Rede von Wendy Sherman an der Universität LUISS - US-Botschaft und Konsulate in Deutschland
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Dezember 8, 2022

Rede von Wendy Sherman an der Universität LUISS

ImageWendy Sherman, stellvertretende US-Außenministerin, reiste vom 5. bis 11. Dezember 2022 nach London, Rom, in den Vatikan, nach Paris, Berlin und Prag. Ihre Europareise diente unter anderem der Festigung der bilateralen Beziehungen zu den bereisten Ländern sowie der Stärkung der Unterstützung für die Ukraine und dem Austausch über das Vorgehen im Umgang mit dem ungerechtfertigten russischen Krieg. Darüber sprach Sherman auch in ihrer Rede an der Libera Università Internazionale degli Studi Sociali Guido Carli (LUISS) in Rom, die wir hier leicht gekürzt in deutscher Übersetzung veröffentlichen. 

Buona Sera. Was für ein wunderschöner Tag und welch wunderbarer Abschluss meines ersten Tages in Rom, mit jungen Menschen, die die Zukunft Italiens und die Zukunft der amerikanisch-italienischen Beziehungen gestalten und die Welt prägen werden. […]  

Es ist wirklich eine Ehre, mit Ihnen allen hier zu sein. […] Bevor ich stellvertretende US-Außenministerin wurde, war ich Professorin an der Harvard Kennedy School of Government in Boston, genauer gesagt in Cambridge. Ich habe diese Arbeit geliebt, und immer, wenn ich irgendwo auf der Welt einen Collegecampus besuche, verfalle ich unweigerlich ein bisschen zurück in meine Rolle als Lehrerin.

Keine Sorge, Sie bekommen von mir keine Hausaufgaben. Ich möchte Sie nur bitten, sich jetzt ein paar Fragen oder Anmerkungen für später zu überlegen. Ich möchte hören, was Sie zu sagen haben, und eine Vorstellung davon bekommen, wie Sie die wichtige Partnerschaft unserer beiden Länder sehen.

Ihre Zukunft ist für uns ein wichtiger Schwerpunkt. Aber absolut niemand kann Rom besuchen, ohne dabei an die geschichtsträchtige Vergangenheit der Stadt und der ganzen Welt zu denken. Die Geschichte ist hier an jeder Ecke präsent. Zum Beispiel in symbolträchtigen Monumenten wie dem Kolosseum, dem Pantheon und den Überresten des Forum Romanum.

Es gibt auch Zeugnisse italienischer Führungsstärke der jüngeren Zeit, wie die Hauptgebäude der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen und des Welternährungsprogramms.

Dann ist da die legendäre Küche, die ebenso wie die italienische Führungsstärke in Wissenschaft, Technologie und Innovation in die ganze Welt exportiert wurde.

Ob Sie nun hier an der LUISS oder woanders in der Stadt studieren – Sie erleben, was all das bedeutet. In welcher Beziehung die Geschichte Roms und Italiens zu Ihrer Gegenwart steht. Wie wir den Bogen von der Antike zu Ihren Kursen in Politik, Finanzen, Management, Recht, Sprache und anderen Bereichen schlagen können.

Durch diese Studien werden Sie wahrscheinlich noch etwas anderes über die Geschichte erfahren: wie schnell sie ihren Kurs ändern kann. Dass große Ereignisse und geopolitische Veränderungen unsere Sichtweise auf uns selbst und unsere Politiker und Politikerinnen verändern können. Dass wir selten Trost darin finden, zu wissen was war, weil wir stets auf das vorbereitet sein müssen, das möglicherweise bevorsteht.

LUISS ist eine Institution, die das absolut verinnerlicht hat. Dies ist eine Universität, die geschaffen wurde, um kreative Köpfe zu fördern. Damit meine ich Sie alle. Unternehmerinnen und Unternehmer, politische Entscheidungsträger, IT-Experten und andere. Dieser Ort ist die Heimstatt des Italian Digital Media Observatory, eines entscheidenden Drehkreuzes für die europäischen Bemühungen, der Desinformation, einem der dringlichsten Probleme unserer Zeit, entgegenzutreten und sie zu bekämpfen.

