2018/2019 lagen die deutschen Oscar-Hoffnungen bei "Werk ohne Autor". Das 188 Minuten lange Epos erzählt die Lebensgeschichte des fiktiven Künstlers Kurt Barnert. Als kleiner Junge erlebt er das Grauen des Zweiten Weltkriegs, später studiert er in der DDR, ehe er mit seiner Freundin die Flucht in den Westen wagt – und dort seine bewegte Vergangenheit in Kunst umsetzt. Der ambitionierte Film wurde 2019 in den Kategorien "Bester fremdsprachiger Film" und "Beste Kamera" je für einen Oscar nominiert.

"Werk ohne Autor" wurde von Florian Henckel von Donnersmarck inszeniert, der zuvor bereits mit "Das Leben der Anderen" für einen Film über deutsche Geschichte einen Oscar nach Hause brachte. Auch bei "Werk ohne Autor" ließ Henckel von Donnersmarck sich von wahren Begebenheiten inspirieren. Das Drehbuch sowie Hauptfigur Kurt Barnert basieren lose auf dem Leben des deutschen Künstlers Gerhard Richter. Der war mit dem fertigen Ergebnis allerdings mehr als unzufrieden. Den Trailer für "Werk ohne Autor" seht ihr hier:

Vergleich zur Realität: "Werk ohne Autor" orientiert sich an Gerhard Richter

ARD Degeto / Wiedemann & Berg Film / Nadja Klier

Von links nach rechts: Sebastian Koch, Paula Beer, Tom Schilling und Florian Henckel von Donnersmarck.

Das Sachbuch von Jürgen Schreiber "Ein Maler aus Deutschland. Gerhard Richter. Das Drama einer Familie" diente Florian Henckel von Donnersmarck als Vorlage für den Film. Kurt Barnert, gespielt von Tom Schilling, verliert genau wie Richter in jungen Jahren seine Tante durch die NS-Zeit. Die Szene rund um die Ermordung der Tante in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein wurde hitzig diskutiert. Der Film folgt Kurts Tante bis in die Gaskammer, ein Tabubruch im deutschen Kino.

In "Werk ohne Autor" verliebt sich Kurt später in Ellie Seeband aka Paula Beer und der Zuschauer erfährt, dass ihr Vater Prof. Carl Seeband im Zweiten Weltkrieg als SS-Obersturmbannführer die Dresdner Frauenklinik leitete und dort Zwangssterilisationen vornahm. Auch das stimmt mit dem Leben von Gerhard Richter überein. Der Vater seiner ersten Ehefrau Ema war Heinrich Eufinger, der in der Tat in derselben Position wie Sebastian Koch als Carl Seeband im Film für die Nazis tätig war. Genau wie im Film gezeigt wurde Eufinger nach Ende des Krieges in einem sowjetischen Lager interniert, und rettete dort der Frau des sowjetischen Lagerkommandanten das Leben. So arbeitete er später in der DDR wieder als Chefarzt in gynäkologischen Abteilungen, ehe er in den Westen umsiedelte.

Sowohl sein Stiefvater Heinrich als auch seine ermordete Tante Marianne wurden beide von Richter mehrfach porträtiert. Was er dabei nicht wusste: Seine Tante starb in der Aktion Brandt unter der Leitung von u. a. Heinrich Eufinger. Dieser grausame Zusammenhang wurde erst 2004 durch einen Artikel im Tagesspiegel aufgedeckt, Jahre nach Eufingers Tod. Der ließ das Werk von Gerhard Richter in einem noch tragischeren Licht erscheinen. Er hatte Zeit seines Lebens in vielen Kunstwerken Tätern und Opfern der Euthanasie ein Gesicht gegeben.

Gerhard Richter: "Werk ohne Autor" findet er "zu reißerisch"

ARD Degeto / Wiedemann & Berg Film / Nadja Klier

Oliver Masucci spielt Professor van Verten in "Werk ohne Autor". Das Vorbild für seine Rolle ist dabei offensichtlich.

Auch weitere Figuren im Film sind an Personen aus dem Leben von Gerhard Richter angelehnt. Oliver Masucci tritt als Professor van Verten von der Kunstakademie Düsseldorf auf. Hier studiert im Film Kurt und studierte in der Realität auch Richter. Sein Prof hieß aber Joseph Beuys, den Masucci offensichtlich imitiert. All diese Ähnlichkeiten veranlassten das Magazin New Yorker 2018 dazu, mit Richter über den Film zu sprechen. Doch der hatte den Film zunächst gar nicht gesehen und war auch danach nicht gut auf ihn zu sprechen.

Schon vor dem Filmstart hatte der Künstler den Trailer zu "Werk ohne Autor" als zu "reißerisch" bezeichnet, im New Yorker legte er schließlich nach. So behauptete er, er habe Regisseur Florian Henckel von Donnersmarck vorab klar gemacht, dass er mit einem Film über sein Leben nicht einverstanden sei und sich mindestens einen Berufswechsel für die Hauptfigur wünschen würde, um den Fokus auf die Familiengeschichte zu legen. Als Henckel von Donnersmarck darauf nicht einging, verbot Richter, die Namen der realen Personen oder seiner Werke zu verwenden, weshalb alle Figuren im Film umbenannt wurden.

Seine Enttäuschung geht sogar noch tiefer, über Henckel von Donnersmarck sagt er: "Er versicherte mir, dass er meine Wünsche respektieren würde. In Wirklichkeit hat er aber alles getan, um meinen Namen mit seinem Film in Verbindung zu bringen und die Presse hat ihm dabei nach besten Kräften auch noch geholfen. Zum Glück haben die wichtigsten Zeitungen hier sein Machwerk skeptisch und kritisch besprochen. Dennoch hat er es geschafft, meine Biografie zu missbrauchen und übel zu verzerren."

Und der Regisseur? Der entgegnete: "Wenn jemand meine Lebensgeschichte nähme und ihr einen Dreh gäbe, wäre das entweder total schmerzhaft, weil es den schmerzhaften Kapiteln meines Lebens so nahekäme, oder es wäre schmerzhaft, weil es ihnen nicht nahe genug käme."