Kritik zu Alles in bester Ordnung: Ist Ordnung wirklich das halbe Leben? - FILMSTARTS.de
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    Alles in bester Ordnung
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Alles in bester Ordnung

    Ist Ordnung wirklich das halbe Leben?

    Von Lars-Christian Daniels

    Spätestens durch die kurzweilige Buddykomödie „100 Dinge“ von und mit Florian David Fitz haben wir gelernt: Wer seinen Alltag mit maximal 100 Dingen bestreiten will und das auch konsequent durchzieht, muss sich radikal einschränken und fast auf jeden Luxus verzichten. Denn zählt man die allernötigsten Utensilien – angefangen bei der Zahnbürste, den Kontaktlinsen und der Kleidung bis hin zu unentbehrlicher Technik wie dem Smartphone oder dem Laptop – zusammen, kommen sehr schnell viele Dutzend Sachen zusammen, auf die wir eigentlich nicht verzichten können.

    In Natja Brunckhorsts Langfilmdebüt „Alles in bester Ordnung“ bestreitet ein junger Mann seinen Alltag ebenfalls mit nur einhundert Dingen – und trifft durch Zufall auf eine argwöhnische Nachbarin, die genau das Gegenteil tut und am liebsten einhunderttausend Dinge in ihrer Wohnung horten würde. Dass die Dreharbeiten unter erschwerten Bedingungen stattfanden und wegen der Corona-Pandemie monatelang unterbrochen wurden, ist der sympathischen Tragikomödie nie anzumerken: „Alles in bester Ordnung“ liefert warmherzige Feel-Good-Unterhaltung im besten Sinne und entführt uns in einen faszinierenden Mikrokosmos, an dem wir uns kaum sattsehen können.

    In dieser Wohnung gibt es mehr als 100 Dinge.

    Der IT-Experte Fynn (Daniel Sträßer) wird zu einer großen Flaschensortieranlage abkommandiert – die Technik streikt und es liegt an ihm, sie zu reparieren. Während ihm am Laptop so schnell keiner was vormacht, sind seine Qualitäten als Handwerker ausbaufähig: Als er in der Mietwohnung, in der er sich für die Dauer seines Auftrags einquartiert, die Heizung repariert, verursacht er einen Wasserrohrbruch, der sein Quartier unbewohnbar macht. Direkt unter ihm wohnt die kontaktscheue Marlen (Corinna Harfouch), bei der das Wasser nun von der Decke tropft – und die ist alles andere als begeistert, als der vorübergehend obdachlose Fynn um einen Schlafplatz in ihrer Wohnung bittet. Marlen hortet darin nämlich so viel Krimskrams, dass für eine zweite Person kein Platz ist – und dafür hat der pragmatisch lebende Fynn in seiner Notlage wenig Verständnis…

    Es ist fast ein kleines Museum, das sich Marlen da eingerichtet hat und in dem man am liebsten mal ungestört einen ganzen Tag verbringen würde: Die Wohnung der eigenbrötlerischen Frau ist vom Boden bis zur Decke vollgestellt mit einem bunten Potpourri aus Erinnerungsstücken, nostalgischem Krimskrams, alten Büchern, wertlosem Nippes und ausgefallen Utensilien, die eigentlich niemand braucht, aber die irgendwie auch zu schade zum Wegwerfen sind. Ganz klar: In diesem wunderbar ausgestatteten Film, der einleitend auch beeindruckende Einblicke in das automatisierte Innenleben einer riesigen Flaschensortieranlage bietet, sind Requisite und Szenenbild die heimlichen Stars – und darin treffen nach dem einleitenden Rohrbruch zwei Welten aufeinander.

