Bitter über den Tod hinaus: Varoufakis nutzt Abschied von Schäuble zur Abrechnung
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Bitter über den Tod hinaus: Varoufakis nutzt Abschied von Schäuble zur Abrechnung

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Nichts Schlechtes über Verstorbene sagen – diese Regel ist weithin anerkannt. Yanis Varoufakis‘ Zorn auf Wolfgang Schäuble scheint dafür aber zu groß.

Athen/Frankfurt – Mit großer Trauer ist Wolfgang Schäubles Tod in Deutschland aufgenommen worden – mit Schäuble ist eine Konstante des bundesrepublikanischen Parlamentarismus und ein überzeugter Demokrat verschieden. Im Ausland war der CDU-Politiker allerdings in erster Linie nicht für seine Verdienste um die deutsche Wiedervereinigung und die Einführung des Euro bekannt. Dort machte sich Schäuble stattdessen in seiner Zeit als Finanzminister unter Parteifreundin Angela Merkel einen Namen als währungspolitischer Hardliner.

Das gilt gerade für Griechenland: Das Land hatte in seiner Schuldenkrise mit harten Auflagen aus Brüssel zu kämpfen. Dennoch überraschten am Mittwoch (27. Dezember) harte Worte aus dem Mittelmeerland: Yanis Varoufakis, von Januar bis Juli 2015 Griechenlands Finanzminister, nutzte den Abschied von Schäuble für eine beinahe verstörend unversöhnliche Abrechnung.

Wolfgang Schäuble gestorben: Yanis Varoufakis macht Merkels Krisen-Finanzminister Vorwürfe

„Wolfgang Schäuble verkörperte die politische Unterstützung (mittels gewaltsamer Austerität und Zerstörung demokratischer Institutionen) einer Währungsunion, an die er selbst nicht glaubte“, schrieb Varoufakis bereits kurz nach der Nachricht von Schäubles Tod auf seiner Homepage.

Wolfgang Schäuble (li.) und Yanis Varoufakis Anfang 2015 als Ministerkollegen.
Wolfgang Schäuble (li.) und Yanis Varoufakis Anfang 2015 als Ministerkollegen. © Wolfgang P. Prange/imago stock&people

Schäuble habe „den explosiven Widerspruch, der die Eurokrise hervorbrachte“ verkörpert, rügte der linke Politiker. Die folgenden Maßnahmen hätten zur „Verarmung Griechenlands“ und zur „aktuellen Deindustrialisierung Deutschlands und des übrigen Europa“ geführt. Varoufakis schloss sein Statement mit einer Breitseite gegen Schäuble – aber auch gegen seinen einstigen Regierungschef Alexis Tsipras (Syriza): „Die Geschichte wird ihn hart beurteilen, aber nicht härter als diejenigen, die seiner destruktiven Politik erlegen sind.“

Schäuble prägte die Politik der EU in Griechenlands Schuldenkrise

Der Kern des für Varoufakis offenbar über den Tod hinaus währenden Konflikts: Griechenland brauchte im Jahr 2015 dringend Hilfe aus Brüssel, um seine Schuldenkrise zu bewältigen – eine Staatspleite drohte ebenso wie das Ausscheiden aus dem Euro-Raum. Nicht zuletzt auf Drängen Deutschlands knüpften die EU-Geldgeber die Unterstützung aber an drastische Sparmaßnahmen Athens. Inwieweit diese Strategie langfristig hilfreich oder eher destruktiv war, ist teils bis heute umstritten. Klar ist, dass in Griechenland viele Menschen unter den Einschnitten litten.

Die Wählerinnen und Wähler in Griechenland hatten das Vorgehen Anfang Juli 2015 in einem – wegen inhaltlicher Unschärfen allerdings kritisierten – Referendum abgelehnt. Gut eine Woche später gab es einen dem zur Abstimmung gestellten sehr ähnlichen Kompromiss zwischen Griechenland und den Euro-Staaten. Varoufakis war zu diesem Zeitpunkt bereits als Tsipras‘ Finanzminister zurückgetreten.

Varoufakis zitiert Schäuble: „Als Patriot nein – es ist schlecht für Ihr Volk“

Varoufakis erinnerte sich in seinem Beitrag auch an ein Gespräch mit Schäuble. Darin habe Angela Merkels damaliger Finanzminister ihn mit einer freimütigen Äußerung überrascht. Auf die Frage, ob Schäuble an Varoufakis‘ Stelle das „Memorandum“ zum Vorgehen in der Schuldenkrise unterzeichnen würde, habe dieser geantwortet: „Als Patriot nein. Es ist schlecht für Ihr Volk.“ Varoufakis Zorn kocht immer wieder einmal hoch – 2019 bezichtigte er Merkel etwa der Lüge.

Fakt ist, dass Griechenland die Schuldenkrise mittlerweile formal überwunden hat – wenn auch nicht alle Folgen. Im Sommer 2022 beendete die EU-Kommission ihre verschärften Budgetkontrollen für Athen. Laut Statistischem Bundesamt verzeichnete Griechenland im Oktober 2023 aber eine Arbeitslosenquote von 10 Prozent; das war nach Spanien der zweithöchste Wert in der EU. Das Peterson Institute for International Economics attestierte dem Land in einer Analyse „schmerzhafte Budget-Einschnitte, Steuererhöhungen, hohe Arbeitslosigkeit sowie gesunkenen Lebensstandard und Sozialleistungen“.

Die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, hat sich indes bestürzt über Schäubles Tod gezeigt. „Ich bin tieftraurig, in Wolfgang Schäuble einen wahren treuen Freund zu verlieren“, erklärte sie dem Portal Zeit Online. Lagarde nannte den früheren Bundesfinanzminister einen „Fels in der Brandung“. Schäuble sei „ein wirklich überzeugter Europäer“ gewesen, der seinem Land „mit seinem immensen Talent und seiner beeindruckenden Kraft“ gedient habe.

Trauer um Wolfgang Schäuble in Deutschland

Ohnehin bleibt die Frage, ob der Tod eines früheren politischen Kontrahenten der geeignete Zeitpunkt für ein in der Form derart hartes Nachkarten ist. In Deutschland überwog am Mittwoch bei Weitem ein respektvoller und versöhnlicher Tonfall für Schäuble, der 51 Jahre lang im Bundestag saß. Und das quer durch die Parteien: „Kaum ein Politiker hat die jüngste deutsche Geschichte und unsere demokratische Kultur so geprägt wie Wolfgang Schäuble“, schrieb etwa die Grüne-Außenministerin Annalena Baerbock. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) würdigte Schäuble als „außergewöhnliche Persönlichkeit“.

Varoufakis hatte zuletzt kaum politische Erfolge zu feiern: Der zwischenzeitlich auch in Deutschland als Schäubles Opponent höchst bekannte Linke gründete in Griechenland die Partei MeRA25 – scheiterte aber bei den jüngsten Wahlen am Einzug ins Parlament. (fn)

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