Biografie von Walter Ulbricht (1893-1973) - Sächsische Biografie | ISGV e.V.

Walter Ulbricht

Dem aus Sachsen stammenden U. gelang im Zeitalter der Diktaturen des 20. Jahrhunderts ein erstaunlicher politischer Aufstieg, der den gelernten Tischler und kommunistischen Politiker nach Jahren im Exil schließlich an die Spitze von Partei und Staat der DDR führte. Deren stalinistische Frühzeit und ihre Entwicklung nach dem Bau der Mauer wurden bis zu seiner Entmachtung 1971 entscheidend durch U. und dessen Politik geprägt. – Ab 1899 besuchte der aus einfachen Verhältnissen stammende U. die achtstufige Volksschule, wo er als scheuer Außenseiter galt und sich wegen seines sozialistischen Elternhauses Hohn ausgesetzt sah, was mitunter in handfesten Raufereien endete. Wichtige Formungen erfuhr der junge U. in dieser Zeit auch durch sein Interesse an klassischer Literatur, Geografie, Geschichte, Kunst und Naturwissenschaften. Der Gewerkschaftersohn erlebte Diskussionen zu Ereignissen wie dem Crimmitschauer Textilarbeiterstreik 1903/1904 oder aktuellen Fragen der Tagespolitik, die wahrscheinlich die Weichen für sein politisches Denken stellten. 1907 beendete U. seine Schulzeit und trat im Mai eine Ausbildung in einer Leipziger Tischlerei an. Nebenbei war der jugendliche U. für den Bildungsverein der Arbeiterjugend Alt-Leipzig aktiv und erwies sich im Turnverein als passionierter Sportler. Der Austausch mit Gleichgesinnten, die Vorträge, Lese- und Diskussionszirkel während dieser Phase dürften U.s Weltbild so gefestigt haben, dass der Sozialismus lebenslang die kompromisslose Orientierung seiner politischen Agitation blieb. U.s Abschluss der Tischlerlehre folgte im Mai 1911 die traditionelle Wanderschaft, die ihn mit zwei Freunden durch Deutschland, Österreich, Italien, die Schweiz, Belgien und Holland führte. Im Herbst 1912 kehrte er nach Leipzig zurück und trat der SPD bei. Zugleich arbeitete er im erlernten Beruf und profilierte sich durch sein ehrenamtliches Eintreten für das Arbeiterbildungsinstitut sowie die Arbeiterjugendbewegung. U.s Wissbegier und sein Besuch der SPD-Parteischule fielen auf und brachten ihn mit dem lokalen Funktionärskreis der SPD in Kontakt. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bekannte sich U. zum linken SPD-Flügel und initiierte Flugblattaktionen, die sich oft gegen Krieg und Lebensmittelverteuerung richteten. Sein Vorstoß, wonach SPD-Reichstagsabgeordnete auf die Ablehnung von Kriegskrediten verpflichtet werden sollten, traf bei der Leipziger SPD jedoch auf Widerstand. Im Mai 1915 erreichte U. der Einberufungsbefehl, der ihn zur Front in Mazedonien und Serbien brachte, wo er in der Stellmacherei seines Truppenteils eingesetzt war. Nach überstandener Malaria-Erkrankung, einer Fahnenflucht, kurzzeitiger Haft und der Versetzung nach Belgien traf U. im November 1918 wieder in seiner Heimatstadt ein. Als Angehöriger des örtlichen „Spartakusbunds“ positionierte er sich während der Novemberrevolution für ein Bündnis mit Sowjetrussland, die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und gegen das Ansinnen, über die Nachkriegsordnung durch ein frei gewähltes Parlament bestimmen zu lassen. Wohl bereits seit 1917 Mitglied der USPD und ab Ende 1920 der KPD, in deren Umfeld er schon vorher tätig war, fungierte U. als Autor von Artikeln für die Zeitungen „Die Rote Fahne“ und „Der Klassenkampf“. Er kümmerte sich um die Verbreitung des Materials und organisierte aus der Illegalität konspirative Parteischulungen, während er seinen Lebensunterhalt u.a. als