Der Staat, dessen Triumph der Turm symbolisieren sollte, ist längst untergegangen. Aber noch immer ragt der „Alex“ mit inzwischen 368 Metern als höchstes Gebäude Deutschlands über Berlin in den Himmel. Er gilt, neben dem Brandenburger Tor, als wesentliches Wahrzeichen der Stadt. Fast exakt zwanzig Jahre nach Gründung der DDR wurde er am 3. Oktober 1969 eingeweiht, und niemand konnte damals ahnen, dass weitere genau 21 Jahre später, am 3. Oktober 1990, der zweite deutsche Staat Geschichte werden sollte.
Destruktiv für die SED-Führung aber war der Fernsehturm inmitten der Stadt schon spätestens seit Herbst 1968 – zumindest wenn die Sonne schien über Ost-Berlin. Das wurde bald nach der äußeren Fertigstellung der 32 Meter durchmessenden Kugel deutlich, deren Mittelpunkt in 213 Meter Höhe im Turmschaft aus Stahlbeton liegt. Denn die rund 3500 Quadratmeter der pyramidenartig aufgerauten Oberfläche reflektierten damals und reflektieren bis heute das Sonnenlicht in Form eines Kreuzes.
„Weil es da oben so ein wunderbares, nicht geplantes, aber unvergängliches Kreuz gibt“, so der Berliner Journalist Lothar Heinke in seinem instruktiven, allerdings nur noch antiquarisch erhältlichen Bildbändchen „Fernsehturm Berlin“, erhielt das Renommierprojekt der SED-Führung und ihres Kopfs Walter Ulbricht vom Ost-Berliner Volksmund den unsterblich schönen Spitznamen „Sankt Walter“. Ein anderer im Stasi-Staat noch weniger beliebter Witz nannte das Lichtkreuz auf der Kugel die „Rache des Papstes“.
Es dürfte Ulbrichts Nachfolger Erich Honecker geschmerzt haben, als ausgerechnet US-Präsident Ronald Reagan in seiner berühmten „Tear down this wall“-Rede auf der westlichen Seite des Brandenburger Tors am 12. Juni 1987 auf die ungeliebte Reflexion zu sprechen kam: „Bevor die Ost-Berliner ihre Kirchen wiederaufbauten, haben sie ein weltliches Monument errichtet, das die Stadt dominiert – den Fernsehturm am Alexanderplatz.“
Reagan fuhr fort: „Seither haben die Behörden daran gearbeitet, um das zu korrigieren, was sie als den wesentlichsten Mangel des Turms ansahen; sie behandelten den oberen Glasbereich mit verschiedenen Farben und Chemikalien. Dennoch erstrahlt dieser Bereich – der sich über das gesamte Berlin erhebt – auch heute noch beim Sonneneinfall im Zeichen des Kreuzes.“
Dabei wollte Ulbricht sich mit der Neugestaltung der Ost-Berliner Innenstadt zum „Zentrum des Sozialismus in Deutschland“ ein Denkmal setzen. Dort, wo im 13. Jahrhundert die gerade an der Spree gegründete Siedlung an der Spree erstmals erweitert worden war, wo bis zu den Bombennächten des Zweiten Weltkrieges die dicht bebaute Altstadt des Marienviertels stand, dort wollte Ulbricht (ganz wie sein Lehrmeister Josef Stalin in Moskau) ein neues Herz der Stadt errichten lassen.
Die DDR wollte dem enttrümmerten Areal am Bahnhof Alexanderplatz ein neues, großstädtisches Gesicht geben. Es entstanden zuerst ab 1961 das „Haus des Lehrers“ und eine Kongresshalle, anschließend erst folgte ein städtebaulicher Wettbewerb, den – natürlich – ein sozialistisches „Kollektiv“ gewann. Doch noch fehlte die Krone.
Dafür wurde ein rundes Dutzend ältere Bauten auf der anderen Seite des Bahnviadukts bis hin zur Spree abgerissen, die den Krieg überstanden hatten. Sie mussten Ulbrichts „Vision des sozialistischen Städtebaus“ weichen.
Trotz der staatlichen Patronage war der Berliner Fernsehturm „quasi ein Schwarzbau“, schreibt Heinke, „denn als sich Anfang Mai 1965 die ersten Baggerzähne in den Boden fraßen, fehlten entscheidende staatlich beglaubigte Dokumente (die aber später nachgeliefert wurden). Dafür gab es bei den verantwortlichen Architekten, Statikern und Ingenieuren eine ungeheure Menge Papier mit unzähligen Berechnungen, Zeichnungen und Skizzen: Hier geschah etwas vollkommen Neues.“
In der Tat war der Turm, der mit damals 365 Meter Höhe genau einen Meter pro Tag des Jahres hatte, eine technische Pionierleistung. 60 bis 80 Meter tief reichten die Bohrungen in den oft geschmähten Brandenburger Kies. „Der sollte sich hier jedoch als geradezu idealer Baugrund herausstellen“, sagte der Statiker Werner Ahrendt: „Der Kies ist wenig setzungsempfindlich, er ist so dicht gelagert, dass er in nur sehr geringem Maße zusammendrückbar ist.“
So stehen die rund 26.000 Tonnen des Turmes, ungefähr so viel, wie 216 Lokomotiven wiegen oder 866 Güterwaggons voller Kohle, sicher – und das, obwohl allein die Last der Kugel so groß ist, als hätte man „da oben 40 Loks aufgehängt“, betonte Ahrendt. Auch zum 50. Geburtstag des Turmes ist nichts Gegenteiliges bekannt geworden. Es spricht also alles dafür, dass man auch weiterhin das Kreuz von „Sankt Walter“ bei Sonnenschein über Berlin leuchten sehen kann.
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Dieser Artikel wurde erstmals 2019 veröffentlicht.