Unsere Bundesregierung muss und wird neue Impulse für Abrüstung und Rüstungskontrolle geben. Lösungen für mehr Transparenz und die Verhinderung von Proliferation werden wir im Bündnis suchen.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nachdem vorhin das Mobiliar meiner Begeisterung für die Rede des Kollegen Mißfelder nicht standgehalten hat, bitte ich Sie, vorsichtig mit dem Mobiliar umzugehen, damit nicht noch mehr passiert.

(Heiterkeit)

Ich freue mich, dass es seit dem Oktober letzten Jahres in der Bundesrepublik Deutschland einen Regierungswechsel gegeben hat, und ich freue mich, dass in dem Koalitionsvertrag, der dieser Regierung zugrunde liegt, das Thema Abrüstung und Rüstungskontrolle als Schwerpunktthema deutscher Außen- und Sicherheitspolitik festgehalten ist.

Ziel ist und bleibt die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie langfristig eine nuklearwaffenfreie Welt. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands setzt sich seit ihrer Gründung für Frieden, Sicherheit und Stabilität ein. Dies wird sie auch weiterhin tun, auch in einer Großen Koalition, und das ist deutlich sichtbar.

Sehr geehrte Damen und Herren, die drängenden Fragen, die damit verbunden sind, stehen im Fokus dieser Außenpolitik. Ich freue mich, dass dabei die Handschrift unseres neuen Außenministers Frank-Walter Steinmeier sehr deutlich zu erkennen ist. Wir machen wieder Außenpolitik. Wir reden nicht nur darüber.

(Beifall bei der SPD)

Solange Kernwaffen ein Instrument im strategischen Konzept der NATO sind, solange wird sich Deutschland an den Diskussionen dazu beteiligen und auch an den Planungsprozessen teilhaben, und das mit einem klaren Ziel: Atomwaffen beseitigen, und zwar nicht nur auf einer Seite, sondern auf allen Seiten.

Unsere Bundesregierung muss und wird neue Impulse für Abrüstung und Rüstungskontrolle geben. Lösungen für mehr Transparenz und die Verhinderung von Proliferation werden wir im Bündnis suchen. Zusammen mit unseren Verbündeten können wir langfristig international durchsetzbare Erfolge erzielen, aber eben in diesem Bündnis. Insofern begrüße ich die Worte des französischen Präsidenten François Hollande, der eine engere Zusammenarbeit mit Deutschland in der Verteidigungspolitik anstrebt und angekündigt hat. Frankreichs Staatschef hat erklärt, er wolle eine deutsch-französische Partnerschaft, die sich für ein Europa der Verteidigung einsetzt und gemeinsam Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt übernimmt. Dem kann ich mich nur anschließen.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Atomwaffen!)

- Warten Sie einen Moment ab! ‑ Dazu muss aber auch gehören, über das französische Potenzial an Nuklearwaffen zu reden. Nehmen wir diese Initiative auf und sprechen wir direkt mit unseren Nachbarn. Auf parlamentarischer Ebene gibt es diese Kontakte und Gespräche. Die Kontakte sind geknüpft. Vielleicht kann jetzt in einem neuen Ansatz zu einem europäischen Weißbuch der Sicherheits- und Verteidigungspolitik das Thema Abbau von atomarer Bewaffnung auch in Frankreich aufgenommen werden. Ich bin angesichts der Diskussion, die es in Frankreich gibt, sehr zuversichtlich.

Vizepräsident Johannes Singhammer:

Herr Kollege Hellmich, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Brugger?

Wolfgang Hellmich (SPD):

Selbstverständlich.

Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank, lieber Kollege Hellmich. Ich wollte nur fragen ‑ vielleicht mag auch der Kollege Hahn gleich in seiner Rede darauf eingehen ‑, ob Sie bereit wären, mit uns allen in diesem Haus gemeinsam eine Entschließung ähnlich der des niederländischen Parlaments einzubringen und zu sagen: Wir wollen nicht, dass die Bundeswehr für die neuen modernisierten Atomwaffen Trägermittel zur Verfügung stellt. Diesen Punkt haben Sie als SPD-Fraktion in den letzten vier Jahren immer wieder auf die Tagesordnung gebracht und diesen Modernisierungsplänen eine klare Absage erteilt. Wir finden, das wäre eine sehr schöne interfraktionelle Initiative. Auch in der letzten Legislaturperiode ist es uns gelungen, mit allen Fraktionen etwas für die Abrüstung und die Vision einer atomwaffenfreien Welt auf den Weg zu bringen, die wir alle teilen.

Wolfgang Hellmich (SPD):

Frau Kollegin, ich bin sehr gerne bereit, mit allen Fraktionen in diesem Parlament darüber zu diskutieren. Bevor eine Entschließung beschlossen wird, lese ich den Text, und dann rede ich darüber, ob wir das gemeinsam beschließen oder nicht. Auf jeden Fall bin ich mir sehr darüber im Klaren, dass die Grundlage dessen, was wir in der Vergangenheit gemeinsam beschlossen haben ‑ Sie haben vorhin mehrere Beschlüsse zitiert ‑, ihre Gültigkeit nicht verloren hat und dass wir uns daran orientieren werden. Das ist die gemeinsame Position, die wir formuliert haben.

Wir werden sehen, was bei dieser Diskussion herauskommt. Wir werden uns im Laufe der nächsten Monate auch innerhalb des Verteidigungsausschusses ‑ ich denke, spätestens dann, wenn es um die NATO geht ‑ an vielen Stellen über diese Fragen unterhalten, wie wir gemeinsam weiter vorangehen werden.

(Agnieszka Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich nehme Sie beim Wort!)

