„Zwei verlorene Schafe“ erz�hlt von zwei Menschen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise in ihrer kleinen Welt eingerichtet haben – beide sind gro� im Verdr�ngen: eine Schauspielerin im Karrieretief im alles sch�n l�cheln, der schlechteste Pfarrer von Berlin im Ausreden finden. Die Frau wird den jungen Mann coachen; ein seelischer Gewinn winkt am Ende beiden. Den neuzeitlichen Selbstoptmierungsquatsch macht die ZDF-Tragikom�die aber nicht mit. Der Film von Sylke Enders & Edda Leesch h�lt die Mitte – zwischen beiden Charakteren, zwei Generationen, zwei Haltungen und zwischen Problembewusstsein und leichter Gangart. Und Andrea Sawatzki spielt ihre zwanghafte, hyperaktive Egozentrikerin einfach gro�artig.
Foto: ZDF / Conny KleinPredigen ist Rhetorik. Aber auch eine Frage der inneren �berzeugung. Rebecca (Andrea Sawatzki) spielt auf der B�hne eine Pfarrerin, die an sich und ihrem Glauben zweifelt. Da kann sie von Thadd�us (Franz Hartwig) eine ganze Menge lernen.�
Schauspielerin im Karrieretief coacht den schlechtesten Pfarrer von Berlin
„Aber Geld ist nicht alles“ – mit diesem Satz macht sich die Schauspielerin Rebecca (Andrea Sawatzki) seit Jahren was vor. Denn sie lebt ihre Leidenschaft ein St�ck weit auch auf Kosten ihrer Mitbewohnerin Sina (Steffi K�hnert); und weil sie sich st�ndig nur um sich selber dreht, haben sie und ihr Sohn Leo (Johannes Heinrichs) sich schon lange nichts mehr zu sagen. Doch Besserung ist in Sicht: neue Rolle, neue Phantasien, bald aber auch neue Illusionen und neue L�gen, denn die Traumrolle in einem Kellertheater erweist sich als Zuschussgesch�ft – Rebecca spielt ohne Gage! Also muss ihr Zweitjob Fr�chte tragen: das Coachen eines uncharismatischen, rhetorisch talentfreien Jungpfarrers. Eigentlich suchte Rebecca nur nach einer Recherchem�glichkeit f�r ihre Theaterrolle einer Pfarrerin, die an sich und ihrem Glauben zweifelt. Da ihr alter Schulfreund Michael (Oliver Breite) Bischof und sein Sohn Thadd�us (Franz Hartwig) jener schlechteste Pfarrer von Berlin ist, ergab sich f�r sie eine doppelte Win-win-Situation. Doch der junge Mann f�hlt sich bedr�ngt, kontrolliert und ist genervt. Als Rebecca dann noch mit einer „Lockerungs�bung“, Klauen und die Kraft des Adrenalins sp�ren, �bers Ziel hinausschie�t, ist erst mal Schluss mit Training. Sie merkt aber, dass Thadd�us auf einem anderen heiklen Feld gern von ihr lernen w�rde: in Liebesdingen.�
Foto: ZDF / Conny KleinMal himmelhochjauchzend, dann wieder zu Tode betr�bt. Schauspielerin Rebecca (Sawatzki) hat sich in ihrem Beruf mit manisch-depressiver Disposition eingerichtet.
90 Filmminuten beste Unterhaltung mit lebensphilosophischem Mehrwert
„Zwei verlorene Schafe“ erz�hlt von zwei Menschen, die sich auf sehr unterschiedliche Weise in ihrer kleinen Welt eingerichtet haben – beide sind gro� im Verdr�ngen, die Schauspielerin im alles sch�n reden und sch�n l�cheln, der Pfarrer im Ausreden finden. F�r eine Kom�die mit tragisch-existentiellem Unterton ist das eine gute Voraussetzung f�r eine duale L�sung. Die Doppelstruktur der Beziehung der zwei Hauptfiguren ist der Handlungskern der Geschichte: Hier wird nicht einseitig geholfen – und vor allem werden die „Heilung“ und die „Klarsicht“ auf einen am�santen Lernprozess verteilt. Der Weg zur Erkenntnis ist das Ziel. F�r den Film bedeutet das: 90 Minuten beste Unterhaltung mit lebensphilosophischem Mehrwert. Dezentes �berbandespielen bei den Eltern-Kind-Beziehungen, die als einseitige Nicht-Beziehungen dargestellt werden (Rebecca kann nicht zuh�ren, der Bischof hat nie Zeit, daf�r immer Recht), geh�ren ebenso dazu wie das Spiel mit Rollen, �ngsten und Identit�ten, die dem Ganzen einen selbstironischen Rahmen geben. Und so erspart der Film dem Zuschauer denn auch die eine grundlegende Erkenntnis. „Dank Ihrer Rolle hat sich mein Leben ver�ndert“, dieser Satz nach einer Theaterauff�hrung geht einer Schauspielerin runter wie �l. Der Pfarrer hat es gern eine Nummer kleiner: „Begleiten statt ver�ndern.“ Die Erz�hlhaltung der klugen Geschichte moderiert quasi zwischen den beiden: Die Zur�ckhaltung des Pfarrers ist zwar nicht verkehrt, aber etwas mehr Begeisterung & Euphorie k�nnten auch ihm nicht schaden.�
Foto: ZDF / Conny KleinAchtung, K�rpersprache! Das w�re wieder ein Fall f�r Schauspielerin Rebecca: der Bischof (Breite) & sein Sohn (Hartwig). Wollte Michael �berhaupt Pfarrer werden?