Markthelfer bestritt. Seine Wahl in die KPD-Bezirksleitung Westsachsen bescherte U. erstmals eine bezahlte Position als Funktionär und ermöglichte seinen politischen Aufstieg, der mit der kommissarischen und ab Mitte 1921 festen Leitung des KPD-Bezirks „Großthüringen“ begann. U. tat sich Kollegen gegenüber durch Disziplin, Fleiß und Organisationsgeschick hervor, wobei er oft als hölzern, kalt und abweisend wahrgenommen wurde. Sein Arbeitspensum ließ ihm trotz der Heirat mit einer Leipziger Funktionärin und der Geburt ihrer Tochter nur wenig Raum für ein Privatleben. 1922 reiste U. zum Vierten Weltkongress der Kommunistischen Internationale (Komintern) nach Moskau, wo der Jungkommunist auch eine Rede Lenins erlebte. Anfang 1923 wählte der Leipziger Parteitag U. in die Berliner Parteizentrale und damit das zweite Führungsgremium der KPD. Ab Sommer 1923 kämpfte U. dort für „Betriebszellen“ als kleinste Organisationseinheit der Partei. Nach dem missglückten Umsturzversuch im November 1923 wurde die Partei vorübergehend verboten und gegen U. ein Haftbefehl erlassen, dessen Vollstreckung er sich entziehen konnte. Ab April 1924 stand er im Dienst der Komintern in Moskau. In deren Auftrag versuchte er, wenngleich mit geringem Erfolg, die Kommunistische Partei Österreichs in Wien im Sinne der Komintern anzuleiten. 1926 bis 1929 hatte U. ein Mandat als Abgeordneter im Sächsischen Landtag inne, wo er in seinen Reden mit Angriffen auf „bürgerliche“ und „arbeiterfeindliche“ Parteien auffiel und die Weimarer Republik als „Mittel zur Unterdrückung der Arbeiterklasse“ abwertete. U.s Redestil galt als eher stereotyp, seine Sachkenntnis und Vorbereitung dagegen als herausragend. Im Mai 1928 wurde U. für die KPD auch in den Reichstag gewählt, trat hier aber relativ wenig in Erscheinung. Ab August 1928 gehörte er der KPdSU und als Kandidat dann auch dem Exekutivkomitee der Komintern an, ab Mitte 1929 dem Politischen Büro der KPD. Damit hatte U. mit knapp 36 Jahren den Einzug in den inneren Zirkel der Partei-Führung erreicht. Im November 1929 übernahm er für seine Partei die Leitung des Berliner Bezirks und wurde wegen umstürzlerischer Aufrufe vor dem Reichsgericht Leipzig des Hochverrats schuldig gesprochen. U.s parlamentarische Immunität und eine spätere Amnestie verhinderten den Vollzug der zwei Jahre Festungshaft. In den späten 1920er-Jahren kam es trotz zeitweiliger Zweckbündnisse zu Machtkämpfen zwischen KPD und NSDAP, an denen sich U. beteiligte. 1931 war er als Mitwisser wahrscheinlich in die Erschießung zweier Polizisten auf dem Berliner Bülowplatz involviert. Nach der „Machtergreifung“ Hitlers 1933 und monatelangem Rückzug in die Illegalität flüchtete U. im Herbst 1933 vor dem nationalsozialistischen Terror nach Moskau und dann nach Paris zur Führung der in Deutschland zerschlagenen KPD. Auch die folgenden Jahre verbrachte U. im Exil mit den zentralen Stationen Moskau, Paris und Prag. Dort organisierte er den Vertrieb von Propagandamaterial nach Deutschland und konnte sich trotz mancher Rückschläge in heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der KPD und der Komintern behaupten. Dass dies gelang, war nicht zuletzt seiner Skrupellosigkeit, Intriganz und Rachsucht gegenüber unterlegenen Konkurrenten geschuldet. Im Zuge eines Parteiverfahrens wurde U. 1938 nach Moskau beordert, wo er in den folgenden sieben Jahren mit seiner seit 1935 festen Partnerin und späteren Ehefrau Charlotte überwiegend im von Migranten bewohnten Hotel „Lux“ lebte. Hier fungierte er als Scharnier zwischen