Dies ist ein Ort, an dem klar wird, dass die Geschichte uns zu einem weiteren Wendepunkt geführt hat, an dem Russlands Aggression ukrainische Leben zerstört, die Sicherheit der Ukraine angreift, die Stabilität Europas und der Welt bedroht. Und doch sehen Sie, dass unsere Nationen in diesem historischen Augenblick mit Stärke und Entschlossenheit und mit einem unerschütterlichen Bekenntnis zu unseren gemeinsamen Idealen – der Verteidigung von Demokratie, Souveränität, Freiheit und Diplomatie – reagieren.

Das darf sich nicht ändern, und ich glaube, es wird sich auch nicht ändern. Dieses Kapitel der Geschichte ist einfach zu wichtig.

Sagen wir es ganz deutlich: Seit Wladimir Putin sich für eine vorsätzlich geplante, ungerechtfertigte Invasion entschieden hat, hat Russland es nicht geschafft, seine ursprünglichen Ziele zu erreichen. Russische Truppen haben es nicht geschafft, Kiew einzunehmen. Ihr Vormarsch im Osten und Süden des Landes stockt. Putin ist weit davon entfernt, das NATO-Bündnis zu spalten, sondern hat das völlige Gegenteil erreicht – die NATO ist heute geeinter denn je.

Das ist zuallererst dem beeindruckenden Mut und außerordentlichen Opfern der Ukrainerinnen und Ukrainer zu verdanken. Die Geschichte wird den Mut, den sie bei der Verteidigung des Landes, das sie lieben, zeigen, noch lange würdigen.

Die Vereinigten Staaten, Italien, unsere Partner in der Europäischen Union und Partnerländer in der ganzen Welt wie das Vereinigte Königreich, Japan, Australien und weitere sorgen gemeinsam dafür, dass Russlands Aggression nicht folgenlos bleibt. Im Gegenteil, wir tun gemeinsam, was wir können, um die Ukraine zu befähigen, sich zu verteidigen und den Erwartungen zu trotzen.

Aber Putin versucht jetzt, was er auf dem Schlachtfeld nicht gewinnen konnte, dadurch zu sichern, dass er Menschen in ihren Wohnungen und Häusern frieren lässt und sie aus der Luft terrorisiert. Eine dringliche Frage ist also, ob unsere geeinte Front angesichts eines langen, dunklen, eisigen Winters halten wird.

Ich denke, dass die Antwort darauf ein klares „Ja“ ist. Nicht nur für uns in den Vereinigten Staaten, Italien und Europa, sondern für alle, die das Völkerrecht befürworten.

Schwierig ist die Frage, wie wir mit dieser Aufgabe umgehen wollen. Wir beschäftigen uns damit schon das ganze Jahr und müssen das auch weiterhin tun, wenn wir Ihnen und Ihrer Generation einen freien, sicheren, wohlhabenden und demokratischen Planeten hinterlassen wollen.

Meiner Ansicht nach ruht unser gemeinsamer Ansatz auf drei Säulen.

Erstens: Sicherheit. Für die Ukraine, aber auch für diesen Kontinent und die Welt. Wir müssen der Ukraine weiter dabei helfen, ihre Bürgerinnen und Bürger gegen direkte Bedrohungen ihrer Souveränität zu schützen.

Ich weiß, dass viele aufgrund von Putins Grausamkeit Not leiden, insbesondere natürlich die Bevölkerung der Ukraine. Soldaten riskieren ihr Leben, um ihre Städte zu verteidigen, Millionen sind gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen, Kinder werden von ihren Familien getrennt, verlieren einen Elternteil, wissen nicht, wie es ihren Angehörigen an der Front ergeht.

