Diplomatin aus Warschau: Polen will keine Truppen in die Ukraine entsenden

Diplomatin aus Warschau: Polen will keine Truppen in die Ukraine entsenden

Die neue Regierung unter Donald Tusk ist in aller Munde: Ukraine-Hilfen, Bauernproteste, Forderungen nach Reparationszahlungen. Ein Interview mit einer ranghohen Diplomatin.

Bauernproteste dominieren die Schlagzeilen im politischen Warschau in diesen Wochen.
Bauernproteste dominieren die Schlagzeilen im politischen Warschau in diesen Wochen.Michal Dyjuk/AP

Unser östlicher Nachbar befindet sich spätestens seit Russlands Angriff auf die Ukraine im Zentrum geopolitischer Debatten. Nicht selten wird Polen als wichtigste Bastion der transatlantischen Wertegemeinschaft in Europa bezeichnet. Polens Lage ist von enormer Bedeutung: im Norden die russische Exklave Kaliningrad, im Osten das von Alexander Lukaschenko regierte Belarus, im Südosten die kriegsgebeutelte Ukraine. Die außenpolitische Stimme Polens gewinnt zunehmend an Relevanz.

Innenpolitisch brodelt es in Warschau: Bauernproteste, der Umgang mit den öffentlich-rechtlichen Medien, die tiefe Spaltung zwischen den Konservativen, also Kaczynskis PiS-Partei (die heute Oppositionspartei ist), und dem Mitte-links-Bündnis, also der neuen Regierung von Ministerpräsident Donald Tusk. Über all die Themen hat die Berliner Zeitung mit Anna Radwan-Röhrenschef gesprochen, der Unterstaatssekretärin im polnischen Außenministerium. 

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Frau Radwan-Röhrenschef, kurz nach den Wahlen in Polen im Oktober 2023 standen vor allem die polnischen Medien im Mittelpunkt gesellschaftlicher Debatten. Warum hat die neue Tusk-Regierung den öffentlich-rechtlichen Rundfunk aufgelöst und wie genau soll eine Umstrukturierung aussehen?

Das polnische Staatsfernsehen (TVP) war acht Jahre lang ein Beispiel für schlimme Propaganda. Es ist schwer zu erklären und zu verstehen, wie zerstörerisch sie war. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: Viele Jahre lang hetzte TVP die eigenen Zuschauer gegen Paweł Adamowicz, den Stadtpräsidenten von Danzig, auf. Diese Hasskampagne führte schließlich zur Ermordung von Adamowicz. Wiederum war es genau dieser Fernsehsender, der den Zugang zu vertraulichen Informationen nutzte, um sensible Informationen über Familien von Oppositionspolitikern zu verbreiten. In einem anderen Fall führte das dazu, dass ein junges Familienmitglied eines Oppositionspolitikers Selbstmord beging. Ein Drittel der polnischen Bevölkerung hatte acht Jahre lang keinen Zugang zu einem anderen Medium als TVP – ein Medium, dessen Hauptaufgabe darin bestand, die Opposition, die demokratischen Grundsätze, die EU und unsere Nachbarn in Verruf zu bringen.

Der Wahlkampf war in Polen von einer antideutschen Rhetorik geprägt. Heute stehen Berlin und Warschau in vielen Bereichen Seite an Seite. Will Donald Tusk die Beziehungen mit Berlin noch mal auf eine neue Ebene heben?

Die Dämonisierung des demokratischen Deutschlands und die Verwendung der „bösen Deutschen“ für innenpolitische Narrative hat endlich ein Ende. In den vergangenen acht Jahren haben die polnisch-deutschen Beziehungen unter den kleinlichen und ungerechtfertigten antideutschen Gesten der Vorgängerregierung stark gelitten. Ihr Ziel war es, die eigenen Schwächen stets zu kompensieren. Damit ist nun Schluss. Polen und Deutschland teilen nun das wichtigste Ziel, die Ukraine zu unterstützen. Deshalb werden wir die ehrgeizigen Pläne rund um die Zeitenwende genau im Auge behalten und weiter für mehr militärische Unterstützung für die Ukraine werben, die ja auch für unsere Freiheit kämpft. Weitere Themen sind die grüne Transformation in Energiefragen, die EU-Erweiterungspolitik und eine reibungslose gemeinsame Politik innerhalb der EU.