der deutschen KPD und der Komintern. Die brutalen „Säuberungswellen“ von Stalins Terrorregime überstand der in Machtfragen versierte U. durch eine Strategie aus totaler Selbstunterwerfung und rechtzeitiger Abkehr von Parteigenossen, die der stalinistische Verfolgungsapparat traf. Nach Hitlers Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 beauftragte die Komintern U. mit der Betreuung deutschsprachiger Programme des Moskauer Radios, um über nationalsozialistische Gräueltaten zu informieren und Appelle zu Hitlers Sturz in Deutschland zu verbreiten. Zudem warb U. an der Front und in Kriegsgefangenenlagern um Überläufer aus der Wehrmacht und beteiligte sich an der ideologischen „Aufklärungs- und Erziehungsarbeit“ deutscher Soldaten. Im Zuge der Komintern-Auflösung 1943 betrieb U. die Gründung des Nationalkomitees Freies Deutschland, das zum Sturz des NS-Regimes und zur Beendigung des Krieges aufrief. Nach längerer Vorbereitung betrat der Namensgeber der „Gruppe Ulbricht“ wahrscheinlich am 30.4.1945 oder wenig später in Begleitung von Mitstreitern sowie sowjetischer Offiziere erstmals seit gut zwölf Jahren wieder deutsches Territorium. Im zerstörten Berlin war er auf Befehl Stalins mit dem Aufbau von Strukturen nach sowjetischem Vorbild betraut und vollzog dabei jeden Schritt des Besatzungsregimes mit. Absolute Loyalität zu Moskau und geschickte Informationspolitik sicherten U. eine Vorreiterrolle beim Aufstieg zur Führungsfigur der Sowjetunion im besiegten Deutschland. Erfolgreich trat er für die Neugründung der KPD sowie den Aufbau des FDGB ein und nahm Einfluss auf das Leitungspersonal von Verwaltungen. Im April 1946 war er auf Stalins Geheiß treibende Kraft bei der Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur SED, deren stellvertretender Vorsitzender er werden sollte. Zwischen 1946 und 1950 gehörte U. überdies als Abgeordneter der SED dem Landtag der Provinz bzw. des Landes Sachsen-Anhalt an, wo er mit der rigorosen Durchsetzung der SED-Linie betraut war. Ebenso vehement vollstreckte U. Befehle zur Enteignung von Großgrundbesitzern und Großbetrieben, so 1946 in Sachsen, wo er die Vorbereitung eines entsprechenden „Volksentscheids“ organisierte, und setzte Anweisungen zur Abhaltung von Schauprozessen in der sowjetisch besetzten Zone um. Mit Gründung der DDR im Oktober 1949 wurde U. einer von drei stellvertretenden Vorsitzenden des Ministerrats, im Juli 1950 wählte ihn der Parteitag zum Generalsekretär des Zentralkomitees der SED. Auf der SED-Parteikonferenz im Juli 1952 verkündete U. den „planmäßigen Aufbau des Sozialismus“. In diesem Zug bündelte er Ressourcen zum Aufbau von Energiewirtschaft und Schwerindustrie in der DDR und forcierte den Druck auf Privatbetriebe. Nach dem Tod Stalins im März 1953 und dem landesweiten Aufstand in der DDR am 17. Juni hielt die neue Führung in Moskau, wohl auch für U. selbst überraschend, aus taktischem Kalkül an ihm fest. Dies ermöglichte U. eine Festigung seiner angeschlagenen Position innerhalb der SED und ein rabiates Vorgehen gegen parteiinterne Kontrahenten wie Rudolf Herrnstadt, Wilhelm Zaisser und Elli Schmidt, die er zu demütigender Selbstkritik zwang und aus dem Machtzentrum ausschloss. Nach außen konnte er die DDR durch Zugeständnisse an die Bevölkerung stabilisieren. Im Rahmen der vom KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow eingeleiteten „Entstalinisierung“ im Februar 1956, die auf die Massenverbrechen Stalins hinwies und Schockwellen im kommunistischen Lager auslöste, reagierte U. in gewohnter Manier