Dann sind da die Mütter in Russland, die ihre Söhne in Leichensäcken in Empfang nehmen müssen; sie alle wurden in einen vollkommen unnötigen Krieg geschickt, um dort zu kämpfen und zu sterben.

Niemand kann nachempfinden, welche zerstörerischen Auswirkungen dieser Krieg für die bedeutet, die mitten in ihm leben. Die indirekten Folgen, die hier in Italien, in ganz Europa und darüber hinaus spürbar sind, sind nicht so unmittelbar Fragen von Leben und Tod. Aber es sind Probleme, die unseren Alltag und unsere Existenzen betreffen, z. B. steigende Energiepreise, steigende Lebensmittelpreise, steigende Lebenshaltungskosten. Diese Veränderungen üben Druck auf unser Portemonnaie und auf unsere Gesellschaften aus, und deshalb hören wir hier und anderswo immer wieder Stimmen, die wünschten, dieser Konflikt käme jetzt gleich zu einem schnellen Ende. 

Natürlich wollen wir, dass die Gewalt aufhört. Das wollen wir alle, aber täuschen Sie sich nicht: Frieden wäre am schnellsten erreicht, wenn derjenige, der diesen ungerechtfertigten Krieg angefangen hat, ihn beenden würde. Einfach gesagt muss Russland alle seine Streitkräfte aus dem Hoheitsgebiet der Ukraine abziehen. Punkt.

Wir stehen zusammen und werden die Sicherheit, die Freiheit und die Unabhängigkeit der Ukraine nicht aufgeben. Ganz im Gegenteil. Die Vereinigten Staaten und Italien stellen militärische Ausrüstung zur Verfügung, setzen gezielte Sanktionen gegen russische Regierungsbeamte um, frieren Vermögenswerte russischer Oligarchen ein, unterstützen die NATO in ihren Abschreckungsmaßnahmen und suchen nach Wegen, um die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern.

Es ist auch unserem Vorgehen zu verdanken, dass die ukrainischen Streitkräfte in diesem Krieg weiterhin allen Widrigkeiten trotzen. Aber die Sicherheitsrisiken beschränken sich nicht auf Konflikte, die auf dem Schlachtfeld ausgetragen werden. Die Verluste Russlands veranlassen das Land zu Angriffen auf ukrainische Infrastruktur, sodass Millionen Menschen bei winterlichen Temperaturen ohne Strom und Heizung auskommen müssen.

Auf diese Weise versucht Putin, den Winter in der Ukraine als Waffe und Energieressourcen in ganz Europa als Knüppel einzusetzen. Doch Regierungen in ganz Europa, auch Premierministerin Meloni, halten in diesen schwierigen Zeiten couragiert dagegen. In den Vereinigten Staaten stehen wir weiter an Ihrer Seite, um die beispiellosen Herausforderungen anzugehen, die vor uns liegen.

Das unmenschliche Vorgehen Russlands hat auch eine Massenflucht aus der Ukraine und aus der direkten Schusslinie zur Folge. Auch an dieser Front hat Italien sich hervorgetan und 175.000 Geflüchteten aus der Ukraine Schutz, Unterkünfte und Versorgung bereitgestellt. Das müssen alle mitfühlenden, verantwortlichen Nationen tun.

Diese Erfahrung hat die Bedeutung unserer Bündnisse und Partnerschaften noch mehr hervorgehoben: die Bedeutung der NATO, der Europäischen Union, der G7. Sie alle tragen maßgeblich zum russischen Versagen auf dem Schlachtfeld bei.

Das sagt auch etwas über unsere zweite Säule aus: Einigkeit. Wir leben in einer vernetzten Welt, also müssen wir beim Schutz unserer Sicherheit eng zusammenarbeiten.

