Verraten zu werden ist immer grausam. Aber besonders deprimierend wird es, wenn der engste Mitarbeiter seinen langjährigen Förderer zum Rücktritt zwingt. Und wenn dieser Verräter dann auch noch der Nachfolger wird. Genau das widerfuhr General a. D. Wilhelm Groener am 13. Mai 1932.
Mit einem einfachen Satz hatte Kurt von Schleicher, der Chef des Ministeramtes und damit faktischer Staatssekretär des Reichswehrministeriums, seinen Vorgesetzten Groener am Vortag zu Fall gebracht: Er teilte ihm mit, die Reichswehr habe „kein Vertrauen“ mehr zu ihm als Minister. Der intrigante Protegé fiel dem Mentor in den Rücken.
Unmittelbarer Auslöser war ein desaströser Auftritt im Reichstag, bei dem Groener seine Position gegen die Abgeordneten von NSDAP und KPD sowie der reaktionären DNVP zu vertreten hatte – allesamt waren sie ihm gegenüber feindlich gesinnt. Gemeinsam stellten die drei Parteien 225 der 577 Mitglieder des Reichstages: eine Minderheit, gewiss, aber eine lautstarke – und wenn es um die Ablehnung des Rechtsstaates ging, auch eine, in der Einigkeit herrschte.
In der Sitzung am 12. Mai 1932 hatte Groener das Verbot der nationalsozialistischen Miliz SA verteidigt, das er fünf Wochen zuvor erlassen hatte – und zwar in seiner zweiten Funktion als Reichsinnenminister. Der sozialdemokratische „Vorwärts“ berichtete: „Groener hat bei seinem letzten Auftreten im Reichstag nicht geistig aber körperlich versagt. Jeder musste ihm auf den ersten Blick anmerken, dass er im Kampf gegen eine schwere Indisposition seine Pflicht zu erfüllen bestrebt war.“ Das Blatt fügte spitz hinzu: „Für Menschen mit normalem Empfinden ist in solchen Fällen eine gewisse Rücksicht eine Selbstverständlichkeit, die Nationalsozialisten aber sahen in dem kranken Mann ein waidwundes Wild, und sie machten sich fröhlich daran, es zu Tode zu hetzen.“
Doch selbst das hätte der Ex-General wohl überstanden, wenn nicht Schleicher ihm in den Rücken gefallen wäre. Dieser Zug war dann selbst für den hochdekorierten Offizier und an sich in den Ränken der Politik seit Ende 1918 erfahrenen Groener zu viel.
Geboren 1867 im Ludwigsburg bei Stuttgart als Sohn eines Subalternoffiziers, trat Groener als 17-Jähriger selbst in die damalige Württembergische Armee ein. Durch Talent, Fleiß und Ehrgeiz machte er rasch Karriere: Als Jahrgangsbester bestand Groener das Offiziersexamen, es schloss sich 1893 bis 1896 die Kriegsakademie an, die Eliteschmiede der kaiserlichen Armee; darauf folgte eine zweijährige Dienstzeit bei der strategisch wichtigen Topographischen Abteilung, bis er mit 31 Jahren als Hauptmann in den Großen Generalstab versetzt wurde.
Hier war Groener in den folgenden 17 Jahren für das Eisenbahnwesen zuständig, unterbrochen von den üblichen Truppenverwendungen 1902 bis 1904 als Kompaniechef, 1908 bis 1910 als Erster Generalstabsoffizier eines Armeekorps und 1910/11 als Bataillonskommandeur in Stuttgart.
Obwohl vom Dienstgrad her nur Oberstleutnant, organisierte er doch die gesamte Logistik des Heeres. Der reibungslose Aufmarsch von Millionen deutschen Soldaten im Westen Ende Juli und Anfang August 1914 galt zu Recht als sein Verdienst. Ebenso die Verlegung von Truppen nach Osten 1914/15, die überhaupt erst die raumgreifenden Siege des dortigen formalen Oberkommandierenden Paul von Hindenburg und seines Strategen Erich Ludendorff ermöglichten.
