„Ein Stück Illusion – Stolpersteine“: Schwer zu ertragen, und genau deswegen so gut – Kritik

„Ein Stück Illusion – Stolpersteine“: Schwer zu ertragen, und genau deswegen so gut

Die Premiere im Theater im Palais war ausverkauft. Kein Wunder, denn das Schauspiel trifft den Nerv der Zeit – und lässt den Zuschauer fragend zurück. Die Kritik.

Uraufführung im Theater im Palais mit Jens-Uwe Bogadtke, Carl Martin Spengler und Alina Gause. 
Uraufführung im Theater im Palais mit Jens-Uwe Bogadtke, Carl Martin Spengler und Alina Gause. Ildiko Bognar

Die Zeit zurückdrehen und die Geschichte neu schreiben, das kann niemand. Und trotzdem bleibt da diese eine Frage: Was wäre gewesen, wenn ...? Wenn mehr Menschen sich gegen die Nazis zur Wehr gesetzt hätten. Wenn Hitler einfach verschwunden wäre. Und was wäre gewesen, wenn die jüdische Zauberer-Familie Kroner Deutschland verlassen hätte?

In der Inszenierung, die am Samstagabend im Theater im Palais Premiere feierte, verschwimmen Realität und Illusion. Sarkasmus, Ironie und Witz prallen auf Angst und Gewalt. Hinzu kommt die grandiose Leistung dreier Schauspieler, die auf der Bühne sechs Charaktere darstellen. Keine dieser Persönlichkeiten ist fiktiv, das Gesamte beruht auf wahren Begebenheiten. Und dennoch ist da etwas, das nicht ins Bild passt.

Die Biografien mehrerer Personen werden miteinander verwoben

Das Bühnenbild von „Ein Stück Illusion – Stolpersteine“ ist schlicht. Drei Trennwände, ein brauner Stuhl, ein Koffer – weniger ist mehr. Das ist aber auch gut so, denn dadurch wird der Zuschauer nicht von unnötigem Klimbim abgelenkt. Im Zentrum des Geschehens stehen die Geschichten derer, die von Alina Gause, Jens-Uwe Bogadtke und Carl Martin Spengler gespielt werden. Alle drei wechseln ihre Rollen so schnell und präzise, dass kein Zweifel darin besteht, welche Person gerade die Bühne betritt. Denn bei diesem Theaterstück wechseln nicht nur die Schauspieler ihre Rollen, auch der Ort des Geschehens ist immer ein anderer, und die Biografien mehrerer Personen werden miteinander verwoben.

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Ausgangspunkt für das von Alice Asper und Ildiko Bogner verfasste Stück ist die Familiengeschichte der Kroners. Die jüdische Familie besaß einst einen Zauberladen in der Friedrichstraße 55, geführt von den Eheleuten Arthur und Charlotte Kroner. Als die Kroners 1938 enteignet wurden und ihr Geschäft in „arische Hände“ übergeben wurde, brach eine Welt zusammen. Nicht nur für die Familie selbst, sondern für alle Juden, die in Deutschland lebten. Dem Zuschauer werden gleich zu Beginn der ersten Szene einige Details ganz beiläufig mitgeteilt. Auf elegante Art und Weise werden die Biografien von Arthur Kroner und seiner Tochter Hilde dem Publikum nähergebracht.

Zu Beginn befinden wir uns aber nicht in der Friedrichstraße, im Zauberladen der Kroners, sondern in New York. In der Ferne glitzern Wolkenkratzer um die Wette, Hilde und Arthur Kroner spazieren über den Broadway und erkunden die Stadt. „Viele sind geflohen, so wie wir“, sagt Hilde und blickt zu ihrem Vater. Wer die Geschichte der Kroners kennt, der stolpert über diesen Satz. Der weiß genau, dass Realität und Wunschtraum an dieser Stelle getrennte Wege gehen.

