Zu den schönsten Flüsterwitzen, die der Nationalsozialismus hervorgebracht hat, gehört die Maßeinheit „ein Göring“: Für Eingeweihte bezeichnete sie die Menge an Blech, die sich ein Mann an die Brust heften konnte, ohne unter der Last zusammenzubrechen. Damit stellte der „Göring“ den Umgang des Reichsmarschalls mit seinen Orden bloß, die er sich der Legende nach am liebsten selbst verliehen haben soll.
Nun hätte diese Pointe den Sozialisten als nächstem autoritären Regime in Deutschland eine Warnung sein können, beim Brustmetall Vorsicht walten zu lassen. Doch selbstredend passierte das Gegenteil, und so verliehen die dunkelroten Genossen am 28. Juli 1950 zum ersten Mal die Auszeichnung „Held der Arbeit“.
Wirklich vorzuwerfen ist das dem SED-Politbüro vermutlich nicht. Zwangsherrscher jeglicher Couleur können es sich nicht erlauben, bei ihren Helden und Ehrungen wählerisch zu sein. Das gilt umso mehr, wenn laut der Staatsdoktrin allen alles gehören muss und das Streben nach eigenem Besitz als Motivationsstrategie für die Staatsbürger ausfällt.
Niemand bestreitet, dass viele Werktätige in der DDR hart schufteten und dabei vor allem großes Improvisationstalent zeigten, wenn wie so oft jene für die Produktion wichtigen Teile nicht kamen, die laut dem Plan längst in Überfülle hätten vorhanden sein sollen. Es erforderte ohne Zweifel eine Menge Geschick, halbwegs unfallfrei durch das gigantische Lügengebäude zu manövrieren, das sich Planwirtschaft nannte.
Dennoch bleibt die Frage bestehen, ob die Aussicht auf den Titel „Held der Arbeit“ bei den Beschäftigten dazu beitrug, tatsächlich mehr zu leisten – zumal man sich von den 10.000 Ostmark, die mit der Würdigung einhergingen, oft genug buchstäblich nichts kaufen konnte. Lassen muss man den DDR-Oberen allerdings, den Orden zumindest im Jahr 1950 noch an Arbeiter und Bauern vergeben zu haben, also Angehörigen jener Klassen, die in der marxistisch-leninistischen Orthodoxie dereinst das Paradies auf Erden schaffen würden.
Freilich schadete es im Hier und Jetzt nicht, wenn die Ordenskandidaten wie die Hallenser Damenschneiderin Luise Ermisch recht bald nach dem 8. Mai 1945 voll auf die rote Parteilinie eingeschwenkt waren: Nach dem Krieg war sie zuerst Näherin im VEB Hallesche Kleiderwerke, 1947 trat sie in den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) ein. 1949 besuchte sie die Kreisschule des FDGB in Halle. Daraufhin wurde sie Mitglied der Betriebsgewerkschaftleitung, 1950 dann auch der SED.
Ihre große Zeit erlebte die Ausgezeichnete ab 1954. In diesem Jahr kam die „Luise-Ermisch-Methode“ zum Tragen: Betriebspläne wurden ihr zufolge auf jede einzelne Brigade und Arbeiterin aufgeschlüsselt, dazu Produktkennziffern für Qualität festgelegt. Eine Strategie, die am Schreibtisch prima aussah, aber in der Praxis frei nach der Devise „Mehr Planung erfordert mehr Planung“ nur zu rasch zum bürokratischen Monster mutieren konnte. Ermisch brachte ihr Ansatz trotzdem einen Sitz im Zentralkomitee der SED ein, wo sie bis 1984 blieb.
Schon 1951 entschieden die DDR-Oberen dann, den Orden einem der Ihren an die Brust zu heften. Was genau den Präsidenten Wilhelm Pieck für die Ehre qualifizierte, erschließt sich dem heutigen Betrachter spontan nicht in Gänze. Die Anekdote aus Kriegszeiten, laut der es für jeden Moskauer Exilanten ins Arbeitslager nach Sibirien ging, wenn Genosse Pieck sich bei einem Anruf am Telefon verleugnen ließ, dürfte ihm jedenfalls trotz aller hervorragenden Verdienste um die Zwangsarbeit wenig geholfen haben.
Dann wiederum betrieb Pieck nach 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone die Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED – eine Unterdrückungsleistung, die bei aller freundlichen Hilfe des sowjetischen Brudervolks kaum ganz ohne eigene Arbeit abgegangen sein sollte.
Grausame seelische Nöte verursachen heute die Worte, mit denen die Herrscher und ihre Parteipresse versuchten, die Auszeichnung ihren Bürgern als große Sache nahezubringen. Unter der Schlagzeile „Anerkennung den Besten unserer Industrie“ veröffentlichte das „Neue Deutschland“ eine Jubelarie, die mit folgender Satzkonstruktion anhob: „Bevor Genosse Walter Ulbricht seine Darlegungen über den Fünfjahresplan und die Perspektiven der Volkswirtschaft vor den Delegierten des III. Parteitags im Einzelnen begann, sprach er über das neue, das in unserer Republik Wirklichkeit wurde – dass Werktätige, die vor einigen Jahren noch ohne Hoffnung, ohne Mut und Entschlossenheit nicht von einem Tag zum nächsten Morgen weiter zu sehen vermochten, heute stolz an ihren Maschinen stehen und Leistungen vollbringen, wie sie im alten Deutschland der Ausbeutung niemals möglich waren.“
Eindeutig handelt es sich hier um Worte für die Geschichtsbücher – wenn es je einen ersten Satz gab, der allen Journalisten und Autoren für immer klarmacht, wie man schreiben muss, damit garantiert niemand den Text liest, dann ist er hier zu besichtigen. Zwischen all den Substantivierungen und Verneinungen vergisst der Konsument sogar, dass der Schreiber gar nicht sagt, worin die „neue Anerkennung“ besteht, von der die Schlagzeile handelt.
Von Walter Ulbricht persönlich überliefert der Artikel das Zitat: „Ich spreche über diese Erfolge der Arbeiter, der Bauern, der technischen Intelligenz, der Wissenschaftler und Künstler gleich am Anfang meiner Ausführungen, weil erst diese Leistungen die Gewähr dafür bieten, dass es nunmehr möglich ist, den ersten Fünfjahresplan zu beschließen und durchzuführen.“
In der Tat eine Wahnsinnsgeste des Genossen Generalsekretärs, von denen zu reden, die seinen Plan möglich gemacht hatten – die Dankbarkeit in den Herzen der Arbeiter kann sich heute niemand mehr vorstellen. Und wie taktvoll vom „ND“-Reporter, die Ekstase, die nach diesen Auslassungen losgebrochen sein muss, nicht in allen Einzelheiten geschildert zu haben.
Maximal 50 Helden der Arbeit zeichnete das SED-Regime pro Jahr aus. Unter ihnen befanden sich viele tüchtige Leute, von deren Innovationen das DDR-System profitierte. Wie diese Frauen und Männer darüber dachten, dass auch Publikum wie Erich Mielke, Margot Honecker oder eben Wilhelm Pieck zum Klub gehörten, wird von Fall zu Fall unterschiedlich gewesen sein.
Heute führt die Auszeichnung ein Dasein als Motiv auf Postkarten oder als ironisches Zitat beim Schabernack im Kollegenkreis. Über den ursprünglichen Zweck ist die Zeit hinweggegangen. Erinnert man sich an das Unrecht, das diejenigen begangen haben, die den Orden verliehen, ist das kein Grund für Trauer.
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