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Werner Heisenberg. Leben und Werk

Aus dem Amerikanischen
von Andreas und Gisela Kleinert.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1995.
786 Seiten, DM 68,-.

Der Physiker Werner Heisenberg (1901 bis 1976, Nobelpreis 1932) ist zweifellos eine der interessantesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts, nicht nur aus der Sicht seiner Fachkollegen. Deshalb ist es sehr zu begrüßen, daß die 1992 unter dem Titel "Uncertainty. The Life and Science of Werner Heisenberg" erschienene Biographie jetzt auch in deutscher Übersetzung vorliegt. David C. Cassidy, Wissenschaftshistoriker an der Hofstra-Universität in Hempstead auf Long Island (New York), Mitherausgeber der "Collected Papers of Albert Einstein" und Träger des vom American Institute of Physics vergebenen Wissenschaftspublizistik-Preises, hat ein exzellentes Buch verfaßt; dank Ausführlichkeit und Genauigkeit, Klarheit und Spannung wird es zweifellos Bestand haben.

Das umfangreiche Werk ist zugleich auch Geschichts- und Physikbuch. Die Physiker werden alles mit größtem Interesse lesen; so ist es jedenfalls mir gegangen. Nicht-Physiker hingegen werden vermutlich längere Abschnitte zur Quantenmechanik überspringen, obwohl es Cassidys erklärtes Ziel war, die wissenschaftlichen Themen in Heisenbergs Leben so darzustellen, daß der gebildete Laie dem folgen könnte. Dies ist ihm, soweit überhaupt möglich, hervorragend gelungen. Immerhin gehört die von Heisenberg wesentlich mit entwickelte Quantenmechanik einschließlich der nach ihm benannten Unbestimmtheitsrelation zu den faszinierendsten Ergebnissen menschlichen Denkens.

Einen breiten Leserkreis wird auf jeden Fall das ambivalente Verhalten Heisenbergs in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes interessieren. Cassidys Originaltitel "Uncertainty" soll auf eine spezielle Art Unbestimmtheit in seinem Leben hinweisen; gemeint sind die Widersprüchlichkeiten seiner Entscheidungen, vor allem in der Zeit des Zweiten Weltkrieges (siehe auch Cassidys Artikel in Spektrum der Wissenschaft, Juli 1992, Seite 92).

Heisenberg war nie Mitglied der NSDAP. Privat mißbilligte er die Untaten der Nationalsozialisten. Dennoch brach er nicht öffentlich mit dem Regime und nutzte auch nicht die Möglichkeit der Emigration – im Gegenteil, er übernahm hohe Positionen im Wissenschaftsbetrieb. Im Jahre 1943 wurde er vom Reichserziehungsministerium auf einen Lehrstuhl für theoretische Physik an der Universität Berlin berufen; gleichzeitig war er Direktor am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik und Leiter des deutschen Kernenergieprojekts. Andererseits verteidigte er die theoretische Physik gegen Angriffe der "Deutschen Physik", repräsentiert vor allem durch die Experimentalphysiker Philipp Lenard (1862 bis 1947, Nobelpreis 1905) und Johannes Stark (1874 bis 1957, Nobelpreis 1919). Diese Auseinandersetzung beschreibt Cassidy besonders ausführlich.

Am Ende stand ein von Ludwig Prandtl (1875 bis 1953), Ordinarius für angewandte Mechanik in Göttingen, vorgeschlagener und mit dem Reichsführer SS Heinrich Himmler (1900 bis 1945) ausgehandelter Kompromiß: Man durfte weiterhin moderne theoretische Physik betreiben, jedoch die Namen jüdischer Forscher nicht nennen. In Vorlesungen zur Relativitätstheorie mußte der Name Albert Einstein verschwiegen werden.

Cassidys Kommentar zu diesem Kompromiß: "Wie schwer war es, ihn zu schließen? Nicht besonders. Schließlich lag die verlorene Schlacht des Sommers 1935 um das Verbleiben der jüdischen Physiker an den Universitäten mehr als drei Jahre zurück, und dieser sinnlose Verlust war schnell akzeptiert worden, als sich die Arbeitsbedingungen wieder einigermaßen normalisiert hatten. Heisenberg war bereits damals, als er Plancks Ratschlag angenommen hatte, in Deutschland zu bleiben, den Pakt mit dem Teufel eingegangen... Als Heisenberg von Himmler Entlastung forderte, signalisierte er damit seine Bereitschaft zur Fortsetzung des Paktes..., solange er seine Ruhe zum Forschen und Lehren hätte."

Besonders umstritten ist Heisenberg in seiner Rolle als Leiter des militärischen Kernenergieprojekts. Cassidy analysiert die beiden extremen Urteile: Heisenbergs Kritiker glauben, daß er – trotz seiner Mißbilligung des Nazi-Regimes – Deutschland den Sieg wünschte; seine Verteidiger sind der Ansicht, er habe mit der Übernahme der Projektleitung außerordentlichen Mut bewiesen und die forcierte Entwicklung von Atomwaffen durch andere deutsche Wissenschaftler verhindert. Unstrittig ist, daß Heisenberg seine Position gelegentlich benutzt hat, bedrohten Menschen zu helfen. Ein eigenes Kapitel ("Eine Kopenhagener Deutung") ist dem berühmten Gespräch Heisenbergs mit Niels Bohr (1885 bis 1962, Nobelpreis 1922) im September 1941 in der besetzten Hauptstadt Dänemarks gewidmet (Spektrum der Wissenschaft, Juli 1995, Seite 32). Auch hier bleiben nach wie vor Fragen offen.

Nur kurz, aber gleichwohl nicht uninteressant ist das abschließende Kapitel über die Zeit nach Kriegsende. Hervorheben möchte ich Cassidys Bemerkungen zum Thema Entnazifizierung, nicht zuletzt einiger aktueller Parallelen wegen: "Personen, die sich dem Entnazifizierungs-Verfahren stellen mußten, war es gestattet, eidesstattliche Erklärungen bekannter Persönlichkeiten vorzulegen, die zu ihren Gunsten sprachen... Nicht wenige Zeitgenossen verfielen auf Heisenberg, wenn sie einen solchen Persilschein brauchten: Freunde und Mitarbeiter sowie jene, bei denen er eine Schuld zu begleichen hatte... Es ist nicht bekannt, wie wirksam Heisenbergs Entlastungszeugnisse letztlich waren, sicher ist aber, daß die Besatzungsmächte sehr viel auf sein Urteil gaben. Die britischen und amerikanischen Behörden hatten bereits beschlossen, Heisenberg und die anderen Atomforscher an erster Stelle beim Wiederaufbau der deutschen Naturwissenschaft heranzuziehen. Sie waren zu qualifiziert, als daß man auf sie hätte verzichten können."

Jeder Physiker sollte dieses gelungene Werk lesen. Aber auch über diesen Kreis hinaus wünsche ich ihm eine weite Verbreitung.



Aus: Spektrum der Wissenschaft 6 / 1996, Seite 123
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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