Wolfgang Bosbach ist Gast der Isu im Meyerhof Heiligenrode
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Wolfgang Bosbach ist Gast der Isu im Meyerhof Heiligenrode

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Bot den Besuchern im rappelvollen Restaurant Meyerhof einen unterhaltsamen Abend: CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
Bot den Besuchern im rappelvollen Restaurant Meyerhof einen unterhaltsamen Abend: CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. © eike nienaber

Er kam zu spät, aber er kam noch: CDU-Politiker Wolfgang Bosbach war nach eigener Auskunft zwar pünktlich in Heiligenrode, doch das zeitige Erscheinen im Restaurant Meyerhof habe die Baustelle verhindert.

Heiligenrode – Drei, vier Mal sei er im Kreis gefahren, bis es geklappt habe. Die Wiederentdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus sei kein Problem gewesen, unkte Bosbach. „Aber der Meyerhof...“ Dass Kolumbus eigentlich nach Indien wollte – geschenkt.

Bosbach war auf Einladung der Interessengemeinschaft Stuhrer Unternehmen (Isu) gekommen. Deren Vorsitzender Volker Twachtmann übernahm die Begrüßung des prominenten Gastes und stellte diesen unter anderem als ehemaligen „Teilnehmer einer Miss-Deutschland-Wahl“ vor. „Und dann heißt es immer, die größten Komiker sind im Rheinland zuhause“, konterte Bosbach. Teile des Lebenslaufs hätten aber gestimmt. Seine Vita komplettierte Bosbach, indem er die mit 16 begonnene Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann ebenso als abgeschlossen vermeldete wie sein Jurastudium. „Damit bin ich für die moderne Politik ungeeignet.“

Bosbach zeigt sich humorvoll

Schnell wird klar, warum die Isu für ihre jährliche Öffentlichkeitsveranstaltung Bosbach haben wollte: Der Mann ist so humorvoll, dass man ihn sich ohne Weiteres beim Kölner Karneval in der Bütt vorstellen kann. Doch ins Lächerliche gerät sein Vortrag nicht. Dafür ist er dann doch zu sehr Politiker, auch wenn er sein Bundestagsmandat 2017 nach 23 Jahren niedergelegt hatte. Seine Ausführungen ordnet er selbst so ein: „Politische Gedanken ja, aber keine Wahlkampfrede. Die meisten wissen, ich bin einer von den Guten.“ Und: „Humor in der Politik ist unfreiwillig.“

Er könne die „einzelnen krisenhaften Entwicklungen ansprechen“, doch er habe im Moment eine andere Sorge. Vor dem Hintergrund der in den neuen Bundesländern geführten Debatten, der „Vergiftung des Diskussionsklimas“ durch die AfD, fordert Bosbach: „Wir müssen unbedingt die demokratische, die gesellschaftliche Stabilität unseres Landes bewahren. Das ist nicht selbstverständlich.“

Bosbach untermauert die deutsche Stabilität

Gleichwohl staunten „die Länder um uns herum über unsere politische und gesellschaftliche Stabilität und über unsere wirtschaftliche Kraft. Wenn wir wirtschaftlich nicht so stark wären, dann könnten wir gar nicht mit Wumms und Doppelwumms das abfedern, was uns an krisenhaften Erscheinungen alles im Moment kumuliert trifft.“

Diese Stabilität untermauert Bosbach mit Beispielen: Nur drei Kanzler in den 39 Jahren vor dem Amtsantritt von Olaf Scholz, „das schaffen die Engländer in sechs Monaten“. Italien bringe es auf 17 Regierungschefs in 39 Jahren, der HSV auf 34 Trainer. Es habe dem Land gutgetan, dass es mit der CDU und der SPD über 70 Jahre lang zwei starke Volksparteien gehabt habe, die für Maß und Mitte gesorgt hätten. Bei der Bundestagswahl 1972 habe es eine Wahlbeteiligung von 92 Prozent gegeben, 91 Prozent der Wähler hätten sich für CDU oder SPD entschieden. Seitdem habe sich die politische Landschaft verändert, nicht nur hierzulande, sondern in ganz Europa.

