Facharztweiterbildung und der Fortbildung in der Gyn�kologie. Sie wurden au�erdem in das 80-Stunden-Curriculum Psychosomatische Grundversorgung integriert, das Haus�rzte und Gyn�kologen im Rahmen ihrer Weiterbildung absolvieren m�ssen.

Worauf sollten �rzte besonders achten, wenn sie beschnittene Frauen behandeln?

Goesmann: �rzte d�rfen nicht in Entsetzen oder Voyeurismus verfallen, sondern sollten sachlich, aber auch einf�hlsam vorgehen und die Frau so akzeptieren, wie sie ist. Die Betroffenen wissen ja manchmal gar nicht, wie stark sie von der k�rperlichen Norm abweichen. Wichtig ist auch die Aufkl�rung �ber medizinische Ma�nahmen, mit denen man die Folgen der Verst�mmelung beheben kann, oder �ber Schwangerschaft und Geburt.

Widmann-Mauz: Ich m�chte in diesem Zusammenhang einmal klarstellen, dass alle Gesundheitsst�rungen infolge von Genitalverst�mmelungen zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden k�nnen. Dem DIMDI liegt au�erdem ein Antrag vor, f�r Genitalverst�mmelungen einen eigenen ICD-10-Kode zu vergeben. Sollte das Institut das tun, werden wir sicher bald �ber bessere Daten verf�gen.

In einigen afrikanischen L�ndern nimmt zunehmend medizinisches Personal Genitalverst�mmelung vor. �rzten in Deutschland ist das strikt verboten.

Goesmann: Das ist straf- und berufsrechtlich verboten. Der Arzt kann dadurch seine Approbation verlieren.

Das hei�t, �rzte d�rfen Frauen auch nicht reinfibulieren, selbst wenn diese das w�nschen?

Goesmann: Das haben wir in unseren Empfehlungen so festgelegt. Wenn eine Frau beispielsweise nach einer Geburt den Arzt darum bittet, sie wieder so zuzun�hen, so dass tats�chlich nur eine bleistiftgro�e �ffnung bleibt, muss der Arzt sich weigern. Auch der Welt�rztebund hat sich im �brigen gegen die Beteiligung von medizinischem Personal an Genitalverst�mmelungen ausgesprochen.

Es wird von F�llen berichtet, in denen M�dchen aus Migrantenfamilien in den ehemaligen Heimatl�ndern beschnitten werden. Wie kann man das verhindern?

Goesmann: Mich hat einmal in der Praxis eine deutsche Mutter angesprochen, die mit einem Afrikaner zusammenlebt und deren gemeinsame Tochter in den Ferien zu den Gro�eltern nach Afrika fahren sollte. Die Mutter hatte die begr�ndete Angst, dass ihre damals zehnj�hrige Tochter dort von den Tanten beschnitten werden w�rde. Wir haben dann gemeinsam beschlossen, dass sie das Kind nicht mehr in dieses Land reisen l�sst, bis es alt genug ist, sich selbst zu wehren. Das M�dchen ist inzwischen 15 Jahre alt und war nicht mehr in Afrika.

Wenn eine Beratung nicht hilft und Gefahr f�r Leib und Leben besteht, k�nnen �rzte aber auch das Jugendamt einschalten. Im Zweifelsfall wird den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht f�r die Zeit des geplanten Auslandsaufenthalts entzogen.

Widmann-Mauz: Die M�glichkeit besteht, kann aber nur Ultima Ratio sein. Zun�chst sollte das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verh�ltnis im Vordergrund stehen, denn da kann weitere Hilfe ansetzen. Wenn man zu repressiv vorgeht, treibt man die gef�hrdeten M�dchen und deren Familien immer st�rker in die Illegalit�t. Dann wird es umso schwerer, sie zu erreichen.

An wen k�nnen sich Frauen oder deren �rzte wenden, wenn sie Rat suchen?

Widmann-Mauz: In der Regel k�nnen Familienberatungsstellen weiterhelfen oder Nichtregierungsorganisationen wie Terre des Femmes, die sich bei diesem Thema besonders engagieren.

Goesmann: �rzte sollten sich an den Berufsverband der Frauen�rzte oder die Deutsche Gesellschaft f�r Gyn�kologie und Geburtshilfe wenden, die bei Bedarf auch Spezialisten vermitteln k�nnen.

Das Interview f�hrten Heike Korzilius
und Petra B�hring.

Formen der Verletzung

Die Weltgesundheitsorganisation unterscheidet vier Formen der Genitalverst�mmelung:

  • Typ I �Sunna�: Exzision der Vorhaut mit der ganzen oder einem Teil der Klitoris
  • Typ II �Exzision�: Entfernung der Klitoris mit partieller oder totaler Entfernung der kleinen Labien
  • Typ III �Infibulation�: Entfernung der ganzen oder eines Teils der �u�eren Genitalien und Zun�hen des Orificium vaginae bis auf eine minimale �ffnung
  • Typ IV: diverse, nicht klassifizierbare Praktiken, beispielsweise Punktion, Piercing, Einschnitt und Einriss der Klitoris

Die weibliche Genitalverst�mmelung wird vor allem in Teilen Afrikas, aber auch in einigen arabischen und asiatischen Staaten vorgenommen. Sie ist nicht auf bestimmte Glaubensgemeinschaften beschr�nkt.

Quelle: Empfehlungen zum Umgang mit Patientinnen nach weiblicher Genitalverst�mmelung der Bundes�rztekammer

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