Interview: Violeta Bulc

"Belt-Querung ist absolute Priorität der EU"

Schleswig-Holstein ist eine Drehscheibe des Verkehrs zwischen Mitteleuropa und Skandinavien. Der Standort und seine Logistikbranche sind auf europäische Freizügigkeit, transnationale Verkehrsnetze und klare Regeln angewiesen. Im Interview mit dem IHK-Magazin äußert sich EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc über Infrastruktur und Förderung, die Digitalisierung des Verkehrs, Emissionskosten und den Umgang mit Uber und Co.
EU-TEN-Koordinator Pat Cox war bereits zu Gast in Schleswig-Holstein und hat hilfreiche Gespräche geführt. Welche Möglichkeiten sehen Sie zusätzlich, wie die EU vor Ort wirksam die Durchsetzbarkeit von wichtigen Verkehrsprojekten unterstützen kann?
Violeta Bulc: Die Europäische Union unterstützt europäische Verkehrsprojekte auf vielen Wegen: mit Fördergeldern aus der "Connecting Europe"-Fazilität, durch innovative Finanzinstrumente des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) oder die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds. Verkehrsprojekte haben besonders dann gute Aussichten auf Unterstützung, wenn sie Teil des grenzüberschreitenden Verkehrskernnetzes sind. Mit den Korridoren des multimodalen Kernnetzes hat der europäische Gesetzgeber Prioritäten für die Förderung von Verkehrsprojekten in Europa festgelegt und einen Koordinierungsmechanismus geschaffen, um diese Prioritäten möglichst schnell und wirksam umzusetzen. Die Kommission knüpft hier an, wenn sie die Verkehrsexperten der Mitgliedsstaaten und der Regionen in den Korridorforen zusammenbringt. Im Übrigen gibt es spezifische Instrumente der Europäischen Investitionsbank, die Projektträger bei der Vorbereitung und Umsetzung von EU-finanzierten Projekten nutzen können.
Wie stufen Sie die Relevanz der wichtigen Verkehrsprojekte feste Fehmarnbelt-Querung, Jütland-Route und A 20 in Bezug auf die Ziele der EU ein?
Bulc: Die Fehmarnbelt-Verbindung ist grenzüberschreitender Teil des skandinavisch-mediterranen Transportkorridors und damit eine absolute Priorität der EU. Die EU hat 589 Millionen Euro für dieses Projekt zur Verfügung gestellt. Es wird die skandinavischen Länder näher an das Zentrum Europas rücken. Überdies ist die Jütland-Route Teil eines Korridors des Kernnetzes und daher von großer strategischer Bedeutung für die Transeuropäischen Verkehrsnetze (TEN-V). Die Autobahn A 20 spielt gegenüber der A 19 und der A 24, die Hamburg, Rostock und Berlin durch das Kernnetz verbinden, dagegen eine untergeordnete Rolle.
Für welche öffentlichen oder privaten Maßnahmen, Projekte und Investitionen im Core-Netz können EUHilfen in Anspruch genommen werden?
Bulc: Zum einen stehen erhebliche Fördermittel aus der "Connecting Europe"-Fazilität zur Verfügung. Die Entscheidung darüber, ob Fördergelder fließen, wird nach der Beurteilung durch die Kommission von den Mitgliedsstaaten getroffen. Projekte können darüber hinaus auch durch innovative Finanzinstrumente wie EFSI finanziert werden. Ebenso ist es möglich, Fördergelder und innovative Finanzinstrumente miteinander zu verbinden.
Im Binnenmarkt gelten gleiche Regeln, auch für die Zulassung im Straßengüterverkehr und die sogenannte Kabotage, also für Transportdienste durch ausländische Verkehrsunternehmen. Wir beobachten zwischen den Mitgliedsstaaten allerdings ein Gefälle bei der Anwendung und Durchsetzung dieser Regeln. So sind Lkw und Fahrer teils wochenlang in ganz Europa unterwegs, trotz bestehender Kabotage-Regeln. Wie wollen Sie das Problem angehen?
Bulc: Meine Experten bewerten gerade, wie die Binnenmarktregeln im Straßenverkehr verbessert werden können. Die Liberalisierung des internationalen Transportbetriebs ist eine positive Entwicklung, die günstigere und effizientere Transportdienstleistungen bringt. Die Kommission ist sich allerdings der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen in den Mitgliedsstaaten bewusst. Ziel der laufenden Überprüfung ist es, die richtige Balance zwischen einem offenen und wettbewerbsfähigen Straßenverkehrsmarkt und dem Schutz sozialer Standards sowie fairer Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer zu finden.
Zur Person
Violeta Bulc, Jahrgang 1964, ist seit November 2014 EU-Kommissarin für Transport. Die slowenische Politikerin und Unternehmerin studierte Informationstechnik, Informatik und Computerwissenschaften in Ljubljana und San Francisco. Sie war von 2000 bis 2014 CEO der von ihr gegründeten Firma Vibacom und vor ihrer Ernennung zur Kommissarin Vize-Ministerpräsidentin und Ministerin für Entwicklung und strategische Projekte Sloweniens.