Ab Ende 1915 war Groener auch zuständig für die dringend benötigten Nahrungstransporte ins von Hunger bedrohte Deutschland – in seinem Leben „die Wende zu außermilitärischen Aufgaben“, wie sein Biograf Friedrich Hiller von Gaertringen schrieb. Groeners Bereitschaft, auf oppositionelle, also friedensorientierte Gruppen an der Heimatfront zuzugehen, führte 1917 zu seiner Ablösung und Versetzung als Divisionskommandeur an die Westfront. Anschließend war er als Generalstabschef der Heeresgruppe Kiew an der fast kampflosen Besetzung der Ukraine 1918 als Folge des Friedens von Brest-Litowsk beteiligt.
Nach Ludendorffs taktisch geschickter, charakterlich aber desaströser Flucht aus der Verantwortung im Oktober 1918 war Wilhelm Groener, sein bekannter Kritiker und Konkurrent, der natürliche Nachfolger als Generalquartiermeister unter Hindenburg. Damit wurde der württembergische General faktisch Chef des deutschen Militärs.
In dieser Funktion schloss er den später als Skandal dargestellten, in Wirklichkeit grundvernünftigen Ebert-Groener-Pakt zwischen der demokratisch gesinnten Übergangsregierung unter dem SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert und dem Militär. Es ging um nichts weniger, als einen Bürgerkrieg zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft zu verhindern – und den gewaltsamen Umsturz, den die deutschen Bolschewisten um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg anstrebten.
Zum 30. September 1919 nahm Groener seinen Abschied – ein Grund war, dass viele Offiziere des Heeres ihn (und nicht Ludendorff) für die Niederlage verantwortlich machten. Nach einem Dreivierteljahr im Ruhestand verpflichtete Friedrich Ebert, inzwischen erster Reichspräsident, den Eisenbahn-Experten Groener für das Reichsverkehrsministerium. Bis 1923 organisierte er als parteiloser Fachminister mehrerer Regierungen den Wiederaufbau der Reichsbahn.
Nach dem Rücktritt des liberalen Reichswehrministers Otto Gessler 1928 war es wieder der Reichspräsident, diesmal Paul von Hindenburg, der Groener in die Pflicht nahm. Der Vernunftrepublikaner bemühte sich, die Reichswehr mit dem demokratischen Staat zu versöhnen. Doch nach dem Versagen des Parteiensystems 1930 orientierte sich auch Groener hin auf ein autoritäres, antiparlamentarisches Regierungsgebaren – blieb aber freilich ein Anhänger des Rechtsstaates.
Nach der Explosion der Gewalt im Wahlkampf um die Reichspräsidentschaft 1932 setzte Groener das Verbot der SA durch (der kommunistische Rotfrontkämpferbund war schon seit 1929 verboten, wenngleich unter anderem Namen weiterhin aktiv). Doch sein wichtigster Mitarbeiter Kurt von Schleicher erwies sich als Intrigant – und wurde nach dem anschließenden Sturz des Reichskanzlers Heinrich Brüning im neuen Kabinett des reaktionären Strohmanns Franz von Papen selbst Reichswehrminister.
Groener zog sich ins Privatleben zurück und hielt sich nach der Machtübernahme Hitlers ganz bedeckt. Trotzdem blieben ihm öffentliche Kränkungen im Frühjahr 1933 nicht erspart. Am 3. Mai 1939 starb er im Alter von 72 Jahren. Zu seiner Beerdigung war das Erscheinen uniformierter Soldaten untersagt.
Nur Groeners ehemaliger Vertrauter – und überzeugter Hitler-Gegner – Generaloberst a. D. Kurt von Hammerstein-Equord verstieß demonstrativ dagegen. Den Verräter Kurt von Schleicher hatten die Nationalsozialisten schon im Zusammenhang mit der Affäre um den SA-Führer Ernst Röhm am 30. Juni 1934 ermorden lassen.
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