Vor 100 Jahren: Rathenau wird Außenminister – DW – 31.01.2022
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Vor 100 Jahren: Rathenau wird Außenminister

31. Januar 2022

Walther Rathenau ist bis heute der einzige deutsche Außenminister jüdischen Glaubens. Nur ein halbes Jahr nach seiner Ernennung am 31. Januar 1922 wurde er von einer rechten Terrororganisation ermordet.

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Walther Rathenau
Walther Rathenau (1867-1922) war Industrieller, Politiker und SchriftstellerBild: dpa/picture alliance

Es war eine bittere Erkenntnis für Rathenau wie für viele andere Juden im Deutschland der Kaiserzeit und der frühen Weimarer Republik: Sie konnten beruflich noch so erfolgreich, konnten Stützen von Staat und Gesellschaft sein, sie konnten sogar im Ersten Weltkrieg gekämpft haben - sie blieben letztlich Außenseiter. Und Antisemiten hassten sie einfach, weil sie jüdisch waren.

In seiner Schrift "Staat und Judentum. Eine Polemik" von 1918 schreibt Rathenau: "In den Jugendjahren eines jeden deutschen Juden gibt es einen schmerzlichen Augenblick, an den er sich zeitlebens erinnert: wenn ihm zum ersten Male voll bewusst wird, dass er als Bürger zweiter Klasse in die Welt getreten ist und keine Tüchtigkeit und kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien kann."

Als Jude durfte er nicht Offizier werden

An Tüchtigkeit und Verdienst - und auch an Privilegien - fehlte es dem jungen Rathenau keineswegs. Sein Vater war der Industrielle und Gründer des Elektrokonzerns AEG, Emil Rathenau. Walther stieg später in die Firma ein, die dann im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle in der Rüstungsproduktion spielen sollte.

Davor hatte er versucht, beim Militär und in der Diplomatie Karriere zu machen - und stieß schnell gegen die "gläserne Decke" für Juden: Ihnen blieben im Deutschen Kaiserreich sowohl die Offizierslaufbahn als auch der höhere Staatsdienst verschlossen. Juden galten in der damaligen Gesellschaft verbreitet als unsichere Kantonisten, auf die im Zweifel kein Verlass sei.

Walther Rathenau
Rathenau 1891 als Vizewachtmeister im Garde-Kürassierregiment. Offizier durfte er nicht werden, weil er Jude warBild: gemeinfrei

Rathenaus Biographin Shulamit Volkov sieht ihn als "Quintessenz der deutsch-jüdischen Geschichte", er stehe für den "Versuch, die jüdische und die deutsche Identität miteinander in Einklang zu bringen, ohne sich je in der einen oder in der anderen zu Hause zu fühlen".

Die nationale Gesinnung nützt ihm nichts

Dabei war Rathenau durchaus national, zeitweise sogar ein Kriegstreiber: Als Aufsichtsratsvorsitzender der AEG war er in die Planungen des Ersten Weltkrieges eingebunden, er organisierte eine Zeitlang die gesamte deutsche Rohstoffbewirtschaftung im Krieg, empfahl die Deportation belgischer Zivilisten nach Deutschland zur Zwangsarbeit und war auch nach dem Waffenstillstand von 1918 noch für eine Fortsetzung des Krieges.

Das alles brachte ihm nur zeitweise die Sympathien der reaktionären Rechten ein, die sich mit der deutschen Niederlage und dem Versailler Friedensschluss von 1919 nie abgefunden hatten. Als Wiederaufbauminister 1921 und dann ab 1922 als Außenminister unter Reichskanzler Joseph Wirth sah ihn die politische Rechte als einen der "Erfüllungspolitiker": Er und die anderen Regierungsmitglieder lieferten Deutschland den Siegermächten und deren Reparationsforderungen aus, so der Vorwurf, obwohl die Reichsregierung nach der militärischen Kapitulation gar keine Wahl gehabt hatte, als auf die Forderungen der Siegermächte einzugehen.