Um es gleich vorwegzunehmen: Arthur Kroner hat Berlin nie verlassen. Seine Frau Charlotte war Asthmatikerin, die Flucht in ein anderes Land somit fast unmöglich. Während zwei der drei Kroner-Töchter das Land verließen, blieben die Eheleute und ihre Tochter Meta zurück. Eine Entscheidung, die sie das Leben kostete. Denn erst wird Meta nach Auschwitz deportiert und von den Nazis ermordet, dann beenden Arthur und Charlotte ihr Leben.

„Die Löwin von Berlin“: Gräfin Maria von Maltzan

Diese Ereignisse werden im Stück nur beiläufig erwähnt, die Zusammenhänge erschließen sich trotzdem. Auf der Bühne wird das Gedankenspiel fortgeführt. Hilde und Arthur in New York. Aber dann folgt ein Bruch. Jetzt befinden wir uns in Berlin. Die Leichtigkeit, die bis vor wenigen Sekunden die Bühne und den Zuschauerraum erfüllt hat, ist verschwunden. Von nun an wechselt die Szenerie, das Publikum pendelt mit den Protagonisten zwischen Berlin und New York hin und her. Hildes erste Erfolge als Magierin in Amerika werden mit der Biografie einer Frau verwoben, die als „Löwin von Berlin“ in die Geschichtsbücher eingegangen ist.

Die Rede ist von Gräfin Maria von Maltzan. Neben ihrer Tätigkeit als Tierärztin war Maltzan vor allem eines: Lebensretterin. Mehr als 60 Juden soll sie zur Flucht verholfen haben. Mit einem Kürbis auf dem Kopf schwamm sie durch den Bodensee, imitierte eine Boje und lenkte die Aufmerksamkeit der Grenzpolizei auf sich. Die perfekte Illusion. Währenddessen schwamm eine Reihe von Juden um ihr Leben, in Richtung Schweiz. An einem anderen Tag führte Maltzan eine Reihe von Juden durch die Kanalisation von Berlin und half ihnen bei der Flucht nach Schweden.

Alina Gause, nicht nur Schauspielerin, sondern auch Intendantin des Theaters, schlüpft abwechselnd in die Rolle der Gräfin und der Illusionistin Hilde. In einem Moment zaubert sie Geldmünzen hinter dem Ohr eines Charlie-Chaplin-Doubles hervor, lächelt verträumt und trägt einen rosa Turban. Wenige Minuten später, jetzt in der Rolle der Gräfin, haben sich ihre Gesichtszüge verhärtet. Ein Gestapo-Beamter richtet eine Waffe auf ihren Kopf; er scheint Maltzan auf die Schliche gekommen zu sein.

Diese Brüche sind teilweise schwer zu ertragen. Das Lachen bleibt einem im Halse stecken. Aber genau darin liegt die Stärke der Inszenierung. Der dunkelste Teil deutscher Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt; Flucht und Kampf gegen die Mächte, die Deutschland in eisernem Griff gehalten haben, werden gegenübergestellt. Nicht nur die Frage, was gewesen wäre, wenn, wird thematisiert. Hinzu kommt eine weitere: Was lässt einen Menschen zum Mitläufer werden und einen anderen zum Helden?

„Ein Stück Illusion – Stolpersteine“ regt zum Nachdenken an, stimmt traurig und macht zugleich Hoffnung. Und das Werk zeigt auch, dass es nicht immer die große Bühne und ein opulentes Bühnenbild braucht, um eine Geschichte zu erzählen, die bei den Zuschauern einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Ein Stück Illusion – Stolpersteine. Theater im Palais, Am Festungsgraben 1, 10117 Berlin. Aufführungen sowohl unter der Woche als auch am Wochenende. Tickets: 30 Euro, ermäßigt: 15 Euro. Weitere Informationen entnehmen Sie dem aktuellen Spielplan: https://www.theater-im-palais.de/event/ein-stueck-illusion/