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Wirtschaft Wolfgang Clement (†80)

Ein typischer Sozialdemokrat war er nie

Chefökonomin
Ex-Wirtschaftsminister und NRW-Ministerpräsident Clement ist tot

Der frühere nordrhein-westfälische Ministerpräsident und Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ist tot. Der ehemalige SPD-Politiker starb im Kreise seiner Familie in Bonn. Erst im Sommer war bekannt geworden, dass Clement an Lungenkrebs litt.

Quelle: WELT

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Wolfgang Clement hat die SPD modernisiert. Die Umsetzung der Hartz-Reformen war sein Meisterstück. Sein Streiten für Prinzipien hat ihn am Ende jedoch von der Partei entfernt. Der erfolgreiche, aber stets umstrittene Superminister ist gestorben.

Worum geht es

Wolfgang Clement, der frühere Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit und einstige Ministerpräsident Nordrhein-Westfalens, ist tot. Der ehemalige SPD-Politiker starb am Sonntag im Alter von 80 Jahren. Er sei friedlich in seinem Bett eingeschlafen, teilte seine Familie mit.

Seiner Partei hatte Clement 2008 im Streit den Rücken gekehrt. Bis dahin galt der wortgewandte Jurist als einer der erfolgreichsten und zugleich umstrittensten Sozialdemokraten seiner Generation.

Als „Superminister“ hatte Clement ab 2002 in der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder entscheidenden Anteil an der Agenda 2010, den weitreichenden Arbeitsmarkt- und Sozialreformen, die Deutschland nach der Jahrtausendwende wieder zurück in die internationale Spitzenliga brachten.

Vor allem der energische Umbau der Bundesagentur für Arbeit und die Hartz-Reformen sind mit seinem Namen verbunden. Und während in den Folgejahren immer mehr Sozialdemokraten die Agenda-Reformen für den dramatischen Sinkflug der Partei verantwortlich machten, blieb Clement bis zum Schluss ein überzeugter und – als gelernter Journalist – wortmächtiger Verteidiger des wirtschaftsfreundlichsten Kurses, den die SPD in ihrer mehr als 100-jährigen Geschichte jemals gefahren ist.

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Im Ruhrgebiet geboren, war der Bochumer dem Kohlebergbau sein Leben lang verbunden geblieben. Arbeitsmarkt- und Energiepolitik gehörten für Clement stets zusammen. Und gerade diese beiden Themen waren es, die den streitbaren Politiker und späteren Manager in die heftigsten Auseinandersetzungen nicht nur mit den Grünen, sondern auch mit den Genossen trieb und letztlich zum Bruch mit seiner Partei führte.

Kämpfer für die Kohle

Ob als Regierungschef in Nordrhein-Westfalen oder später als Kabinettsmitglied der Bundesregierung – stets setzte er sich mit all seinem politischen Gewicht und voller Überzeugung für den Erhalt der deutschen Kohleindustrie ein. Dass diese Haltung in Zeiten des Klimawandels nicht mehr zeitgemäß sei, wie ihm von seinen Kontrahenten vorgeworfen wurde, ließ er nicht gelten.

Und auch den raschen Atomausstieg hielt Clement aus wirtschaftlichen Gründen für einen fatalen Fehler und warnte vor einer drohenden Deindustrialisierung Deutschlands. Sein Ärger über die Energie- und Umweltpolitik sowie den zunehmenden Linkskurs seiner Partei gipfelte 2008 schließlich in einem öffentlichen Aufruf, bei der Landtagswahl in Hessen nicht die SPD zu wählen.

Damals war der Ex-Minister bereits Aufsichtsratsmitglied eines Tochterunternehmens des Energieriesen RWE, was nicht nur viele Sozialdemokraten angesichts seiner früheren Tätigkeit als Vetternwirtschaft anprangerten.

Zuviel Wirtschaftsnähe – dieser Vorwurf begleitete Clement während seines gesamten Politikerlebens. Nachdem er nach einem Jurastudium zunächst als politischer Journalist bei einer Lokalzeitung und später als Chefredakteur eines Boulevardblatts gearbeitet hatte, wechselte der Sozialdemokrat 1981 die Schreibtischseite und wurde Sprecher des Parteivorstands.

