Walther Rathenau: „Warum sucht jemand sein Glück in der Verfolgung seines Nächsten?“
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Walther Rathenau: „Warum sucht jemand sein Glück in der Verfolgung seines Nächsten?“

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Der Industrielle, Schriftsteller und Politiker (DDP) Walther Rathenau (1867-1922).
Der Industrielle, Schriftsteller und Politiker (DDP) Walther Rathenau (1867-1922). © akg-images

Eine Erinnerung an Walther Rathenau, der am 24. Juni 1922 ermordet wurde.

Frankfurt - Vor einhundert Jahren, am 24. Juni 1922 – es war ein Samstag – wurde der Außenminister des Deutschen Reiches Walther Rathenau ermordet. Der Großindustrielle, Aufsichtsratsvorsitzender der AEG, die sein Vater gegründet hatte, hatte seine Villa – Königsallee 65 – verlassen, um in seine Büros in der Wilhelmstraße zu fahren. Er fuhr, trotz zahlreicher Morddrohungen, ohne Polizeischutz in einem offenen NAG Cabriolet.

Die neue Automobilgesellschaft war 1915 in Nationale Automobilgesellschaft umbenannt worden. Die Firma war eine Tochtergesellschaft der AEG. Das Wort vom eigenen Auto hat in Rathenaus großbürgerlichen Zusammenhängen eine ganz besondere Bedeutung. Um 10.50 Uhr, kurz vor der Kreuzung Erdener-Wallottstraße, verlangsamte Rathenaus Chauffeur angesichts der vor ihm liegenden S-Kurve das Tempo. In diesem Moment überholte ihn ein offener Mercedes. Aus ihm wurde auf Rathenau geschossen und eine Handgranate geworfen. Rathenau starb innerhalb weniger Minuten. Die Täter entkamen.

Rathenau galt den Rechten als Erfüllungspolitiker

Sie gehörten, wie die Polizei bald herausfand, der antisemitischen und rechtsterroristischen Organisation Consul an, die u.a. im Vorjahr bereits Finanzminister Matthias Erzberger ermordet hatte. Ziel der Geheimorganisation war es, mit akribisch geplanten politischen Morden die Republik zu erschüttern. Die Rathenau-Mörder und ihr Umkreis wurden vor Gericht gestellt und verurteilt. Darunter auch der der Frankfurter Gruppe der Organisation Consul angehörende 19-jährige Ernst von Salomo.

Er hatte die Villa Rathenaus und deren Umgebung ausgespäht. Er bekam fünf Jahre Gefängnis und es wurden ihm die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt. Dagegen erhob von Salomon 1928 Einspruch in einer im Berliner NSDAP-Organ „Der Angriff“ – Herausgeber Josef Goebbels – veröffentlichten Artikelserie. 1951 landete Ernst von Salomon mit „Der Fragebogen“, einer Attacke auf die Entnazifizierungsfragebögen der USA, einen sensationellen Verkaufserfolg. Er starb im August 1972. Die Männer der „Organisation Consul“ hatten den Juden Rathenau ermorden wollen und den „Erfüllungspolitiker“, also einen jener Männer, die bereit waren, die Bedingungen des Versailler Vertrages soweit es möglich war zu erfüllen.

Rathenau hatte das immer wieder damit begründet, dass die schlichte Verweigerung die militärische Intervention zur Folge hätte. Die Bereitschaft zur Erfüllung aber die Möglichkeit der Nachverhandlung eröffne. Tatsächlich war ihm das auch geglückt. Am 31. Januar 1922 war er zum Außenminister ernannt worden. Viereinhalb Monate war er im Amt. Zu den Höhepunkten seiner Tätigkeit zählt der Vertrag mit der Sowjetunion. Ein Meisterstück, das nur ihm glücken konnte.

Rathenau unternahm früh Versuche, seine Zeit und die Welt zu verstehen

Walther Rathenau wurde am 29. September 1867 in der Chausseestraße in Berlin geboren. Dort lebte die Familie über der von seinem Vater gegründeten kleinen Fabrik. Die von Emil Rathenau 1883 als Deutsche Edison Gesellschaft für angewandte Elektricität gegründete und 1888 in Allgemeine Elektricitätsgesellschaft umbenannte Firma dagegen wurde einer der größten Elektrokonzerne der Welt und war vor und während des Ersten Weltkriegs nach der Krupp AG der größte Rüstungskonzern Deutschlands. Walther Rathenau lernte in der Firma und stieg in ihr auf.

Daneben unternahm er immer wieder Versuche, seine Zeit und die Welt, in der er lebte, zu verstehen. Erste Artikel erschienen in den 90er Jahren in Maximilian Hardens Zeitschrift „Die Zukunft“. Im S. Fischer Verlag, dem Verlag der damaligen literarischen Avantgarde, veröffentlichte er im Lauf der Jahre mehr als ein Dutzend Bücher. Es waren eher Broschüren, in denen er die ihn anströmenden Gedanken mehr oder weniger geordnet einem immer wieder überraschten Publikum anbot. Auf ihn war kein Verlass. Wenn das Reich ihn mitnahm, um ihn zu seiner Meinung zu den Kolonien zu befragen, kam er zu dem Ergebnis: Sie kosteten mehr als sie einbrächten und bei dem, was den Hereros angetan worden sei, handele es sich um die „größte Atrozität, die jemals durch deutsche Waffenpolitik hervorgerufen wurde“. Das war 1908. Es machte ihn bei den Behörden nicht beliebt.