Die Vereinigten Staaten und Italien verfügen über eine solide Basis in Form unserer bilateralen Beziehungen, unserer Achtung der Menschenrechte, unseres gemeinsamen Kampfes gegen den Klimawandel und unseres Fokus’ auf die Schaffung einer wirtschaftlich nachhaltigen Zukunft. Unser starkes Verteidigungsbündnis stützt Stabilität weltweit und unsere Handels- und Investitionsbeziehungen fördern das Wachstum in unseren beiden Ländern.

Unsere Partnerschaft beruht auf Gegenseitigkeit und ist ein Eckpfeiler des größeren transatlantischen Bündnisses, das Europa gegen die russische Aggression verteidigt. Ein Bündnis, das bereits seit Generationen für Rechtstaatlichkeit und globale Regeln einsteht.

In unserem Fall erstreckt sich unsere Bindung als führende Nationen auf unsere Rolle im Rahmen der G7. Nur sieben Nationen. Italien und die Vereinigten Staaten sind zwei von diesen sieben. Dort wirken wir darauf hin, eine gerechte Wirtschaft zu unser aller Wohl zu schaffen.

Ein Aspekt, der uns vereint, ist die dritte Säule: Prinzipien.

Niemand hat das Recht die Grenzen eines anderen Landes gewaltsam zu verschieben, einem Land seine Zukunft vorzuschreiben oder die Bedingungen für seine Politik festzulegen. Aber genau das versucht Putin.

Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben ganz andere Vorstellungen. Wir auch.

Der Schutz der territorialen Integrität der Ukraine, die Verteidigung der Menschenrechte, eine demokratische Regierungsführung, die Öffnung ziviler Räume, der Kampf gegen Korruption – diese Werte, diese Prinzipien sind den Vereinigten Staaten, Italien und sehr vielen unserer Freunde in Europa und darüber hinaus gemein.

In der Ukraine stehen diese Ideale jetzt unter direktem Beschuss durch russische Propaganda, russische Cyberangriffe, gezielte Angriffe Russlands auf das Stromnetz und durch den barbarischen Angriff Russlands auf unschuldige Zivilisten.

Als Demokratien müssen unsere Länder angesichts dieser Attacken standfest bleiben und den Ukrainerinnen und Ukrainern helfen, ihre und unsere Werte, unsere eigenen Werte, zu verteidigen.

Was wir bisher unternommen haben, hat Erfolg. Jetzt müssen wir diesen Kurs mit aller Kraft und so geeint wie möglich beibehalten, geleitet von unseren Prinzipien.

Die Geschichte verlangt das von uns. Denn wir wissen, dass das schreckliche Vorgehen Russlands eine Tür öffnet für jene, die meinen, es Russland gleichtun zu können. Und die Geschichte lehrt uns noch etwas: dass nicht vorherbestimmt ist, was als nächstes passiert. Das entscheidet und definiert jede Generation mit ihrem Willen, vor ihr liegende Gelegenheiten zu ergreifen.

Heute tritt Geschichte wieder als etwas auf, das wir als führende Kräfte gestalten oder als Zuschauer akzeptieren können. Die Entscheidung liegt genauso in Ihren wie in unseren Händen. Die Welt hört sehr genau hin, was Italien, seine politische Führung und seine Jugend zu sagen haben.

Die Geschichte aus dieser Zeit, die zukünftige Studierende lesen, analysieren und aus der sie lernen werden, wird bald in Ihren Händen liegen. Die Lehren daraus, wie wir gegenüber Russland standfest blieben, wie wir fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer standen, wie wir felsenfest und geeint für die Demokratie einstanden. Sie werden in diesen Räumen unterrichtet werden, lange nachdem Sie Ihren Abschluss gemacht haben.

Stellen wir also sicher, dass das Ergebnis eine bessere, sicherere, wohlhabendere Zukunft für Sie, die Ukraine, für alle ist.

Ich danke Ihnen. 

Originaltext: Deputy Secretary of State Wendy Sherman’s Remarks at LUISS University