DDR-Geschichte: Wie Ulbricht Wilhelm Pieck ins Schloss abschob - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. DDR-Geschichte: Wie Ulbricht Wilhelm Pieck ins Schloss abschob

Kultur DDR-Geschichte

Wie Ulbricht Wilhelm Pieck ins Schloss abschob

Leitender Redakteur Geschichte
Vor 50 Jahren starb der einzige Präsident der DDR, Wilhelm Pieck. Er überlebte, weil er ein Genie der Anpassung war.

Jeder trauert auf sein Weise: Massen marschieren zum Gedenken, Funktionäre halten Totenreden, Dichter dichten. Arnold Zweig zum Beispiel, als Träger des Nationalpreises und des Lenin-Friedenspreises einer der höchstdekorierten DDR-Literaten, schuf vor genau einem halben Jahrhundert diese Zeilen: „Du warst ein Fährmann auf schwer beladenem Schiff / Millionen Tote fuhrst Du über den Strom der Jahre / Die üblen Krähen schrieen von den kalten Wipfeln / Die Last der Ermordeten zweier wüster Kriege / machten das deutsche Boot fast kentern / Aber Du, Wilhelm Pieck, am Steuer standest Du im Heck / Du standhafter Genosse ohne Übermut.“

Als der formal höchste Repräsentant der DDR am 7. September 1960, nach langer Krankheit starb, inszenierte die SED den größten Staatsakt ihrer Geschichte. Das Parteiblatt „Neues Deutschland“ widmete seine gesamte erste Seite dem Andenken des Toten, einschließlich eines sorgfältig redigierten Nachrufs der Parteiführung. Wenige Zeilen knapp blieb dagegen das ärztliche Bulletin, dass von Herzschwäche und einer zusätzlichen Lungenentzündung des 84-Jährigen berichtete.

"Er war tot, bevor er starb"

Das physische Sterben war eigentlich schon Piecks zweites Ende. Wolfgang Leonhard, der abtrünnige frühere SED-Funktionär und schonungslose Analytiker der DDR, attestierte dem einstigen Mitbegründer der KPD: „Er war tot, bevor er starb.“ Denn spätestens seit Oktober 1949, mit seinem Einzug in das vormalige Hohenzollern-Schloss Niederschönhausen, war Pieck politisch abgemeldet. Formal blieb er zwar einer der beiden Vorsitzenden der SED, doch verloren hatte er den Machtkampf mit Walter Ulbricht schon im Sommer 1945. Pieck fügte sich in sein Schicksal, wie der zweite SED-Vorsitzende und ebenfalls fast machtlose Ost-Berliner Ministerpräsident Otto Grotewohl.

Spitz rief "Der Spiegel“ dem ersten und einzigen DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck nach: „Elf Jahre lang bewahrte ihn die SED in Niederschönhausen auf, als unfreiwilligen Beweis der Tatsache, dass der rabiate Ulbricht-Bolschewismus seine Vorstellung vom Gipfel staatlicher Repräsentation nach jenem Grad von Bonhomie orientiert, der auch das ,Papa-Heus’-Ideal geprägt hat – entgegen den Intentionen seines Verkörperers freilich."

Sohn eines Kutschers

So sehr Pieck den Proletarier gab, so sehr blieb er doch ein Kleinbürger. Der Sohn eines Kutschers aus Guben an der Oder hatte nach der Volksschule eine Tischlerlehre absolviert und war mit 19 Jahren in die SPD eingetreten. Der Umzug nach Bremen brachte ihn die ersten Sprossen der Karriereleiter empor: Er wurde Kassierer, Stadtbezirksvorsitzender und schließlich, 1905, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft. Ein Jahr später gab Pieck seinen Beruf auf und wurde hauptamtlicher Parteifunktionär, was er bis an sein Lebensende blieb.

Für die SPD war der bodenständige, aber aufstiegswillige junge Mann perfekter Nachwuchs. Daher wurde Pieck an die Parteischule der SPD nach Berlin delegiert, eine Kaderschmiede. Hier lernte er Rosa Luxemburg kennen, die seinem vermeintlich vorgezeichneten Lebensweg eine ganz andere Richtung geben sollte.