Tragikom�die mit viel Alltag, Witz, Ironie & Anschlussm�glichkeiten
Der ZDF-Fernsehfilm von Sylke Enders nach dem Drehbuch von Edda Leesch h�lt die Mitte – zwischen den beiden Charakteren, zwischen zwei Generationen, zwischen zwei Haltungen und vor allem zwischen Drama und Kom�die, zwischen Problembewusstsein und leichter Gangart. In dieser Tragikom�die versteckt sich viel Alltag und Normalit�t, was den Zuschauern (psychologische) Anschlussm�glichkeiten gibt, ohne dass man hier den Eindruck einer fiktionalen Ratgebersendung haben m�sste. Am Ende gibt es auch nicht das typische hollywoodeske Paukenschlag-Finale, die Riesenabrechnung, die von Null-auf-100-L�uterung. Ein bisschen Wohlf�hlen ist dennoch Pflicht in einem Donnerstagsfilm im ZDF – die Normalisierung der Beziehungen ist also gewisserma�en die Voraussetzung daf�r; dazu geh�rt aber ebenso ein bisschen Offenheit f�r all das, was das Leben f�r die beiden Hauptfiguren noch bereit halten k�nnte. Geschickt f�hrt die Regisseurin die Emotionen, aber auch die Bilder am Ende herunter, nimmt zun�chst das Drama, dann teilweise den Ton heraus. Diese Ausblende-Technik entspricht Enders’ Realismuskonzept. F�r gro�e Gef�hle in wunderbar kleinen Momenten gibt es allerdings dennoch Platz in diesem Film. Nachdem Rebecca zum „Liebescoach“ wurde, gibt es ein Rollenspiel zwischen ihr und Thadd�us, bei dem sie in die Rolle der jungen Frau schl�pft, in die sich der Pfarrer verguckt hat. Ein Monolog, der Balsam f�r die Seele des unsicheren Verliebten ist und der mit einem spontanen Wangenkuss endet.
Foto: ZDF / Conny Klein�bung macht den Meister! "Schon mal was geklaut? Bisschen Adrenalin!" Rebecca sagt's und dr�ckt dem perplexen Pfarrer ein P�ckchen Kondome in die Hand. Das geht m�chtig schief. Aber das Motiv "Kondom" gibt schon mal die Richtung vor.
Das Coaching-Prinzip und die Hinterfragung des Selbstoptimierungswahns
„Zwei verlorene Schafe“ macht aus zwei „Problemf�llen“ keine Superhelden, gibt auch kein Patentrezept, wie man den Unw�gbarkeiten des Lebens am besten begegnet, und „Augen zu und durch“, die Leistungsformel der vor allem vom Schicksal gebeutelten weiblichen Heldinnen der 00er Jahre, ist f�r Leesch und Enders l�ngst keine gangbare Alternative mehr. Dass sie den Konflikt auch nicht allein in der (Familien-)Psyche ihrer Charaktere verpanzern, sondern auch die Gesellschaft – die Probleme der Kirche mit dem mangelnden Zuspruch von au�en sind ja gar nicht so weit entfernt von denen des Theaters – mit ins Spiel bringen, ist eine weitere St�rke der Geschichte. Es ist eben nicht f�r eine Hauptfigur in einem Film damit getan, �ber sich hinauszuwachsen, wie einem eine konventionelle (und sehr konservative) Dramaturgie weismachen will. Und so ist eine m�gliche Lesart dieser „zwei verlorenen Schafe“ die Absage an diesen ganzen Selbstoptimierungsquatsch. Zwar bekommt man als Zuschauer einen mehr oder weniger erfolgreichen Coaching-Prozess pr�sentiert, ein Loblied auf dieses die eigenen M�glichkeiten aussch�pfende Kommunikationstraining, das so perfekt unseren Glauben an das „technisch“ Machbare spiegelt, wird hier allerdings nicht gesungen. Denn erst muss man wissen, ob man seine „Potenziale“ �berhaupt aussch�pfen m�chte: ob das, was man tut, auch das ist, was man wirklich tun will. Man muss davon �berzeugt sein.
