Diese Politiker haben kleine Vermögen mit bezahlten Auftritten verdient

Diese Politiker haben kleine Vermögen mit bezahlten Auftritten verdient

Was dürfen Politiker nebenher verdienen? Eine Praxis ist in Kritik geraten: bezahlte Vorträge und Reden. Der Linke Gregor Gysi sagt, was er mit dem Geld macht. 

Gregor Gysi (Linke).
Gregor Gysi (Linke).Berliner Zeitung / Paulus Ponizak

Berlin-Es war bestimmt eine muntere Diskussion an diesem 30. August 2019 im Hotel Berlin am Lützowplatz. Der Ring Deutscher Makler (RDM) veranstaltete seinen „Immobilientag“. Rund 250 Personen nahmen teil, überwiegend Fachpublikum. Essen und trinken, schwatzen und fachsimpeln – und Tuchfühlung auch mit Freunden und Gegnern der Branche aus der Politik. Höhepunkt des Rahmenprogramms war ein „Schlagabtausch zwischen Christian Lindner (FDP) und Dr. Gregor Gysi (Die Linke)“. 

Das hat natürlich Charme – zwei begnadete Rhetoriker treffen aufeinander, einer argumentiert für Deregulierung, der andere für Vergesellschaftung. Auch Gysi und Lindner dürften Freude gehabt haben an dem Termin. Gelohnt hat er sich für beide in jedem Fall. Der RDM vergütete ihren Auftritt großzügig. Beide Politiker geben das Honorar auf ihren Internetseiten nach den Richtlinien des Deutschen Bundestages mit der Stufe 2 an – darunter fallen Beträge zwischen 3500 und 7000 Euro.

Ein FDP-Politiker nahm so viel ein wie ein Angestellter im Jahr

Es sind vor allem Abgeordnete der Unionsfraktionen im Bundestag und im bayerischen Landtag, die in diesen Tagen mit ihren Nebeneinkünften auf sich aufmerksam machen. Georg Nüßlein, Nikolas Löbel und Alfred Sauter, die mit der Vermittlung von Schutzmasken-Lieferverträgen zu kleinen Vermögen gekommen sein sollen. Mark Hauptmann und weitere, die Kontakte zu autoritären Regierungen gepflegt und daran verdient haben sollen.

Aber auch eine andere Art von Nebeneinkünften ist zum Gegenstand der Debatte geworden – nicht zuletzt, weil Unionsabgeordnete sie zum Thema gemacht haben: bezahlte Reden und Vorträge, Auftritte bei Podiumsdiskussionen oder „Kaminabende“, bei denen zahlende Gäste auf Tuchfühlung mit den Mächtigen gehen können. Stichprobenartig hat die Berliner Zeitung die vorgeschriebenen Transparenz-Angaben der Abgeordneten darauf überprüft, in welchem Umfang sie solche Termine wahrgenommen haben. Dabei haben wir uns konzentriert auf prominente Fraktionsmitglieder, ehemalige Minister und sonstige Funktionsträger.

Die Regeln des Bundestags für Nebeneinkünfte
Abgeordnete dürfen grundsätzlich neben ihrem Mandat anderen Tätigkeiten nachgehen. So soll nicht zuletzt ermöglicht werden, dass sie ihre Berufstätigkeit fortsetzen können, wenn sie aus dem Parlament ausscheiden. Einige Abgeordnete sind auch selbstständig tätig, etwa als Anwälte, Hausverwalter oder Berater. Die einzelnen Einkünfte müssen sie dem Bundestag melden, die Angaben werden zur Veröffentlichung einer von zehn Stufen zugeordnet. So bezeichnet Stufe 1 Einnahmen von 1000 bis 3500 Euro, Stufe 10 Beträge über 250.000 Euro.

Befund: Es gibt eine überschaubare Zahl von Abgeordneten, die mit entsprechenden Auftritten ein Zubrot einnehmen. Einzelne kommen damit auch auf das durchschnittliche Jahresgehalt eines Angestellten – der FDP-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff etwa, der alleine 2019 mindestens 49.000 Euro für die Teilnahme an Empfängen, Sommerfesten und Abendveranstaltungen erhielt.

Lindner sieht „keinen Anlass, legale Praxis zu ändern“

Besonders geschäftstüchtig war der frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der bis 2019 dem Bundestag angehörte. Als Gesellschafter des Unternehmens SGL Speech Design nahm er im letzten Jahr seines Mandats mehr als 150.000 Euro ein. Wesentlicher Teil des Geschäftsmodells der Firma: die Vermittlung von Rednern, darunter viele Bundestagsmitglieder und auch zwei Abgeordnete der Opposition, die zu den Spitzen-Nebenverdienern im Parlament gehören: die beiden Teilnehmer der Diskussion beim Makler-Treffen, Christian Lindner und Gregor Gysi.

