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Geschichte Hinrichtung 1962 in Israel

Drei Meter tief fiel Eichmann. Auf eine Kapuze hatte er verzichtet

Nur drei Tage blieben israelischen Bauarbeitern, um im Ajalon-Gefängnis bei Tel Aviv eine Exekutionsstätte zu errichten. Denn am 1. Juni 1962 sollte das Urteil gegen den Organisator des Mordes an sechs Millionen Juden vollstreckt werden.
Leitender Redakteur Geschichte
(FILES) A file picture taken 15 April 1961 shows Nazi war criminal Adolf Eichmann sitting at a desk in his cell at the Ramle prison in Israel. Israel prepared 13 August 1999 to lift the lid on Eichmann's memoirs after keeping the document hidden from public view for nearly 40 years. Eichmann was kidnapped by Israeli agents 1960 in Argentina and executed 1962 in Jerusalem. dpa (B/W only) +++ dpa-Bildfunk +++ (FILES) A file picture taken 15 April 1961 shows Nazi war criminal Adolf Eichmann sitting at a desk in his cell at the Ramle prison in Israel. Israel prepared 13 August 1999 to lift the lid on Eichmann's memoirs after keeping the document hidden from public view for nearly 40 years. Eichmann was kidnapped by Israeli agents 1960 in Argentina and executed 1962 in Jerusalem. dpa (B/W only) +++ dpa-Bildfunk +++
Adolf Eichmann (1906–1962) in seiner Zelle
Quelle: picture-alliance / dpa
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Sein Leben endete so, wie er es gelebt hatte: mit Gewalt. In der Nacht zum 1. Juni 1962 ging Adolf Eichmann, ehemals Leiter des „Judenreferats“ IV B 4 der Gestapo, zuvor Mitglied der illegalen österreichischen SS, seinen letzten Gang. Und mit Spott auf den Lippen. Den anwesenden Zeugen sagte er beim Eintreten in die Hinrichtungskammer noch: „In einem kurzen Weilchen, meine Herren, sehen wir uns ohnehin alle wieder.“ Reue sieht anders aus.

Unter den Zeugen war auch Rudolf Küstemeier, ehemals Chefredakteur von WELT und seit 1957 für die Nachrichtenagentur dpa erster fester Korrespondent aus der Bundesrepublik in Israel. Dann drückte der 24-jährige Gefängniswärter Schalom Nagar einen Schalter. Er öffnete elektrisch die Klappe, auf der Eichmann stand. Keine Sekunde später hing sein Leichnam am Seil.

60 Jahre Eichmann-Prozess

Adolf Eichmann gilt als einer der Strategen der Judenvernichtung. Am 11. April 1961 begann in Jerusalem der Prozess gegen den SS-Mann. Millionen Morde gehen auf sein Konto.

Quelle: WELT/Christoph Hipp

Es war eine improvisierte Exekution. Denn in Israel gab es bis dahin keine Hinrichtungsstätte – die Todesstrafe war hier ausschließlich Haupttätern des Massenmordes an Europas Juden angedroht. Erst drei Tage vor dem geplanten Termin hatten die konkreten Vorbereitungen begonnen, obwohl das Urteil schon am 15. Dezember 1961 gefallen war. Offenbar hatte sich auch in der israelischen Verwaltung niemand vorstellen können (oder wollen), dass der Schuldspruch tatsächlich vollstreckt werden sollte.

Seit der Verurteilung war Eichmann in einem separaten Trakt im Ajalon-Gefängnis südöstlich von Tel Aviv eingesperrt, einem ehemaligen Quartier für das Gefängnispersonal. Es war umgebaut worden, für genau einen, allerdings den wichtigsten Strafgefangenen, der bis dahin im jüdischen Staat eingesessen hatte. Doch an einen Galgen hatte niemand gedacht.