Führendes Mitglied des Spartakusbundes

Denn Pieck stellte sich nun ganz auf die Seite des internationalistischen, also des besonders linken Flügels der Arbeiterbewegung. Ervotierte bei den Kriegskrediten gegen die übergroße Mehrheit der SPD, desertierte aus dem Heer, als ihm wegen „Insubordination und Hetze“ ein Kriegsgerichtsverfahren drohte, und betätigte sich ab 1917 aus dem Amsterdamer Exil als Agitator. Kurz vor dem Sturz der Hohenzollern kehrte er im Oktober 1918 nach Berlin zurück und gehörte neben Luxemburg und Karl Liebknecht zu den führenden Mitgliedern des Spartakusbundes.

Als sich nach Weihnachten 1918 abzuzeichnen begann, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung nicht dem radikalen, sondern dem gemäßigten Flügel der Arbeiterbewegung zuneigte, gehörte Wilhelm Pieck am 1. Januar 1919 zu den Gründern und zum innersten Führungszirkel der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).

Was "packte" Pieck gegenüber Freikorps-Soldaten aus?

Schon wenige Tage später allerdings spitzte sich die Situation dramatisch zu. Ab dem 6. Januar hatten einige tausend KPD-Anhänger den Kampf gegen die freien und demokratischen Wahlen zur Nationalversammlung aufgenommen. Ausgelöst hatte diesen Putschismus der KPD-Vordenker Karl Liebknecht mit einer Erklärung, in der er den Rat der Volksbeauftragten um die Sozialdemokraten Friedrich Ebert und Philipp Scheidemann für "abgesetzt" erklärte. Auf Befehl eben dieser Übergangsregierung schlugen Soldaten den „Spartakus-Aufstand“ nieder – mit weit übertriebener Brutalität.

Anzeige

Nach der absehbaren Niederlage der „sozialistischen Revolutionäre“ wollten einige Freikorps mit den Aufrührern kurzen Prozess machen: Am Abend des 15. Januar 1919 wurden Liebknecht, Luxemburg sowie Pieck in Berlin-Wilmersdorf entdeckt und festgenommen. Nach längeren Verhören und wohl auch Folterungen transportierten mehrere junge Offiziere die ersten beiden ab und brachten sie um. Luxemburgs Leiche wurde in den Landwehrkanal geworfen und erst Monate später entdeckt, Liebknecht als "unbekannter Toter" bei der Polizei abgeliefert.

Mit dem Ruf des Opportunisten

Pieck dagegen entkam den Freikorps-Soldaten – oder wurde von ihnen freigelassen, weil er „ausgepackt“ hatte. Das jedenfalls behauptete Waldemar Pabst, ihr Anführer. Pieck habe „seine eigenen Genossen in einem Umfange verraten, der es uns ermöglichte, die weiteren Aufstände in Berlin rasch niederzuschlagen“, schrieb Pabst Jahrzehnte später: „Herr Pieck war nämlich so freundlich gewesen, mir alle militärischen Angaben zu machen über Wohnungen und Ausweichquartiere der prominenten Führer seiner Partei, ihre Telefone beziehungsweise diejenigen ihrer ,Gastgeber’, die Waffenlager und deren Ausweichstellen, die Alarmorganisation, die Sammelplätze und so weiter.“

Ist Pieck in jener Nacht unter Folter oder der Drohung damit zusammengebrochen? Hat er seine „Genossen“ tatsächlich verraten? Als Gerücht begleitete diese Vermutung sein ganzes weiters Leben, machte ihn eventuell sogar erpressbar. Aufklären lässt sich nicht mehr, was genau passierte am Abend des 15. Januar 1919. Jedoch passte sich Pieck fortan auffällig flexibel der jeweiligen Linie der mehrfach wechselnden KPD-Führung an, was ihm rasch den Ruf eines Opportunisten einbrachte.

Ein Kommunist, der sich mit Dollar bezahlen ließ

Clara Zetkin warnte im Dezember 1921, Pieck sei „als Generalsekretär unmöglich, wenn wir nicht der KPD den Totenschein ausschreiben wollen“. Eine Zeitung oppositioneller Kommunisten nannte Pieck einen „ausgestopften Papageien“, der aber immerhin bis drei zählen könne, auch wenn er es manchmal verberge. Als er einmal leise gegen den Moskauer Statthalter an der Parteispitze Ernst Thälmann aufbegehren wollte, ließ ihn ein Gespräch mit Stalin sofort einknicken.