Ein Konzept zur Ökologisierung des Verkehrs ist der Ansatz externer Kosten für CO2-Emissionen zusätzlich zum bestehenden Lkw-Mautsatz. Auch für Lärm und Stau wird der Ansatz externer Kosten angedacht. Das belastet kleine und mittlere Unternehmen im Straßengüterverkehr zusätzlich, ohne dass es wegen fehlender Kapazitäten zu einer deutlichen Verlagerung auf die Schiene kommen wird. Werden KMUs an anderer Stelle entlastet?
Bulc: Die Mitgliedsstaaten haben bereits jetzt die Möglichkeit, Kosten für Luftverschmutzung und den von Lkw verursachten Lärm in Mautgebühren zu berücksichtigen. Was wir derzeit prüfen, ist die Option für Mitgliedsstaaten, Nutzergebühren den CO2-Emissionen der Fahrzeuge anzupassen. Es geht mir dabei nicht um zusätzliche Bürden, sondern darum, das Angebot um effizientere Fahrzeuge zu erweitern. Ich bin mir sicher, dass Spediteure von niedrigen Kraftstoffrechnungen und einem besseren Image profitieren werden.
Die Digitalisierung des Verkehrs ist grundlegend und wichtig für ein nachhaltigeres Verkehrssystem. Dafür sind große Investitionen der Mitgliedsstaaten und der Wirtschaft nötig. Welche Rolle sehen Sie dabei für die Kommission beziehungsweise die EU insgesamt und welche Initiativen treiben Sie konkret voran?
"Die Kommission hat zahlreiche Initiativen gestartet, um die Digitalisierung des Verkehrs voranzutreiben."

Bulc: Digitalisierungsprojekte, einschließlich intelligenter Verkehrssysteme für alle Verkehrsträger, werden durch Fördergelder der "Connecting Europe"-Fazilität unterstützt. Sie sind ebenfalls gute Kandidaten für die Förderung durch EFSI oder das Forschungs- und Innovationsprogramm der EU, Horizon 2020. Im Rahmen der Strategie für den digitalen Binnenmarkt hat die Kommission zahlreiche Initiativen gestartet, um die Digitalisierung des Verkehrs voranzutreiben, etwa den 5G-Aktionsplan mit dem Ziel, die wichtigsten Straßen- und Zugverbindungen bis 2025 mit 5G-Netzen abzudecken, oder WIFI4EU, welches WLAN an Verkehrsknotenpunkten unterstützt. Wir werden außerdem in Kürze eine Strategie vorlegen, die den Weg für kooperative, vernetzte und automatisierte Straßenfahrzeuge ebnen soll, sowie die Richtlinie für elektronische Mautsysteme überarbeiten.
Die Sharing Economy hält auch in den Verkehrssektor Einzug. So versucht etwa die US-Firma Uber, in europäischen Märkten Fuß zu fassen - verstößt dabei aber immer wieder gegen geltende gesetzliche Vorgaben. Wie sehen Sie dieses Geschäftsmodell? Was kann die EU tun, um faire Wettbewerbsbedingungen zu schaffen?
Bulc: Die Sharing Economy hat großes Potenzial. Uber ist nur ein Beispiel. Es gibt auch viele kleine europäische Firmen, die vom Wandel der Technologie und der Verbrauchergewohnheiten profitieren. Firmen sollten existierende Regeln beachten und mit den Behörden zusammenarbeiten. Auf der anderen Seite sollten wir darauf achten, neue Geschäftsmodelle nicht aus unsachgemäßen Gründen zu behindern. Aus diesem Grund hat die Kommission Leitlinien angenommen, welche die Mitgliedsstaaten dazu einladen, ihren Rechtsrahmen entsprechend anzupassen.
Interview: Rüdiger Schacht, Klemens Vogel
Veröffentlicht am 4. November 2016