Vor wenigen Wochen, im Februar, empfing Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sein Gegenüber Donald Tusk im Bundeskanzleramt.
Vor wenigen Wochen, im Februar, empfing Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sein Gegenüber Donald Tusk im Bundeskanzleramt.imago

Was ist mit den wiederholten Forderungen Polens nach deutschen Reparationszahlungen? Muss Deutschland aus Ihrer Sicht für den Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Sächsischen Palais (Saski-Palast) in Warschau zahlen?

Polen hat durch den Zweiten Weltkrieg enorme Verluste erlitten. Deshalb sprechen wir heute in dem Zusammenhang eher über „Entschädigung“. Außenminister Radosław Sikorski hat seine deutsche Amtskollegin Annalena Baerbock gebeten, eine „kreative Lösung“ für die Entschädigung von Kriegsverlusten zu finden. In der Öffentlichkeit werden verständlicherweise immer wieder Fragen der moralischen, rechtlichen und finanziellen Verantwortung aufgeworfen.

Und genau diese Frage richten wir heute an unsere deutschen Partner: Da sie sich zu ihrer moralischen Verantwortung bekennen, bitten wir die Bundesregierung, eine Form der Entschädigung vorzuschlagen. Sie fragen beispielsweise nach dem Saski-Palast in Warschau. Es ist eines von Tausenden von Gebäuden, die infolge des Krieges zerstört wurden. Und so bin ich es nun, die Sie und die deutsche Öffentlichkeit fragt: Soll der Saski-Palast wieder aufgebaut werden?

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Polnisches Außenministerium
Zur Person
Anna Radwan-Röhrenschef, in Warschau geboren, ist 46 Jahre alt und Unterstaatssekretärin im polnischen Außenministerium. Sie ist studierte Soziologin und war vor ihrer Position im Außenministerium in mehreren politischen Stiftungen tätig. Derzeit ist Radwan-Röhrenschef für die polnische Außenpolitik sowie die europäische Integration Polens zuständig.

Das Weimarer Dreieck war in den vergangenen Jahrzehnten ein wichtiges Gesprächsforum zwischen Berlin, Paris und Warschau. Doch derzeit können sich besonders Deutschland und Frankreich in der Ukraine-Politik nicht einigen. Wie soll die Zusammenarbeit zu dritt funktionieren?

Ob es uns gelingen wird, dieses Dreieck mit Inhalt zu füllen, hängt natürlich von allen Staaten ab, von Frankreich, Deutschland und Polen. Heute, im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine, haben wir ein ganzes Paket an Aufgaben und Herausforderungen vor uns. Das sind in erster Linie Fragen der Sicherheit angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine, gemeinsame Antworten auf Cyber- und Desinformationsbedrohungen und schließlich eine gemeinsame Debatte über die Zukunft der EU. Das nächste Treffen des Weimarer Dreiecks ist für Mitte dieses Jahres geplant, wir werden nach den Europawahlen mit Vorschlägen aufwarten, die den Forderungen unserer Gesellschaften nahekommen.

Frankreichs Präsident Macron brachte die Möglichkeiten von Nato-Bodentruppen in der Ukraine ins Spiel. Wie steht Warschau zu solchen Überlegungen?

Polen plant nicht, ein offizielles Truppenkontingent in die Ukraine zu entsenden. Wir müssen uns stattdessen darauf konzentrieren, der Ukraine maximale militärische Unterstützung zukommen zu lassen.

Ihr Chef, Außenminister Sikorski, sagte auf der Münchner Sicherheitskonferenz, er wolle einen raschen EU- und Nato-Beitritt der Ukraine. Bleibt es dabei?

Für uns ist Solidarität mit der Ukraine nicht nur eine leere Worthülse. Wir setzen uns dafür ein, dass die Ukraine Teil der freien Welt und der europäischen, demokratischen Familie ist, und werden dies auch weiterhin tun. Wir wissen, dass die Ukrainer derzeit für die Zukunft ihres eigenen Landes, aber auch für ganz Europa kämpfen. Die Ukraine sollte Mitglied der EU und der Nato werden, und der Beitrittsprozess sollte stattfinden, sobald alle erforderlichen Kriterien erfüllt sind. Ganz Europa wird davon profitieren.

Immer mehr Menschen in Polen fürchten den Dritten Weltkrieg. Wäre es nicht notwendig, auf Friedensgespräche zwischen Russland und Polen zu drängen?