    Zwei Welten prallen aufeinander

    Mit dem verschmitzt-sympathischen Fynn (Motto: „Ordnung ist das halbe Leben!“) und der kratzbürstigen Marlen („Willkommen in der anderen Hälfte!“) müssen notgedrungen zwei Menschen auf engstem Raum miteinander auskommen, die in ihrem Wesen unterschiedlicher kaum sein könnten und die sich anfangs nicht ausstehen können: Hier der praktisch denkende IT-Experte aus der Generation Y, der sich mit seiner 100-Dinge-Philosophie von jedem verzichtbaren Besitz lossagt, da die vielgereiste, über die Jahre vereinsamte Zahntechnikerin aus der Babyboomer-Generation, die offenbar mit jedem der vielen tausend Memorabilien in den eigenen vier Wänden eine Geschichte verbindet. Er braucht sie und sie braucht ihn – aber sie muss erst noch lernen, dass das so ist.

    Regisseurin Natja Brunckhorst, die das Drehbuch in Erinnerung an ihre Mutter und gemeinsam mit Martin Rehbock geschrieben hat, entwickelt aus dieser klassischen Ausgangslage eine Dramaturgie, wie sie auch oft in romantischen Komödien Anwendung findet: Aus der anfänglichen Ablehnung und Kontroverse, einem handfesten Streit und humorvollen Reibungsmomenten entwickelt sich im emotionalen Chaos auch immer stärkeres Interesse am anfangs so ungeliebten Gegenüber, das im letzten Drittel in Versöhnung und (hier: rein freundschaftliche) Zuneigung mündet. Die Geschichte driftet aber erfreulicherweise nie in den Kitsch ab, sondern arbeitet den ewigen Konflikt zwischen Loslassen-Können und Festhalten-Wollen auf – und just in der Phase, in der sich langsam Leerlauf einschleicht, bekommt das Ganze durch den Besuch der Hausverwaltung neue Brisanz.

    Fynn und Marlen entwickeln langsam Verständnis füreinander.

    Besonders in der ersten Hälfte des durch zahlreiche Außenaufnahmen aufgebrochenen Kammerspiels überwiegt ansonsten der unaufdringlich eingeflochtene, feinsinnige Humor: Wenn der obdachlose Fynn sich mit seinem Laptop in die Tiefgarage hockt oder in Marlens Wohnung einen der wenigen, nicht bis zur Decke mit Krimskrams vollgestellten Quadratmeter belegt und dort weniger Beinfreiheit genießt als in der „Holzklasse“ eines Billigfliegers, ist allein dieser skurrile Anblick zum Schießen. Die scharfzüngige Marlen sorgt hingegen mit ihrer ablehnenden Art gegenüber ihren Kollegen, vereinzelten Anflügen von realistischer Selbstreflexion und ihrer Vorliebe für ein bequemes Ausstellungsstück in einem Möbelhaus für Lacher und überraschende Momente.

    Die zukünftige Berliner „Tatort“-Kommissarin Corinna Harfouch, die zuletzt in Katharina Marie Schuberts Drama „Das Mädchen mit den goldenen Händen“ eine ähnlich rückwärtsgewandte Figur spielte, gibt dabei einmal mehr eine starke Vorstellung. Zur Identifikationsfigur für den Zuschauer taugt aber auch ihr nicht minder überzeugender Leinwandpartner in seiner Rolle: Die Chemie mit dem Saarbrücker „Tatort“-Kommissar Daniel Sträßer („A Pure Place“) stimmt, die beiden harmonieren prächtig und holen bei dem mit markigen Dialogen gespickten Prinzipienkampf eine Menge aus ihren Figuren heraus. Eine etwas größere Rolle werden sich einige sicher auch für den früheren Frankfurter „Tatort“-Kommissar Joachim Król wünschen, der Marlens gutmütigen Chef spielt. Bei einem gemeinsamen Kaffeetrinken darf er aber zumindest einen warmherzigen Moment für sich verbuchen.

    Fazit: „Alles in bester Ordnung“ ist eine charmant gespielte, detailverliebt ausgestattete und feinsinnig arrangierte Tragikomödie, die dramaturgisch über weite Strecken auf ausgetretenen Pfaden wandelt.

    Wir haben „Alles in bester Ordnung“ bei seiner Weltpremiere auf dem Filmfest Hamburg 2021 gesehen.

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