Lindner hat in der laufenden Legislaturperiode, also seit September 2017, mindestens 450.000 Euro eingenommen mit mehr als 70 Vorträgen. Exakte Angaben veröffentlicht der Bundestag nicht, die Abgeordneten müssen stattdessen jede einzelne Einnahme in einer von neun Stufen einordnen. Lindner hat meist einen Betrag der Stufe 3 zwischen 7000 und 15.000 Euro erhalten.

Nach welchen Kriterien wählt er die Anlässe aus, wie trennt der FDP-Fraktions- und Parteichef die Nebentätigkeit von seinen Ämtern? Die Antwort seines persönlichen Pressesprechers kommt nach wenigen Minuten, sie ist höflich und knapp. „Art und Zahl dieser Termine sind seit Jahren online transparent für die Öffentlichkeit“, schreibt er. „Die aktuellen Verfehlungen von Geschäftemachern sind kein Anlass, um an dieser legalen Praxis etwas zu verändern.“

Lobbycontrol will mehr Kontrolle für Abgeordnete

Aber sind die Regeln, die diese legale Praxis ermöglichen, die richtigen? Nein, sagt Timo Lange, Sprecher der Organisation Lobbycontrol. „Reden und Vorträge zu halten, ist Teil der Abgeordnetentätigkeit“, meint er. Ihr Mandat verdankten die Politiker zu einem wesentlichen Teil ihrer Partei. Und es gebe zumindest Unklarheiten, wie sich diese Art der Nebentätigkeit trennen lassen soll vom Mandat, zu dem ja auch ein kleiner Mitarbeiterstab gehört. Die Abgeordneten dürfen ihre Referenten nicht beauftragen, sie bei ihren Nebentätigkeiten zu unterstützen.

Aber wenn ein Abgeordneter Erkenntnisse aus seiner politischen Tätigkeit in einem bezahlten Vortrag wiedergibt, lässt sich das kaum sanktionieren. „Der Bundestag braucht zumindest einen Transparenzbeauftragten, der die Angaben der Abgeordneten überprüfen kann“, meint Tilo Lange. Gegenwärtig liegt diese Aufgabe bei der Bundestagsverwaltung. Sie würde jedoch nicht initiativ tätig, sondern nur, wenn ein Verdacht besteht.

Während sich Christian Lindner eher schmallippig äußert, nimmt Gregor Gysi ausführlich Stellung zu den Fragen der Berliner Zeitung. Insgesamt hatte er seit der vorigen Bundestagswahl, bei der er für die Linke das Direktmandat in Treptow-Köpenick gewann, Nebeneinkünfte von mehr als 450.000 Euro. Er ist als Anwalt tätig. Ein noch größerer Teil der Einnahmen ist auf seine Autobiografie zurückzuführen, die 2017 erschien und sich mehr als 150.000-mal verkaufte. Rechnet man diese Einkünfte heraus und berücksichtigt nur Einnahmen aus Vorträgen und Auftritten, die dazu in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen, bleiben immer noch mehr als 250.000 Euro aus mehr als 100 Veranstaltungen. Darunter sind Gesprächsreihen mit Prominenten, die Gysi im Tränenpalast und in anderen Kulturorten moderierte, Vorträge bei Banken und Bauunternehmen, bei Verbänden und auch bei einer Hannoveraner Bürgerinitiative.

Gysi spendete nach eigenen Angaben 160.000 Euro

„Über eine Honorierung entscheiden immer diejenigen, die mich einladen“, schreibt Gysi. „Niemals stelle ich eine entsprechende Forderung.“ Eine Mitarbeiterin außerhalb des Bundestags werde dafür bezahlt, ihn bei der Vorbereitung von Moderationen zu unterstützen. Mehr als 160.000 Euro habe er zudem gespendet, unter anderem zur Unterstützung von Julian Assange und an seine Partei – so wie es die meisten Abgeordneten tun. Nach diesen Angaben dürfte er einen erheblichen Teil seiner Nettoeinnahmen weitergereicht haben.

Wie Gysi zu der Idee steht, Auftrittshonorare zu verbieten? Für politische Reden unterstütze er den Vorschlag. Eine Ausnahme müsse es für Fachvorträge geben, die eine gewisse Expertise erfordern. Kluge Juristen bekämen es gewiss hin, diesen Unterschied juristisch auszuformulieren.

Hinweis: Gregor Gysi war 2019 und 2020 Kolumnist der Berliner Zeitung und des Berliner Kurier. Das Honorar für diese Tätigkeit wurde ihm nach seinen Angaben von der vermittelnden Literaturagentur 2020 ausgezahlt, es findet sich unter seinen Transparenzangaben.