Polen befindet sich nicht im Krieg mit Russland. Daher ist die Frage nach Friedensgesprächen unbegründet.

Ein bewaffneter polnischer Grenzsoldat bewacht die Grenze zu Belarus.
Ein bewaffneter polnischer Grenzsoldat bewacht die Grenze zu Belarus.Attila Husejnow/imago

An den nördlichen und östlichen Grenzen Polens befinden sich die großen Nato-Gegner Europas: Alexander Lukaschenko und Wladimir Putin. Verfolgen Sie unterschiedliche Ansätze in Ihrer Außenpolitik gegenüber Minsk und Moskau?

Es gibt keinen großen Unterschied zwischen Lukaschenko und Putin. Beide haben ihre eigenen Länder in totalitäre Staaten verwandelt, die internationale Verpflichtungen und demokratische Grundsätze missachten, ihre eigenen Bürger einschüchtern und hinter Gitter bringen. Die Zahl der politischen Gefangenen in Belarus und Russland ist heute höher als während der gesamten kommunistischen Zeit. Wir müssen sie weiterhin ins Rampenlicht stellen. Was den Krieg in der Ukraine betrifft, so handelt Belarus Hand in Hand mit Putin und unterstützt die Aggression gegen die Ukraine politisch und militärisch.

Stichwort Pushbacks: Polnische Grenzschutzbeamte waren europaweit in den Schlagzeilen, weil sie Migranten aus dem Nahen Osten und aus Afrika an der polnisch-belarussischen Grenze illegal zurückschickten. Das geschah unter der PiS-Regierung. Würde eine Regierung unter Donald Tusk ähnlich agieren?

Fälle von Brutalität und unangemessenem Verhalten von Behörden und Grenzschutzbeamten haben ein Ende. Was sehr wichtig ist: Das einwanderungsfeindliche Narrativ und die Rhetorik haben sich geändert, und es gibt keinen Platz mehr für die öffentliche Demütigung und Ausbeutung von Einwanderern im innenpolitischen Diskurs. Wir sind uns einerseits bewusst, dass der künstlich erzeugte Migrationsdruck an der polnisch-belarussischen Grenze jederzeit zurückkehren kann. Aber die Anwendung von Sicherheitsmaßnahmen schließt nicht aus, dass gleichzeitig die Standards der Menschlichkeit gewahrt werden.

Ihre Regierung in Warschau will in Zukunft enger mit Brüssel zusammenarbeiten. Die polnischen Bauern kritisieren aber die europäische Agrarpolitik. Was halten Sie von den Bauernprotesten in Polen? Befürchten Sie, dass die Unterstützung der polnischen Bevölkerung gegenüber der Ukraine und Brüssel schwinden wird?

Wir versuchen derzeit, einen Kompromiss in der Krise zu finden. An dieser Stelle muss betont werden, dass die Situation der polnischen Landwirte das Ergebnis der Aggression Putins gegen die Ukraine ist und nicht das Ergebnis der Selbstverteidigung der Ukrainer. Wir beobachten jedoch mit großer Sorge, dass einige antiukrainische Gruppen und sogar Pro-Putin-Milieus versuchen, die Kontrolle über die Proteste zu übernehmen.

Zeitgleich dürfen wir nicht vergessen, dass wir es mit einer außergewöhnlichen Situation zu tun haben. Die Grenzen der EU sind als Geste der Solidarität geöffnet worden. Die Ukraine ist reich an Schwarzerde – ihr Potenzial ist enorm, aber sie entspricht nicht den Sicherheitsstandards, an die wir Europäer gewöhnt sind, auch nicht im gemeinsamen Markt der EU. Ukrainisches Getreide ist wiederholt auf den polnischen Markt gelangt, sodass es kaum verwunderlich ist, dass polnische (aber auch deutsche) Landwirte protestieren – denn ihre Produktionskapazitäten gehen zurück.

Wir befinden uns in einer schwierigen Situation, in der wir die Interessen der europäischen Landwirte schützen und gleichzeitig unserem östlichen Nachbarn nicht die finanziellen Mittel entziehen dürfen. Zweifellos können wir nicht zulassen, dass diese Krise die polnisch-ukrainischen Beziehungen verschlechtert.

Interview: Nicolas Butylin

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