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Später machte der Vater von fünf Töchtern unter seinem politischen Ziehvater Johannes Rau rasch in der SPD-Hochburg NRW Karriere, bis er schließlich 1998 das Amt des Ministerpräsidenten übernahm.

Vier Untersuchungsausschüsse

Seine Popularitätswerte als Landesvater blieben allerdings mäßig. Und seine vier Regierungsjahre waren zum einen überschattet von vier Untersuchungsausschüssen zu angeblichen Ungereimtheiten etwa bei der Wirtschaftsförderung sowie zum anderen vom Dauerstreit mit der grünen Umweltministerin Bärbel Höhn.

Ein typischer Sozialdemokrat war Clement nie. Klassenkämpferische Töne oder Gewerkschaftsromantik blieben ihm fremd. Wirtschaftlicher Erfolg war für ihn stets die Voraussetzung für alles Soziale. Mit seinem pragmatischen Regierungsstil hatte der SPD-Mann stets ein offenes Ohr für die Ruhrbarone und andere große und kleine Unternehmenslenker.

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Quelle: WELT / Viktoria Schulte

Mit diesem Profil war Clement für Bundeskanzler Schröder 2002 nach dessen Wiederwahl der Mann der Stunde. Deutschland galt damals als „kranker Mann Europas“, geplagt von Massenarbeitslosigkeit und anhaltender Konjunkturflaute. Jobs zu schaffen war die schwierigste Aufgabe, die der Kanzler zu vergeben hatte, und Clement mit seinem gut ausgeprägten Selbstbewusstsein traute sie sich zu.

Als Voraussetzung forderte er den Ausbau des Wirtschaftsministeriums zu einem Superministerium, zuständig auch für Energie und – als Novum – die Arbeitsmarktpolitik. Clements Leitspruch „Sozial ist, was Arbeit schafft“, markierte eine neue Richtung in der rot-grünen Regierung. „Fordern und Fördern“ war ein weiteres Schlagwort des tatkräftigen Superministers, der bald als möglicher nächster Kanzlerkandidat gehandelt wurde.

Hartz als Meisterstück

Die Umsetzung der Hartz-Reformen, die den Arbeitsmarkt radikal umkrempeln sollten, war Clements Meisterstück. Die vom einstigen VW-Manager Peter Hartz und seiner Kommission erdachten Reformmaßnahmen wie die Förderung von sogenannten Ich-AGs oder die Erfindung von Ein-Euro-Jobs wurden in dem Ministerium in Gesetze im Schnelltempo gegossen.

Es folgten die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes über die Erleichterung der Zeitarbeit und der erleichterten Befristung von Beschäftigungsverhältnissen. Vor allem aber die Zusammenlegung der früheren Sozialhilfe und der Arbeitslosenhilfe zum Arbeitslosengeld II, im Volksmund Hartz IV genannt, brachte Clement den Ruf als eiskalter Neoliberaler ein, der dem Sozialstaat mit der Abrissbirne zu Leibe rückt.

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Der Minister, der mitunter cholerisch bis zynisch auf Kritik reagierte, ließ sich indes weder von den Montagsdemonstrationen noch von schlechten Umfragewerten der SPD von seiner Überzeugung abbringen, auf dem richtigen Weg zu sein. Auch die Gründung der Partei der Linken, denen sich etliche Sozialdemokraten anschlossen, ließ Clement nicht wanken.

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Und es erbitterte ihn zutiefst, dass die Partei nach der Wahlniederlage 2005 zunehmend von der Reformpolitik Schröders wieder abrückte. Dass die Sozialdemokratie sich für die Hartz-Reformen schämt, anstatt sich für den Erfolg, die Massenarbeitslosigkeit beseitigt zu haben, feiern zu lassen, konnte der einstige Superminister nicht verstehen.

Im Alter zog es ihn immer näher zur FDP. Er selbst bleib zwar, wie er sagte, „Sozialdemokrat ohne Parteibuch“. Doch wirtschaftspolitisch sah er die Liberalen zuletzt als die „einzige Fortschrittspartei“.

Nun befindet sich Deutschland in der wohl schwersten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg. Und ein Macher wie Clement, der ohne Rücksicht auf die Umfragewerte eine Politik durchsetzt, die Jobs schafft und sichert, statt auf soziale Illusionen zu bauen – er fehlt.

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