Blick auf das Zentralgefängnis in Ramla, Israel, am 06.01.1962. In dem Gefängnis, das als das sicherste Israels gilt, saß der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann ein. Das Todesurteil der israelischen Justiz gegen Eichmann wurde am 31.05.1962 im Gefängnis in Ramla vollstreckt.
Blick auf das Zentralgefängnis in Ramla, Israel, am 06.01.1962. In dem Gefängnis, das als das sicherste Israels gilt, saß der ehemalige SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann ein. D...as Todesurteil der israelischen Justiz gegen Eichmann wurde am 31.05.1962 im Gefängnis in Ramla vollstreckt.
Quelle: picture-alliance / Chava Revzen

So begannen am 29. Mai 1962 im dritten Stock des Sondertraktes eilig Bauarbeiten. In einem Raum stemmten Arbeiter ein Loch in den Fußboden und bauten in eine Wand ein Fenster zum Nebenraum ein. In das Loch kam eine grob geschreinerte Falltür, die über einen elektrischen Schalter auszulösen war. Darüber baute man eine stabile Konstruktion aus Balken, an denen ein Haken befestigt wurde. Der Plan stammte aus Großbritannien – das Gefängnispersonal hatte sich ein englisches Buch über die Todesstrafe als Vorlage besorgt. Am 31. Mai zeigt ein Test mit einer Puppe, dass technisch alles funktionierte.

Am Abend dieses Donnerstages erhielt Eichmann in seiner Zelle die Nachricht, dass Israels Staatspräsident Jitzhal Ben Zwi sein Gnadengesuch abgelehnt hatte. Der 56-Jährige hatte darin geschrieben, er sei kein „verantwortlicher Führer“ gewesen, habe unter Zwang als „Instrument“ gedient und fühle sich nicht schuldig. Das Staatsoberhaupt bat er „anzuordnen, dass das Todesurteil nicht vollstreckt wird“.

A handwritten request for clemency by Adolf Eichmann, an architect of the Nazi Holocaust, is seen during a ceremony to mark 55 years since the Eichmann trial of at Israeli President Reuven Rivlin's residence in Jerusalem January 27, 2016. Israel made public on Wednesday the handwritten request for clemency by Adolf Eichmann, an architect of the Nazi Holocaust, who was executed by Israel in 1962 following a war crimes trial. Release of the letter, written in ballpoint pen, coincided with International Holocaust Remembrance Day. REUTERS/Ammar Awad
Die letzte Seite von Eichmanns Gnadengesuch, dessen Original erstmals 2016 gezeigt wurde – der Inhalt war schon seit Jahrzehnten bekannt
Quelle: REUTERS

Auf liniertem Papier hieß es in sorgfältiger Schreibschrift weiter: „Den Richtern ist in der Beurteilung meiner Person ein entscheidender Irrtum unterlaufen, da sie sich nicht in die Zeit und in die Lage versetzen können, in der ich mich während der Kriegsjahre befunden habe.“ Eichmann bediente sich also noch einmal der Taktik, die er während seines Prozesses eingesetzt hatte.

Außerdem schrieb Eichmann: „Es ist nicht richtig, dass ich so eine hochgestellte Persönlichkeit gewesen wäre, dass ich die Verfolgung der Juden selbstständig hätte betreiben können, und betrieben hätte, gegen eine solche Machtfülle spricht deutlich die von den Richtern im Urteil übergangene Tatsache, dass ich niemals einen solchen Dienstrang hatte, der mit so entscheidenden, selbstständigen Befugnissen hätte verbunden sein müssen. So habe ich aber keine einzige Anordnung im eigenen Namen gegeben, sondern stets nur ,im Auftrag’ gehandelt.“

Das Archivbild vom Mai 1960 zeigt den ehemaligen SS-Obersturmbannführer und Leiter der Dienststelle "Endlösung der Judenfrage" im Dritten Reich, Adolf Eichmann, nach seiner Gefangennahme durch den israelischen Geheimdienst. Die Gefängnis-Tagebücher des 1962 in Israel hingerichteten NS-Kriegsverbrechers Eichmann sollen jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Fast vier Jahrzehnte nach der Vollstreckung des Todesurteils entschied der israelische Oberstaatsanwalt am Sonntag (27.02.2000) , die Dokumente nicht länger unter Verschluss halten. dpa (zu dpa 0425 vom 28.02.2000) nur s/w +++ dpa-Bildfunk +++
Eichmann im Mai 1960 nach seiner Entführung durch den Mossad
Quelle: picture-alliance / dpa

Eine Formalie der deutschen Bürokratie (kein Beamter außer Behördenleitern unterschrieb und unterschreibt dienstlich je anders als „im Auftrag“) sollte als Entlastung herhalten. Eichmann muss bewusst gewesen sein, dass niemand diese Behauptung ernst nehmen konnte.