Bosbach warnt vor einer schleichenden Deindustrialisierung

Bosbach warnt vor einer schleichenden Deindustrialisierung in Deutschland. Er habe das Gefühl, dass der Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen und der sozialen Leistungsfähigkeit verloren gehe. In der wirtschaftlichen Kraft nachzulassen und gleichzeitig den Sozialstaat auszubauen, das werde nicht funktionieren.

Im Schnitt sei Deutschland nur alle zehn Jahre von einer Rezession betroffen. Doch anders als früher seinen von den aktuellen Preissteigerungen auch viele Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen betroffen.

Bosbach erzählt über seinen Besuch einer Gießerei in Lößnitz im Erzgebirge, die nur für die Automobilindustrie produziert. Deren Energieversorger habe ab Januar einen Folgevertrag zum Zehnfachen des aktuellen Preises vorgelegt. Der Betrieb mache aber schon bei einer Verdoppelung keinen Gewinn mehr. „Da geht es um Existenzen.“ Wenn der Staat nicht helfe, dann wendeten sich einige den Kräften mit den einfachen Antworten zu. Die Gefahr sei also, dass es neben der ökonomischen auch gesellschaftliche und soziale Verwerfungen gebe.

Finanzielle Herausforderungen warten auf Deutschland

„Wir stehen vor großen Aufgaben, und dafür brauchen wir eine hinreichende wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit.“ Als Beispiele für die finanziellen Herausforderungen nannte Bosbach die Ausgaben für medizinische Forschung und Pflege. Dies seien noch überschaubare Beträge. Ein Drittel der staatlichen Einnahmen wandere sofort in die Rentenkasse. Und die geburtenstarken Jahrgänge würden erst 2025 relevant.

Worauf es für die Zukunft ganz entscheidend ankomme? „Nur, wenn wir in der Lage sind, Produkte und Dienstleistungen herzustellen, mit denen wir wettbewerbsfähig sind, werden wir auch den Standort Deutschland stärken können.“ Dass niemand im Saal ein Handy eines deutschen Herstellers besitze, bringe alles auf den Punkt.

Deutschland ist Weltklasse in alten Industrien

In alten Industrien, etwa im Premienbereich des Automobilbaus, sei Deutschland immer noch Weltklasse. Die Wachstumsfelder seien aber woanders, vor allem die Plattformwirtschaft. Ob Amazon, Alphabet, Microsoft oder Apple: Jede Firma habe einen höheren Börsenwert als alle 40 deutschen Dax-Konzerne zusammen. Neue Geschäftsmodelle seien in anderen Ländern viel schneller auf dem Markt. Enorm lange Genehmigungsverfahren würden dies hierzulande verhindern. „Die beste Investition in die Zukunft aber“, betonte Bosbach, „wäre die in die Köpfe unserer Kinder: Bildung, Bildung, Bildung.“

Immer wieder überraschte er seine Zuhörer mit Zahlen. 50 Prozent der Deutschen hielten sich für politisch interessiert, aber nur 1,6 Prozent seien Mitglieder in irgendeiner Partei. Die Volksparteien repräsentierten nicht mehr den Querschnitt der Bevölkerung, vor allem, was das Alter angehe. „Da müssen sich die Parteien fragen: Besprechen wir die Themen, die für die Bürgerinnen und Bürger wichtig sind?“

Ob nun jedes seiner Themen am Mittwoch für jeden Besucher relevant war, sei dahingestellt. Deren unterhaltsame Präsentation kam auf jeden Fall an. Am Ende verwies Twachtmann noch auf die Biographie Bosbachs, die es im hinteren Teil des Saals zu kaufen gebe. Stimmte aber nicht, Bosbachs Buch „Wer glaubt uns noch?“ lag dort aus. „Sie machen dort weiter, wo sie angefangen haben“, stellte Bosbach fest. Auch das war als Witz gemeint.

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