durch Einschwenken auf den Linienwechsel, indem er verlautbarte, Stalin „nicht zu den Klassikern des Marxismus“ zählen zu können. Zudem setzte er sich an die Spitze einer Kommission zur formalen Rehabilitierung geschasster SED-Mitglieder. Für die zuvor erfolgte Demontage nicht weniger von ihnen trug U. selbst die Verantwortung. Sein Opportunismus verhinderte aber nicht die erneute Formation eines Lagers in der SED, das U. einen diktatorischen Führungsstil, Selbstherrlichkeit und Alleingänge vorwarf. Dieser Kritiker, darunter Karl Schirdewan und Ernst Wollweber, konnte sich U. einmal mehr mit einem erbarmungslosen Gegenangriff entledigen. Auch verschärfte U. durch Einschüchterung und Verhaftung von Intellektuellen die Repression gegen Kräfte, die im Glauben an den humanistischen Anspruch des Sozialismus auf einen liberalisierten Kurs hofften. Mit der Konsolidierung des SED-Regimes Ende der Fünfzigerjahre war U.s Herrschaft gefestigt. Nach dem Tod des DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck 1960 übernahm er auch das neue Amt des Staatsratsvorsitzenden und wurde damit Staatsoberhaupt der DDR. Gegenüber der Sowjetunion kämpfte er angesichts dramatischer Abwanderungszahlen Richtung Bundesrepublik für eine Schließung der Westgrenze. Zwei Monate nach seinem berühmten, aber später oft zusammenhanglos zitierten Satz „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ wurde diese am 13.8.1961 Realität. U. rechtfertigte die Maßnahme unter Verweis auf angebliche Invasionspläne der Bundesregierung. – In den 1960er-Jahren nahm U. neben dem Umbau des Bildungswesens eine Wirtschaftsreform unter dem Namen „Neues Ökonomisches System“, später „Ökonomisches System des Sozialismus“ in Angriff. Im Wissen um das schwache Leistungs- und Innovationspotenzial des planwirtschaftlichen Systems gestand U. Betrieben mehr Autonomie zu, um die Konkurrenz mit der Bundesrepublik durch Freisetzung höherer Produktivkräfte für sich zu entscheiden. Neben der Imitation marktwirtschaftlicher Anreize verstärkte U. die Einbindung qualifizierter Experten in die Wirtschaftspolitik. Die Hoffnung auf einen technologischen Vorsprung des Sozialismus durch die „Wissenschaftlich-technische Revolution“ fand in U.s Formel „Überholen ohne einzuholen“ Niederschlag, ohne dass diese je an Realitätsgehalt gewann. Dennoch konnte sein Kurs die ökonomische Bilanz und den Wohlstand in der DDR verbessern. Der propagierte Nimbus eines modernen Staats ging jedoch nicht mit einer nachhaltigen Liberalisierung einher. So maßregelte das „Kahlschlagplenum“ unter U. 1965 kritische Künstler. U. verteidigte auch die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 und trieb die Sprengung der Leipziger Universitätskirche im gleichen Jahr voran. Letztlich konterkarierte der Machtanspruch der SED eine Freiheit des Wirtschaftens, sodass U.s Reform in sich widersprüchlich blieb. Seine Loslösung von den Fundamenten kommunistischer Ideologie zugunsten ökonomischer Rationalität führte zu wachsender Distanz zwischen U. und dem orthodoxen SED-Apparat. Auch fortgeschrittenes Alter und cholerisch-arrogantes Auftreten U.s dürften dazu beigetragen haben, dass seine Zeit an der Parteispitze abzulaufen begann. Neben Streitigkeiten mit Leonid Breschnew, seit 1964 KPdSU-Chef, über die Deutschlandpolitik und mehr Handlungsspielraum für die DDR häuften sich während der Sechzigerjahre Konflikte innerhalb der SED-Führung um Wirtschaftsfragen. Als „zweiter Mann“ hinter U. wusste Erich Honecker dies durch geschickte Netzwerkarbeit zur Diskreditierung