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Zweiter Weltkrieg Schlacht um Berlin

Im Keller begingen SS-Offiziere mit Sekt Selbstmord

Am 27. April 1945 rückte die Rote Armee immer weiter auf das Regierungsviertel zu. Der spätere Filmstar Günter Lamprecht gehörte als Hitler-Junge zu den Verteidigern der Reichsbank.
Leitender Redakteur Geschichte

Stabsoffiziere sind darauf getrimmt, in großen Maßstäben zu denken. Ihre Karten umfassen ganze Regionen, manchmal Staaten. Spätestens Ende April 1945 mussten die letzten militärischen Experten im Führerbunker und in anderen Befehlsstellen der Wehrmacht in Berlin umdenken. Längst waren nicht mehr Generalstabskarten Grundlage ihrer Arbeit, sondern Stadtpläne der Reichshauptstadt.

Das Dritte Reich hatte nur drei Jahre zuvor vom Atlantik an die Wolga und vom Polarkreis zur Sahara gereicht. Am Morgen des 27. April 1945 bestand Hitlers Herrschaft nur noch aus weniger als einem Zehntel des Berliner Gebiets, im Wesentlichen aus den Innenstadtbezirken. Und die sowjetischen Angriffe von allen Seiten gingen weiter.

Als ein Adjutant des SS-Brigadeführers Wilhelm Mohnke, des Kampfkommandanten der Reichskanzlei, wissen wollte, ob der Bezirk Kreuzberg bereits erobert sei, griff er zum Telefon – die unterirdisch verlegten Leitungen funktionierten zum größten Teil noch. Er rief einen Bekannten an, der südlich des Belle-Alliance-Platzes wohnte, und fragte, ob „die Russen schon da“ seien. Die Antwort war eindeutig: Ja, gerade werde das Haus durchsucht.

Noch immer lebten mehrere Hunderttausend Menschen in den massiv umkämpften Gebieten der Berliner Innenstadt. Die meisten von ihnen saßen in Bunkern oder Luftschutzkellern, viele verkrochen sich auch in den nicht mehr befahrenen Tunneln der U- oder S-Bahn und hofften, dass die sowjetischen Granaten sie hier nicht treffen würden.

Der Schauspieler Günter Lamprecht im Jahr 2000. Als 15-Jähriger war er 1945 an der „Verteidigung“ der Reichsbank in Berlin, dem heutigen Auswärtigen Amt, beteiligt
Der Schauspieler Günter Lamprecht im Jahr 2000. Als 15-Jähriger war er 1945 an der „Verteidigung“ der Reichsbank in Berlin, dem heutigen Auswärtigen Amt, beteiligt
Quelle: picture alliance / AP Photo

Zu ihnen gehörten der 15-jährige Günter Lamprecht, seine Mutter und seine Schwester. Der Hitlerjunge, später als Schauspieler zu einiger Berühmtheit gelangt, half den Sanitätern des Hauptverbandsplatzes im Bunkergeschoss der Reichsbank am Werderschen Markt, heute Sitz des Auswärtigen Amtes. Maria und Uschi Lamprecht befanden sich in einem anderen Teil der weitläufigen Kelleranlage direkt am Spreekanal.

„Alle Räume und Gänge sind belegt und verstopft mit Schwerverwundeten, mit Sterbenden“, erinnerte sich Lamprecht. „Das unaufhörliche Trommelfeuer und die Bombardements der letzten Tage, das widerliche Sausen der Stalinorgeln richtete sich jetzt nur noch auf den Kern, Berlin-Mitte.“

Von Stunde zu Stunde rückten Panzer der Roten Armee weiter vor, eroberten eine Straße nach der anderen. An großen Kreuzungen und vor allem an den Brücken über die Spree und den Landwehrkanal sowie über Bahnanlagen konzentrierten sich die Kämpfe. Die Rotarmisten drängten vorwärts, angetrieben von ihren Offizieren, die Berlin möglichst bis zum 1. Mai, dem zweithöchsten Feiertag der Sowjetunion, zur Kapitulation zwingen wollten.

Für ihre deutschen Gegner gab es nur noch die Alternative Gefangenschaft oder Tod; im Bewusstsein der meisten lief das auf das Gleiche hinaus. Verzweifelt wollten viele, vor allem Männer der Waffen-SS, nur noch so viele Sowjetsoldaten wie möglich töten, bevor sie selbst starben. Doch ohne Munition kann niemand kämpfen – und Nachschub gab es nicht mehr.