Sehr geehrte Damen und Herren, kooperative Sicherheitsstrukturen sind für mich Strukturen, die immer auch Russland mit einbeziehen müssen. Ein Abbau von Atomwaffen kann nur unter Einbeziehung Moskaus erfolgen. Kooperation beginnt mit Vertrauen. Ohne ein tiefes Vertrauen zwischen Russland, den USA, der NATO und Europa wird eine Abrüstung auch im konventionellen Bereich nicht zu erreichen sein. Einen wichtigen Schritt hat die NATO mit der Einrichtung des Abrüstungsausschusses und der strukturierten Diskussion getan. Wir unterstützen das. Denn wir wissen: 90 Prozent aller Atomwaffen in der Welt entfallen auf die USA und Russland. Die übrigen 10 Prozent und ihre weltweite Verteilung machen die Lage nicht sicherer. Im Gegenteil: Sie machen sie unsicherer. Das ist die Herausforderung, vor der wir zusammen mit unseren Verbündeten stehen. In unserem Koalitionsvertrag steht klar und deutlich, dass Deutschland bei den Abrüstungsgesprächen nicht nur dabei sein wird, sondern sie auch engagiert unterstützen wird, damit es in den Verhandlungen zwischen den USA und Russland einen Fortschritt gibt; denn dort liegt der Schlüssel für die Entwicklung, die wir weltweit in Gang setzen wollen. Das Ziel muss eine Nulllösung sein, auch bei den substrategischen Nuklearwaffen.

Vielleicht kennen Sie die neueste Studie des amerikanischen CNS-Instituts, das sich auf Untersuchungen zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen konzentriert. Laut dieser Studie werden die USA in den nächsten 30 Jahren die schwer vorstellbare Summe von 1 Billion Dollar in den Erhalt und die Modernisierung ihres Atomwaffenarsenals investieren. Unter anderem sollen 80 bis 100 neue Überschalllangstreckenbomber für Atomwaffen entwickelt und gebaut werden. Abrüstung sieht für mich in der Tat anders aus. Darauf werden wir hinweisen und darüber werden wir diskutieren müssen.

Wir werden unseren Blick in die Türkei wenden müssen; denn fast unbeobachtet von der Weltöffentlichkeit wurde ein Vertrag geschlossen, gemäß dem die Türkei mit einem weiteren Atomkraftwerk aus Japan ausgestattet und die Urananreicherung in der Türkei aufgebaut werden soll, und zwar über das vertraglich vorgesehene Maß hinaus. Es gibt dafür keinen zwingenden Bedarf. Ankara sagt immer: Wir wollen keine Atomwaffen. ‑ Ich bin mir nicht sicher, ob über andere Optionen nachgedacht wird. Auch darüber müssen wir reden, und zwar auch innerhalb der NATO. Schließlich geht es um einen Bündnispartner.

Richten wir den Blick nach Osten, dann sehen wir, dass Russland die Aufrüstung im substrategischen Bereich sehr intensiv betreibt. Wenn die russischen atomwaffenfähigen Kurzstreckenraketen vom Typ Iskander nach Westen in die Nähe von Kaliningrad verlegt und entlang der Grenze zu den baltischen Staaten aufgestellt werden, führt das in dieser Region zu einer weiteren Militarisierung sowie zu neuer Angst und mehr Unsicherheit gerade in den baltischen Staaten. Es ist Gegenstand unserer diplomatischen Beziehungen, sich auch damit auseinanderzusetzen und mit Russland darüber zu reden. Reden ist der entscheidende Punkt in diesem Konzept. Es geht darum, miteinander zu sprechen.

(Beifall des Abg. René Röspel (SPD))

Wir werden im Rahmen internationaler Bündnisse wie dem NATO-Russland-Rat insbesondere die Anrainerstaaten Russlands bei ihrem Dialog mit Moskau unterstützen. Außerdem muss die Bundesrepublik als Mitglied der Europäischen Union auf mehr Kohärenz in der europäischen Russlandpolitik hinwirken. Russland zufolge wurden die Raketen nach Westen verlegt, um sich gegen einen von den USA in Osteuropa geplanten Raketenschild zu wehren. Im gleichen Atemzug betonen die USA und die NATO, dass ein Raketenschild nicht gegen Russland gerichtet ist und nur der Verteidigung insbesondere gegen iranische Trägermittel diene. Diese Beispiele verdeutlichen, dass sich Sicherheit in Europa nur mit und nicht gegen Russland erzielen lässt. Darauf muss der Dialog aufgebaut sein.

Die Fortschritte, die es im Iran gegeben hat, sind schon genannt worden. Sie zeigen ‑ zusammen mit der Entwicklung in Syrien ‑, dass Fortschritte im Bereich der Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht von heute auf morgen zu erzielen sind. Nur eine breit angelegte Strategie der Konfliktreduzierung und ‑vermeidung, der Krisenprävention und der Reduzierung von Massenvernichtungswaffen wird über Verträge hinaus zu weniger Atomwaffen ‑ sei es in Form von Bomben, Sprengköpfen oder Munition ‑ führen.

Wir werden uns für eine Modernisierung einer verbindlichen und transparenten Rüstungskontrolle in Europa und weltweit einsetzen. Letztendlich wollen wir die vollständige Implementierung des Kleinwaffenabkommens der Vereinten Nationen erreichen; denn Kleinwaffen töten weltweit mehr Menschen als jede andere Waffengattung. Dieser Weg wird von der Bundesregierung verfolgt und ist Linie der Außenpolitik. Weil das der richtige Weg ist, brauchen wir den Antrag der Linken nicht. Wir stimmen ihm nicht zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)