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Vermutlich (genau weiß man das aber nicht) rechnete er aber auch gar nicht damit, dass sein Gnadengesuch Ben Zwi überzeugen könnte. Gesetzt haben mag Eichmann darauf, dass es auch aus anderen, gänzlich des Nationalsozialismus und des Rassenwahns unverdächtigen Kreisen Gesuche gab, die Todesstrafe umzuwandeln. Prinzipielle Gegner der Todesstrafe hatten eine Reihe von Gesuchen nach Jerusalem geschickt, darunter auch Juden. Der Staatspräsident ignorierte diese Bitten, was ihm gewiss schwerer fiel als bei Eichmanns Brief.

Der einzige Weg von Eichmanns Zelle zum improvisierten Hinrichtungsraum führte durch eine grob in eine Trennwand geschlagene Öffnung. Kurz vor Mitternacht am 31. Mai 1962 fesselten die Wächter den Delinquenten an Händen und Füßen, dann gaben sie ihm auf seine Bitte hin einen Moment allein und in Stille. Anschließend führten mehrere Polizisten ihn zur Hinrichtungskammer.

ARCHIV - Ein undatiertes Foto zeigt Schalom Nagar, den Henker von Adolf Eichmann, als jungen Mann in einer israelischen Militäruniform. Der Schrecken der Hinrichtung des Holocaust-Organisators Eichmann lässt seinen Henker, Schalom Nagar, auch 50 Jahre danach nicht los. (zu dpa Themenpaket: «50. Jahrestag der Hinrichtung Adolf Eichmanns in Israel») +++ dpa-Bildfunk +++
Schalom Nagar löste die Falltür aus
Quelle: picture alliance / dpa

Als sie dort ankamen, hieß es auf einmal, der Galgen sei noch nicht bereit, sodass sie warten mussten. „Nach einer unangenehmen Pause wurde Eichmann hineingeführt“, schreibt der Historiker David Caesarani in seiner 2004 auf Deutsch erschienenen Eichmann-Biografie.

Ein gummiertes Seil wurde ihm in zwei Schlingen um den Hals gelegt, auf eine Kapuze verzichtete er, obwohl sie ihm angeboten worden war. Dann öffnete sich mit einem Klicken die Falltür. Drei Meter tief fiel Eichmann, und das Seil zuckte. Im nächsten Moment folgten Reglosigkeit und Stille. Nur das Seil schwang leicht hin und her.

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Der Verurteilte hatte gebeten, dass sein Leichnam eingeäschert werde, was in Israel unüblich war; es gab kein Krematorium. Also hatten Ingenieure der Armee sowie Polizisten und Arbeiter eines privaten Unternehmens in einem Orangenhain nahe der Küste unter strengster Geheimhaltung eine ebenfalls improvisierte Verbrennungsstätte errichtet – gedacht zum einmaligen Gebrauch.

Der „Ofen“ bestand aus einem Metallzylinder von 1,50 Meter Höhe, 90 Zentimeter Breite und gut zwei Meter Länge sowie einem drei Meter hoch aufragenden Kamin; im Inneren brannte bereits ein starkes Feuer, das durch eine Klappe mit weiterem Brennstoff versorgt werden konnte. Ein Geistlicher, der schon bei der Exekution anwesend gewesen war, identifizierte Eichmanns eingehüllte Leiche. Dann legten Polizisten den toten Körper auf eine Art Gabel und schoben ihn in das Feuer. Die Exekution lag kaum eine Stunde zurück, es war tief in der Nacht.

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Einige Stunden später hatte das Feuer den toten Organisator des Massenmordes an Europas Juden zu Asche verbrannt. Sie wurde auf ein Schiff der israelischen Marine gebracht, das in internationale Gewässer hinausfuhr. Dort wurde die Asche ins Wasser gestreut.

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