seines politischen Ziehvaters auszunutzen. Unter diesem zunehmenden Druck stimmte der fast 78-jährige U., der sich einem Rücktritt zuvor mehrfach widersetzt hatte, Anfang Mai 1971 einem mit sowjetischer Erlaubnis konstruierten Szenario zu, das ihn, vorgeblich aus Altersgründen, vom Amt des Ersten ZK-Sekretärs entband und dieses an Honecker übergab. Als Staatsoberhaupt der DDR und „Ehrenvorsitzendem der SED“ verblieb dem gestürzten U. lediglich eine dekorative Funktion, die ihn vom politischen Entscheidungsprozess fernhielt. Versuche, alten Einfluss zurückzugewinnen, waren erfolglos. Im Juli 1973 fiel U. nach einem Schlaganfall ins Koma und starb kurz darauf an Herzversagen. Nach einem Staatsakt erfolgte die ehrenvolle Beisetzung seiner Urne am 17.9.1973 in der Gedenkstätte der Sozialisten auf dem Zentralfriedhof Berlin-Friedrichsfelde, doch einen Personenkult um ihn stoppte Honecker ebenso wie U.s früheres ehrgeiziges Reformprogramm. Die Erinnerung an U. war unter der restaurativen Politik seines Nachfolgers faktisch ausradiert. Erst in der krisenhaften Spätphase der DDR wurde die „Ära Ulbricht“ trotz ihrer Widersprüche von Teilen der SED zur vitalen Blütezeit verklärt. – U.s Privatleben blieb in der DDR weitgehend unter Verschluss, sodass die Öffentlichkeit weder von seiner ersten Ehe und der gemeinsamen Tochter noch von U.s Affäre mit der polnischen Funktionärin Rosa Michel (eigentlich Maria Wacziarg) ab Mitte der 1920er-Jahre erfuhr, aus der ebenfalls eine Tochter hervorging. Zu diesen Angehörigen hatte U. später ebenso wenig Kontakt wie zu seinen Geschwistern. Sein vertrautester Umgang waren die zweite Ehefrau und die Adoptivtochter, deren Mutter als ukrainische Zwangsarbeiterin bei einem Luftangriff auf Leipzig ums Leben gekommen war. Zudem soll das Ehepaar nach neueren Recherchen zuvor kurzzeitig ein weiteres Mädchen adoptiert haben. – Charakterlich wurde U. oft als ausdauernd, arbeitsfixiert, misstrauisch und verschlossen beschrieben, er war militanter Nichtraucher, trank selten Alkohol und pflegte nach außen bloß den Sport als private Leidenschaft. U.s Körpergröße von nur 165 cm, seine wohl wegen eines Kehlkopfleidens hohe Fistelstimme, rhetorisch mangelndes Talent und sächsische Mundart degradierten ihn in der Wahrnehmung vieler Zeitgenossen zum hölzernen Apparatschik und Objekt zahlreicher Witze. Andere Beobachter und die historische Forschung dagegen erkannten in U. zutreffend einen kalt berechnenden Politiker mit außerordentlichem Machtinstinkt, der sich über Jahrzehnte skrupellos auf Kosten anderer behauptete und brutal gegen oppositionelle Bestrebungen vorging. Daher gilt U. auch in der heutigen Rezeption, von apologetischem Schriftgut abgesehen, als stalinistischer Diktator, dem gleichwohl die Verantwortung für einen in der DDR-Geschichte singulären Modernisierungsversuch mit begrenztem Erfolg zugerechnet werden muss. Von Sebastian Haffner wurde U. gar hinsichtlich seiner politischen Bedeutung für die deutsche Geschichte in einem Atemzug mit Otto von Bismarck und Konrad Adenauer genannt. Das propagierte Bild des charismatisch-beliebten Staatslenkers aber konnte U. zu Lebzeiten nie ausfüllen. Seine offizielle Vita war mit zahlreichen Auszeichnungen geschmückt, u.a. der 1990 annullierten Ehrenbürgerschaft seiner Heimatstadt Leipzig. Zu dieser behielt U. auch während seiner Zeit an der Macht offenbar eine persönliche Bindung, worauf etwa seine vielen Besuche vor Ort z.B. anlässlich der Messe und seine Anteilnahme an der Umgestaltung des Stadtzentrums hindeuten.

