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So erfand Albert Speer sein „Attentat“ auf Hitler

Mit einer dreisten Lüge rettete sich Albert Speer, Lieblingsarchitekt und Rüstungsminister Hitlers, 1946 vor dem Galgen. Ein Aktenfund im britischen Nationalarchiv zeigt sein cleveres Kalkül.
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Die Erfindung des „Attentats“ auf Hitler

Ein Aktenfund des britischen Nationalarchivs enthüllt: Das Leben von Hitlers Leibarchitekt Albert Speer war 1946 eigentlich verwirkt. Durch eine Lüge blieb ihm der Tod am Strang jedoch erspart.

Quelle: WELT/ Kevin Knauer

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Wenn es um das eigene Leben geht, ist Ehrlichkeit nicht einmal sekundär. Um sich vor dem sicheren Tod zu retten, würde wohl jeder Mensch lügen, dass sich die Balken biegen. Auch Albert Speer (1905-1981), einst Hitlers Leibarchitekt und Ende Mai 1945 neben Hermann Göring und Reichspräsident Karl Dönitz einer der drei ranghöchsten Nazis in der Hand der Alliierten, war ein Mensch.

Er wusste, dass sein Leben eigentlich verwirkt war. In der Moskauer Deklaration vom 30. Oktober 1943 hatte die Anti-Hitler-Koalition verkündet, die Hauptkriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen zu wollen. Speer, seit Februar 1942 als Rüstungsminister der Manager des Rüstungswunders der Wehrmacht, konnte sicher sein, dass er angeklagt werden würde. Er war Realist genug zu wissen, dass ihn die Höchststrafe erwartete: das Todesurteil.

Im Gegensatz zu Hermann Göring und Rudolf Heß, die sich trotzig gaben, auch wenn es ihnen nichts nutzen würde, wollte Speer alles tun, um die eigenen Chancen zu verbessern. Er gab sich in alliierter Haft aufgeschlossen, er kooperierte mit den alliierten Befragern – und er erfand ein Attentat auf Adolf Hitler, dass es nie gegeben hatte.

Seit dem 20. Juni 1946 ist bekannt, was Albert Speer vor dem Nürnberger Internationalen Militärtribunal aussagte: Er habe im Frühjahr 1945 vorgehabt, Hitler mit Giftgas im Berliner Führerbunker umzubringen. Allerdings kam es nie zu dem angeblichen Anschlag – laut Speers Aussage, weil Hitler plötzlich angeordnet habe, den Luftschacht des unterirdischen Bunkers mit einem vier Meter hohen Betonkamin auszurüsten.

In Wirklichkeit war der Attentatsplan frei erfunden. Das belegt einlange übersehenes Dokument aus Akten des britischen Außenministeriums, das der Düsseldorfer Historiker Jürgen Brautmeier in den renommierten „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ veröffentlicht hat.

„Siebte Sitzung mit Speer“

Zuständiger US-Vernehmungsoffizier war der in Russland geborene und in Berlin aufgewachsene Oleg Hoeffding (1915–2002) zusammen mit einem Mitarbeiter des britischen Foreign Office namens Lawrence, über den nichts Näheres bekannt ist. Hoeffding berichtete seinem Vorgesetzten in einem Aktenvermerk vom 1. Juni 1945 über seine „siebte Sitzung mit Speer“; das Papier gelangte wohl über Lawrence ins britische Nationalarchiv.

Hoeffding hatte den ehemaligen Rüstungsminister gebeten, „den politischen Hintergrund bestimmter wirtschaftlicher Entwicklungen in der Endphase des Kriegs zu schildern“, hielt der US-Offizier fest und fuhr fort: „Daraufhin äußerte Speer von sich aus seine politischen Ansichten.“

Hitlers Bunker bestand aus zwei Teilen

Der Hauptbunker unter der Berliner Reichskanzlei entstand nach dem Vorbild des älteren Vorbunkers - aber mit anderer innerer Struktur durch die abgetrennte Führerwohnung.

Quelle: Die Welt

Die hatten es in sich – der Vernehmer hielt die Aussage, die sein Gesprächspartner eigentlich nicht protokolliert sehen wollte, fest: „Im Februar 1945 habe Speer den Plan gefasst, einen ,zweiten 20. Juli 1944‘ zu organisieren, an dem Claus Schenk Graf von Stauffenberg sein – misslungenes – Attentat auf Hitler unternahm. Als Architekt von Hitlers Reichskanzlei und dem dazugehörigen unterirdischen Bunker sei er mit den baulichen Gegebenheiten bis ins Detail vertraut gewesen. Speers Plan habe darin bestanden, Giftgas zu beschaffen und es während der täglich stattfindenden Lagebesprechungen Hitlers in den Bunker pumpen zu lassen.“

Nach eigener Aussage habe Speer gehofft, „damit die Riege all jener, die für eine Fortführung des Kriegs waren, einschließlich Hitler selbst, auf einen Schlag zu beseitigen“. Mit der Beschaffung des Giftgases habe er Brandt beauftragt. Hoeffding fügte in Klammern hinzu: „Hitlers Arzt?“, denn Karl Brandt war der einzige Mann dieses Namens, der Zugang sowohl zum engeren Kreis um Hitler hatte als auch möglicherweise zu Giftgas, war er doch der Verantwortliche für die Euthanasie-Morde 1939 bis 1941.

