Die ukrainische Regierung hat den Besuch von Kremlchef Wladimir Putin in der von Russland besetzten, ukrainischen Hafenstadt Mariupol scharf verurteilt. „Verbrecher kehren immer an den Tatort zurück“, schrieb der Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, Michailo Podoljak, am Sonntag auf Twitter. „Der Mörder von Tausenden von Familien in Mariupol kam, um die Ruinen der Stadt und ihre Gräber zu bewundern. Zynismus und mangelnde Reue“, fügte er hinzu.
Das ukrainische Verteidigungsministerium erklärte, Putin habe die durch russische Bombardements weitgehend zerstörte Stadt im Schutze der Nacht besucht, „so wie es sich für einen Dieb gehört“. Die Dunkelheit habe es ihm ermöglicht, die Stadt „und ihre wenigen überlebenden Einwohner vor neugierigen Blicken“ zu schützen.
Auch der Exil-Stadtrat von Mariupol erklärte, Putin habe die Stadt offenbar bei Nacht besucht, „um die durch seine ‚Befreiung‘ vernichtete Stadt nicht bei Tageslicht zu sehen“. Der Stadtrat bezeichnete den russischen Präsidenten als „internationalen Verbrecher“. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte am Freitag einen Haftbefehl gegen Putin erlassen.
Ein „Arbeitsbesuch“ für Putin
Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine war Kremlchef Putin am Wochenende in die besetzten Gebiete gereist. Wie der Kreml in der Nacht zum Sonntag mitteilte, hatte Putin der in schweren Kämpfen zerstörte Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer einen „Arbeitsbesuch“ abgestattet.
Nach seiner Ankunft in einem Hubschrauber habe er sich bei einer Rundfahrt über die Lage informiert und sich auch mit Bewohnern der Stadt unterhalten, berichtete die Staatsagentur Tass weiter. Russlands stellvertretender Regierungschef Marat Chusnullin habe Putin über den Stand der Wiederaufbauarbeiten informiert. Zu sehen waren am Rande auch Zerstörungen an Gebäuden.
Russland hatte den Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar des Vorjahres begonnen. Mariupol wurde von russischen Truppen belagert und geriet erst am 20. Mai unter vollständige Kontrolle des russischen Militärs. Die Stadt wurde während der Kämpfe weitgehend zerstört.
Putin besucht auch die Krim
Zuvor war Putin anlässlich des neunten Jahrestags der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland auf die Halbinsel im Schwarzen Meer gereist. Der russische Staatschef stattete der Hafenstadt Sewastopol, dem Heimathafen der russischen Schwarzmeerflotte, einen unangekündigten Besuch ab, wie das russische Fernsehen am Samstag meldete. Dort besuchte er in Begleitung des örtlichen Gouverneurs Michail Raswoschajew eine Kunstschule, wie Bilder des Fernsehsenders Rossia-1 zeigten.
Außerdem besichtige Putin auch ein Kinderferienlager, das an einer Ausgrabungsstätte der antiken Stadt Chersones auf dem heutigen Stadtgebiet von Sewastopol liegt und Kindern Geschichte näher bringen soll.
Es war der erste Besuch des russischen Präsidenten auf der Krim zum Jahrestag der Annexion seit 2020. Damals überreichte er den Bauarbeitern der Krim-Brücke, die vom russischen Festland auf die annektierte Halbinsel führt, Orden. 2021 und 2022 beging Putin die Feierlichkeiten in Moskau auf einem Großkonzert.
Seit Beginn des von ihm befohlenen Angriffskriegs gegen die Ukraine meidet der russische Präsident allgemein frontnahe Gebiete. Ende 2022 testete er immerhin die Befahrbarkeit der Krim-Brücke, die durch einen Anschlag im Herbst schwer beschädigt wurde.
Die ukrainische Halbinsel war 2014 nach einem umstrittenen Referendum, das die Regierung in Kiew und der Westen als illegal werten, von Russland völkerrechtswidrig ins eigene Staatsgebiet eingegliedert worden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte im Januar angekündigt, er wolle die Krim, „unser Land“, mit Waffengewalt zurückerobern. Moskau hingegen betont immer wieder, die Krim sei russisch, und lehnt Verhandlungen darüber ab.
Nach seinen Besuchen in der Ukraine traf Putin laut der russischen Nachrichtenagentur Tass in Rostow-am-Don mit den Befehlshabern der in der Ukraine kämpfenden russischen Streitkräfte zusammen. Unter anderem habe ihm Generalstabschef Waleri Gerassimow Bericht über die Lage an den Fronten erstattet.
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