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Film "Westwind"

Zwillingsschwestern in der DDR und eine West-Liebe

Robert Thalheim gelingt mit "Westwind" ein eindringlicher Film über die deutsche Teilung, der ganz ohne politische Dogmen daherkommt.

Es ist nur ein einfacher Maschendrahtzaun. Aber schon der trennt Welten. Hier das Pionierlager, in dem die Zwillingsschwestern zelten. Da die mondänen Hotels am Balaton, wo, noch zu Ostblock-Zeiten , die Westdeutschen Urlaub machen – und von den Einheimischen klar bevorzugt werden, wegen der Devisen.

Aber den Zaun kann man überwinden. Er ist nicht hoch, man kann über die Bäume dahinter bequem drüber klettern. „Sollen wir wirklich?“, fragt die eine Schwester. „Einmal machen wir das“, bestätigt die andere. Aber natürlich wird es bei diesem einen Mal nicht bleiben.

Zwei Schwestern im Goldenen Käfig

Eine Liebe unter geteiltem Himmel, das gab es im Kino erstaunlich lange gar nicht und dann fast allzu oft. Einer der ersten Filme, der sich daran wagte, war 1985 „Westler“, ausgerechnet ein Schwulenfilm. Der erste große Beitrag aus dem Autorenkino kam erst 1995, mit Margarethe von Trottas „Das Versprechen“, über eine Mauerflucht, bei dem das Mädchen in den Westen rübermachte und der Junge im letzten Moment zögerte.

Das war schon ein halbes Jahrzehnt nach Mauerfall, und doch konnte man noch an Tabus rühren. Dass der Film auf der Berlinale geradezu niedergebuht wurde, hatte jedenfalls weniger mit seiner Machart zu tun.

In letzter Zeit aber gab es Filme zum Thema fast inflationär, zuletzt mit „Liebe Mauer“ (2009) sogar triefendes Kitschkino, das es mit historischen Fakten nicht so genau nahm. Hauptsache, ein Pärchen nimmt die nationale Vereinigung pars pro toto vorweg.

Training im Pionierlager am Balaton

Robert Thalheim gelingt mit „Westwind“, der am 22. August 2011 Berlin-Premiere feierte und am 25. August 2011 in die Kinos kommt, noch mal eine ganz neue Variation des vermeintlich ausgelutschten Themas.

Indem er es, quasi um die Ecke, eine Geschwistergeschichte erzählt, die symbiotischer nicht sein könnte. Doreen (Friederike Becht) und Isa (Luise Heyer) sind zweieiige Zwillinge, die ihr Leben lang immer alles gemeinsam gemacht haben.

Auch beim Rudern. Sie haben sogar die Bezirksmeisterschaften gewonnen, deswegen dürfen sie jetzt, im Sommer 1988, ein Jahr vor dem Mauerfall, in einem Pionierlager am Balaton trainieren.

Doreen verliebt sich, Isa will rudern

Als sie in Ungarn ankommen, will Doreen nur kurz bei einem Stand nach Schallplatten schauen. Isa, die Besonnenere, lässt sich überreden. Aber deshalb verpassen sie den Bus und müssen zu Fuß weiter. Bis ein oranger Käfer mit Hamburger Kennzeichen hält. Und zwei Jungs in ihrem Alter fragen, ob sie sie mitnehmen können.

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Der eine, Arne (Franz Dinda), interessiert sich schon bald für Doreen, der andere macht wie aus Anstand auch ein bisschen mit Isa rum. Aber die will davon eigentlich nichts wissen, sie träumt von Ost-Berlin und den Meisterschaften.

Und zum ersten Mal in ihrem Leben muss sie feststellen, dass ihre Träume nicht die ihrer Schwester sind. Immer wieder büxt Doreen aus, um Arne zu treffen. Der schneidet ein Loch in den Zaun.