Der Spittelmarkt war durch massive Panzersperren blockiert. Davor standen reihenweise zerstörte T-34, die von Volkssturm-Männern oder Hitlerjungen mit Panzerfäusten abgeschossen worden waren. Ihre ausgebrannten Reste machten das Durchkommen der sowjetischen Infanterie zur Leipziger Straße und weiter zur Reichskanzlei in der Wilhelmstraße für die nächsten Stunden unmöglich.

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Lamprecht bekam im Keller der Reichsbank den Auftrag, für einen Unteroffizier der Wehrmacht namens Rudi eine Tasche mit Papieren zu einem „Punkt L“ im Reichsbankgebäude zu bringen; das Ziel war auf einer Skizze eingezeichnet. Dazu bekam er eine Parole, die ihm bei Kontrolle den Weg öffnen sollte: „Hasenfuß“.

Der Junge machte sich auf den Weg. Zuerst kam er an einen Ausgang hin zum Spreekanal und schaute aus einem MG-Nest auf die romantische Jungfernbrücke. In der Stellung saßen drei ältere Soldaten, und einer von ihnen gab Günter einen guten Rat: „Verpiss dich hier, Kleiner, mach’, dass du wieder runterkommst, sonst kneifst du noch am letzten Tag den Arsch zu.“

Doch Lamprecht hatte Rudi versprochen, die Aktentasche am „Punkt L“ abzuliefern. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Skizze einen Weg durch die Kellerräume beschrieb, nicht zu ebener Erde. Also stürmte er die Treppen wieder hinunter und rannte durch ausgeräumte Vorratslager, die nach Maggi aus Heeresbeständen rochen. „Hier unten hörte man kaum noch etwas von dem Inferno da ganz oben. Die schwache Beleuchtung flackerte und zitterte und drohte bald völlig zu verlöschen.“

Mit einer Taschenlampe bahnte sich der junge Kurier seinen Weg. „Ein noch stärkeres Trommelfeuer musste jetzt da oben eingesetzt haben, noch mehr Bomben, denn die Grundmauern begannen zu vibrieren.“ Er sagte sich: „Schnell, Günter, ganz schnell, such’ diesen Scheißpunkt ,L’ und nichts wie zurück unter Menschen.“

Der letzte Kampf um Berlin

Am 20. April 1945 hatte die Rote Armee Berlin von allen Seiten eingeschlossen. Mit 2,5 Millionen Mann griff Marschall Schukow an. Ihnen standen 750.000 erschöpfte und versprengte Deutsche gegenüber.

Quelle: Die Welt

In einem Kasinoraum stieß er auf eine Theke voller Sektflaschen, auf Schinken, Würste und andere Delikatessen. An einem Tisch sah Lamprecht sieben oder acht Menschen, davon fünf Offiziere der Waffen-SS. „Die Leute lagen vornübergebeugt auf der Tischplatte oder hingen aus den stattlichen Sitzmöbeln seitlich heraus, fast alle Köpfe waren zerschmettert. Hier hatte der Krieg schon sein Ende gefunden.“

Lamprecht übergab sich – nicht, weil sie tot waren, denn der Anblick von Leichen konnte einen Berliner Jungen nach fünf Jahren Luftkrieg nicht mehr schrecken. Ihn störte etwas anderes: „So feige Hunde, sich einfach zu verdrücken! Tags zuvor hatten solche noch Fahnenflüchtige, einfache Landser, an den Laternen und Bäumen aufgehängt.“

Trotzdem wollte er sein Versprechen halten und die Aktentasche abliefern, also lief er weiter. Am Ziel angelangt, erlebte er eine letzte Enttäuschung: „Punkt L stellte sich heraus als ein kleiner Lichtschacht, in dem zwei Waffen-SSler ein großes Feuer schürten, in dem dann auch Rudis Aktentasche landete.“ Dafür hatte Lamprecht sein Leben riskiert.

Wenige Stunden später hatte die Besatzung der Reichsbank ihre Munition verschossen. Wer sich nicht mit der letzten Kugel umbrachte, gab auf. Die Rote Armee besetzte den riesigen Gebäudekomplex, nicht einmal 1200 Meter östlich des Führerbunkers. In die anderen Himmelsrichtungen trennten die Rote Armee sogar nur 500 bis 1100 Meter von Hitlers letztem Unterschlupf. Das Ende war greifbar nahe.

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