„Kelch bis zur bitten Neige leeren“

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Um das Einleiten des Giftgases in den Besprechungsraum durch einen Luftschacht habe Speer sich selbst kümmern wollen. Doch bei einem Besuch im Ruhrgebiet habe Speer diesen Plan aufgegeben, hielt Hoeffding weiter fest, „denn dort habe er gesehen, dass nicht nur die Gauleiter, sondern auch viele einfache Bergleute immer noch voller Inbrunst an den Führer glaubten und davon überzeugt waren, dieser sei in der Lage, den Endsieg herbeizuführen“.

Angesichts dessen sei Speer zu der Ansicht gelangt, dass man „das deutsche Volk von seiner Verblendung und dem durch jahrelange Propaganda und Abschottung von der Außenwelt hervorgebrachten Geisteszustand nur dadurch kurieren könne, dass man es diesen ,Kelch bis zur bitteren Neige leeren‘ lasse und ihm alle Illusionen nehme“. Also habe er auf das geplante Attentat verzichtet, um nicht einer neuen „Dolchstoß“-Legende Vorschub zu leisten.

Diese Darstellung, die Speer entweder an einem der beiden letzten Mai-Tage oder sogar am 1. Juni 1945 selbst gab, passte in wesentlichen Punkten nicht mit der Version zusammen, die er ein Jahr später im Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg gab. Dort behauptete er, einem Industriellen aus dem Umfeld seines Ministeriums den Auftrag gegeben zu haben, das Gas zu beschaffen. Außerdem führte er dort als Grund für das Fallenlassen des Planes keine politischen Gründe an, sondern den Bau des Kamins über dem Lüftungseinlass.

Die Urteile von Nürnberg

Vom 20. November 1945 bis zum 1. Oktober 1946 dauerte der Prozess gegen die NS-Hauptkriegsverbrecher in Nürnberg. Zwölf der 24 Angeklagten wurden zum Tode verurteilt.

Quelle: Wikimedia / Public Domain

Mit Brautmeiers Fund ist endgültig klar, dass Speers angeblicher Attentatsplan frei erfunden war. Die beiden Versionen sind inkompatibel, auch wenn seltsamerweise der britische Geheimdienstoffizier Hugh Trevor-Roper, der wohl beide Versionen kannte, dies anders sah.

Brautmeier hat es aber nicht dabei belassen, sondern ging einen wesentlichen Schritt weiter: Warum veränderte Speer seine Version? Ein Grund mag gewesen sein, dass Karl Brandt den Alliierten in die Hände gefallen war. Ein anderer, wohl der wichtigere: Speer hatte seine Verteidigungsstrategie in Nürnberg gegenüber den ersten Verhören mit Hoeffding, Lawrence und anderen alliierten Deutschlandexperten verändert.

Er stellte sich 1946 als unpolitischer Technokrat dar, der eigentlich nur die deutsche Rüstung am Laufen gehalten habe. Dazu passte natürlich die Version nicht, dass er aus politischer Weitsicht, nämlich um eine neue „Dolchstoß“-Legende zu vermeiden, auf sein Attentat verzichtet habe.

„Keine Zweifel an Speers Aufrichtigkeit“

Das war allerdings mit einem erheblichen Risiko behaftet: Speer musste fürchten, dass seine Lüge auffliegen würde, wenn er in Nürnberg mit der neuen Version käme. Vielleicht deshalb ließ er sie zunächst indirekt vortragen – nämlich vom Verteidiger eines anderen Angeklagten im Rahmen eines Zeugenverhörs. Außerdem hatte Speer auch darum gebeten, noch einmal mit Lawrence sprechen zu können, dem gegenüber er diese Story zum ersten Mal erzählt hatte.

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Die Vorsicht erwies sich als unnötig. Mit seinem Charme hatte der früher „beste Freund Hitlers“ (so Speer selbst) seine alliierten Gesprächspartner schon Ende Mai 1945 eingewickelt. Lawrence berichtete selbst, er habe „keine Zweifel an Speers Aufrichtigkeit, nachdem ich Gelegenheit hatte, seine Persönlichkeit und sein Verhalten zu beobachten“. Sein „gediegenes, besonnenes Auftreten bei der Vernehmung“ hinterlasse einen „starken Eindruck“.

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Ähnlich sah es Hoeffding. Speer sei ein „sehr bemerkenswerter Mann und ganz anders geartet als Leute wie Göring, Ley usw“. Ihm hatte der ehemalige Rüstungsminister zudem noch weisgemacht, „sein persönliches Schicksal sei ihm gleichgültig“ – natürlich war das Gegenteil richtig.

Und Speer hatte zugleich seine andere Rechtfertigung vorbereitet: „Möglicherweise klage man ihn an, weil er die Rüstung effizient organisiert habe – dies sei allerdings nicht gerecht, denn das sei ja seine Aufgabe gewesen.“

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