Vertrag von Rapallo
​​​​Im Vertrag von Rapallo 1922 handelten Reichskanzler Joseph Wirth (2. v. l.) und Rathenau (nicht im Bild) zusammen mit sowjetisch-russischen Vertretern einen gegenseitigen Reparationsverzicht ausBild: picture-alliance/akg-images

Die Anfeindungen galten umso mehr dem Juden Walther Rathenau in einem zunehmend antisemitisch aufgeheizten Klima. Das änderte sich auch nicht, als es Rathenau im April 1922 im Vertrag von Rapallo gelang, die Beziehungen des Deutschen Reiches zu Sowjetrussland zu normalisieren und einen Verzicht auf gegenseitige Reparationsansprüche zu erreichen.

Rechte Mordserie

Rathenau wurde schon ein halbes Jahr nach seiner Ernennung zum Außenminister, am 24. Juni 1922, von Mitgliedern der rechtsextremen Organisation Consul in Berlin ermordet. Die hatten bereits ein Jahr zuvor den katholischen Zentrumspolitiker Matthias Erzberger umgebracht.

Am ersten Jahrestag der Ermordung Rathenaus fahren Anhänger zu seinem Grab
Am ersten Jahrestag der Ermordung Rathenaus fahren Anhänger zu seinem GrabBild: akg-images/picture alliance

Weitere prominente jüdische Opfer der Anfangsjahre der Weimarer Republik waren 1919 die Kommunistin Rosa Luxemburg und der ebenfalls kommunistische bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner. Bezeichnend war der Ausspruch von Eisners Attentäter Anton Graf von Arco auf Valley: "Eisner ist Bolschewist, er ist Jude, er ist kein Deutscher, er fühlt nicht deutsch, untergräbt jedes vaterländische Denken und Fühlen, ist ein Landesverräter." Ironischerweise hatte Arco selbst eine Mutter jüdischer Herkunft.

Aber ab 1933 sollte es noch viel schlimmer kommen. Mit Adolf Hitlers Machtergreifung wurden Juden erst aus sämtlichen wichtigen Positionen des gesellschaftlichen Lebens entfernt, dann begann ihre planmäßige physische Vernichtung.

Ein jüdischer Bundeskanzler?

Bis heute, fast 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus, gibt es in Deutschland auf Bundesebene keinen jüdischen Minister oder eine jüdische Ministerin.

Synagoge in Köln Deutschland Flash-Galerie
Die Kölner Synagoge liegt am Rathenauplatz. Zahlreiche Straßen, Plätze und Schulen tragen heute Rathenaus NamenBild: DW/Weitz

Während Großbritannien mit Benjamin Disraeli schon Ende des 19. Jahrhunderts einen Premierminister jüdischer Herkunft hatte und in den vergangenen Jahrzehnten mehrere jüdische Minister (etwa Malcolm Rifkind und Nigel Lawson), während in Hitlers österreichischer Heimat Bruno Kreisky, der einen jüdischen Vater hatte, 1970 Bundeskanzler wurde, ist Walther Rathenau neben dem zeitweiligen Finanzminister der Weimarer Republik, Rudolf Hilferding, bis heute der einzige jüdische Minister in Deutschland geblieben.

Jung, jüdisch, deutsch

Ignatz Bubis, der frühere Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, soll 1993 gesagt haben, für einen jüdischen Bundespräsidenten sei die Zeit noch nicht reif. Belege für die Aussage gibt es allerdings nicht. Der Schriftsteller und Politologe Rafael Seligmann fragte aber 2018 in der "Rheinischen Post", ob ein jüdischer Bundeskanzler denkbar sei, und gab selbst als optimistische Antwort "ein eindeutiges Ja". Denn: "Wenn ein Jude hier besser wäre als die Konkurrenz, hätte er gute Aussichten, selbst von den antisemitisch Voreingenommenen auf den Schild beziehungsweise auf die Regierungsbank gehoben zu werden."

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik