Der Verrat zweier Freunde an ihrem Vorarbeiter, den sie an die Stasi verpfeifen; der darauffolgende Streit, die Kränkung; Isolation und gezielte Zersetzung im Stasiknast, das Brechen der Persönlichkeit; Treuebruch, der sich über viele Jahre hinzieht, an dessen Ende nicht einmal mehr Feindschaft stehen kann, sondern nur noch fassungslose Verachtung: In seinem Langfilmdebüt schildert Toke Constantin Hebbeln die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten von Freundschaft in der DDR, in einer geradewegs abwärts führenden Linie. Hebbeln, der für seinen Film "Nimmermeer" aus dem Jahr 2007 mit dem Studenten-Oscar ausgezeichnet wurde, zeigt mit "Wir wollten aufs Meer" sein Gespür für die große Erzählung.
Am Anfang steht die reine Freude der Aufbruchsstimmung: Für Cornelis und Andreas steht die Welt offen, 1982 am Rostocker Hafen, der Aufbruch in die Weite kann nicht mehr lange auf sich warten lassen. Matrose sein, über die Weltmeere schippern: Das ist ihr Traum, und es geht nicht um Politisches, keine Republikflucht steht im Hintergrund, es treibt sie einfach der Drang nach Draußen, den junge Leute verspüren.
Die Ernüchterung folgt. Nach ein paar Jahren sind sie immer noch nur Hafenarbeiter, sie werden nicht rauskommen, ihre persönlichen Verhältnisse, sie sind nicht so. Eine Chance gäbe es vielleicht, statt Indifferenz die Zusammenarbeit mit dem Staat eine leicht amateurhafte Abhöraktion in der Wohnung ihres Chefs ist der Sündenfall, von jetzt ab scheint es kein Zurück mehr zu geben.
Hebbeln spielt radikal mit dem Pendel der Gefühle, und er spielt nicht nur mit dem einigermaßen Drama-üblichen Umschwung von anfänglichem Glück in die Frustration dessen, der irgendwo in seinem Leben feststeckt. Auf einen hochemotionalen, auch körperlichen Streit lässt er einen heftigen Schockmoment folgen, eine der Hauptfiguren fällt aus; und in der Folge verzweigt sich der Film, verläuft auf mehreren Wegen. Die Freunde sind getrennt; Andreas versteckt, heimlich in einem Stasi-Haus, Cornelis im Gefängnis, dessen vietnamesische Freundin in Hamburg, als entferntes Sehnsuchtsziel. Und zwischen Andreas und Cornelis, über die Distanz, spielt sich das ganz große Drama ab, eines, das mit solcher Prägnanz, mit solcher Vehemenz selten im deutschen Film zu sehen ist.
Andreas betrügt Cornelis aus der Ferne, gaukelt ihm ein Leben vor, das es nie gab, nicht gibt, nie geben wird eine Art Umkehrung des Cyrano de Bergerac, der Liebesbriefe fälscht, um das Gute zu bewirken. Hebbeln sorgt dabei für konzentrierte Spannung, lässt sich auf beide Seiten ein, verteufelt auch niemals den Antagonisten, sondern baut um diesen Grundkonflikt die kleinen, ganz alltäglichen Geschehnisse bei Stasi und im Stasigefängnis; so dass sich ein voller, lebendiger Film formt, der emotional packt (und dem man ein paar wenige allzu melodramatische Szenen nur zu gerne verzeiht). Eine ähnliche Strategie des Alltäglichen im Wahnsinn des Politischen hat Das Leben der anderen verfolgt zum Oscar wird es für Wir wollten aufs Meer freilich nicht reichen.
Hebbeln erzählt von Freundschaft und Verrat, von einem großen Traum, vom Erwachsenwerden, von der Liebe und der Vergeblichkeit, vor dem Hintergrund der repressiven DDR; und es ist hoch anzurechnen, dass das Politische, das in der Geschichte steckt, nicht extra hervorgehoben, nicht als großes Thema behandelt wird. Denn der Film ist kein Lehrstück über einen untergegangenen Staat, er ist auch kein Historienfilm; sondern schlicht menschlich.
Fazit: "Wir wollten aufs Meer" ist ein Freundschaftsdrama zu Zeiten der Stasi. Regisseur Toke Constantin Hebbeln zeigt damit den Mut zur großen, emotionalen Erzählung - ein Mut, der sich lohnt.