Andrea Sawatzki spricht über ihre Kindheit voller tiefem Hass, Zuneigung und Demenz
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Demenz

Andrea Sawatzki spricht über ihre Kindheit voller tiefem Hass, Zuneigung und Demenz

Tuttlingen / Lesedauer: 3 min

Autorin und Schauspielerin Andrea Sawatzki liest beim Literaturherbst aus ihrem Roman „Brunnenstraße“
Veröffentlicht:13.10.2022, 09:58

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Es ist die Geschichte über eine Kindheit, die so außergewöhnlich, emotional bewegend und hart ist, dass einem beim Lesen der Atem stockt. „Brunnenstraße“ heißt der Roman von Andrea Sawatzki, in dem sie in Teilen autobiografisch über ihr frühes Leben schreibt. Am 16. Oktober kommt die Schauspielerin und Bestsellerin zum Literaturherbst in die Tuttlinger Stadthalle, und liest dort aus ihrem Roman vor.

„Ich teile meine Kindheit in zwei Leben auf. Mein erstes Leben dauerte bis zu meinem achten Jahr“, schreibt die Autorin. Eine Zeit, in der sie glücklich mit ihrer Mutter in Vaihingen an der Enz lebt. Diese arbeitet als Krankenschwester in einer Klinik, während die Autorin, die als Ich-Erzählerin auftritt, am liebsten in der Natur spielt – frei, sich selbst überlassen, glücklich. Ihren Vater kennt sie kaum.

Mutter zieht Tochter alleine auf

Denn: Andrea ist das Ergebnis einer leidenschaftliche Liebesgeschichte zwischen ihrer Mutter und einem verheirateten Mann: Günther Sawatzki . Die beiden lernen sich im Krankenhaus kennen. Der Journalist ist Patient ihrer Mutter Emmi. Sie verlieben sich und zeugen ein Kind: Andrea. Zusammenbleiben können sie allerdings nicht. Und so zieht die Mutter ihre Tochter erst einmal alleine auf.

Das „zweite“ Leben der Autorin beginnt, als sie acht Jahre alt ist – und die erste Frau ihres Vaters stirbt. Ihre Eltern ziehen zusammen und heiraten später. Die Mutter „war stolz darauf, nicht mehr arbeiten zu müssen, weil mein Vater uns jetzt versorgen würde“, schreibt Sawatzki. Der Start in ein Leben zu dritt missglückt. Denn Andrea hatte vor der Hochzeit Bauchschmerzen vor Aufregung. Weil ihren Vater, der sie bei Verwandten abholen sollte, das „Gejammer“ störte, ließ er sie einfach dort. „Die Hochzeit war ohne mich gefeiert worden. Einen Tag darauf stand meine Mutter vor Doris' Haus, um mich abzuholen. Sie weinte unaufhörlich, nahm mich fest in den Arm, küsste mich und bat mich, ihr zu verzeihen, dass sie sich nicht gegen meinen Vater hatte durchsetzen können“, schreibt die Autorin.

Ab diesem Zeitpunkt nimmt das Martyrium im Leben von Andrea Sawatzki seinen Lauf. Denn was zu diesem Zeitpunkt keiner ahnt: Günther Sawatzki ist krank. So krank, dass er nicht nur arbeitslos wird, sondern auch arbeitsunfähig. Obendrein ist er noch verschuldet.

Autorin muss sich um aggressiv werdenden Vater kümmern

Während ihre Mutter nachts arbeitet, muss sich Andrea tagsüber um ihren dement und aggressiv werdenden Vater kümmern. „Mein Vater betrachtete mich aus seinen eisblauen Augen. Ich erschrak über den Hass in seinem Blick. Er hatte sich dafür entschieden, in mir einen Feind zu sehen“, schreibt die Autorin, die bereut, sich einen Vater gewünscht zu haben und mit ihrer Mutter zu eben diesem in die Brunnenstraße gezogen zu sein. Die Beziehung zwischen Vater und Tochter ist geprägt von Nähe, Zuneigung, tiefem Hass und absoluter Hilflosigkeit – bis zu einem katastrophalen Ende.

In ihrem Roman „Brunnenstraße“ verarbeitet Andrea Sawatzki ihr Kindheitstrauma. Wie schwierig ihr das gefallen ist, schreibt die Autorin in einem Vorwort: „Ich habe es versucht. Immer wieder. Habe begonnen und abgebrochen. Und dann die Geschichte so erzählt, dass ich in mir selbst eine Fremde sehen konnte, mit der ich nichts zu tun hatte.“