Die Zwillinge müssen sich entscheiden

Schenkt ihr einen Walkman mit selbst besprochener Liebeskassette. Und irgendwann kommt die Frage, ob sie nicht mit ihm kommen will. In den Westen. Es ist so leicht, den Zaun zu überwinden. Da wird man doch auch die Mauer schaffen.

Thalheim erzählt all das ganz unaufgeregt. So unschuldig, so echt hat man schon lange nicht mehr zwei vermeintlichen 17-Jährigen beim Turteln zugesehen. Auch wenn das Setting bis in kleinste Details stimmt, von den Yuppie-Poloshirts der Jungs bis zu den Schminktricks der Mädchen (Ananassaft als Haargel!), bleibt die große Politik doch lange ausgeblendet, kommt der Film ganz ohne Stasi-Schergen und Politkader aus.

Erst durch die Begegnung mit den Jungs erkennen die Schwestern, die als Sporthoffnung durchaus Privilegien genießen, wie begrenzt ihr Leben ist. Das Pionierlager mit seinem lächerlichen Drahtzaun erweist sich als Goldener Käfig, als Mini-Äquivalent zur gesamten DDR. Und bald müssen die beiden eine Entscheidung treffen, die eigentlich zu groß ist für sie.

Die Geschichte ist eine wahre Geschichte

Dies ist eine wahre Geschichte. Die Produzentin des Films, Susann Schimk, hat sie selbst erlebt. Und auch am Drehbuch mitgeschrieben. Wobei die echten Zwillinge Handballerinnen waren, das Bild zweier Mädchen allein im Ruderboot aber eindeutig filmischer ist.

Auch metaphorischer: Zwei, die sich freischwimmen müssen. Susann Schimk war diejenige, die sich nicht verliebt hat – und nicht in den Westen wollte. Ihr Name wurde für den Film geändert, während der von Doreen blieb. Lange behielten die Schwestern ihre Geschichte für sich, bis sie Susanns Firmenpartner erfuhr und erklärte, daraus müsse man einen Film machen.

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Für die Regie konnte man Robert Thalheim gewinnen, der gleich mit seinem Debüt „Netto“ einen Achtungserfolg erlebt hat und mit seinem zweiten, „Am Ende kommen Touristen“ , seine eigene Zivi-Zeit in der Jugendbegegnungsstätte Auschwitz verarbeitet hat.

Reflexion deutsch-deutscher Geschichte

Dem Berliner gelingt das Kunststück, DDR-Alltag einmal weder zu veralbern wie in „Sonnenallee“ und ähnlichen Komödien, noch mit gängigen Horch-und-Guck-Thrillerelementen zu bestücken.

Und so wie Alexander Fehling mit „Touristen“ zum Star wurde, rückt er nun die filmisch bislang völlig unverbrauchten Theater-Nachwuchshoffnungen Friederike Becht und Luise Heyer nachhaltig ins Bewusstsein.

Man könnte meinen, der Film käme jetzt, nach den Feiern zu 50 Jahre Mauerbau, um ein paar Wochen zu spät. Aber Thalheim glaubt im Gegenteil, dass wir in der Reflexion der deutsch-deutschen Geschichte gerade erst am Anfang eines genaueren Hinsehens stünden – „welches sich“, so der Regisseur, „eben jenseits großer Flucht- und Unterdrückungsdramen an solchen persönlichen Geschichten schulen muss.“

Ein kleiner und dadurch ganz großer Film

Sein „Westwind“ ist ein kleiner und gerade dadurch ganz großer Film. Einer, dem man eigentlich nur eines vorwerfen kann: dass er zu früh, an einer dramaturgisch entscheidenden Wende endet.

Tatsächlich liebäugelt die Produzentin mit dem Gedanken, die Geschichte der Schwestern vielleicht in einem zweiten Film weiterzuerzählen. Ob dabei noch einmal ein atmosphärisch so dichter, so überzeugender Film gelingt, darf allerdings bezweifelt werden.

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