Quellen Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Archivbestände, Nachlässe, NY 4182 Nachlass Walter und Lotte Ulbricht – Lotte Ulbricht. Mein Leben. Selbstzeugnisse, Briefe und Dokumente, hrsg. von Frank Schumann, Berlin 2003.

Werke Aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung, Berlin 1927; Volksrevolution gegen Faschismus!, Berlin 1931; Volksentscheid und Wirtschaftsaufbau, Dresden 1946; Ernst Thälmann, Berlin 1949; Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1952; Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Schriften, 10 Bde., Berlin 1953-1966; Der faschistische deutsche Imperialismus (1933-1945). Die Legende vom „deutschen Sozialismus“, Berlin 1956; Das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in der Praxis. Diskussion zum Referat und zu den vorgelegten Entwürfen der Dokumente, Berlin 1963, 41965.

Literatur Carola Stern, Walter U. Eine politische Biographie, West-Berlin 1966; Sebastian Haffner, Zur Zeitgeschichte. 36 Essays, München 1982, S. 122-126; Norbert Podewin, Walter U. Eine neue Biographie, Berlin 1995; Monika Kaiser, Machtwechsel von U. zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972, Berlin 1997; Jochen Stelkens, Machtwechsel in Ost-Berlin. Der Sturz Walter U.s 1971, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45/1997, H. 4, S. 503-533; André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikt zwischen Effizienz- und Machtkalkül, Berlin 1999; Mario Frank, Walter U. Eine deutsche Biografie, Berlin 2001; Florian Heyden, Walter U. Mein Urgroßvater, Berlin 2020. – DBA II, III; DBE II 10, S. 160f.; NDB 26, S. 557-559; Hermann Weber/Andreas Herbst (Hg.), Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 22008; Monika Kaiser/Helmut Müller-Enbergs (Hg.), Wer war wer in der DDR?, Bd. 2, Berlin 52010.

Porträt U. bei der Eröffnung der Fachmesse in Markkleeberg, Roger Rössing und Renate Rössing, 1952, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Lucas Böhme
17.3.2022


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Walter Ulbricht,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3968 [Zugriff 17.4.2024].

Walter Ulbricht



Quellen Bundesarchiv Berlin, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR, Archivbestände, Nachlässe, NY 4182 Nachlass Walter und Lotte Ulbricht – Lotte Ulbricht. Mein Leben. Selbstzeugnisse, Briefe und Dokumente, hrsg. von Frank Schumann, Berlin 2003.

Werke Aktuelle Fragen der Gewerkschaftsbewegung, Berlin 1927; Volksrevolution gegen Faschismus!, Berlin 1931; Volksentscheid und Wirtschaftsaufbau, Dresden 1946; Ernst Thälmann, Berlin 1949; Die gegenwärtige Lage und die neuen Aufgaben der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Berlin 1952; Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Aus Reden und Schriften, 10 Bde., Berlin 1953-1966; Der faschistische deutsche Imperialismus (1933-1945). Die Legende vom „deutschen Sozialismus“, Berlin 1956; Das neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft in der Praxis. Diskussion zum Referat und zu den vorgelegten Entwürfen der Dokumente, Berlin 1963, 41965.

Literatur Carola Stern, Walter U. Eine politische Biographie, West-Berlin 1966; Sebastian Haffner, Zur Zeitgeschichte. 36 Essays, München 1982, S. 122-126; Norbert Podewin, Walter U. Eine neue Biographie, Berlin 1995; Monika Kaiser, Machtwechsel von U. zu Honecker. Funktionsmechanismen der SED-Diktatur in Konfliktsituationen 1962 bis 1972, Berlin 1997; Jochen Stelkens, Machtwechsel in Ost-Berlin. Der Sturz Walter U.s 1971, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45/1997, H. 4, S. 503-533; André Steiner, Die DDR-Wirtschaftsreform der sechziger Jahre. Konflikt zwischen Effizienz- und Machtkalkül, Berlin 1999; Mario Frank, Walter U. Eine deutsche Biografie, Berlin 2001; Florian Heyden, Walter U. Mein Urgroßvater, Berlin 2020. – DBA II, III; DBE II 10, S. 160f.; NDB 26, S. 557-559; Hermann Weber/Andreas Herbst (Hg.), Deutsche Kommunisten. Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Berlin 22008; Monika Kaiser/Helmut Müller-Enbergs (Hg.), Wer war wer in der DDR?, Bd. 2, Berlin 52010.

Porträt U. bei der Eröffnung der Fachmesse in Markkleeberg, Roger Rössing und Renate Rössing, 1952, Fotografie, Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Abteilung Deutsche Fotothek (Bildquelle).

Lucas Böhme
17.3.2022


Empfohlene Zitierweise:
Lucas Böhme, Artikel: Walter Ulbricht,
in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde,
https://saebi.isgv.de/biografie/3968 [Zugriff 17.4.2024].

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