Gleichzeitig war der Spitzenkommunist schon in den Jahren der Weimarer Republik der Meinung, dass zwar alle Menschen gleich sein sollten, KPD-Spitzenfunktionäre aber etwas „gleicher“. Anders lässt sich sein Dankesbrief an die Budgetkommission der Kommunistischen Internationale vom 29. September 1923 kaum deuten. Mitten in der Hyperinflation, als ein Dollar nominal rund zwei Milliarden Mark wert war und ein Laib Brot 20 Millionen Mark kostete, bestätigte Pieck „nochmals ausdrücklich den Empfang der 5128 Dollar zur Aufbesserung der Lage der aktiven Parteifunktionäre“. Da in der gegenwärtigen Lage an „Erholungsurlaub für die Parteiarbeiter“ nicht in Frage komme, würden mit dem Geld den „in ihrer Gesundheit gefährdeten Genossen besondere Zulagen“ gewährt.

Stalin übertrug ihm Leitungsaufgaben

Längst hatte Pieck Gefallen an einem Leben in bescheidenem Wohlstand gefunden. Da er diese Existenz entgegen dem offiziell von der KPD verbreiteten Bild keinesfalls aufgeben mochte, war er ein zuverlässiger Exekutor der jeweils gültigen Anweisungen aus Moskau. Als die Nazis Ende Februar / Anfang März 1933 mit aller Gewalt die KPD zerschlugen, wurde Parteichef Thälmann festgenommen, aber der Reichstagsabgeordnete Pieck konnte untertauchen und nach Prag flüchten. Seine Wohnung im bürgerlichen Berliner Bezirk Steglitz wurde von der SA freilich demoliert, seine umfangreiche Bibliothek später beschlagnahmt.

Der Flüchtling lebte bis 1935 in Paris in der Illegalität und leitete die Exil-KPD anstelle des inhaftierten Thälmann. Dann zog er nach Moskau um und überstand hier die Säuberungen, der drei Viertel aller aus Deutschland emigrierten Kommunisten zum Opfer fielen. Offensichtlich schätzte Josef Stalin den willigen Pieck, übertrug ihm in der Kommunistischen Internationale und im Nationalkomitee Freies Deutschland verantwortungsvolle Aufgaben. Nach Thälmanns Ermordung im KZ Buchenwald 1944 war klar, dass Pieck der nächste KPD-Chef werden würde.

Er stilisierte sich als Landesvater

Anzeige

Allerdings nicht ihr starker Mann. Diese Position hatte Stalin für Walter Ulbricht vorgesehen. Tatsächlich hatte der 17 Jahre jüngere Leipziger als erster Sekretär des SED-Politbüros die Zügel in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands bereits fest in der Hand, als Pieck am 1. Juli 1945 aus Moskau nach Berlin zurückkehrte. Er arrangierte sich damit, gab sich mit dem Posten erst des KPD-, dann ab April 1946 des SED-Vorsitzenden zufrieden und ließ sich schließlich mit der Gründung der DDR ins bedeutungslose Präsidentenamt und damit ins Schloss Niederschönhausen abschieben.

Das „Neue Deutschland“ und die FDJ inszenierten Pieck als gütigen Landesvater, der Delegationen empfing und Glückwünsche entgegennahm. Prunkvolle Staatsbesuche allerdings absolvierte er nur wenige, denn die DDR wurde außerhalb des sowjetischen Blocks kaum anerkannt und daher ihr Präsident auch nicht eingeladen. Als Gäste konnte er aus demselben Grund vornehmlich die Staatschefs anderer kommunistischer Staaten begrüßen. Pieck genoss also die Annehmlichkeiten des Schlossparks. Zu seinem 80. Geburtstag 1956 ließ er sich unter anderem vom damaligen Stasi-Vize Erich Mielke gratulieren, aber schon ein Jahr später endeten seine öffentlichen Auftritte fast völlig.

Einen zweiten Präsidenten hat die DDR nie bekommen. Nur fünf Tage nach Piecks Tod beschloss die Volkskammer formal die Abschaffung dieses Amtes; an seine Stelle trat als „kollektives Staatsoberhaupt“ der 24-köpfige Staatsrat, dessen Vorsitz umgehend Walter Ulbricht übernahm. Nun lagen Macht und Repräsentation der DDR wieder in denselben Händen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema