Bündnis Sahra Wagenknecht: So lief der erste Parteitag in Berlin – mit Oskar Lafontaine im DDR-Kino

„Nie wieder Krieg!“: So war der erste Wagenknecht-Parteitag in Berlin

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) feiert seinen Gründungsparteitag. Mittendrin ist Oskar Lafontaine. Wie wichtig ist er für die neue Partei? Ein Bericht vor Ort.

Die Frau, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre: Sahra Wagenknecht, die Co-Vorsitzende des BSW.
Die Frau, ohne die das alles nicht möglich gewesen wäre: Sahra Wagenknecht, die Co-Vorsitzende des BSW.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Eigentlich ist Oskar Lafontaine als Schlussredner angekündigt, doch es zieht ihn schon vorher auf die Bühne zum Mikrofon. Eben war Mittagspause auf dem Parteitag des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) in Berlin. Das sei Justus Frantz gewesen, sagt Lafontaine nach einer Videobotschaft des Pianisten. Ein Mann, der angegriffen werde, weil er weiterhin Konzerte in Russland gibt.

Viel Applaus für Frantz – oder vielleicht doch eher für Lafontaine? Er nimmt dann schnell wieder Platz in der ersten Reihe, an der Seite seiner Frau, direkt neben Sahra Wagenknecht.

Es ist der Gründungsparteitag des BSW. Rund 390 Erstmitglieder sind nach Berlin-Friedrichshain ins frühere DDR-Kino Kosmos gekommen. Und dass Lafontaine nicht nur in die Partei eingetreten ist, sondern auch ganz vorn bei Wagenknecht sitzt, zeigt exemplarisch, wie nah man sich hier steht: Sahra, Family & Friends.

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Bündnis Sahra Wagenknecht: Berlin und NRW sind Machtzentren

Das war natürlich ein Stück weit erwartbar. Wagenknechts Mitstreiter haben in den vergangenen Monaten viele Gespräche geführt, mit Interessierten aus allen Bundesländern. Man schaute sehr genau hin: Wer will da zum exklusiven Kreis der Erstmitglieder gehören? Da zählt Vertrauen, Zuverlässigkeit. Doch schon jetzt formieren sich zwei Hochburgen im BSW: Berlin und Nordrhein-Westfalen.

Beide Länder sind stark vertreten im Saal. Beide besetzen wichtige Positionen im BSW, auch in der Parteitagsregie. Beide sind Machtzentren von Sahra Wagenknecht und werden das vorerst auch in der Partei sein. Nordrhein-Westfalen war lange Wagenknechts Landesverband in der Linken – in Berlin ist sie seit vielen Jahren Bundestagsabgeordnete, hat Vertraute um sich versammelt.


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Es hat eine gewisse Ironie. Während der Linke-Bezirksverband Tempelhof-Schöneberg lange als einsame Wagenknecht-Bastion galt, als Ausnahme in Berlin, sitzen einige seiner Vertreter nun mittendrin: Der Berliner Abgeordnete Alexander King könnte bald Landeschef des BSW werden. Friederike Benda wird auf dem Parteitag zur stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Ebenso wie Amid Rabieh, der wiederum aus Nordrhein-Westfalen ist und wie Benda zum Umfeld von Wagenknecht gehört.

Diese engen Bande geben Stabilität, niemand will, dass die Partei im Chaos versinkt wie einst Wagenknechts Aufstehen-Bewegung. Doch früher oder später dürften andere Landesverbände und Netzwerke mehr Einfluss wollen, es wird Begehrlichkeiten geben. So läuft das in Parteien, schließlich werden sie von Menschen bestimmt.

„Wir sind keine Linke 2.0“: Sahra Wangenknecht auf dem Parteitag im früheren DDR-Kino Kosmos.
„Wir sind keine Linke 2.0“: Sahra Wangenknecht auf dem Parteitag im früheren DDR-Kino Kosmos.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Europawahl: Erster Dämpfer für Spitzenkandidat Thomas Geisel

Das Bündnis Sahra Wagenknecht beschließt an diesem Samstag in Friedrichshain sein Programm für die Europawahl. Ohne auch nur einen einzigen Änderungsantrag, so groß ist die Einigkeit. Die Generaldebatte ist keine Debatte, sie strotzt vor Zustimmung. Das BSW fordert einen Rückbau der EU und mehr nationale Souveränität.

Man tritt nun „für die Nichtumsetzung von EU-Vorgaben auf nationaler Ebene ein, wenn sie wirtschaftlicher Vernunft, sozialer Gerechtigkeit, Frieden, Demokratie und Meinungsfreiheit zuwiderlaufen“. Zudem dürfe Europa nicht mehr „Vasall der USA“ sein. Das BSW will die Waffenlieferungen an die Ukraine stoppen, die Energielieferungen aus Russland wieder aufnehmen und Asylverfahren an den EU-Außengrenzen einführen.

Bei der Aufstellung der Europakandidaten gibt es jedoch einen Dämpfer: Der frühere Düsseldorfer Oberbürgermeister Thomas Geisel erhält ein für diesen Tag außerordentlich schwaches Ergebnis. Er wird neben Fabio De Masi als Spitzenkandidat in den Wahlkampf ziehen. Doch während die allermeisten Wahlen mit über 90 Prozent Ja-Stimmen enden, kommt der ehemalige SPD-Politiker auf nur 72 Prozent.  Womöglich stört es nicht wenige, dass er als Verfechter der Agenda-Politik gilt.

Ehepartner, Parteifreunde: Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht.
Ehepartner, Parteifreunde: Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Und Wagenknecht? Sie betritt den Saal erst kurz vor Parteitagsbeginn, wird mit stehenden Ovationen empfangen. Sie ist die Frau, ohne die alle heute nicht hier wären, wird ihre Co-Vorsitzende Amira Mohamed Ali sagen. Und sie wird eine „geile Rede“ halten, bilanziert anschließend ein BSW-Mitglied bei der Essensausgabe im Foyer. Ein „schöner Rundumschlag“.

Letzteres ist es allemal. Wagenknecht attackiert die Ampel-Regierung, die sogenannte feministische Außenpolitik, deutsche Rüstungsexporte. Sie witzelt: Immerhin trügen Iris-Raketen, die Deutschland an Saudi-Arabien liefert, ja einen weiblichen Namen. Und wenn in Rüstungsverträgen gegendert werde, sei die grüne Welt wieder in Ordnung. So was kommt im Saal gut an. Auch sagt Wagenknecht, CDU-Chef Friedrich Merz sei „ganz sicher nicht das kleinere Übel“. Nach einem Koalitionsangebot auf Bundesebene klingt das nicht.

Das BSW soll anders sein als die Linkspartei, man will betont geschlossen auftreten. Und es gibt auch keine Awareness-Teams oder Schutzräume auf diesem Parteitag. „Natürlich nicht“, meint ein ranghohes Mitglied. 

„Wir sind keine Linke 2.0, das muss auch für unseren Umgang miteinander gelten“, sagt Wagenknecht. „Lasst uns pfleglich miteinander umgehen.“ Bislang gelingt das, klar, alles andere wäre peinlich. Der Veranstaltung ist professionell durchgetaktet, ein Anfangszauber beschwingt die noch sehr kleine BSW-Mitgliedschaft. Man sieht viele Menschen lächeln. Einige lassen sich vor den aufgestellten Bannern mit dem Parteilogo ablichten.

Wie lange die Harmonie im Umfeld der Partei hält, hängt auch davon ab, ob sich sympathisierende Bewegungen eingebunden fühlen. Sie wollen dabei sein, mitmischen. Das gilt auch für weite Teile der Friedens- und Querdenker-Bewegung. Es gibt erste, leise Störgeräusche, doch sie können lauter werden. Schon im Vorfeld des Parteitags hatten einige Weggefährten eine Protestmail an Wagenknecht geschickt.

„Etwas Neues zu beginnen, das Gesicht ganz vorn in den Wind zu halten, das erfordert Mut“, sagt Wagenknecht.
„Etwas Neues zu beginnen, das Gesicht ganz vorn in den Wind zu halten, das erfordert Mut“, sagt Wagenknecht.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Sahra Wagenknecht sagt Cancel Culture den Kampf an

Drei Themen bestimmen diesen Tag, die Gespräche der Mitglieder im Raucherbereich, die Reden auf der Bühne. Da ist zum einen die Friedenspolitik. Sie ist für die meisten der Hauptbeweggrund für ihren Parteibeitritt. Unter ihnen sind viele ehemalige Linke, aus der Kommunalpolitik vor allem, aber auch frühere Sozialdemokraten oder bislang Parteilose. Man ist sich einig: Im Deutschen Bundestag gebe es keine Partei, die konsequent für Diplomatie und gegen Waffenexporte eintrete.