Foto: ZDF / Conny KleinEin guter Riecher. Rebecca wei�, wie sie sich wieder als Coach ins Spiel bringen kann. Anfangs war das Coachen f�r sie Mittel zum Zweck, um Infos �ber den Beruf des Pfarrers zu kriegen und um Geld zu verdienen. Doch bald geht sie in ihrer Rolle auf, hilft gern und bekommt auch was zur�ck. Hartwig, Sawatzki, Sandra von Ruffin
"Zwei verlorene Schafe" wurde entwickelt und produziert von der Hager Moss Film. Die Produzentinnen sind Kirsten Hager und Carmen Stozek.
Trailer zur der Hager-Moss-Kom�die "Zwei verlorene Schafe" von Sylke Enders
Ob Karikierung eines Typs oder tragikomisch: Sawatzki ist einzigartig!
Die weibliche Hauptfigur ist trotz der manisch-depressiven Disposition, die ihr Beruf mit sich bringt, �ber derlei Selbstzweifel hinweg. Was nicht ausschlie�t, dass sie immer mal wieder im Tal der Tr�nen landet. Andrea Sawatzki spielt diese zwanghafte, hyperaktive Egozentrikerin – und niemand hierzulande h�tte diese Rolle �berzeugender verk�rpern k�nnen. Konkurrenzlos gut ist sie, wenn es um punktgenaue Karikierung eines Menschen-Typs geht wie beispielsweise in „Das gro�e Comeback“ oder „Herzt�ne“, aber auch wenn wie hier oder in den sechs Filmen der wegweisenden „Bella“-Reihe der Komik-Pegel st�rker in Richtung Tragikom�die ausschl�gt, hat sie alles, was man braucht f�r diese Rolle: Tempo in den Aktionen, schnelles und flexibles Umschalten, die Lust auf kom�diantische Zuspitzung und – trotz des Verdachts auf Dauerironie – durchaus auch Akzentuierungen in emotionale Tiefen, die man bei diesem Film noch in der ersten H�lfte niemals vermutet h�tte. So wei� man als Zuschauer in dem oben beschriebenen Rollenspiel inklusive bewegendem Sawatzki-Monolog nicht genau, wie viel Wahrheit und wie viel Spiel (wie viel „billiger kleiner Trick“) von Seiten der Figur Rebecca in diesem filmischen Ausnahmemoment steckt. Man kann es nicht wissen. Diese Doppelb�digkeit ist einer der Vorteile, den das Genre Kom�die gegen�ber dem Drama besitzt. Diese „Verunsicherung“, dieses nicht genau wissen ist auch eine Chance f�r den Zuschauer: der kann diesem Moment eine eigene Wahrheit geben, kann ihn „f�llen“ mit dem, was er meint zu h�ren, was er glaubt zu sehen oder was er f�hlen m�chte. Voraussetzung daf�r ist nat�rlich ein Film, dessen Geschichte stimmt und der einem Vieles anbietet, neben einer Ausnahme-Kom�diantin auch Kollegen, die deren Spiel-im-Spiel-Performance Paroli bieten k�nnen wie Steffi K�hnert, Margit Bendokat oder auch Franz Hartwig, der die Humorlosigkeit seiner Figur launig zu variieren versteht. „Zwei verlorene Schafe“ ist also auf den zweiten Blick noch kl�ger als auf den ersten Lacher. (Text-Stand: 18.9.2016)
Foto: ZDF / Conny KleinJetzt ist Rebecca (Andrea Sawatzki) dran mit lernen. Es wird Zeit, dass auch sie ihrem Sohn Leo (Johannes Heinrichs) mal zuh�rt und seine Bed�rfnisse und Lebensziele akzeptiert. Mit jungen M�nnern hat sie ja jetzt genug Erfahrung... Maja Lehrer
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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