Wer wenig Zeit, aber nichts dagegen hat, sich von Rathenau klüger machen zu lassen, dem sei seine kurze Rede „Die Organisation der Rohstoffversorgung“ vom 20. Dezember 1915 empfohlen. Es ist ein rhetorisches Meisterwerk des Selbstlobs, aber zugleich eines der eindrücklichsten Dokumente der Epoche. Walther Rathenau schildert darin, wie er am 9. August 1914, fünf Tage, nachdem England dem Reich den Krieg erklärt hatte, Kriegsminister Von Falkenhayn einen Plan zur radikalen Veränderung der deutschen Wirtschaft vortrug. Sie müsse – angesichts des Krieges – vor allem, was die Rohstoffversorgung angeht, aus ihrer Abhängigkeit von fremden Märkten und Mächten losgelöst werden. Es wurde die „Kriegs-Rohstoff-Abteilung“ geschaffen. Aus ihr wurde eine Organisation, der die Aufgabe gestellt war, „diese webende und strebende Welt zusammenzufassen, sie dem Kriege dienstbar zu machen, ihr einen einheitlichen Willen aufzuzwingen und ihre titanischen Kräfte zur Abwehr zu wecken.“ Man kann diese Zeilen heute nicht lesen, ohne an den Bundeswirtschaftsminister zu denken, der schon allergrößte Schwierigkeiten damit hat, sich unabhängig von russischem Gas zu machen.

Damals aber war die Idee, die Wirtschaft einem politischen Willen zu unterwerfen, der eigentliche Stein des Anstoßes. In seiner Rede meint Rathenau: „Es ist ein wirtschaftliches Geschehen, das eng an die Methoden des Sozialismus und Kommunismus streift.“ Tatsächlich war für Rathenau die Erfahrung der „Kriegs-Rohstoff-Abteilung“ prägend. Die Umstrukturierung war ein riesiger Erfolg und sie war in kürzester Zeit zustande gekommen. Der Krieg hatte sich als Produktivkraft erwiesen.

Die Pointe der Geschichte lieferte Russland. Die Revolutionäre dort hatten genau beobachtet, was in Deutschland geschah. Lenin betrachtete die von Rathenau auf die Beine gestellte Kriegswirtschaft des deutschen Reiches als eine „Maschinerie“, mit der der Kapitalismus dem Sozialismus den Weg bereitet hatte. Das Reich hatte vorgeführt, dass eine nationale Volkswirtschaft sich zentral leiten ließ, dass sie dadurch nicht geschwächt, sondern dass ihre Kräfte potenziert wurden. Diese Maschinerie müsse nur noch den Kapitalisten aus der Hand genommen und dem siegreichen Proletariat übergeben werden, das wäre dann die Geburtsstunde des Sozialismus. Das war der Grund, warum die russischen Revolutionäre so sicher waren, dass die sozialistische Revolution in Deutschland unmittelbar bevorstand. Nirgendwo auf der Welt war alles so gründlich vorbereitet für sie.

Rathenau liebte es, den Geist zu loben und die Materie

Einer von Rathenaus russischen Verhandlungspartnern in Rapallo war Leonid Borissowitsch Krassin (1870-1926). Er war vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur Revolutionär, sondern brachte es nach einem längeren Aufenthalt in Deutschland bis auf den Posten der Geschäftsleitung der russischen Siemens-Niederlassungen. Rathenau und er werden sich wohl ein Augurenlächeln zugeworfen haben. Aber alle russischen Verhandler wussten, wie nahe Rathenaus Kriegswirtschaft das kapitalistische Deutschland an den Sozialismus geschubst hatte.

Harry Graf Kessler schrieb in seinem 1933 erschienenen Buch über Rathenau: „Er präsentierte sein Weltbild der Menschheit nicht als großer Intellektueller, der von Beweis zu Beweis, von Statistik zu Statistik, von Erfindung zu Erfindung eilt, sondern als Künstler, der das Ganze mit einem Ruck, eben als Ganzes, als Abbild einer einmaligen inneren Vision darstellt.“ Statistiken – damit hatte er den ganzen Tag zu tun. Wenn er seine Essays schrieb, wollte er hinter die Zahlen kommen, auf den Grund der Dinge. Rathenau liebte es, den Geist zu loben und die Materie, auf die er sich doch besser als die meisten von uns verstand, schlecht zu machen. Mit großen Worten. Das ist manchmal schwer zu ertragen. Aber es lohnt sich, ihn zu lesen. Nicht nur an seine Ermordung zu erinnern.

Rathenau neigte Zeit seines Lebens dazu, sich für nicht angemessen geschätzt zu halten. Das änderte sich erst in den letzten Monaten seines Lebens. Er wurde ermordet, als er es endlich geschafft hatte, der zu sein, der er war.

„Die Menschen, die einen Teil ihres Lebens auf Haß gestellt haben, denen ist dieser Haß ein Bedürfnis und eine Existenzbedingung, die kann man ihnen nicht nehmen. Warum sucht denn jemand sein Glück in der Verfolgung seines Nächsten? Weil es ihn tröstet und erhebt, sich über andere zu stellen. Glückliche Menschen sind das nicht.“ (Arno Widmann)

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