Das zweite Thema ist der Vorwurf der „Rechtsoffenheit“. Wagenknecht und ihre Mitstreiter haben erkannt, dass Kritiker das BSW damit angreifen werden, sei es in der Migrations- oder der Russlandpolitik. Erst kürzlich wurde öffentlich, dass Wagenknecht Kontakt mit Gernot Mörig hatte, also jenem Unternehmer, der laut einer Correctiv-Recherche Rechtsextremisten und AfD-Leute in Potsdam getroffen hat. Schon bei Wagenknechts Friedensdemo im vergangenen Februar hieß es, sie habe sich nicht ausreichend von radikalen Rechten distanziert.

Drittens ist da noch dieses Widerstands-Motiv. In Wagenknechts Rede wird es besonders deutlich: „Etwas Neues zu beginnen, das Gesicht ganz vorn in den Wind zu halten, das erfordert Mut“, sagt Wagenknecht. Allen hier seien wohl Zweifel bekannt, „vor dem richtigen Weg, die Frage, wie werden Freunde und Bekannte auf diesen Schritt reagieren“. Im BSW ist man überzeugt, dass ein verengter Meinungskorridor und Cancel Culture zu den drängenden Problemen gehören. Dagegen will man sich auflehnen.

Wagenknecht und ihre Mitstreiter haben ihre Partei am 8. Januar gegründet.
Wagenknecht und ihre Mitstreiter haben ihre Partei am 8. Januar gegründet.Paulus Ponizak/Berliner Zeitung

Oskar Lafontaine: Welche Rolle spielt er in der Wagenknecht-Partei?

Als Lafontaine zum zweiten Mal ans Mikro tritt, neigt sich der Tag im Kosmos dem Ende entgegen. Das ist also tatsächlich ein Schlusswort, eines, auf das viele BSW-Mitglieder gewartet haben. Als es darum gegangen sei, wer als letztes reden könne, habe sich niemand gemeldet, sagt Lafontaine. Schließlich habe seine Frau ihn gefragt.

Gelächter in den Reihen, er kann es also noch: einen ganzen Saal für sich gewinnen. Lafontaine kann aber auch maßlos untertreiben. Nicht wenige prominente BSW-Leute sagen, er sei natürlich ein wichtiger Kopf hinter dem Parteiprojekt. Dass er öffentlich vorgibt, in erster Linie Beobachter und Ehemann zu sein, quittiert einer von ihnen mit einem Schmunzeln. Das sei eine Finte. Andere sagen, dass man viel Lafontaine erkenne in den Positionen des BSW.

Und das bedeutet alte Sozialdemokratie. Ob in Sachen Abrüstung und Entspannungspolitik – alle anderen seien „für Krieg und Militarisierung“ – oder in sozialen Fragen – niemand trete wirklich für höhere Löhne ein. Dass die Veranstaltung auf den Holocaust-Gedenktag fällt, nimmt Lafontaine zum Anlass, um auf die Verpflichtung für den Kampf gegen Antisemitismus zu verweisen. Gleiches gelte aber auch für das Lebensrecht der Palästinenser in Gaza. Israel wirft er Kriegsverbrechen vor.

„Nie wieder Krieg“, ruft Lafontaine, und könnte das auch als Aufruf an die neuen Parteifreunde meinen: Bitte vertragt euch, werdet nicht wie die Linkspartei, die Sahra und ich im Streit verlassen haben.

Niemand außer Wagenknecht wird so laut bejubelt wie Lafontaine. Viele Mitglieder wollen ein Foto mit dem Mann, der einst die Linke mitgründete und nun wieder ganz vorn dabei ist. Sein Auftritt sei deutlich mehr als ein Lückenfüller, sagt die neue stellvertretende BSW-Vorsitzende Friederike Benda. Wie recht sie doch hat.

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